Heimkino-Tipp: „Heretic“ (2024)

Der Ketzer

Als Cineast mit halbwegs konsensfähigem Filmgeschmack lässt ein Filmtitel wie „Heretic“ leicht erschaudern. War dies doch ebenso der Untertitel eines der umstrittensten und nach allgemeiner Auffassung misslungensten Sequels aller Zeiten, dem 1977 erschienenen „The Exorcist II“. Insofern hat dieses nun hier zu besprechende Werk des Regie- und Autorenduos Scott Beck und Bryan Woods unfairerweise einiges wiedergutzumachen, besonders im Horrorgenre.

Der Beginn ist schon mal vielversprechend: Die zwei mormonische Missionarinnen Schwester Barnes (Sophie Thatcher, „Companion“) und Schwester Paxton (Chloe East, „The Fabelmans“) erhalten den Auftrag, dem an ihrer Kirche interessierten Nachbarn Mr. Reed (Hugh Grant, „Notting Hill“, „The Gentlemen“) einen Besuch in seinem Haus abzustatten. Der höfliche Mann mit der Gießkanne in der Hand bittet die beiden jungen, vom Regen durchnässten Frauen prompt in sein Haus und bietet ihnen Kuchen an, während sie ins Gespräch kommen. Dies nimmt thematisch jedoch schnell einige sonderbare Abzweigungen, sodass seine zwei Gäste beschließen zu gehen. Nur wie? Denn ihr unscheinbarer Gastgeber in der karierten Strickjacke kann ihnen aus Gründen lediglich den Hinterausgang des Hauses anbieten, verstrickt sie dabei allerdings in ein seltsames Frage-Antwort-Spiel über Religionen, Glauben und Brettspiele. Ein Verlassen des labyrinthisch anmutenden Anwesens scheint fortan unmöglich.

Ein Blick auf das gelungene Poster-Artwork lässt erahnen, in welche Richtung sich die Handlung ab diesem Zeitpunkt entwickelt. Grant als undurchsichtiger Strippen- und Puppenspieler, der seine Hausgäste einem Gott gleich von oben beobachtet (und manipuliert?), während sie um ihr Leben und ihren Glauben kämpfen müssen? Hell, yeah! Die beiden Regisseure nutzen fortan sämtliche Stilmittel der Gruselfilmpalette, sowohl auf der Tonspur als auch auf der Bildebene, während ihr charismatischer Bösewicht(?) seine Thesen über Macht, Sinn und Unsinn sowie Plagiate in den Weltreligionen äußerst überzeugend darlegt.

Allein: Die Spannung geht dabei sukzessive verloren. Zwar ist es eine sprichwörtlich diabolische Freude, Grant in seiner Schurkenrolle zu beobachten, doch ein wirklich tiefgründiges Streitgespräch über Gott & Co. findet dabei nicht statt. Da helfen knarzende Laminatböden ebenso wenig wie dunkle Gänge, in denen die Fliehenden ständig irgendwelche Türen öffnen müssen, die nur zu einer weiteren führen. Wenn zudem an späterer Stelle jeder zuvor dezent gesetzte Hinweis auf die wahren Absichten des Antagonisten nochmals bebildert und ausinterpretiert wird, fühlt mensch sich als ZuschauerIn schon ein wenig bevormundet.

Dass „Heretic“ lauter und expliziter enden muss als er begonnen hat, liegt in der Natur des Genres. Ob dieser Verlauf glaubhaft ist, hängt sicherlich auch von der Bereitschaft des Publikums ab, bestimmten Twists der Handlung zu folgen. Immerhin ist der Film qualitativ weit entfernt vom eingangs erwähnten Namensvetter aus den 1970ern und allein dank Hugh Grants Auftritt einen Blick wert.

Und damit viel Spaß bei der nächsten Runde „Tatsächlich... Liebe“ – sie wird fortan anders schmecken ...

