Heimkino-Tipp: „The Danish Girl“ (2015)

Men and Women

„Basierend auf einer wahren Begebenheit“ ist ein Satz, der häufig am Beginn eines Filmes zu lesen ist. Allerdings sollte diese Info nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies weder einen Regisseur noch einen Drehbuchautor dazu verpflichtet, exakt jene Ereignisse und Worte wiederzugeben, die sich irgendwann einmal zugetragen haben mögen. Das ist in historischen Romanen, die beispielsweise reale Schlachten und Herrscher in den Mittelpunkt einer fiktiven Erzählung legen, nicht anders. Daher sollte auch „The Danish Girl“ nicht als wahrheitsgetreues Porträt verstanden werden. An der Glaubhaftigkeit der einzelnen Charaktere und ihrer Empfindungen ändert das jedoch nichts.

Einar Wegener (Eddie Redmayne) wird Ende des 19. Jahrhunderts in Dänemark geboren. Als Erwachsener feiert er als Landschaftsmaler große Erfolge, ist in der Kunstwelt angesehen und glücklich verheiratet mit Gerda Gottlieb (Alicia Vikander), die ebenfalls als Malerin versucht Fuß zu fassen. Was nach Außen den Anschein einer unbeschwerten Ehe erweckt, ist jedoch eine ganz besondere Beziehung. Denn Einars weibliche Seite, die er offenbar schon seit Kindertagen zu unterdrücken versucht, bahnt sich mehr und mehr seinen Weg an die Oberfläche. Sind es zunächst nur Strumpfhosen oder Unterwäsche, die er mit dem Wissen seiner Gattin trägt, so möchte er schon bald seine „wahre Natur“, wie er es nennt, nicht mehr verstecken. Gerda ist davon zunächst kaum irritiert und unterstützt ihren Mann bzw. sein Alter Ego Lili, gibt Schmink- und Verhaltenstipps und besucht mit „ihrer Cousine“ sogar die eine oder andere Party. Schnell wird beiden klar, dass es hierbei um mehr geht als einen gelegentlichen Verkleidungsspaß: Einar ist fest davon überzeugt, im falschen Körper geboren worden zu sein und möchte diesen Makel beenden – mit einem chirurgischen Eingriff, der ihn endgültig zur Frau machen soll.

Geschlechtsumwandlungen sind seit vielen Jahren aus medizinischer Sicht Standard-Operationen und daher selten aufsehenerregend. „The Danish Girl“ allerdings spielt in einer Zeit, in der soetwas noch nie vollzogen wurde. Frauen und Männer, die sich im falschen Körper wähnten, wurden schnell als geisteskrank gebrandmarkt, mit seltsamen Methoden „behandelt“ oder gleich weggesperrt. Allein das macht die – wahre – Geschichte des Einar Wegener / der Lili Elbe zu etwas Besonderem. Basierend auf dem Roman von David Ebershoff, nutzt das Drehbuch von Lucinda Coxon das außergewöhnliche Leben dieser realen Person als Ausgangspunkt für eine Liebesgeschichte, die so ganz anders ist als Vieles, was gewöhnlich in romantischen Filmen thematisiert wird. Denn während Einar mit seinem Körper hadert, ist es Gerda, die mit ihrer Gefühlswelt ins Reine kommen muss – und sich entschließt, der Liebe wegen an Lilis Seite zu bleiben.

Regisseur Tom Hooper („The King’s Speech“), der mit Redmayne bereits in „Les Misérables“ zusammenarbeitete, interessiert sich vornehmlich für das Miteinander des Ehepaares, welches einer tiefgreifenden Metamorphose ausgesetzt ist. Was ist wirkliche Liebe? Wie weit ist man/frau bereit, sich dafür zu opfern? Wie verändert sich die Zuneigung, wenn der Partner physisch und psychisch ein anderer wird? Es sind Fragen, die auch in „gewöhnlichen“ Beziehungen vorkommen könnten, was „The Danish Girl“ trotz seines Themas dann doch zu einer universalen Romanze mit all ihren Auf und Abs macht.

