Heimkino-Tipp: „1000 Arten Regen zu beschreiben“ (2017)

Room Service

Nein, Papa Thomas (Bjarne Mädel) passt es gar nicht, was seine Frau Susanne (Bibiana Beglau) da vor der Zimmertür ihres gemeinsamen Sohnes Mike veranstaltet: stellt ihm regelmäßig einen Teller mit Essen hin, leert mit Urin gefüllte Plastikflaschen aus, die er hin und wieder hinstellt, und hat sich zudem auch noch krankschreiben lassen, um ganztägig Zuhause bleiben zu können. Denn der 18jährige Mike hat beschlossen, sein Kinderzimmer zu seinem Refugium zu machen – seinem einzigen Refugium, das er fortan nicht mehr verlässt. Kommentarlos, nur gelegentlich über kleine Zettelchen kommunizierend, die er unter der Tür in die Außenwelt sendet, ist sein Verhalten ein Rätsel. Das macht nicht nur seinen Eltern, sondern ebenso seiner jüngeren Schwester Miriam (Emma Bading) zu schaffen, die selbst gerade mit der Pubertät kämpft und sich mehr und mehr vernachlässigt fühlt.

Es ist eine interessante Ausgangssituation, die Regisseurin Isa Prahl für ihr Erstlingswerk gewählt hat. Tatsächlich gibt es ein solches Verhalten in Japan schon seit einigen Jahren, genannt Hikikomori. Ein gesellschaftliches Phänomen, meist einhergehend mit Überforderung und Versagensängsten, das vor allem Kinder dazu veranlasst, sich auf engstem Raum einzuigeln. „1000 Arten den Regen zu beschreiben“ verzichtet allerdings auf eine Erklärung und konzentriert sich vollständig auf das Leben vor der Tür. Dass Mike noch lebt, zeigt sich lediglich an den beweglichen Schatten, die unterm Türschlitz erkennbar sind.

Was geschieht mit einer Familie, wenn sich ein Mitglied komplett zurückzieht und jegliche Kommunikation kappt? Welche Folgen hat das Verschwinden eines geliebten Menschen auf die Hinterbliebenen? Regisseurin Prahl zeigt es anhand dreier unterschiedlicher Verhaltensweisen: Während Thomas wütend ist und dies auch lautstark kundtut, flüchtet sich Susanne in einer Art Ersatz-Mutter-Kind-Beziehung mit einem von Mikes Mitschülern (Louis Hofmann). Teenagerin Miriam hingegen testet frustriert ihre Grenzen aus und verliert auf diversen Partys zunehmend sämtliche Hemmungen.

Da der Film sich jeglichen Erklärungen verweigert, kann das Gesehene vielfältig interpretiert werden. Beispielsweise als extreme Form der Entfremdung zwischen Kind und Eltern, oder als Parabel auf den unerwarteten Tod eines nahestehenden Menschen, dessen Verlust man nicht akzeptieren will und daher versucht, die fehlende Person weiterhin in den Alltag einzubinden.

Vielleicht ist das auch der einzige (kleine) Kritikpunkt an diesem ansonsten sehenswerten Film: die vier Hauptfiguren stehen am Ende am selben Punkt wie zu Beginn. Die Ratlosigkeit, Wut und Trauer der drei Außenstehenden über den Verlust ihres vierten Kompagnons sind weiterhin vorhanden, eine Lösung des Problems nicht in Sicht. Aber so ist das ja oft im Leben: einfache Erklärungen gibt es nicht.

Die DVD bietet den Film in deutscher Originalversion mit optionalen englischen Untertiteln. Eine Hörfilmfassung ist ebenso vorhanden (sehr lobenswert!). Als Extras gibt es ein Making of, Szenen vom Dreh sowie Trailer. „1000 Arten Regen zu beschreiben“ erscheint bei good!movies/filmkinotext und ist seit 14.Dezember 2018 erhältlich (Packshot und stills: good!movies/filmkinotext).