Die 4K-UHD/Blu-ray/DVD-Disc bietet den Film in englischer Original- und deutsch synchronisierter Sprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional vorhanden. Als Bonus gibt es einen Audiokommentar, Interviews sowie Trailer. „Heretic“ erscheint am 27. März 2025 auch als Mediabook bei Plaion Pictures und ist ebenso digital erhältlich. (Packshot + stills: © Plaion Pictures)

Heimkino-Tipp: „Alter weißer Mann“ (2024)

Der Alltag, ein Kampf

„Unsicherheit macht sich breit“ prophezeiten Die Prinzen bereits 2004. Ähnliches scheint etlichen männlichen Zeitgenossen seit ein paar Jahren das Leben zu erschweren, hadern sie doch zunehmend damit, die ‚richtigen‘ Umgangsformen im Alltag zu finden. Ob Wortwahl, körperlicher Kontakt oder Gesten: Das ‚Minenfeld Political Correctness‘ kann schnell zu Überforderung führen, selbst wenn der Handelnde nach bestem Wissen und Gewissen agiert.

So zumindest lautet die Prämisse von Simon Verhoevens („Girl You Know It’s True“) Komödie „Alter weißer Mann“. Schon der Titel nimmt Bezug auf eine Formulierung, die – vereinfacht zusammengefasst – seit einigen Jahren abwertend für Männer genutzt wird, die oftmals der sogenannten guten alten Zeit nachtrauern, in der man(n) angeblich noch alles sagen durfte und nicht ständig Gefahr lief, jemanden durch falsche Anrede oder Bezeichnung zu diskriminieren (was nach Meinung des Autors dieser Zeilen völliger Humbug ist und durch Achtsamkeit sowie Offenheit leicht vermieden werden kann).

Aber ganz so leicht macht es sich Regisseur und Drehbuchautor Verhoeven nicht: Seine Hauptfigur Heinz (Jan Josef Liefers) ist kein ewig-Gestriger, der ständig früheren Zeiten hinterher weint (diesen Part übernimmt sein Vater, gespielt von Friedrich von Thun), sondern ein dauergestresster, hart arbeitender Angestellter, der schon darauf achtet, alle zu inkludieren. Zudem sind seine Kinder zu weltoffenen Jugendlichen herangewachsen und seine selbstständige Frau Carla (Nadja Uhl) gerade dabei, ein eigenes Café zu eröffnen. Eine Unachtsamkeit hier, eine Übersprungshandlung dort, und plötzlich befindet sich Heinz in einem Dilemma: Das Ersparte ist weg, der Ruf unter den KollegInnen beinahe ruiniert, die Familie am Zerbröseln und zu allem Übel verdonnert ihn sein Chef gerade jetzt zu einem Abendessen in den eigenen vier Wänden, bei dem sich Heinz von seiner „wokesten“ Seite präsentieren soll, um die Firma gut dastehen zu lassen.

Überforderung, Zeitmangel, Karrieredruck, Familienkrisen, Selbstoptimierungswahn und überall Befindlichkeiten: „Alter weißer Mann“ macht tatsächlich das ganz große Fass auf und arbeitet sich mit amüsanter Situationskomik an (fast) Allem ab, was derzeit (nicht nur) die deutsche Gesellschaft stresst. Das mag teilweise wie eine Nummernrevue wirken, die der bemitleidenswerte Heinz durchlaufen muss, funktioniert jedoch erstaunlich gut. Zwar werden dabei viele Klischees bedient und bleiben die Figuren oberflächlich gezeichnet, doch nutzt dies Verhoeven gekonnt, um jede/n seiner ZuschauerInnen abzuholen und – im wahrsten Sinne der Filmhandlung – im letzten Drittel an einen großen Tisch zur Aussprache einzuladen. Dass es ihm dabei mehr um Kommunikation und Verständnis denn um Konfrontation geht, ist der große Verdienst seines witzigen filmischen Rundumschlags.

„Alter weißer Mann“ taugt weder als kritischer Kommentar noch Lösungsansatz für all die Themen, die unsere Gesellschaft momentan beschäftigen. Aber als Momentaufnahme mit der Aufforderung an alle Seiten, sich mal etwas lockerer zu machen, ist Verhoevens Komödie durchaus gelungen.