Apropos normal: Es ist schon erstaunlich, wie scheinbar mühelos Hauptdarsteller Redmayne seine beiden Figuren glaubhaft auf die Leinwand zaubert. Nicht nur rein äußerlich, sondern ebenso „hinter der Fassade“ scheint sich der junge Oscar-Preisträger (für „Die Entdeckung der Unendlichkeit“) komplett zu verwandeln. Ihm zur Seite steht ein außergewöhnlicher Cast (u.a. Matthias Schoenaerts, Amber Heard, Ben Whishaw), angeführt von einer über alle Maßen eindrucksvollen Alicia Vikander („Ex Machina“), die für diesen Auftritt zu Recht einen Oscar erhielt.

Bleibt die Frage der historischen Korrektheit: Ein wenig Recherche zeigt schnell, dass viele Aspekte der im Film erzählten Geschichte tatsächlich einen realen Hintergrund haben. Ihre szenische Komposition, ihre Einbindung in die Handlung und die Verknappung auf der zeitlichen Ebene sind allesamt Stilmittel, die nicht ungewöhnlich und durchaus legitim sind. Zumal Hooper sie formidabel dazu nutzt, um eines der berührendsten und optisch wunderschönsten Filmerlebnisse des Jahres zu schaffen.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter sowie englischer Original-Sprachfassung. Diverse Untertitel in mehreren Sprachen sind vorhanden. Als Extra gibt es ein ca. zehnminütiges Making of, das die Hauptakteure vor und hinter der Kamera kurz zu Wort kommen lässt. „The Danish Girl“ erscheint bei Universal Pictures Germany GmbH und ist seit 19. Mai 2016 erhältlich. (Packshot + Filmstills: © Universal Pictures)

Heimkino-Tipp: „Die Vorsehung – Solace“ (2015)

Stairway to Heaven

Ja, ich bin beeindruckt. Sehr sogar! Denn wenn es darum geht, einen Thriller um einen flüchtigen Serienkiller zu kreieren, haben es Drehbuchautoren wirklich nicht mehr leicht. Ob Handlungsmotive, Charaktereigenschaften oder persönliche Dämonen: scheinbar jedes Klischee ist bereits in diversen Krimis durchgekaut worden, wirklich Neues gibt es in diesem Genre kaum noch zu entdecken. Ab und an tauchen einzelne Perlen auf („Sieben“, „I Saw The Devil“), meist jedoch handelt es sich um plumpe Variationen des immer selben Schemas.

Auftritt „Die Vorsehung – Solace“: Mag die Grundkonstellation – zwei Cops jagen einen cleveren Mörder und bitten ob fehlender Spuren einen Profiler mit hellseherischen Fähigkeiten um Hilfe – zunächst vertraut klingen. Die Motivation des Killers ist es nicht. Da verwundert es kaum, dass „Solace“ vor Produktionsbeginn einige Zeit gar als eine Art Fortsetzung von Finchers „Sieben“ gehandelt wurde, das ja ebenso seinen außergewöhnlichen Bösewicht in den Mittelpunkt rückte. Aber Vorsicht: Ganz so düster, pessimistisch und, sorry, fucked up, wie im Klassiker von 1995 geht es im Werk von Afonso Poyart nicht zu. Und doch: Was der Gejagte zu seiner Verteidigung von sich gibt, regt auch über das Filmende hinaus zum Nachdenken an.

Die FBI-Agenten Joe Merriwether (Jeffrey Dean Morgan) und Katherine Cowles (Abbie Cornish) sind einem Kerl auf der Spur, der bereits mehrere Menschen, darunter einen kleinen Jungen, getötet hat – mit einem gezielten Stich in den Hinterkopf, der offenbar stets zu einem sofortigen, schmerzlosen Tod geführt hat. Da es keinerlei Gemeinsamkeiten zwischen den Opfern zu geben scheint, wenden sich Joe und Katherine an John Clancy (Anthony Hopkins), der einst selbst als Ermittler tätig war, seinen Job nach dem Leukämie-Tod seiner Tochter jedoch an den Nagel gehängt hat. Er besitzt, wie er es selbst formuliert, eine „Deluxe-Edition dessen, was andere Bauchgefühl nennen“. Tatsächlich kann er bestimmte Dinge sehen, die den Ermittlern bisher verborgen blieben. So kommen die drei dem Täter (Colin Farrell) schon bald ziemlich nahe – bis der sich Clancy persönlich offenbart, um ihm den in seinen Augen altruistischen Grund für sein Handeln zu gestehen.

