Heimkino-Tipp: „Girl You Know It’s True“ (2023)

Dance With The Devil

Während des Verfassens dieser Rezension liegt, quasi zur ‚Inspiration‘, eine CD mit dem Titel „Milli Vanilli: Greatest Hits“ neben der Tastatur. Veröffentlicht 2007, also lange nach Bekanntwerden des Skandals, den der Film „Girl You Know It’s True“ thematisiert, sind auf dem Cover lediglich Rob & Fab abgebildet, jene Jungs also, die das Gesicht der Band darstellten, jedoch nie auf einem der Songs gesungen hatten. Die wahren Musiker, obwohl längst bekannt, werden weder im Booklet benannt noch mit einem Foto belohnt. Die schön anzusehende Illusion bleibt somit erhalten. Die Wahrheit ist zweitrangig.

Was heutzutage (leider) normal scheint und nicht nur im Entertainment-Bereich, sondern inzwischen sogar in Politik und Gesellschaft hingenommen wird, war Anfang der 1990er-Jahre einer der größten Aufreger der Musikgeschichte. Obwohl schon damals nichts Außergewöhnliches – mensch denke an das italienische Dance-Projekt Black Box mit seinem Überhit „Ride On Time“ –, hatte die Playback-Enthüllung bei Milli Vanilli eine andere Dimension. Immerhin hatten sie aus dem Stand heraus drei(!) Nummer-Eins-Hits in Amerika – ein Novum für eine deutsche Band – sowie für ihr Debüt-Album sogleich einen Grammy, eine der bedeutendsten Auszeichnungen für Musiker, gewonnen. In weniger als zwei Jahren waren sie zu weltweiten Superstars avanciert. Wirklich Fuß fassen als Künstler konnten Rob & Fab trotz etlicher Versuche anschließend nie mehr. Rob Pilatus verstarb wenig später im Alter von 33 Jahren an einer Überdosis.

Mehrmals schon gab es – auch in Hollywood – Versuche, diese Geschichte filmisch aufzuarbeiten. Der deutsche Regisseur Simon Verhoeven („Männerherzen“), Sohn des kürzlich verstorbenen Filmemachers Michael Verhoeven („Die weiße Rose“, „Das schreckliche Mädchen“, „Der unbekannte Soldat“), nahm sich schließlich des Projekts an und hat mit „Girl You Know It’s True“, angelehnt an einen von Milli Vanillis bekanntesten Songs, einen sowohl unterhaltsamen wie auch angemessen seriösen Streifen geschaffen.

Konsequent aus der Sicht der beiden Jungs erzählt, die dabei hin und wieder die sogenannte Vierte Wand durchbrechen und die Zuschauer direkt ansprechen, zeigt der Film ihren Lebens- und Karriereweg von Kindesalter an, über das Kennenlernen bei einem Vorsprechen, bis hin zur schicksalhaften Begegnung mit Frank Farian. Der gebürtige Deutsche war zu jener Zeit auf der Suche nach einem Aushängeschild für von ihm produzierte und komponierte Songs, die er bereits mit Studiomusikern angefangen hatte einzuspielen. Da diese in seinen Augen jedoch nicht annähernd so attraktiv auftraten wie die beiden Tänzer Rob & Fab, engagierte er sie als neue Frontmänner. Vom Erfolg der ersten Single, einem aufgepeppten Track einer amerikanischen Rap-Formation, selbst überrascht, wurde eilig ein Album nachgeschoben – und das Unheil nahm seinen Lauf.

Es ist Regisseur und Autor Verhoeven hoch anzurechnen, dass er nicht der Versuchung erliegt, überheblich und lediglich kichernd auf den Aufstieg und Fall aller Beteiligten zurückzublicken. Vielmehr versucht er den Spagat zwischen amüsantem Zeitdokument (die Kleidung! die Tanzmoves! die Frisuren!) und ernsthafter Aufarbeitung und widmet ich dabei ebenso den inneren Zweifeln und Kämpfen, die Rob, Fab und Produzent Farian auszutragen hatten. Das mag nur oberflächlich und wenig tiefsinnig geschehen, zu sehen ist es dennoch. Großen Anteil daran haben zweifellos die drei Hauptdarsteller Tijan Njie (Rob), Elan Ben Ali (Fab) und Matthias Schweighöfer (Farian), der mit seiner Performance irgendwo zwischen Persiflage und seriöser Charakterstudie agiert, damit aber die Widersprüchlichkeit des im Januar 2024 verstorbenen realen Vorbilds (Talent vs. Wunsch nach Anerkennung vs. schlechtes Gewissen) treffend einfängt. Es wäre ein Leichtes, allen Beteiligten Ruhmsucht von Geldgeilheit vorzuwerfen. Wie verführerisch allerdings Erfolg, ein schicker Lebensstil und hübsche Fans sein können, macht Verhoeven immer wieder deutlich. Sehenswert!