Die Blu-ray/DVD bietet den Film in deutscher Originalfassung. Deutsche Untertitel sind optional zuschaltbar. Zudem ist eine Hörfilmfassung mit an Bord (sehr löblich!). Als Bonus gibt es einen Audiokommentar des Regisseurs, Interviews, ein Making of, ein Musikvideo der Fantastischen Vier sowie diverse Trailer. „Alter weißer Mann“ erscheint bei Leonine Studios und ist seit 14. März 2025 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Leonine Studios / Wiedemann & Berg Film)

Heimkino-Tipp: „Spiders“ (2023)

Arac Attack at the Block

Man könnte meinen, wahre architektonische Ideenvielfalt findet sich vor allem im sozialen Wohnungsbau. Also immer dort, wo Kommunen dazu gezwungen werden, möglichst schnell, günstig und funktional Wohnraum für möglichst viele Menschen zu errichten. Waren es in der DDR beispielsweise die Betonbauten vom Typ Wohnungsbauserie 70 („WBS 70“, u.a. zu sehen im Dresdner Stadtteil Gorbitz) oder in Großbritannien das „Alexandra Road Estate“ in London (nur einen Katzensprung von der legendären Abbey Road entfernt), so sind es in Frankreich die sogenannten Banlieus, die Vororte der Großstädte, die überaus beeindruckende Bauten vorweisen können. Wie zum Beispiel die ‚Arènes de Picasso‘, ein Gebäudekomplex des Pariser Vorortes Noisy-le-Grand (Link).

Abseits ihrer besonderen Gestaltung gelten Vororte wie diese meist jedoch als soziale Hotspots, in denen viel Konfliktpotenzial schlummert. Diesem Vorurteil wollte der Filmemacher Sébastian Vaniček entgegenwirken, indem er sein Erstlingswerk „Vermines“ (für den deutschen Markt auf „Spiders – Ihr Biss ist der Tod“ umgetauft) genau dort inszeniert – und um den Zusammenhalt der dort Lebenden zu würdigen.

Der Jugendliche Kaleb (Théo Christine) lebt mit seiner Schwester Manon (Lisa Nyarko) in eben jener Siedlung und hält sich mit dem Verkauf von geklauten(?) Sneakers über Wasser. Seine Leidenschaft gehört jedoch seinen ‚Haustieren‘, die er in seinem Zimmer in unzähligen Terrarien hortet: Skorpione, Würmer und allerhand anderes exotisches Getier, zu dem sich nun auch eine Spinne gesellt. Dass diese nicht ganz ungefährlich ist, ahnt Kaleb zwar. Wo genau sie herkommt und was ihre ‚Features‘ sind, wird er aber erst im Laufe der nächsten Tage herausfinden. Denn die kleine Schönheit mit den vielen Beinen entkommt – und nutzt das labyrinthische und feuchte Hochhaus, um sich ein neues Zuhause einzurichten. Genug Futterquellen gibt es ja – vor allem auf zwei Beinen.

Ein klaustrophobisch anmutender Gebäudekomplex, ein flinker, intelligenter Gegner und fehlende Fluchtmöglichkeiten: Regisseur Vaniček hat die Klassiker des Creature-Feature-Genres offenbar gut studiert, denn er weiß, wie er sein Publikum effektiv zum Zittern bringen kann. Dazu zählt ebenso, keine reine Spinnen-Horror-Story zu erzählen, sondern auf einer zweiten Ebene inhaltlich auch etwas anderes einfließen zu lassen: Den Umgang von Menschen unterschiedlicher Herkunft miteinander beispielsweise, nicht nur im Angesicht einer Bedrohung.

Denn die ist in diesem Falle vielfältig: Einerseits durch die Spinnen, andererseits durch die Reaktion der Außenwelt auf die Ereignisse innerhalb der Banlieu, die sogleich abgeschirmt und isoliert wird, um das tödliche Problem lokal zu halten. Und spätestens beim Anrücken und dem Agieren der Polizei den BewohnerInnen gegenüber wird deutlich, dass „Spiders“ ebenso als gesellschaftlicher Kommentar taugt. Wie wird den Betroffenen geholfen? Wie wird ihnen gegenübergetreten? Schert sich überhaupt jemand um ihr Schicksal?