Heimkino-Tipp: „BlacKkKlansman“ (2018)

Inside Men

Spike Lee zählt zu den wichtigsten Filmemachern Amerikas. Seit Ende der 1970er-Jahren aktiv, dreht er quasi im Akkord Dramen, Komödien und Thriller, die mal mehr mal weniger immer wieder auf ein Thema zurückkommen: den Rassismus in den USA. Lee macht das selten zurückhaltend. Vielmehr provoziert er, klagt an und benennt Dinge klar und ohne Furcht. Das hat ihn einerseits schon etliche Filmpreise eingebracht (u.a. Gewinn/Nominierungen Berlinale, Venedig, Cannes, Oscars), aber auch immer wieder Kritik bis hin zu Antisemitismusvorwürfen. Spätestens mit „BlacKkKlansman“ wird deutlich, was von solcherlei Beschuldigungen zu halten ist – nämlich nix.

Der Film greift eine wahre Geschichte auf, die sich in den 1970ern tatsächlich zugetragen hat. Das ist insofern von Bedeutung, da es andernfalls wohl sonst als ‚unrealistisch‘ gebrandmarkt worden wäre: die Infiltration des Ku Klux Klan durch einen Schwarzen und einen Juden.

Der Polizist Ron Stallworth (John David Washington) entdeckt in der örtlichen Zeitung eine Anzeige des Klans, die um neue Mitglieder wirbt. Spontan greift er zum Telefonhörer und behauptet, Juden- und vor allem ein Schwarzenhasser zu sein. Klan-Chef David Duke (Topher Grace) ist begeistert und lädt seinen neuen Freund zu sich ein. Um die Scharade aufrecht erhalten zu können, bittet Stallworth seinen (weißen jüdischen) Kollegen Flip Zimmerman (Adam Driver), an seiner Stelle zu der Versammlung zu gehen. Der Beginn eines ungewöhnlichen und sehr erhellenden Undercover-Einsatzes.

Mit Blick auf die umfangreiche Filmografie Lees bin ich froh, dass er den Regieposten für diesen sowohl unterhaltsamen wie auch erschütternden Streifen übernommen hat. „BlacKkKlansman“ ist beinahe so etwas wie die thematische und künstlerische Quintessenz all dessen, was Lee – der 2016 seinen wohlverdienten Ehren-Oscar erhielt – in den vergangenen Jahrzehnten filmisch geleistet hat. Der Streifen ist nicht nur ein historischer Rückblick, sondern ebenso ein Porträt der amerikanischen Black Power-Bewegung, ein satirischer Kommentar zu all den debilen Ansichten der Klan-Affen, eine Abrechnung mit dem gemeinhin als Meisterwerk geltenden Filmepos „Die Geburt einer Nation“ (1915) sowie eine schmerzhafte Erinnerung an die beschämende Behandlung von Schwarzen weit in das 20. Jahrhundert hinein. Dass dies alles nun in Zeiten von Trump & Co. wieder an die Oberfläche kommt, bietet Lee zudem genug Material, um eine Brücke zu aktuellen Ereignissen zu schlagen. Und als wäre dies noch nicht genug, würzt Lee sein Meisterstück mit Humor und funky Sounds, was in seinen bisherigen Werken selten so gut aufging wie hier.

Bezüglich der Besetzung ist „BlacKkKlansman“ ebenso ein Volltreffer: John David Washington beweist in einer seiner ersten Hauptrollen, dass er das Talent seines Vaters Denzel ebenso besitzt, gleichzeitig glänzt Adam Driver als ein mit seiner Religion hadernden Mann, dem erst bei der direkten Konfrontation mit dem Hass des Klans bewusst wird, welche Verantwortung er trägt. Ganz große Klasse!

Würde mich somit nicht wundern, wenn „BlacKkKlansman“ bei den anstehenden Oscar-Nominierungen in mehreren Kategorien auftaucht. Verdient hätte er’s!

Die DVD/Blu-ray bietet den Film u.a. in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie diverse Untertitel. Als Extras gibt es einen kurzen Promoclip sowie Trailer. „BlacKkKlansman“ erscheint bei Universal Pictures Germany GmbH und ist seit 21. Dezember 2018 erhältlich. (Packshot + stills: © Universal Pictures)

Heimkino-Tipp: „Nico, 1988“ (2017)

Rebel Rebel

Geglückt ist ein (filmisches) Porträt in meinen Augen immer dann, wenn es ZuschauerInnen motiviert, im Anschluss an den Filmgenuss selbst ein wenig zum Künstler zu recherchieren. Gemessen daran, ist „Nico, 1988“ von Regisseurin/Autorin Susanna Nicchiarelli ein überaus gelungenes Werk, das gleichzeitig als interessante Momentaufnahme einer rebellischen Künstlerin bezeichnet werden kann.

