Heimkino-Tipp: „The Last Waltz“ (1978)

It Might Get Loud

Ende der 1970er-Jahre durchlief Filmemacher Martin Scorsese offenbar seine „musikalische Karrierephase“. Neben dem Musical-Drama „New York, New York“ (1977), mit Liza Minelli und Robert De Niro in den Hauptrollen, inszenierte er 1978 auch den Konzertfilm „The Last Waltz“ rund um die Musiker von The Band.

The Band zählten zu den seinerzeit angesehensten Rockgruppen, wie schon die schiere Anzahl an Bühnengästen bei dem hier zu erlebenden Auftritt verdeutlicht: Bob Dylan, Neil Young, Joni Mitchell, Eric Clapton, Muddy Waters, Neil Diamond, Ringo Starr und Ron Wood sind nur einige ihrer Fans, die sich im November 1976 in San Francisco zu „The Last Waltz“ zusammenfanden. Der im extra hierfür hergerichteten Winterland Ballroom absolvierte Gig sollte das (vorläufig) letzte Kapitel der 16jährigen Bandgeschichte sein.

Zustande gekommen ist die Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Gitarrensaitenzupfer eher spontan: Ohne Aussicht auf eine Gage sagte Scorsese zu, den Film zu realisieren, sah er doch die Chance, etwas bis dahin nie Dagewesenes kreieren zu können. Denn statt einfach nur statisch das Konzert abzufilmen, verfasste er ein 300 Seiten umfassendes Skript, in dem er jede Kameraeinstellung bereits vorab festlegte. Als Leitfaden dienten ihm dazu die Songtexte und die jeweilige Instrumentierung, auf die er seine Aufnahmewinkel abstimmte. Entstanden ist dabei das, was heutzutage Standard ist bei Konzert-DVDs: Ein dynamisches, hervorragend geschnittenes und alle Bühnenaktivitäten abbildendes Seh- und Hörerlebnis, als wäre man live dabei.

So ist es auch gar nicht nötig, die Songs von The Band zu kennen. Die Spielfreude, die die Herren und Damen an den Tag legen, reißt mit und erinnert gleichzeitig an einen Musikstil, der spätestens mit Beginn der 1980er-Jahre, mit dem Aufkommen von Punk und New Wave, nur noch marginale Bedeutung in den Charts hatte. Insofern ist „The Last Waltz“ nicht nur das (erste) Finale für The Band (sie fand später in diversen Formationen erneut zusammen), sondern ebenso eine Huldigung an deren irgendwo zwischen Rock, Blues und Folk angesiedelten Sound, der zuvor viele Jahre die Musikwelt global dominierte.

Zugegeben, es erscheint aus heutiger Sicht angesichts pompöser Bühnenshows großer Stars vielleicht etwas zu unspektakulär, was da auf der Bühne geschieht. Als Zeitdokument, Rückschau und Verbeugung vor einem Musikstil/einer Rockgruppe jedoch ist „The Last Waltz“ einzigartig und zugleich filmische Blaupause für Vieles, was danach noch kommen sollte.

„The Last Waltz“ erscheint als Repack in einem sehr schicken Mediabook mit inhaltsgleicher Blu-ray/DVD. Der Film liegt in original englischer Sprachfassung mit optionalen deutschen Untertiteln vor. Als Extras gibt es eine retrospektive Making of-Doku, den Mitschnitt einer nicht im Film verwendeten Jam-Session, Audiokommentare sowie Trailer. Ein informatives Booklet (Autor: Christoph N. Kellerbach) ist ebenso enthalten. „The Last Waltz“ erscheint bei justbridge entertainment GmbH und ist seit 23. Oktober 2020 erhältlich. (Packshot + stills: © justbridge/MGM)

Heimkino-Tipp: „Monos“ (2019)