So wandelt sich der anfangs kompromisslose Horrorfilm sukzessive zum Drama, in dem die handelnden Personen nicht nur lernen müssen, miteinander zu kommunizieren, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten und einander zu vertrauen. Gewürzt mit einem mitreißendem Soundtrack und von talentierten Jungdarstellern getragen, ist „Spiders“ somit tatsächlich mehr als bloßer Spinnen-Horror – nämlich ein gelungener, anspruchsvoll-unterhaltsamer Streifen.

Die Blu-ray/DVD-Disc bietet den Film in französischer Original- und deutsch synchronisierter Sprachfassung. Untertitel sind optional vorhanden. Als Bonus gibt es eine Bildergalerie und Trailer zu anderen Filmen. „Spiders – Ihr Biss ist der Tod“ erscheint am 27. Februar 2025 bei Plaion Pictures und ist auch digital erhältlich. Am 20. März 2025 erscheint der Film zudem in 4K-UHD als Mediabook mit weiteren Extras. (Packshot + stills: © Plaion Pictures)

Heimkino-Tipp: „Emmanuelle“ (2024)

One for the Ladies

Wer alt genug ist, um sich noch an das Wochenend-Programm der privaten TV-Sender Mitte der 1990er zu erinnern, wird sicherlich etwas mit dem Titel „Emmanuelle“ anfangen können. Denn Fernsehsender wie ‚RTL plus‘ oder ‚Sat.1‘ füllten ihre Samstagabend-Nächte gern mit diversen Softcore-Erotikfilmen dieser Art, was den damals noch jungen Autor dieser Zeilen, der eigentlich nur das Comedy-Format „RTL Samstag Nacht“ schauen wollte, regelmäßig erröten ließ. Aus heutiger Sicht relativ harmlos, sorgten die diversen Verfilmungen und Plagiate der französischen „Emmanuelle“-Buchreihe einst für großes Aufsehen, was sich u.a. in einer jahrelangen Indizierung niederschlug (die letzte wurde erst 2019 aufgehoben).

Nun also ein Remake des Originalfilms von 1974 (der eigentlich bereits die zweite Adaption darstellte), der damals international ein sehr großer Erfolg war. Diesmal inszeniert von einer Frau (Audrey Diwan, „Das Ereignis“, der 2021 den Goldenen Löwen in Venedig gewann), wurden zwar einzelne Teile der Handlung und der -ort verändert, die Grundidee jedoch blieb erhalten: Eine (relativ) junge Französin begibt sich auf erotische Entdeckungsreise in Asien.

Emmanuelle (Noémie Merlant) hat einen vermeintlichen Traumjob: Sie jettet um den Globus, um verschiedene Ableger einer Luxushotelkette auf ihre Qualitäten zu testen. Service, Komfort, Küche, Sauberkeit, Problemlösestrategien sind nur einige der Punkte, die sie bewerten muss, während sie sich vor Ort verwöhnen lässt. Doch sucht die offen bisexuelle Emmanuelle auch regelmäßig Verwöhnung körperlicher Art, was ihr diverse erotische Abenteuer beschert – oder sind es doch nur Fantasien?

Erfreulicherweise verzichtet die Neuverfilmung darauf, aktuellen Trends zu folgen und sich in Explizitem zu ergötzen. „Emmanuelle“ im Jahre 2024 verfolgt weiterhin das Ziel, Sinnlichkeit und Erotik über Andeutungen, Atmosphäre und nur teilweiser Zeigefreudigkeit zu transportieren. Das gelingt mal mehr (Eröffnungsszene), oftmals jedoch weniger gut. Ohne es konkret benennen zu können, fehlt dem Film hier und da das gewisse Etwas. Vieles wirkt zu glatt, zu schön, zu sauber, kurz: zu berechnend. Im Vergleich dazu ist beispielsweise die Thrillerkomödie „Out of Sight“ (1998) mit Jennifer Lopez und George Clooney in den Hauptrollen ein glühend heißer Streifen – und das, obwohl der die Erotik quasi nur nebenbei dank seiner beiden Stars vermittelt.