P.S.: Obwohl es sich um eine deutsche Produktion handelt, empfiehlt es sich, die Original-Sprachfassung (Deutsch, Englisch, Französisch) anzuschauen, da das „Sprachtalent“ von Rob & Fab ein wichtiger Bestandteil der Handlung ist.

Die Blu-ray/DVD bietet den Film in englisch/französisch/deutscher Original- sowie durchweg deutscher Synchronsprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional zuschaltbar. Zudem ist eine deutsche Hörfilmfassung mit an Bord (sehr löblich!). Als Bonus gibt es Standard-Presskit-Interviews mit der Filmcrew, Musikvideo-Zusammenschnitte und Trailer. „Girl You Know It’s True“ erscheint bei Leonine Studios und ist seit 3. Mai 2024 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Leonine Studios / Wiedemann & Berg Film / Gordon Timpen)

Heimkino-Tipp: „The Beekeeper“ (2024)

One Man Army

Wie an anderer Stelle auf diesem Rezensions-Blog bereits angesprochen, steht und fällt ein gelungener Actionfilm, in dem ein Einzelgänger gegen Bösewichte in den Kampf zieht, seit jeher nicht nur mit seinem Hauptdarsteller, sondern ebenso mit seiner ‚Tarntätigkeit‘, die er abseits des Schlachtfelds ausübt. So hatten wir u.a. schon Bauarbeiter (Schwarzenegger), Feuerwehrmänner (Steven Seagal) und Melonenzüchter (Charles Bronson). Erst neulich kam mit „The Bricklayer“ noch der Beruf des Maurers dazu. Jason Statham hingegen gibt nun den Bienenzüchter. Herrlich!

Natürlich im Kontext der Handlung kein Zufall, vergleicht sein Charakter Adam Clay sein Handeln doch immer wieder mit den Verhaltensweisen dieser wunderbaren Geschöpfe, die – und das ist keine Erfindung des Drehbuchs – ja tatsächlich eine der elementarsten Grundlagen allen Lebens auf unserem Planeten darstellen. Problematisch wird’s, wenn innerhalb des Bienenstocks jemand aus der Reihe tanzt. Dies zu beheben, ist die Aufgabe des ‚Beekeepers‘ alias Clay. Die Krux hierbei: Seine inoffizielle offizielle Tätigkeit für die Regierung endete bereits vor einigen Jahren, eine Nachfolgerin ist längst im Amt. Als jedoch seine mütterliche Freundin Eloise (Phylicia Rashad) von einer Hackertruppe um ihr Erspartes gebracht wird und daraufhin Suizid begeht, reaktiviert sich Clay quasi selbst, nimmt die Verantwortlichen ins Visier und startet einen gnadenlosen Rachefeldzug.

Beim Blick auf die bisherige Filmografie von Regisseur David Ayer fallen sowohl Kracher („End of Watch“, „Fury – Herz aus Stahl“, „Sabotage“) als auch Rohrkrepierer („Suicide Squad“, „The Tax Collector“) ins Auge. „The Beekeeper“ platziert sich irgendwo dazwischen, hat der Streifen doch einerseits ordentlich inszenierte Actionszenen zu bieten, andererseits aber auch derart viele Logiklöcher, dass selbst das Overacting von Josh Hutcherson als Stathams Gegenspieler nicht weiter stört. Letztendlich passt beides jedoch gut zum Verlauf der Handlung, die sich mehr und mehr in absurden Wendungen/Enthüllungen verliert, wie es die Actionklassiker der 1980er nicht besser hätten machen können. Dazu noch völlig verschenkte Gastauftritte von ‚seriöseren‘ DarstellerInnen wie Jeremy Irons und Minnie Driver, und fertig ist der Lack. Einzig die überflüssige und peinlich unlustige Nebenhandlung über zwei FBI-Agenten, die Clay auf den Fersen sind, stört und bremst den Film immer wieder aus.

Aber so schlimm, wie die oberen Zeilen klingen mögen, ist „The Beekeeper“ keinesfalls! Ayers Wille zur optischen Gestaltung dieses No-Brainers ist bemerkbar (beispielsweise im konstant gelb-orangenen Farbton), das geringe Budget versucht er zudem so gut es geht zu überspielen. Den Rest erledigt sein cooler Hauptdarsteller, der sein unbewegliches Gesicht diesmal durchweg so anspannt wie seine Muskeln, dabei keinerlei Figurenentwicklung stemmen muss und gleichzeitig keinen (harten) Zweikampf scheut.