Die gebürtige Kölnerin Christa Päffgen, besser bekannt unter ihrem Alias Nico, starb 1988 im Alter von nur 49 Jahren auf Ibiza. Zu diesem Zeitpunkt galt sie bereits als eine Legende, hatte sie bis dato doch auf vielfältige Weise mit einigen der berühmtesten Künstler der Welt zusammengearbeitet. Andy Warhol, Lou Reed, Leonard Cohen, Jim Morrison, Brian Eno und Iggy Pop sind nur einige Namen, die in ihrer Biografie auftauchen. Sie gilt als eines der ersten, weltweit erfolgreichen Supermodels, inspirierte andere als Muse und versuchte sich zudem als Schauspielerin. Ihre Leidenschaft aber gehörte der Musik – oder zumindest dem, was sie darunter verstand.

Denn Nico war an kommerziellem Erfolg nicht interessiert. Sie legte keinen Wert darauf, gemocht zu werden, kaschierte ihre Schönheit mit unauffälliger, zum Teil kaputter Kleidung und lebte ihren Drogenkonsum offen aus. Die von ihr geschaffene Musik war düster, unangepasst, experimentell. Und trotzdem – oder gerade deshalb – ist ihr Einfluss auf folgende Künstlergenerationen immens.

Da verwundert es schon ein wenig, dass „Nico, 1988“ lediglich knappe 90 Minuten Laufzeit vorweisen kann. Wie der Titel bereits suggeriert, konzentriert sich Filmemacherin Nicchiarelli nur auf die letzte Phase von Nicos Leben, das – so zumindest suggeriert es der Film – gezeichnet ist von Heroinsucht, Frust sowie Antriebslosigkeit, was sich vor allem auf der Bühne immer wieder zeigt. So bricht sie Konzerte schon mal lautstark und wenig charmant ab, wenn ihr das Gitarrenspiel ihrer Mitmusiker nicht zusagt. Hinzu kommt der Wunsch, mehr Zeit mit ihrem Sohn zu verbringen, der seit einem Suizidversuch in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht ist und ebenso wie seine berühmte Mutter seinen Platz in der Welt noch nicht gefunden zu haben scheint.

Gefilmt im quadratischen 4:3-Format, macht „Nico, 1988“ schon formal deutlich, wie sich Päffgen gefühlt haben muss. Reduziert auf ihre Vergangenheit inmitten berühmter Menschen, versucht sie vergeblich, Publikum und Presse auf ihre eigene Kunst aufmerksam zu machen. Gleichzeitig lässt sie nichts unversucht, um Erwartungen zu enttäuschen und ihr Umfeld zu provozieren.

Bei aller Kratzbürstigkeit, die Hauptdarstellerin Trine Dyrholm als Nico dabei ausstrahlt, wird jedoch nie eine Misanthropin aus ihr. Vielmehr entsteht ein vielschichtiges Porträt einer Frau, die nie ganz ihre Maske fallen lässt und beständig auf der Suche ist – nach neuen Songideen, einem Neuanfang als Mutter, einem neuen Leben.

Gerade im Vergleich zum aktuellen Kinohit „Bohemian Rhapsody“, der einen Teil von Freddie Mercurys Leben nachzeichnet, werden die unterschiedlichen Herangehensweisen an ein Biopic deutlich: Während der Hollywood-Streifen markante Ereignisse hervorhebt, beschäftigt sich „Nico, 1988“ mit vielen ‚kleinen‘ Momenten abseits des Rampenlichts und versucht, dem Seelenleben der Protagonistin auf die Spur zu kommen. Das mag weniger mitreißend sein als ein Konzertmitschnitt von „We Will Rock You“, persönlicher ist es allemal.

Die DVD bietet den Film in englischer Originalversion mit optionalen deutschen Untertiteln. Als Extra gibt es Trailer. „Nico, 1988“ erscheint bei good!movies/filmkinotext und ist seit 19. Oktober 2018 erhältlich (Packshot und stills: good!movies/filmkinotext).