Vielleicht liegt es auch an der charakterlichen Verschlossenheit der Figuren in „Emmanuelle“? Während die Protagonistin noch relativ offenherzig (sowohl verbal als auch körperlich) agiert, bleibt ein Großteil der Nebenfiguren undurchsichtig und rätselhaft. Sie wirken, ebenso wie der schön anzusehende Hauptschauplatz (ein Luxushotel in Hong Kong), wie Staffage.

Hervorzuheben ist jedoch der eindeutig ‚weibliche‘ Blick der Inszenierung: Regisseurin Diwan war ganz offensichtlich daran gelegen, keinen weiteren ‚Male gaze‘-Film zu drehen, auch wenn die Schönheit von Hauptdarstellerin Merlant sehr prominent ins Bild gerückt wird. Es bleiben stets ihre Szenen, ihr Blickwinkel wird genauso gezeigt wie der ihrer Liebespartner. Das gelingt zwar nicht durchgehend, aber das Ansinnen der Macherin ist erkennbar.

Ob dies ausreichend Argumente für diese Neuinterpretation sind? „Emmanuelle“ 2024 ist zweifellos kein schlechtes Werk, bietet jedoch zu wenig Höhepunkte (haha!), um nachhaltig in Erinnerung zu bleiben. Schöne Locations und Menschen zum Trotz.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in englischer/französischer Original- sowie deutscher Synchronsprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional zuschaltbar. Als Bonus gibt es Trailer. „Emmanuelle“ erscheint bei Leonine und ist seit 14. Februar 2025 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Leonine)

Heimkino-Tipp: „Armor“ (2024)

Die Brille rutscht!

Mr. Stallone macht es dem Verfasser dieser Zeilen momentan echt schwer, ihn noch zu mögen: Trägt sein eigenes Comeback-Franchise „The Expendables“ mit einem desaströsen, die eigentliche Prämisse der Reihe – einstige Actionstars im hohen Alter wollen’s nochmal wissen – negierenden vierten Teil lustlos zu Grabe, lässt sich privat vom neu gewählten US-Präsidenten Trump zu einer beschämenden Lobhudelei überreden, in der er den verurteilten Verbrecher mit Jesus(!) gleichsetzt, und zwingt nun seine (bald einstigen?) Fans, sich durch langweilige Grütze wie „Armor“ zu quälen.

Es ist zweifellos leicht verdientes Geld für Stallone, muss er doch in ca. 90 Minuten Laufzeit lediglich an einem Handlungsort rumstehen, dabei sinnfreie Sätze von sich geben und zwei, drei Mal mit einem Gewehr in der Gegend rumballern. Die größte Überraschung dieses Schnarchfilms ist die Tatsache, dass Sly alias Bandenchef Rook hier nach langer Zeit mal wieder einen Antagonisten gibt. Wobei: Derart handzahm, unentschlossen und einsilbig wirkt seine Figur als Boss ziemlich unglaubhaft. Ihm gegenüber steht der Alkoholiker James (Jason Patric), der zusammen mit seinem Sohnemann (Josh Wiggins) mitten im Nirgendwo einen Geldtransporter durch die Gegend kutschiert und auf einer Brücke von Rooks tumben Haufen zum Anhalten gezwungen wird. Sie wollen rein in den Wagen, Papa und sein Kind aber nicht raus. Was folgt, sind stümperhafte Versuche, den Transporter zu knacken, umrahmt von unzähligen inhaltsleeren Dialogen, nicht nachvollziehbaren Verhaltensweisen, vielen Drohnenaufnahmen der Umgebung – und einer rutschenden Brille auf Jason Patrics Nase.

Und nein, das ist offenbar kein Stilmittel, ein Charakter-Tick oder irgendein Gimmick, welches im weiteren Verlauf noch an Bedeutung gewinnen wird. Es ist schlicht und einfach eine übergroße, schlecht sitzende Sehhilfe, die Patric im 10-Sekunden-Takt nach oben schieben muss, damit sie nicht runterfällt. Warum dies beim Schauen des Films auffällt? Weil abseits dessen nichts passiert. Insofern eignet sich ‚die wandernde Brille‘ ganz hervorragend für ein Trinkspiel, bei dem immer dann angestoßen werden muss, sobald der Schauspieler seine Finger Richtung Nase bewegt. Positiver Nebeneffekt: Im Rausch erträgt mensch diese Schlaftablette von Film sehr viel besser.

