Heimkino-Tipp: „The Poison Rose“ (2019)

Der Schnüffler

Ein rauchige Stimme aus dem Off, ein grummelnder Mann mittleren Alters auf Spurensuche und eine undurchsichtig agierende Schönheit, die dem Protagonisten den Kopf verdreht: In den 1940er- und 50er-Jahren produzierte Hollywood unzählige solcher ‚Film noir‘ und machte damit u.a. Humphrey Bogart zum Star. Oftmals garniert mit einem jazzigen Soundtrack und bildlich teilweise derart rauchgeschwängert, dass kaum etwas auf der Leinwand zu erkennen ist, sind diese Krimis ein Genre für sich – und seither nur in Ausnahmefällen noch einmal angemessen reproduziert worden. Roman Polanskis „Chinatown“ (1974) ist so ein seltenes Juwel – und auch „The Poison Rose“ versucht, in dieser Liga mitzuspielen.

Eines vorweg: Es gelingt nicht so ganz. Ein unterhaltsamer Film ist es trotzdem geworden. Auf der Haben-Seite gibt es eben jene oben genannten Zutaten, dazu eine zwar sehr konstruierte, aber interessante Story und vor allem viele viele bekannte Namen: Neben John Travolta agieren in „The Poison Rose“ Morgan Freeman, Peter Stormare, Robert Patrick, Brendan Fraser und Famke Janssen. Sie alle haben gute und schlechte Streifen in ihren Filmografien, dieser hier zählt zu den besseren – auch wenn sie schauspielerisch erkennbar unterfordert sind.

Carson Phillips (Travolta) war einst ein Football-Star, der nun als Privatdetektiv arbeitet und quasi nebenbei versucht, seine Spielsucht einigermaßen unter Kontrolle zu halten. Dies gelingt allerdings weniger gut, weshalb das Angebot einer Klientin, nach einer vermissten Familienangehörigen zu suchen, gerade recht kommt. Eine erste Spur führt ihn ausgerechnet in seinen früheren Heimatort, der noch immer von etlichen seiner Freunde bewohnt wird. Vor allem Kumpel Doc (Freeman) hat es als Geschäftsmann zu Wohlstand und Ansehen gebracht. Wohlhabend ist auch seine einstige Flamme Jayne (Janssen), die Carsons Besuch sogleich nutzt, um ihn ebenso für einen Job zu engagieren. Das passt nicht jedem im Ort ...

Anders als die großen Vorbilder, die das Regie-Trio George Gallo, Francesco Cinquemani und Luca Giliberto zitiert – nur Gallo wird offiziell genannt, was auf Probleme während er Produktion schließen lässt –, ersetzt „The Poison Rose“ dunkle Seitenstraßen und kalte schwarz-weiß-Bilder mit einem sommerlichen Look, der zwar schön anzusehen ist, aber nie ganz die Stimmung und Atmosphäre transportieren kann, die die Handlung versucht zu kreieren. Die Charaktere hingegen passen gut ins Setting, sind entweder gebrochene Figuren (Carson, Jayne), clevere Strippenzieher (Doc) oder selbstgefällige Kleinganoven (Fraser), die ihre eigene Agenda fahren und sich dabei ordentlich übernehmen.

Apropos Fraser: Vor vielen Jahren mit den „Mumie“-Filmen zum Star avanciert, kämpfte er nach eigenen Aussagen lange mit den Folgen eines Missbrauchs und einer Depression, was nicht ganz spurlos an seinem Körper vorübergegangen ist. Hier passt seine Physis ganz wunderbar zu seiner Interpretation der Rolle. Man könnte es ‚Overacting‘ schimpfen. Oder einfach nur genießen, wie Fraser einen medikamentensüchtigen Arzt gibt, der nicht nur seinen moralischen Kompass längst verloren hat.