Heimkino-Tipp: „Vollblüter“ (2017)

Girls Just Want To Have Fun

Bin ja großer Fan der Fanning-Geschwister (Dakota & Elle) sowie der wunderbaren Chloë Grace Moretz – allesamt fantastische Jung-Schauspielerinnen, die seit Kindertagen vor Kameras stehen und schon sehr sehr viele gute Filme abgeliefert haben. Aber es gibt noch mehr! Anya Taylor-Joy („The VVitch“, „Split“) und Olivia Cooke („Bates Motel“, „Ready Player One“) beispielsweise, die mich vor allem nach dem Genuss von „Vollblüter“ davon überzeugt haben, dass es zumindest darstellerisch auch in Zukunft an weiblichen Talenten nicht mangeln wird.

Taylor-Joy und Cooke ziehen in Cory Finleys Regiedebüt eine grandiose Show als intelligente, aber mit bösen Absichten versehene Mädels ab, die einerseits amüsant, andererseits richtig beängstigend ist. Und das Schönste daran: Es ist beiden Girls anzusehen, was für einen großen Spaß sie dabei hatten, ihre Figuren zum Leben zu erwecken.

Amanda (Cooke) ist wegen ihres seltsamen Verhaltens eine Außenseiterin an ihrer Schule. Von ihrer Mutter wird sie deshalb zum gemeinsamen Lernen mit Lily (Taylor-Joy) verdonnert. Allerdings durchschaut Amanda schnell, woher die überfreundliche Art ihrer neuen Helferin rührt: sie wurde dafür bezahlt, und das gar nicht mal so schlecht. Mit ihrer unangenehm direkten Art konfrontiert Amanda die zunächst ‚zugeknöpfte‘ Lily sogleich mit allerhand Fakten, die ihr ins Auge fallen: Lily hasst ihren reichen Stiefvater, lebt in einem goldenen Käfig und besitzt hinter ihrer scheinbar perfekten Fassade eine dunkle Seite. Pragmatisch wie Amanda ist, schlägt sie Lily schließlich vor, das dringendste dieser Probleme zu beseitigen - den Ersatz-Papa. Als Werkzeug soll ihnen dabei der Kleindealer Tim (Anton Yelchin) dienen, den sie kurzerhand erpressen. Aber auch ein perfekter Plan hat oftmals unerwartete Mängel.

Ursprünglich konzipiert als Bühnenstück, schreitet die Handlung vornehmlich in Dialogform voran. Was jedoch nicht heißt, dass es optisch langweilig zugeht: Regisseur Finley und sein Kameramann Lyle Vincent machen schon mit einer wunderbaren, ungeschnittenen Kamerafahrt zu Beginn klar, dass sie ihr Handwerk verstehen. Sie übertragen in der Folge die kühle Rationalität, die ihre beiden Protagonistinnen an den Tag legen, gekonnt auf die formale Ebene, was fast schon eine gewisse Sogwirkung entfaltet. Nicht zuletzt dank der (zumindest in der englischen Sprachfassung) grandiosen Dialoge, die hier und da sogar zum Zurückspulen einzelner Szenen anregen, um wirklich keine Nuance zu überhören/zu übersehen.

Kurzum: ein sehenswertes Werk besonders für all jene, die es inhaltlich gerne mal etwas fieser mögen und ebenso wie der Autor dieser Zeilen an formidabel geschriebenen Szenen gepaart mit tollen Schauspielleistungen ihre Freude haben.

Traurige Randnotiz: Der Film ist Tim-Darsteller Anton Yelchin gewidmet, da „Vollblüter“ der letzte Film ist, den er vor seinem bedauerlichen Unfalltod 2016 vollendet hat. Yelchin wurde lediglich 27 Jahre alt.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film u.a. in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie diverse Untertitel. Als Extras gibt es gelöschte Szenen sowie ein paar Promo-Making of-Clips. „Vollblüter“ erscheint bei Universal Pictures Germany GmbH und ist seit 13. Dezember 2018 erhältlich. (Packshot + stills: © Universal Pictures)

... im Nachgang: „Bohemian Rhapsody“ (Kinostart: 31. Oktober 2018)