Wie brachte es ein befreundeter Mitgucker treffend auf den Punkt: An „Armor“ könnten angehende Filmstudenten wunderbar üben, welche Bedeutung und Wirkung professioneller Filmschnitt hat – einfach alles Überflüssige entfernen, Szenen verkürzen und anders anordnen, Tempo reinbringen. Problem: „Armor“ hätte dann eine neue Laufzeit von ca. 2 Minuten. Aufgerundet.

P.S.: Dass es hinter den Kulissen hingegen sehr viel aufregender zuging, enthüllt dieser Artikel der Los Angeles Times: https://www.latimes.com/entertainment-arts/business/story/2024-04-26/randall-emmett-ives-sylvester-stallone

Die Blu-ray/DVD bietet den Film in englischer Original- sowie deutscher Synchronsprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional verfügbar. Als Bonus gibt es Trailer. „Armor“ erscheint bei Leonine Studios und ist seit 7. Februar 2025 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Leonine)

Heimkino-Tipp: „Steven Seagal: Actionstar“ (1990-1997)

Es war einmal ...

Zugegeben, der Lebenslauf des inzwischen 72-jährigen gebürtigen Amerikaners Steven Seagal liest sich beeindruckend – zumindest bis zum Beginn seiner Filmkarriere im Jahre 1988 mit „Nico – Above the Law“ (LINK). Dass er heute u.a. die russische Staatsbürgerschaft besitzt, als Abgeordneter für die Duma kandidierte und Wladimir Putin verehrt (für den er laut eigener Aussage sogar bereit wäre zu sterben; Quelle), macht ihn in meinen Augen jedoch inzwischen zu einem sehr unsympathischen Menschen.

Insofern erscheint es schon mutig für ein Label, zu Beginn des dritten Jahres eines Krieges, den Putin angezettelt und der unzähligen Menschen unendlich viel Leid beschert hat, nun eine Seagal-Filmbox zu veröffentlichen. Doch soll es hier genau darum nur gehen: Um die darin enthaltenen Filme, die allesamt aus den 1990er-Jahren und somit aus einer Zeit stammen, in denen der Aikidō-Profi zu den profitabelsten Actionfilm-Stars Hollywoods zählte. Alle fünf Streifen sind bislang nicht in Deutschland auf Blu-ray erschienen und enthalten zudem interessantes Bonusmaterial, welches Fans dieser Frühwerke entzücken wird (gelöschte Szenen, alternative Fassungen, Promo-Material).

Während „Hard To Kill“ (1990) und „Deadly Revenge“ (1991) geradlinig und ohne unnötigen inhaltlichen Schnickschnack daherkommen, schimmert bei „Auf brennendem Eis“ (1994) bereits sein – damals ehrenwertes – Anliegen zum Umweltschutz durch, während „Glimmer Man“ (1996) sowie „Fire Down Below“ (1997) in einer Zeit entstanden, in der es die einstigen Action-Helden (Schwarzenegger, Stallone, van Damme) ohnehin schwer hatten, überhaupt noch einen Hit an den Kinokassen zu landen.

Daher möchte ich an dieser Stelle nur zwei der fünf Filme kurz kommentieren, da sie, zumindest was die Inszenierung angeht, beide ordentlich abliefern. Zum einen ist dies „Deadly Revenge – Das Brooklyn-Massaker“ (OT: „Out for Justice“, Regie: John Flynn), in dem Seagals Cop Gino im titelgebenden New Yorker Stadtteil einen Amoklaufenden Irren, mit dem er einst aufgewachsen ist, zur Strecke bringen will. Der Film macht keinen Hehl daraus, dass es sich hier um eine simple, allen Regeln der modernen Rechtsprechung widerlaufende Selbstjustiz-Story handelt, in der der Polizist sowohl von Vorgesetzten, als auch von örtlich ansässigen Mafiapaten und sogar den Eltern des Gejagten einen Freibrief erhält, den Kerl umzunieten. Schiebt man diese Prämisse beiseite, ist „Deadly Revenge“ knallhartes Unterhaltungskino mit tollen, handgemachten Stunts, Fights und Autojagden, das keine Gefangenen macht. William Forsythe alias Richie schlägt zudem als Ginos Gegner völlig über die Stränge und ist ein Paradebeispiel für wirklich böse, völlig freidrehende Bösewichte. Ganz groß!

