„Endstation der Sehnsüchte“ (Kinostart: 29. Oktober 2009)

Irgendwie passen sie nicht in dieses Dorf: Jene 60.000 Heavy-Metal-Fans, die Regisseurin Sung-Hyung Cho in ihrer Dokumentation „Full Metal Village“ (2007) durch das beschauliche Wacken in Schleswig-Holstein begleitete. Nicht weniger Kurioses präsentiert ihr neuer Heimatfilm „Endstation der Sehnsüchte“, ein Porträt über Menschen, die ihr deutsches Zuhause einfach mitgenommen haben in ihre Heimat, nach Südkorea.

Seit Mitte der 1960er Jahre entsandte das damals von Armut gezeichnete Ostasiatische Land mehrere tausend Arbeiter gen Westen, dort, wo Krankenschwestern und Bergarbeiter dringend benötigt wurden. „Nachts weinen, morgens arbeiten gehen. So war das.“, berichtet Chun-Ja Engelfried, die sich wie viele andere auch in einen Deutschen verliebte, eine Familie gründete und hier ihr zu Hause fand. Dreißig Jahre später kehrt sie zurück und lebt nun zusammen mit ihrem Mann in Dogil Maeul, dem „Deutschen Dorf“, das eigens für Leute wie sie errichtet wurde. Zwischen Gartenzwergen, deutschen Würstchen und neugierigen Blicken vorbeifahrender Touristen beginnt hier ihr neues, fremdes Leben. Denn irgendwie passen sie nicht in dieses Land.

Regisseurin Sung-Hyung Cho, selbst gebürtige Koreanerin, gelingt in ihrer zweiten Kinodokumentation Erstaunliches: Amüsant und melancholisch zugleich entlockt sie ihren drei Rentnerpaaren ehrliche Befindlichkeiten über (un)erfüllte Träume, sprachliche Barrieren, schmerzhafte Rituale. Da entbehrt es nicht einer gewissen Komik, wenn der 82jährige Ludwig auf allen Vieren in eine Sauna klettern muss oder sich mittels Handzeichen über das Angeln mit seinem Schwiegersohn unterhält. Einzig sein Nachbar Willi scheint nahezu vollständig assimiliert zu sein, besucht Tanzwettbewerbe, trinkt abends mit Koreanern, lernt die Sprache. Nur der schiefhängende Briefkasten nebenan entlarvt seinen deutschen Ordnungssinn. Nicht weniger erstaunen die Geständnisse der Ehefrauen, deren Sehnsucht nach Deutschland sich ebenfalls in für den Zuschauer sehr vertrauten Verhaltensweisen äußert, manchmal gar zum Leidwesen ihrer Gatten.

Umfassend, ehrlich und witzig wirft „Endstation der Sehnsüchte“ somit auch einen entlarvenden Blick auf unser Land, unsere Eigenheiten, unser Denken. Und schafft somit vielleicht auch etwas Verständnis für all jene Ausländer in Deutschland, denen trotz Bereitschaft und Anpassungswillen die Integration nach wie vor schwer fällt.

Aus der „Sächsischen Zeitung / PluSZ“ vom 29. Oktober 2009.

„Die Standesbeamtin“ (Kinostart: 29. Oktober 2009)

Im Vergleich mit Deutschland ist die Schweiz ein leicht zu überschauendes Land – zumindest bezogen auf filmische Höhepunkte. Dies ist weniger auf mangelnde Qualität, als vielmehr auf die Quantität von Schweizer Produktionen zurückzuführen, die es bis in unsere Lichtspielhäuser schaffen. Einzig das Drama „Vitus“ (2006) hat in den vergangenen Jahren grenzüberschreitend Aufmerksamkeit erregt und konnte zufriedenstellende Besucherzahlen vorweisen.

Ob es Micha Lewinsky und seiner „Standesbeamtin“ ebenfalls gelingen wird, vermag ich an dieser Stelle nicht vorauszusagen. Verdient hätte es die wunderbar unaufgeregte, mit schweizerischer Gelassenheit umgesetzte Komödie sicherlich, auch wenn deren Halbwertszeit nicht annähernd jener von „Vitus“ nahekommt. Schließlich präsentiert „Die Standesbeamtin“ nur eine weitere Variante des ewigen Liebesfilmkarussells um ein Wiederaufflammen längst vergessener Gefühle, allerlei romantische Momente und die obligatorischen Hürden auf dem Weg ins vermeintliche Glück.