The Great Pretender

Es ist schon „A Kind of Magic“, dass dieser Film existiert: Angekündigt 2010, sollte zunächst ein gewisser Sacha Baron Cohen, der Schauspieler hinter den Kunstfiguren Borat und Ali G, die Hauptrolle übernehmen und Freddie Mercury verkörpern. Drei Jahre später verließ er das Projekt jedoch aufgrund „kreativer Differenzen“. 2016 ging es dann endlich wieder vorwärts, mit neuem Skript, neuem Hauptdarsteller – Rami Malek – sowie neuem Regisseur. Tja, denkste! Denn Bryan Singer, Hollywood-Profi und Schöpfer von Kassenschlagern wie »Die üblichen Verdächtigen«, »X-Men« und »Operation Walküre« blieb dem Set eines Tages einfach fern – und »Bohemian Rhapsody« stand mitten in den Dreharbeiten abermals vor dem Aus. Zuende gefilmt hat ihn dann der Brite Dexter Fletcher (»Eddie the Eagle«), dessen Name im Abspann aufgrund rechtlicher Vereinbarungen aber nur bei den Produzenten auftaucht. Was’n Chaos!

Umso erstaunlicher, wie gut die Queen-Bandbiografie schlussendlich geworden ist. Oder ist es doch eher ein Porträt von Mr. Mercury, der zufällig in einer bekannten Musikkappelle mitwirkte? Der Film erweckt jedenfalls den Eindruck, dass die drei anderen, überaus talentierten Kompagnons ohne ihren charismatischen Sänger keine Chance im Business gehabt hätten. Das ist insofern inkorrekt, da Brian May, Roger Taylor und John Deacon für einige der beliebtesten Queen-Songs Verantwortung tragen. Aber was sind schon Melodie und Texte ohne eine Stimme und eine Bühnensau, der sie zum Leben erweckt? Auftritt Rami Malek, dem blassen Hacker aus der Erfolgsserie »Mr. Robot«, der in der Rolle des Freddie M. wahrscheinlich seinen Zenit als Schauspieler bereits erreicht hat.

Es ist schlicht gigantisch, was der 37-Jährige hier abliefert: Körpersprache, Bewegungen, Aussehen – es scheint, als sei der Queen-Sänger wieder auferstanden. Und damit dieses schöne Gefühl beim Zuschauer erhalten bleibt, behält der Film Freddies finale Jahre für sich. Stattdessen endet »Bohemian Rhapsody« laut, mitreißend und überwältigend mit Queens Auftritt bei „Live Aid“ 1985, einer Performance für die Ewigkeit (zu finden in der Weiten Wilden Welt des Internets).

Ein schöner Kontrast zu all der Dramatik, mit der Band und Leadsänger zuvor zu kämpfen hatten: familiäre Probleme, die dunklen Seiten des Ruhms, das Versteckspiel vor den Medien bezüglich sexueller Präferenzen und schließlich die Gewissheit, aufgrund einer AIDS-Erkrankung womöglich bald sterben zu müssen. All das verpackt der Film in gewohnter Hollywood-Manier in einzelne Kapitel, immer wieder unterbrochen von Konzertmitschnitten und Aufnahme-Sessions in Studios, damit es für den Zuschauenden auch nicht zu schmerzhaft wird. Das mag hier und da oberflächlich wirken, angesichts des rauschhaften Lebensstils Mercurys allerdings durchaus angebracht und nachvollziehbar.

Und trotzdem: Freddies Arbeitspensum bis zu seinem Tod 1991, die vielen Hits, die bis dahin noch entstanden, der bewegende letzte Videodreh („These Are the Days of Our Lives“) und auch das Tribute-Konzert im April 1992 mit George Michaels phänomenaler Version von „Somebody to Love“ hätten gerne noch hinzugefügt werden können. „ I Want It All“! Aber wer kriegt das schon ...

(Plakat + stills: © 2018 Twentieth Century Fox)

Heimkino-Tipp: „Hotel Artemis“ (2018)

Emergency Room

Zugegeben: Würde es nicht im Trivia-Teil der Filmdatenbank IMDB stehen, wäre ich nie drauf gekommen. Aber die Tatsache, dass die Wortschöpfung „Covfefe“ gleich zweimal in kyrillischer Schrift auftaucht, ist ein Statement, welches nicht unkommentiert bleiben darf. Denn nicht nur damit macht Regisseur Drew Pearce klar, worauf er mit seinem unterhaltsamen Thriller „Hotel Artemis“ abzielt. Aber der Reihe nach:

Die Stadt: Los Angeles. Das Jahr: 2028. Die Menschen: in Aufruhr. Grund ist ein Privatunternehmen, das den Zugang zum Wasser kontrolliert und die Bevölkerung vor Wut auf die Straßen treibt. Mittendrin das titelgebende Hotel Artemis, in dem verwundete Schwerverbrecher medizinische Hilfe erhalten. Die Belegschaft besteht aus lediglich zwei Personen: einer (Kranken-)Schwester (Jodie Foster) sowie ihrem Assistenten (Dave Bautista), dessen Physis seinem Namen Everest alle Ehre macht. Vor ihnen liegt eine Nacht wie keine andere, bekommen sie doch neben zwei Bankräubern (Sterling K. Brown, Brian Tyree Henry), einer Killerin (Sofia Boutella) sowie einem Waffenhändler (Charlie Day) noch ganz besonderen Besuch: Oberbösewicht Wolf King (Jeff Goldblum) und dessen ungestümer Sohn (Zachary Quinto) bestehen trotz Überfüllung auf eine Aufnahme – und bringen damit die geordnete Hotelwelt der Bediensteten gehörig ins Wanken.

Storybezogen ein klassisches B-Movie mit begrenztem Handlungsort, ist „Hotel Artemis“ ein wahres Potpourri an Filmarten: düstere Dystopie, beißender Gesellschaftskommentar, harter Actionfilm und sogar ein wenig Drama. Ein (un-)bunter Mix sozusagen, dessen Dreh- und Angelpunkt die Hausherrin ist, verkörpert von der einzigartigen Jodie Foster. Sie nach „Elysium“ (2013) nun endlich wieder in einem Film sehen zu können, ist allein die Ausleihe/den Kauf des Films wert. Dass sie sich nach so langer Leinwandabstinenz gerade diesen Stoff mit dieser Figur herausgesucht hat, spricht für die Qualität der Geschichte. Und tatsächlich: Obwohl keiner der zahlreichen anderen Charaktere nur ansatzweise so viel Raum und Zeit erhält wie die Schwester, glaubt man nach 90 Minuten alle Figuren und ihre Beweggründe zu kennen. Regisseur/Autor Pearce gelingt es überraschend gut, auch in den lautesten Actionszenen eine gewisse Melancholie durchschimmern zu lassen, die durch das Setting – ein ehemaliges Luxushotel, das wie die Welt, in der es erbaut wurde, langsam aber unaufhaltsam zerfällt – noch verstärkt wird. Dazu ein mit Oldies aus den 1960ern und 1970ern gespickter Soundtrack und fertig ist ein Kunstwerk, das wie ein guter Film noir noch lange nachwirkt.

Aber was hat das alles mit Donald Trumps „Covfefe“ zu tun? Mag sein, dass sich Pearce und sein Team einfach einen Spaß machen wollten. Vielleicht ist der Verweis (auf Russisch, wohlgemerkt!) aber auch Ausdruck einer Befürchtung, wohin es mit Leuten wie Trump geht: ein Bürgerkrieg, ausgelöst durch das Verweigern grundsätzlicher Rechte (z.B. auf ausreichende Versorgung); ein Staat, in dem sich nur Wohlhabende einen Klinikbesuch leisten können; eine Gesellschaft, in der jahrzehntelang festgeschriebene Regeln wie die des Hotel Artemis einfach ignoriert werden und jede Vernunft am Ende von Gewalt förmlich überrannt wird. Oder interpretiere ich da zu viel rein? Egal, trotzdem angucken! Es lohnt!

Die DVD/Blu-ray/4K UHD bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie optionale deutsche Untertitel (für Hörgeschädigte). Als Extras befinden sich Interviews sowie Trailer auf den Discs. „Hotel Artemis“ erscheint bei Concorde Home Entertainment und ist seit 3. Dezember 2018 erhältlich. (Packshot + stills: © Concorde)

Heimkino-Tipp: „Gotti“ (2017)

Der Patenonkel

Zunächst eine Richtigstellung: Der Infotext auf der Rückseite der Blu-ray/DVD-Hülle nennt „Gotti“ einen ‚US-Blockbuster‘. Klingt vielversprechend – ist aber schlichtweg gelogen. Denn wenn es einen Film gab, der dieses Jahr an den (amerikanischen) Kinokassen so richtig unterging, dann war es dieser: Lediglich 1,67 Millionen US-Dollar (Quelle: The Wrap, LINK) spielte der Streifen an seinem Startwochenende ein, was – trotz der zweifelhaften Aussagekraft solcher Erhebungen – für Hollywood-Standards wirklich wenig ist. Zudem sorgte die seltsame Bewertung auf diversen, anerkannten (und offiziellen) Review-Seiten im Netz für Verwirrung, die selten so harsch und mitunter böse ausfiel wie hier.