Zum anderen Seagals bislang einzige Regiearbeit „Auf brennendem Eis“ („On Deadly Ground“), für die er immerhin den zweifachen Oscar-Preisträger Michael Caine gewinnen konnte. Der spielt einen skrupellosen Geschäftsmann, der in einem Inuit-Reservat nach Öl bohren will und bereit ist, dafür über Leichen zu gehen. Eine „Mischung aus Actionthriller und Öko-Western mit grandiosen Naturaufnahmen. Heldenverehrung und Rechtfertigung von Gewalt werden scheinheilig mit ökologischen Motiven bemäntelt.“ urteilte damals das ‚Lexikon des internationalen Films‘ und fasst den 100-Minüter damit treffend zusammen. Ergänzung meinerseits: Für ein Erstlingswerk wirklich gut umgesetzt und weit weniger belehrend als viele spätere Seagal-Filme mit ähnlichem Anliegen (siehe „Fire Down Below“), das darüber hinaus wohldosierte, aber nicht minder harte, Seagal-typische Zweikämpfe bietet. Ein solider, unterhaltsamer Actioner, der nicht ganz so dumm sein will (es bleibt beim Wollen) wie viele andere aus seiner Filmografie.

Die „Steven Seagal: Actionstar“-Collection ist für Fans der sogenannten old-school-Actionflicks auf jeden Fall einen Blick wert und auch eine filmhistorische Erinnerung daran, was das Genre einmal ausmachte, bevor computergenerierte Effekte überhandnahmen.

Die Blu-ray-Collection bietet für alle fünf enthaltenen Filme („Hard To Kill“, „Deadly Revenge“, „Auf brennendem Eis“, „Glimmer Man“, „Fire Down Below“) die englische Original- und die deutsch synchronisierte Sprachfassung. Deutsche und englische Untertitel sind optional vorhanden. Das Bonusmaterial unterscheidet sich je nach Disc, Highlights sind auf jeden Fall die alternativen Fassungen (anderes Bildformat) von „Deadly Revenge“, „Hard To Kill“, „Glimmer Man“ und „Fire Down Below“. Ein Booklet rundet das Gesamtpaket vorzüglich ab. „Steven Seagal: Actionstar“ erscheint bei Plaion Pictures und ist seit 30. Januar 2025 erhältlich. (Packshot + stills: © Plaion Pictures GmbH)

Heimkino-Tipp: „Megalopolis“ (2024)

Eine Fabel

Erinnert sich noch jemand an „The Man Who Killed Don Quixote“ (2018)? Dies war für viele viele Jahre ein Herzensprojekt für den amerikanisch-britischen Filmemacher (und Monty-Python-Mitbegründer) Terry Gilliam, welches jedoch zuvor so oft und spektakulär scheiterte, dass es sogar einen gefeierten Dokumentarfilm über dieses Scheitern gab („Lost in La Mancha“, 2002). Die größte Überraschung nach all dem Warten: Es war in allen Belangen ein durchschnittliches Werk.