Es bleibt dabei: Statham ist der einzig wahre Erbe von Sly + Arnie, wenn es um ordentliche Actionkost geht. Simple Story, überdrehte Bösewichter, mäßige Effekte, voller Körpereinsatz. Passt!

Die DVD/Blu-ray/4K UHD bietet den Film in englischer Original- sowie deutscher Synchronsprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional zuschaltbar. Als Bonus gibt es Standard-Presskit-Interviews und Trailer. „The Beekeeper“ erscheint bei Leonine Studios und ist seit 26. April 2024 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Leonine/Miramax)

Heimkino-Tipp: „Reality“ (2023)

Das Verhör

Nicht nur Prominente scheinen hin und wieder ihr Faible für wunderliche Kindernamen auszuleben: Apple, Paris oder North bzw. Psalm West sind nur einige, die – zumindest in meinen Augen – etwas gewöhnungsbedürftig sind. Dass es auch eine Amerikanerin gibt, die den Namen Reality Leigh Winner trägt, wollte ich zunächst ebenso nicht so recht glauben. Zwar wurde sie nicht in einen Celebrity-Haushalt hineingeboren, bekannt geworden ist sie jedoch 2017 trotzdem – als vermeintliche Whistleblowerin. Was war ihr Vergehen? Das stellt der Film „Reality“ von Tina Satter in einer Art Reenactment der Ereignisse des 3. Juni 2017 dar.

Als Grundlage für den 80-Minüter, der fast ausschließlich in einem Raum von Winners Haus spielt, dient dabei das Transkript ihres Verhörs durch das FBI, das sie (im Film dargestellt von Sydney Sweeney) an jenem Tag Zuhause aufsuchte. Wort für Wort lässt Regisseurin/Autorin Satter die Geschehnisse nachspielen und verwischt damit die Grenzen zwischen Wirklichkeit und filmischer Nachbildung absichtlich. Das Setting ist simpel, die Inszenierung unaufgeregt. Und doch entsteht sukzessive eine bedrückende Stimmung und eine gefühlte Enge, die sich auf die Zuschauer übertragen.

Die Mittel, die Satter hierfür benutzt, sind einfach aber effektiv: Häufige Nahaufnahmen, verunsicherte Blicke, ein gequältes Lächeln hier, ein zu langes Schweigen dort. Den Rest erledigen die Dialoge, die – obwohl der Realität entsprechend – seltsam gestelzt klingen und vor allem die FBI-Agenten (Josh Hamilton, Marchánt Davis) zunächst wenig professionell erscheinen lassen. Es drängt sich der Eindruck auf, hier seien Anfänger am Werk, die penibel einem (Gesprächs-)Protokoll folgen, um ihr Gegenüber in Sicherheit zu wiegen. Gleichzeitig wird Satter nicht müde, Winner als einzige Frau inmitten einer Männerschar zu zeigen, die allein durch ihre körperliche Präsenz eine Bedrohung ausstrahlen.

Was der Handlung und somit dem Film jedoch letztendlich fehlt, ist eine konkrete Richtung. Warum diese genaue, fast schon dokumentarische Nachbildung von nur diesem Verhör? Weshalb eine nur schemenhafte Einordnung in die politischen Ereignisse des Jahres 2017? Wozu Zwischenschnitte auf Instagram-Beiträge der echten Winner? „Reality“ kann sich nicht recht entscheiden, ob es staatliche Institutionen und ihre ‚Erfüllungsgehilfen‘ vorführen, kritisieren oder lediglich neutral abbilden will. Genauso unklar bleibt, ob das Handeln der Whistleblowerin aus politischer Überzeugung oder beruflichem Frust heraus geschah. Hierzu hätte es einen inhaltlich etwas größeren Rahmen gebraucht als nur jenes Verhör, dessen Verschriftlichung weiterhin im Internet frei abrufbar ist. „Reality“ hat es lediglich bebildert. Zum Leben erweckt allerdings nicht.

Die Blu-ray/DVD-Disc bietet den Film in englischer Original- und deutsch synchronisierter Sprachfassung. Deutsche und englische Untertitel sind optional vorhanden. Als Bonus gibt es eine kurze Featurette über die echte Reality Leigh Winner und Trailer. „Reality – Wahrheit hat ihren Preis“ erscheint bei Plaion Pictures und ist seit 25. April 2024 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Plaion Pictures)