Fakt ist auch: Nach mehreren Jahren in der „Produktionshölle“, etwa 60(!) beteiligten Produzenten (Quelle: IMDB, LINK) und einem ursprünglichen Verleiher, der den Film im Dezember 2017 nur zehn Tage vor der geplanten Veröffentlichung zurückzog, ist es schon ein Wunder, dass er überhaupt erscheint.

Regie führte Kevin Connolly, hauptberuflich eigentlich Schauspieler („Er steht einfach nicht auf Dich“, „Entourage“). Er liefert mit „Gotti“ ein in nahezu allen Belangen durchschnittliches Werk ab, was keinesfalls negativ gemeint ist. Wer sich jedoch an das Genre des Mafia-Films herantraut, muss sich letztendlich mit den ganz Großen messen, wie z.B. „Der Pate“, „Goodfellas“ oder, wenn’s etwas weniger einschüchternd sein soll, „Donnie Brasco“. Auch Connolly erzählt seine Geschichte aus der Sicht des Gangsters, eindrucksvoll verkörpert von John Travolta. „Gotti“ beleuchtet Aufstieg, Familienleben, Intrigen und Machtkämpfe des Mannes innerhalb der Cosa Nostra im New York der 1980er Jahre. Eigentlich ein Selbstläufer, doch fehlt es „Gotti“ an dem ‚bestimmten Etwas‘ – und an Distanz. Denn während beispielsweise „Goodfellas“ das brutale Treiben der Mafiosi mit bitterbösem Humor kommentierte und „Donnie Brasco“ die Verführungskraft der Unterwelt und persönliche Abhängigkeiten kongenial herausarbeitete, kratzt „Gotti“ in vielerlei Hinsicht lediglich an der Oberfläche.

Besonders auffällig wird dies bei den Themen Familie und Öffentlichkeit: So wird Gotti als Familienmensch dargestellt, der zu Hause die Hosen anhat. Dass er dabei seine Gattin (gespielt von Travoltas Ehefrau Kelly Preston) nur Weib nennt und rumkommandiert, scheint für sie kein Problem zu sein – sie liebt ihn bedingungslos. Ebenso seine Töchter, die aber im Gegensatz zu seinen beiden Söhnen keine Rolle spielen bzw. keine Beachtung finden. Gleichzeitig hatte der Patriarch außerhalb seiner ‚beruflichen‘ Kreise offenbar eine riesige Fanschar unter der Bevölkerung, wie eingefügte Originalaufnahmen am Ende des Films zeigen. Wo dies begründet liegt, bleibt der Film schuldig. Zusammen mit der im Abspann zu lesenden Danksagung an u.a. Gotti Junior entsteht so der Eindruck, als habe Regisseur Connolly mit seinem Werk eine Auftragsarbeit der Hinterbliebenen abgeliefert und so einem verurteilten Mörder eine Lobhudelei ganz im Sinne der Erben geschenkt.

Ein Porträt mit einem ‚Geschmäckle‘ sozusagen, das aber neben Travolta und Preston noch etliche weitere Hingucker besitzt – namentlich Stacy Keach, Chris Mulkey und Pruitt Taylor Vince. Drei Schauspielerveteranen, die zwar meist nur (wie hier) in Nebenrollen auftauchen, das aber stets hervorragend tun – und zwar schon seit über 30 Jahren! Das tröstet über einige von „Gottis“ Schwächen hinweg, einem ansonsten passablen, wenn auch Höhepunktlosen Film.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional zuschaltbar. Als Extras gibt es ein Making of, eine Bildergalerie sowie Trailer. „Gotti“ erscheint bei New KSM und ist seit 6. Dezember 2018 erhältlich. (Packshot + Filmstills: © KSM GmbH)