Vielleicht ist es die Freude am Wiedersehen mit so vielen ‚mag ich‘-Schauspielern, die mich so milde stimmt, obwohl „The Poison Rose“ im Kern nicht viel Neues zu erzählen hat. Es ist ein ‚Film noir‘-light, der – bis auf zwei nicht wirklich nötige Actionszenen – entspannt dahinfließt, gut inszeniert ist und auch ohne inhaltliche Überraschungen ein angenehmes Krimivergnügen bietet.

Die DVD/Blu-ray hat den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung an Bord. Deutsche Untertitel sind optional zuschaltbar. Als Extras gibt es eine Bildergalerie sowie Trailer. „The Poison Rose – Dunkle Vergangenheit“ erscheint bei New KSM Cinema/Koch Films und ist seit 20. Februar 2020 erhältlich. (Packshot + Filmstills: © KSM GmbH)

Heimkino-Tipp: „Skin“ (2018)

Die Haut, in der ich wohne

Dass rechtsextremistische Ansichten und Überzeugungen weltweit beständig auf dem Vormarsch sind, ist eine traurige und bittere Erkenntnis. Dies äußert sich u.a. auch in der Art und Weise, wie Menschen ihre Sympathie mit solcherlei Gedanken„gut“ heutzutage zum Ausdruck bringen. Denn längst scheint es für viele okay zu sein, nicht mehr nur im stillen Kämmerlein oder in der eigenen Filterblase ihren geistigen Unsinn zu verkünden, sondern es ebenso sichtbar nach außen zu tragen – sei es mittels Kleidung, Verhalten, Sprache oder Tätowierungen. Ein überaus extremes Beispiel hierfür stellt das Drama „Skin“ von Guy Nattiv vor.

Der Film basiert auf der Lebensgeschichte des ehemaligen US-Neo-Nazis Byron Widner, der einer rechtsradikalen Gruppe angehörte, die im ländlichen Nirgendwo ihre rassistische Ideologie mittels Gewalt und Provokation auslebt. Sein Leben nahm eine positive Wendung, als er sich in eine alleinstehende Mutter verliebte und aus Liebe zu ihr und ihren Töchtern der „White-Supremacy“-Bewegung den Rücken zukehrte.

Dargestellt wird Widner von Jamie Bell, der seine Figur mit einschüchternder Wucht auf die Leinwand bringt. Schon mit wenigen Gesten verdeutlicht er, dass die Tattoos, die sein Charakter überall auf dem Körper trägt, keine bloße Zierde sind. Nein, dieser Kerl ist konstant auf 180, jederzeit zu einer Konfrontation bereit und überzeugter Rassist. Seine neue Herzdame ist allerdings auch kein Tag am Strand: Julie (Danielle MacDonald), ebenso mit rechtsradikaler Vergangenheit, hat noch nicht alle Verbindungen zur Szene gekappt. Hauptsächlich deshalb, weil sie dort zusammen mit ihren drei Kindern hin und wieder noch als Gesangstruppe auftreten und ein wenig Geld verdienen kann.

Was „Skin“ auf hervorragende Weise herausarbeitet, sind die emotionalen Abhängigkeiten, mit denen die Anführer solcher Gruppen, hier beeindruckend gespielt von Bill Camp und Vera Farmiga, ihre Mitstreiter rekrutieren, manipulieren und mit perfiden Mitteln an sich binden. Parallel zu Widners Ausstiegsbestreben stellt der Film nämlich die sukzessive Annäherung eines anderen Jungen an die Gruppe dar, was Widners eigene Teenagerzeit inhaltlich spiegelt. Es sind Zuckerbrot und Peitsche, mit denen das „Führerehepaar“ familienähnliche Strukturen suggeriert, die vor allem bei vernachlässigten und gelangweilten Kids Anklang finden. Der konstante, ja schon exzessive Alkoholkonsum, das macht der Film deutlich, lässt schließlich letzte Hemmungen fallen.