Es sind überaus faszinierende Thesen und Aussagen, die dem Antagonisten von den Skript-Autoren Sean Bailey und Ted Griffin in den Mund gelegt werden. Sie verfehlen ihre Wucht nicht, werden aber zugunsten einer halbwegs versöhnlich stimmenden Auflösung im Finale schlicht fallengelassen – erfreulicherweise kein überkonstruiertes „Heile Welt“-Ende, aber doch eines, das „Solace“ dann eben doch weit von seinem quasi-Vorgänger-Film entfernt.

Positiv anzumerken ist andererseits die Konsequenz, mit der allen Hauptfiguren eine glaubhafte und in Teilen sogar tiefe Charakterisierung zugestanden wird. Sowohl Joe und Katherine als auch Clancy haben ihr Päckchen zu tragen und geben den Schauspielern genug Material, um ihren Figuren trotz der einfallslosen Vornamen eine Persönlichkeit zu geben. Inszenatorisch orientiert sich Regisseur Poyart am zeitgenössischen Kino und setzt eher auf Hochglanz denn auf düstere Atmosphäre. Ob es passend ist, liegt im Auge des Betrachters.

„Die Vorsehung – Solace“ gefällt als stimmiger, versiert gespielter und top besetzter Thriller, der vor allem dank des ‚Anliegens‘ des Bösewichts punktet. Auf jeden Fall einen Blick wert!

Fun-Fact, entdeckt im Abspann: Clancy-Darsteller Anthony Hopkins fungierte ebenso als Produzent und steuerte sogar ein selbst komponiertes Musikstück bei. Alle Achtung!

Die Blu-ray/DVD bietet den Film in deutsch synchronisierter und original englischer Sprachversion sowie deutsche Untertitel für Hörgeschädigte. Als Extras sind Interviews sowie Trailer mit an Bord. „Die Vorsehung – Solace“ erscheint bei Concorde Home Entertainment und ist seit 19. Mai 2016 erhältlich. (Packshot + stills: © Concorde Home Entertainment)

Heimkino-Tipp: „Familienbande“ (2015)

You’re ugly too

Die elfjährige Stacey (Lauren Kinsella) ist genervt: Nachdem sie gerade erst den Tod ihrer Mutter verkraften musste, taucht nun ihr Onkel Will (Aiden Gillen, u.a. „Am Sonntag bist du tot“, Rezension siehe HIER) auf, um sich fortan um sie zu kümmern. Dass sie ihn kaum kennt, ist nicht die einzige Herausforderung: Will ist nach vier Jahren vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden, hat keine eigene Bleibe und schleppt das kratzbürstige Mädchen daher erst einmal in einen Caravan-Park in die irischen Midlands, wo sie einen alten Wohnwagen ihrer Mom beziehen. Wenn sie sich nicht eben anschweigen, grummeln sich die Kleine und ihr Ersatzpapa vornehmlich an – und warten darauf, dass ihr neues gemeinsames Leben beginnt.

Als sie die hübsche „Nachbarin“ Emilie (Erika Sainte) kennenlernen, scheint dies endlich zu geschehen: Sie gibt Stacey Nachhilfeunterricht, während Will Emilies Nähe genießt und dank ihres Mannes zudem einen Job findet. Doch die Dämonen ihrer Vergangenheit lassen Stacey und Will nicht ruhen. Denn Stacey dämmert langsam, dass Wills Gefängnisaufenthalt mehr mit ihrem eigenen Lebensumständen zu tun hat, als ihr lieb ist.

In Teilen improvisiert, in einer kargen, aber eindrucksvollen Landschaft inszeniert und von einem kleinen aber feinen Cast getragen, ist „Familienbande“ ein schönes cineastisches Juwel. Der Film wirkt zunächst rau, kühl und distanziert, wird mit voranschreitender Laufzeit quasi parallel zum „Auftauen“ der Charaktere jedoch zunehmend sanft, warm und lebensnah. Regie-Debütant Mark Noonan, der auch das Skript verfasste, ließ seine beiden Hauptdarsteller tatsächlich erst am ersten Drehtag aufeinandertreffen. Die sich aufbauende Nähe ihrer Figuren ist also nicht nur gespielt und verleiht dem Drama so auch dank der natürlich wirkenden Dialoge viel Realismus.

Zugegeben, wirklich unvorhergesehene Plotwendungen gibt es hier nicht. Trotzdem gelingt es Noonan und seinen tollen Darstellern mit „Familienbande“ einen ‚echten‘ Film zu kreieren, der ohne zuckersüßen inhaltlichen Überbau die schwierige Annäherung zweier grundverschiedener Menschen zeigt. Schön, das!

