Heimkino-Tipp: „Freies Land“ (2019)

Die Mörder sind unter uns

Eines kann mensch Regisseur, Drehbuchautor und Kameramann Christian Alvart ganz sicher nicht vorwerfen: dass er unkreativ wäre. Während andere Filmemacher gern ‚auf Nummer sicher gehen‘ und oftmals einem Stil treu bleiben, wird der gebürtige Hesse nicht müde, Grenzen auszutesten und Neues auszuprobieren. Seine Art Filme zu drehen, ist unübersehbar an amerikanischen Vorbildern angelehnt, hebt sich aber vielleicht gerade deshalb von ‚typisch deutschen‘ Genrevertretern ab. „Antikörper“ (2005) ist auch 15 Jahre nach Erscheinen noch immer ein Thriller von epischer Schön- und Grausamkeit, Alvarts Versuche, der „Tatort“-Reihe mit ‚Jason Bourne‘-Anleihen neue Impulse zu geben (siehe Nick Tschiller-/Til Schweiger-Episoden), sorgten zumindest für Aufsehen.

Mit „Freies Land“ bringt er nun die „True Detective“-Optik ins deutsche (Heim-)Kino. War es im US-Vorbild das karge Hinterland, welches eindrucksvoll in Szene gesetzt wurde, so sind es hier von Wasserstraßen zerklüftete, fast menschenleere Landschaften in Mecklenburg-Vorpommern, die den Background für eine düstere Kriminalgeschichte bilden, angesiedelt kurz nach der Wendezeit.

1992 wird der Hamburger Polizist Stein (Trystan Pütter) in die Provinz entsandt, um zusammen mit seinem ostdeutschen Kollegen Bach (Felix Kramer) das Verschwinden von zwei jungen Frauen aufzuklären. Wie sich schnell zeigt, sind beide ermordet worden – und scheinbar nicht die einzigen, die auf der Suche nach einem aufregenderen Leben in der Großstadt einem Verbrechen zum Opfer fielen.

Basierend auf dem spanischen Werk „La Isla Mínima – Mörderland“ (2014), siedelt Alvart seine Version in einem Deutschland an, das gerade dabei ist, sich neu zu sortieren und Menschen blühende Landschaften verspricht, während es ihnen gleichzeitig erst die Jobs und anschließend die Lebensgrundlage entzieht. Mittendrin zwei Kommissare mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Prägungen, Ermittlungsmethoden und Verständnis von Gerechtigkeit.

Es ist viel Stoff, den Alvart in seinen Film packt, der vor allem auf optischer Ebene zu begeistern weiß, auch bezüglich des Auftretens und Aussehens der beiden Hauptcharaktere Stein und Bach. Inhaltlich hingegen, und das schreibe ich mit großem Bedauern und einem seufzendem ‚schade‘ auf den Lippen, bleibt Vieles bloße Behauptung. Ja, Figuren mittels ihrer Wirkung auf die Umgebung, über ihr Verhalten und über ihr Erscheinungsbild zu charakterisieren, ist ein lobenswerter und künstlerisch anspruchsvoller Ansatz. Was ihnen jedoch fehlt ist Dreidimensionalität. Dies äußert sich u.a. darin, dass die Schauspieler Pütter und Kramer zwar nebeneinander, aber nicht miteinander agieren. Klar, ihr Fremdeln ist sicherlich Ausdruck der Ossi-/Wessi-Skeptik jener Tage, doch selbst Nebenfiguren wie die von Nora (von) Waldstätten verkörperte Katharina bleiben skizzenhaft und erwachen nie wirklich zum Leben.

Wenn dann noch ein zwielichtiger Geschäftsmann aus dem Westen die Szenerie betritt und mit Zigarre im Mund, schickem Mantel um den dicken Bauch und blitzblanker Limousine samt Chauffeur demonstrierenden Fabrikarbeitern die kalte Schulter zeigt, mag das zwar sinnhaft für das Gebaren skrupelloser Kapitalisten stehen. Subtil geht aber anders. Dies gelang Alvarts Kollege Andreas Dresen in „Gundermann“ (2018; Rezi: HIER) beispielsweise viel besser weil nicht so sehr ‚in the face‘ inszeniert. Ob’s an fehlenden Zwischentönen liegt, die bei Alvart zugunsten einer fantastischen Optik ein wenig vernachlässigt werden?

„Freies Land“ ist somit ein zweischneidiges Schwert: Herausragend dank Bildgestaltung und Atmosphäre, mangelt es hier und da an psychologischem Tiefgang. Der Film nähert sich seinen Charakteren nie wirklich an, sondern bleibt konstant auf Distanz, was andererseits aber die Kälte und das Misstrauen zwischen den Menschen gut widerspiegelt. Also doch Absicht?

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutscher Originalsprachfassung und als Hörfilmfassung für Blinde und Sehbehinderte (sehr lobenswert!). Deutsche Untertitel sind optional verfügbar. Als Extra gibt es den Trailer zum Film. „Freies Land“ erscheint bei EuroVideo Medien GmbH und ist seit 9. Juli 2020 digital sowie seit 23. Juli 2020 auf DVD/Blu-ray erhältlich. (Packshot + stills: © Verleih Telepool/EuroVideo)