Mehrmals unterbrochen wird die stringent erzählte Geschichte von Laserbehandlungen, denen sich Widner zu einem offenbar späteren Zeitpunkt unterzieht, um seine diversen Tätowierungen loszuwerden. Es ist ein sehr treffendes und vielsagendes Bild, wenn er dabei unter Schmerzen wieder eine einigermaßen „reine“ Haut zurückerhält. Es fasst nicht nur den langen inneren Kampf, den Aussteiger aus der rechten Szene führen, sehr direkt zusammen. Gleichsam verweist er auf die Narben, die zurückbleiben – sei es aufgrund von Gewissensbissen ob der eigenen schlimmen Taten oder aufgrund von physischen Verletzungen, die Aussteigern von ehemaligen „Kameraden“ zugefügt wurden.

„Skin“ geht im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut und kann auch als Anklage/Warnschuss an Regierungen gelesen werden, die es rechten Rattenfängern viel zu leicht machen.

Noch eine Anmerkung zur DVD/Blu-ray: Diese enthalten als Bonus den gleichnamigen, Oscar-prämierten Kurzfilm des Regisseurs. Dieser bewegt sich zwar in thematisch ähnlichen Gefilden, hat aber abseits davon nichts mit dem Langfilm gemein. Trotzdem ein großes Lob an den Verleih, dieses kleine Schmankerl der Heimkinoveröffentlichung beizufügen.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Extras gibt es den erwähnten Kurzfilm und Trailer. „Skin“ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite Entertainment) und ist seit 7. Februar 2020 erhältlich. (Packshot + Filmstills: © Ascot Elite)

„Oscar Shorts“ (Kinostart: 30. Januar 2020)

Little Gems

Alles anders dieses Jahr: Statt wie üblich Ende Februar findet die Academy Awards-Verleihung 2020 bereits in der Nacht vom 9./10.02. statt. Darüber hinaus gab es selten eine so große Chance, sämtliche nominierten Filme auch in Deutschland schon vorab zu sehen. Ein besonderes Lob gilt dabei (Achtung: Schleichwerbung!) dem in Berlin ansässigen DCM-Filmverleih, der nun erstmals(?) die Kurzfilm-Kandidaten in zwei separaten Blöcken in die hiesigen Lichtspielhäuser bringt.

Jeweils fünf ‚Live Action‘ sowie ‚Animation‘-Werke stehen auf dem Programm und zeigen eindrucksvoll die ganze Bandbreite künstlerischen Schaffens in einem Genre, das viel mehr Beachtung verdient. In der Tat hoffe ich persönlich sehr, dass zumindest die Oscar-nominierten Kurzfilme auch in den kommenden Jahren in dieser oder anderer Weise zu sehen sein werden, bevor sie irgendwo im Internet-Nirwana verschwinden. Denn allein schon die ‚Best Live Action‘-Werke für 2020 sind schlicht wunderbar!

„A Sister“ (Belgien), „Brotherhood“ (Kanada/Tunesien/Katar/Schweden), „The Neighbors’ Window“ (USA), „Saria“ (USA) und „Nefta Football Club“ (Frankreich/Tunesien) sind dabei in ihrer Umsetzung so vielseitig wie in der Thematik, der sie sich widmen. Sie alle eint die Raffinesse ihrer Macher, in einem sehr begrenzten Zeitfenster (die Laufzeiten variieren zwischen 16 und 25 Minuten) Welten zu erschaffen, die mitreißen, berühren und mit wenigen Szenen viel über ihre Figuren erzählen. Und trifft einer der Streifen mal nicht den eigenen Geschmack, gibt es wenige Augenblicke später bereits den nächsten Film. Oder anders formuliert: Die Gefahr, in diesen 100 Minuten überhaupt nicht unterhalten zu werden, tendiert gegen 0.

Und das ist mehr, als jeder abendfüllende Spielfilm versprechen kann.

P.S.: Einer der animierten Kandidaten, „Hair Love“ (USA; siehe Bild), ist offiziell und ganz legal bereits online zu finden.