Der Film erscheint zunächst nur auf DVD – in deutsch synchronisierter und original englischer Sprachfassung mit optionalen deutschen Untertiteln. Als Bonus gibt es Trailer. „Familienbande“ erscheint bei Pandora Filmverleih/Alive und ist seit 20. Mai 2016 erhältlich. (Packshot + stills: Pandora Filmverleih/Aisling McCoy/Cathal Noonan)

Heimkino-Tipp: „The Trust“ (2016)

Die etwas anderen Cops

Es ist schon erstaunlich, mit welchem Tempo neue Filme mit Nicolas Cage in der Hauptrolle veröffentlicht werden. Allein in diesem Jahr sind bereits drei erschienen, der im September anlaufende vierte, der Oliver Stone-Film „Snowden“, schafft es dabei sogar mal wieder ins Kino. Ja, Oscar-Preisträger Cage (1996 für „Leaving Las Vegas“) verdient seinen Lebensunterhalt inzwischen hauptsächlich mit sogenannten B-Movies, die unzählige Videotheken-Regale füllen. Hin und wieder sind darunter jedoch auch Perlen zu finden, wie beispielsweise das Thriller-Drama „Joe“ (siehe HIER). „The Trust“ kommt zwar eher als Komödie daher, dürfte aber ebenso zu Cages besseren Arbeiten zählen.

Das mag vor allem daran liegen, dass der Workaholic hier endlich wieder eine Spielfreude an den Tag legt, wie man sie von ihm zuletzt nur selten gesehen hat. Mit einem (un)sexy Schnauzer im Gesicht spielt er den Polizisten Jim Stone, der zufällig auf eine Akte stößt, in der für einen verhafteten kleinen Gauner eine ungewöhnlich hohe Kaution vermerkt ist – und diese ist offenbar sehr zügig gezahlt worden. Stone ist überzeugt, dass dahinter mehr steckt und stiftet seinen vom Job gelangweilten Kollegen David (Elijah Wood) dazu an, ihm bei einer Observierung des Ex-Knackis zu helfen. Nach einem holprigen – und für den Zuschauer durchaus amüsanten – Start landen die beiden Cops vor einem Haus, in dessen Keller ein riesiger Safe installiert wurde. Und den gilt es nun zu knacken.

Nein, die hellsten Leuchten sind Jim und David nicht. Sympathisch allerdings schon, was zweifellos ein Verdienst der Darsteller Cage und Wood ist. Sie machen ihre beiden Figuren nicht zu Karikaturen, sondern behandeln sie als genau das, was sie sein sollen: zwei mittelmäßig begabte Typen, die mit begrenzten Mitteln das ganz große Ding durchziehen wollen. Oder zumindest ein Ding. Denn was sich in dem Safe befindet, wissen sie nicht. Der Bruch ist das Ziel und dieser gestaltet sich erwartungsgemäß nicht ganz einfach.

„The Trust“ bietet keinen Schenkelklopferhumor und keine großen Actionszenen, unterhaltsam ist der Film jedoch allemal. Was fehlt, ist ein wenig charakterliche Tiefe für die beiden Protagonisten. Während Woods David ein paar wenige Momente des Zweifelns und der Skepsis bekommt, bleibt Cages Jim bis zum Ende undurchsichtig und nicht ganz greifbar. Denn hinter dem Oberlippenbart und seiner zu Beginn hervorgehobenen unbedingten Gesetzestreue lauert eine dunkle Seele, die auch vor Mord nicht zurückschreckt. Diese Szenen verstören etwas, passen sie doch nicht ganz zum ansonsten leichten Ton des Films und wirken ein wenig so, als sei ein gewichtiger Teil der Figur dem Schneidetisch zum Opfer gefallen.

Andererseits beweist dies nur einmal mehr, was für ein guter Schauspieler Nicolas Cage immer noch ist. Ein wenig mehr „The Trust“ und „Joe“ in seiner Filmografie wären daher sehr willkommen.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche und englische Untertitel. Als Extras gibt es ein Making of, Aufnahmen vom Set, Interviews sowie Trailer. „The Trust“ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite im Vertrieb von Universum Film) und ist seit 29. April 2016 erhältlich. (Packshot + stills: © Ascot Elite/Universum Film GmbH)