Dschungelhelden

Wird eine internationale Produktion mit deutschen Geldern co-finanziert, kann man sich darauf verlassen, an irgendeiner Stelle im Film einen Bezug zu Deutschland zu finden. Häufig sind es dann german actors, die in einer Nebenrolle auftauchen, oder die Handlung wechselt kurz zu einem Schauplatz in unserer Republik. In „Monos“, dessen Geschehen sich in den südamerikanischen Anden abspielt, nimmt das jedoch wirklich seltsame Formen an: So ist eine dort lebende Farmersfamilie beim abendlichen TV-Konsum zu sehen, die sich eine Dokumentation über Bonn(!) und die Gummibärchenproduktion(!!) anschaut. [hier bitte einen kichernden Smiley einfügen]

Abgesehen von dieser kleinen inhaltlichen Verfehlung ist „Monos“ jedoch ein beachtliches, außergewöhnliches Werk. Der Hybridfilm, in dem Laien- und professionelle Darsteller nebeneinander agieren, erzählt von einer Gruppe Kindersoldaten, die anfangs in einer abgelegenen Bergregion, später inmitten des Dschungels eine entführte US-Amerikanerin (Julianne Nicholson) bewachen sollen. Die nicht näher bezeichnete Organisation, für die sie dabei tätig sind, erhofft sich offenbar Lösegeld für die Geisel, die sie alle nur „Doctora“ nennen. Als die Kids aufgrund eines Angriffs in einen anderen Landesteil flüchten müssen, versucht die abgemagerte, langsam den Verstand verlierende Frau ihren Häschern zu entkommen, was die jungen Revoluzzer auf vielerlei Weise in arge Bedrängnis bringt.

Regisseur und Co-Autor Alejandro Landes ließ sich für seinen Film von William Goldings Literaturklassiker „Herr der Fliegen“ (1954) inspirieren und überträgt die Geschichte von Jugendlichen, die (fast) ohne Erwachsene ihren Alltag in einer dauerhaften Extremsituation bewältigen müssen, kongenial auf das Schicksal von Kindersoldaten. Ihre Kameradschaft ist fragil, ihr Leben von Training, Kämpfen und Feiern bestimmt. Die ihnen auferlegte Pflicht – das Bewachen einer Gefangenen – gelingt ihnen nur mit Mühe und die brutale Autorität ihres Kommandanten, der nur hin und wieder die Szenerie betritt, lässt schnell die tiefen Risse in der Gemeinschaft erkennen.

Landes’ Film überträgt den schwierigen Prozess des Erwachsenwerdens auf eine diffuse Kriegsszenerie, in der Indoktrinierung, fehlende Sozialisation und Gewalt als einziges Mittel der Konfliktlösung prägende Elemente sind. Was bewirkt dies bei jungen Menschen? Wieviel Anteilnahme und Mitgefühl bleiben ihnen erhalten? Können sie diesem schmerzhaften Alltag aus eigener Kraft oder nur mit Hilfe von außen entfliehen? Oder sind sie ohnehin bereits verloren? Es sind interessante Fragen, die in „Monos“ mitschwingen und auf der Bildebene mittels unterschiedlicher Perspektiven und Drehorte versinnbildlicht werden.

Überhaupt, die Optik: Kameramann Jasper Wolf gelingt es mühelos, an Herzogs „Aguirre, der Zorn Gottes“ (1972) und Coppolas „Apocalypse Now“ (1979) anzuknüpfen und einen Sog zu erzeugen, dem mensch sich mit zunehmender Laufzeit nicht entziehen kann. Spektakuläre Stuntszenen (Stichwort: Stromschnellen), die zum Teil ohne Stuntdoubles entstanden sind, erinnern zusätzlich an den Klassiker „Beim Sterben ist jeder der Erste“ (1972) – alles große Vorbilder, denen „Monos“ angemessen Tribut zollt.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und spanischer Originalsprachfassung sowie optionale deutsche Untertitel. Als Bonusmaterial gibt es Trailer. „Monos – Zwischen Himmel und Hölle“ erscheint bei DCM Film Distribution GmbH/Universum Film und ist seit 9.Oktober 2020 (auch digital) erhältlich. (Packshot + stills: © DCM)