Zwar gibt es zur Entstehung von „Megalopolis“ (noch) keinen eigenständigen Film, doch ähnlich wie Gilliam bastelte auch Francis Ford Coppola schon ewig an diesem seinen Projekt: Seit den 1970ern geplant, verhinderten u.a. eine private Insolvenz, nicht verfügbare Wunschdarsteller und fehlende Geldgeber die Produktion ein ums andere Mal. Die Erwartungshaltung hingegen wuchs, gleichzeitig machten seltsame Meldungen die Runde: Der inzwischen 85-Jährige Coppola investiere einerseits 120 Mio. US-Dollar aus eigener Tasche, bremse andererseits die Dreharbeiten selbst aus, entlässt kurz vor der Fertigstellung das gesamte Visual-Effects-Team und der vorab veröffentlichte Teaser nutzt gefälschte Zitate bekannter Filmrezensenten, um die sich anbahnende Kritikerhäme schon im Vorfeld als Unwissen und beschränkte Intelligenz der Verfasser zu brandmarken. Uff!

Doch sei’s drum. Was zählt, ist das Endprodukt. Und das ist ... nun ja ... im besten Falle seltsam. Die erste Frage, die sich nach Filmende (zumindest mir) stellte: Für wen zur Hölle ist das gedacht? Wer ist das Zielpublikum? Wen könnte das interessieren? Die plausibelste – positive – Antwort darauf könnte heißen: Cineasten. Denn „Megalopolis“ bietet einige schöne Schauwerte, zitiert auf visueller Ebene Klassiker und versucht sich trotz weniger Schauplätze als Epos zu verkleiden, das große Ideen und Themen mit intimen Dialogszenen verknüpft, ganz so, wie es Coppola einst selbst in den „Der Pate“-Filmen bravourös inszenierte.

Die (wahrscheinlich) profane Wahrheit jedoch, für wen Coppola „Megalopolis“ geschaffen hat, ist: Für sich selbst. Für sein Ego. Um der Welt zu zeigen, wie belesen, wie intelligent und wie zukunftsweisend sein Denken, seine Arbeit, seine Kunst ist. Wer von den zahlreichen Shakespeare-Zitaten, der Gesellschaftskritik und der Symbolik überfordert ist, sitzt halt im falschen Film. Pech gehabt.

Demgegenüber steht eine Liebesgeschichte, die dermaßen ausgelutscht und klischeebeladen erzählt wird, dass sie beinahe wie bloße Ironie wirkt. Von der oft besungenen ‚Chemie‘ zwischen den Schauspielern, die das Paar darstellen, ist nichts zu spüren, sie wirken vielmehr ebenso in ihren Dialogen verloren wie ihr Publikum, das sich darauf einen Reim machen soll.

Apropos: Dass der deutsche Verleih „Megalopolis“ den Zweittitel „Eine Fabel“ gegeben hat, lässt vermuten, dass auch dort nach der Erstsichtung viele Fragezeichen im Raum standen. Bis auf den gleich zu Beginn etablierten Konflikt zwischen dem Architekten Cäsar Catilina (Adam Driver) und dem Bürgermeister Franklyn Cicero (Giancarlo Esposito), dessen Tochter Julia (Nathalie Emmanuel) sich in den Baumeister verliebt, erschöpft sich die Handlung darin, bekannte Gesichter wie Shia LaBeouf, Jon Voight, Jason Schwartzman, Aubrey Plaza und Dustin Hoffman durchs Bild zu scheuchen, während sie komische Kostüme tragen. Laurence Fishburne kommt dabei noch die besondere Funktion zu, für Drivers Cäsar Chauffeur, Berater und Sklave in Personalunion ohne eigenen Charakter zu sein. Was zum ...?

Ja, Mr. Coppola, was zum ... ist „Megalopolis“, bitte? Eine Satire auf die Welt von heute? Eine missverstandene Entzauberung der ‚Traumwelt Hollywood‘? Ihre finale Arbeit als Regisseur? Es wäre ein sehr unwürdiger Abgang Ihrer an Meisterwerken reichen Karriere.

Die Blu-ray/DVD bietet den Film in deutscher Synchron- und englischer Originalsprachfassung. Deutsche Untertitel für Hörgeschädigte sind optional vorhanden. Zudem gibt es eine deutsche Hörfilmfassung für Sehgeschädigte (sehr lobenswert!). Als Extras gibt es Interviews und Trailer. „Megalopolis“ ist seit 19. Dezember 2024 auch digital bei Constantin Film im Vertrieb von Highlight/Universal erhältlich. (Packshot + stills: © American Zoetrope/Constantin Film)