Plakat & still: © DCM / Shorts.tv

Heimkino-Tipp: „In My Skin“ (2018)

Farming

Der Brite Adewale Akinnuoye-Agbaje hat eine alles andere als normale Kindheit erlebt: 1967 als Sohn nigerianischer Einwanderer in London geboren, wuchs er bei (weißen) Pflegeeltern auf, während seine leiblichen Eltern studierten – eine Anfang der 1970er-Jahre in England offenbar gängige Praxis namens „Farming“ mit dem Ziel, schwarzen Kindern ein ‚besseres‘ Leben zu ermöglichen. Beständig rassistischen Anfeindungen ausgesetzt, schloss sich Akinnuoye-Agbaje einer lokalen Skinhead-Gruppe an, mit der er Überfälle auf andere Schwarze verübte und trotz seiner eigenen Hautfarbe deren menschenfeindliche Ideologie unterstütze. Nach einem Suizidversuch im Alter von 16 Jahren wagte er schließlich einen Neuanfang – und ist heute u.a. in Hollywood als Darsteller erfolgreich („Lost“, „Thor: The Dark Kingdom“, „Suicide Squad“). In seinem Regiedebüt „In My Skin“ nimmt er sich dieser, seiner eigenen Geschichte an und erzählt sie aus Sicht seines Alter Ego Enitan.

Schon früh wird dem Einzelgänger Eni (Zephan Amissah / Damson Idris) klar, dass er sich nicht nur aufgrund seines Verhaltens – er spielt gern allein versteckt hinter dem Wohnzimmersofa – von Gleichaltrigen unterscheidet. Zwar haben seine Pflegeeltern (u.a. Kate Beckinsale) auch Geschwister von ihm aufgenommen. Doch das hält sie und andere Nachbarn mit ähnlicher Familienkonstellation nicht davon ab, immerzu herablassende und rassistische Bemerkungen fallen zu lassen. Es ist wohl die Kälte im Elternhaus, die ihn einige Jahre später in die Arme einer brutalen Skinhead-Bande treibt, die ihn zwar nicht als gleichwertig akzeptiert, jedoch so etwas wie eine Ersatzfamilie bietet, dank derer er seiner Aggression immer und überall freien Lauf lassen kann.

„In My Skin“ ist von Minute eins an harter Tobak: der Trennung von den leiblichen Eltern folgt zunächst psychische Gewalt (seine Ersatzmama Ingrid missbraucht ihn zum Diebstahl von Schmuck), später kommt extreme körperliche Gewalt noch hinzu. In den ersten 90 der insgesamt 101 Minuten Laufzeit gibt es nur wenige Momente des Durchatmens, sowohl für die Hauptfigur als auch für die Zuschauer. Das vermittelt zwar drastisch und unmittelbar die Erfahrungen, die Akinnuoye-Agbaje einst selbst erdulden musste, schafft aber irgendwann ebenso Distanz. Enis innere Konflikte werden nur angedeutet, spätestens beim Mitprügeln an der Seite der Skins ist er reines Werkzeug und zu eigenem Denken scheinbar gar nicht mehr fähig. Das kann die Intention des Regisseurs sein – oder aber ein Versäumnis. Noch deutlicher wird dies anhand der Nebencharaktere, über deren Motivation man fast nichts erfährt – oder viel Widersprüchliches. So wechselt Mama Ingrids’ Verhalten mehrmals von fürsorglicher Beschützerin ihrer Adoptivkids zu vorurteilsbehafteten Rassistin, von stolzer Ersatzmutter zu völlig überfordertem Hausdrachen. Erst in der finalen Viertelstunde gesteht der Film seinem Protagonisten so etwas wie eine Weiterentwicklung zu, was dann leider sehr schnell und damit etwas unglaubwürdig abgehandelt wird.

So ist „In My Skin“ ein zweifellos interessantes und mitunter hartes Drama, das aber vielleicht mit einer ausgewogeneren Schwerpunktsetzung noch besser hätte werden können.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in englischer Original- und deutsch synchronisierter Sprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional vorhanden. Als Extras gibt es lediglich Trailer. „In My Skin“ erscheint bei Koch Films GmbH und ist seit 30. Januar 2020 erhältlich (Packshot + stills: © Koch Films)