Rahel (Marie Leuenberger) lebt in einem kleinen Schweizer Städtchen und durchlebt sowohl im Privaten als auch im Berufsleben den immer gleichen Alltag. Als Standesbeamtin verhilft sie verliebten Paaren zum Eheglück, ihr eigener Mann jedoch hat schon lange jegliches Interesse an ihr verloren. Da kommt der Kurzurlaub ihres Verflossenen Ben (Dominique Jann) gerade recht: Einst spielten sie gemeinsam in einer Band und nicht nur der örtliche Pfarrer sah in beiden das Traumpaar schlechthin. Zwar ist Ben tatsächlich auch wegen Rahel zurückgekehrt. Allerdings nur, um sich von ihr trauen zu lassen – mit Tinka Panzer (was für ein Rollenname! Oriana Schrage), Schauspielerin, Tussi und zudem sehr hübsch anzusehen.

Was folgt, ist ein sehr amüsantes Wiederentdecken einer eingefrorenen Liebe, gespickt mit viel Gitarrenmusik, Situationskomik und Charme. Zwar verwundert der „Damengeschmack“ des Hauptdarstellers aufgrund der zwei völlig verschiedenen Frauencharaktere ein wenig, auch wirkt das Verhalten von ´it-girl´ Tinka hier und da etwas zu konstruiert. Doch hindert dies keineswegs die Mundwinkel des Zuschauers daran, nach oben zu wandern und dort bis zum Ende zu verweilen. Schön, das!

„Die Bucht – The Cove“ (Kinostart: 22. Oktober 2009)

„No animal was harmed in the making of this film.“ Wer seinen Kinobesuch bis zur letzten Minute auskostet, wird am Ende des Abspanns schon häufiger über diesen lapidar anmutenden Satz gestolpert sein. Damit soll dem Zuschauer versichert werden, dass während der Dreharbeiten kein Tier verletzt oder getötet worden sei. Kontrollieren kann dies freilich niemand, ob ein dressiertes Stuntpferd zudem freiwillig durch eine lärmende Kriegsszene rennt, bleibt uns ebenso verschlossen. Doch ganz ohne tierische Hilfe geht es nun mal nicht, sodass mit der Anwesenheit eines professionellen Trainers und dem Schlusssatz immerhin die naive Vorstellung aufrecht gehalten werden kann, nur „glückliche“ Viecher gesehen zu haben.
Besonders Delfine erwecken aufgrund ihres scheinbaren Lächelns den Eindruck, Spaß und Freude am Umgang mit Menschen zu haben. „Es ist der wohl größte Irrtum der Natur“, bemerkt eine Person in „Die Bucht – The Cove“ ziemlich treffend. Aufgebaut wie ein klassischer Spionagekrimi, setzt dieser außergewöhnliche Dokumentarfilm einen späten Höhepunkt im ausklingenden Kinojahr.

Ric O´Barry hat mit seiner Delfindressur Fernsehgeschichte geschrieben. Als Trainer von „Flipper“ trug er maßgeblich zum Image und der Begeisterung für die Meeressäuger bei. Da „Flipper“ in den 1960er Jahre die erste TV-Show ihrer Art war, bei der ein Delfin quasi als zweiter Hauptdarsteller neben Menschen agierte, gilt O´Barry als Urvater dieser „Kunst“. Fortan sprießen weltweit Delfinarien und Delfin-Shows aus dem Boden, rühmte sich jeder zweite Freizeitpark mit einer eigenen, unterhaltsamen Delfinattraktion. Unabhängig von den zweifelhaften Methoden und Mitteln, die Dresseure seit jenen Tagen anwenden, um die zutraulichen Lebewesen nach ihren Wünschen Tanzen, Springen und Planschen zu lassen, gibt es noch ein weiteres Kapitel, vor dem die Welt bis heute scheinbar die Augen verschlossen hat. Bis heute. Denn ähnlich einer kompletten Umstrukturierung bei McDonalds als Folge des Films „Super Size Me“ (Regie: Morgan Spurlock, 2004), ist nun ein ähnlicher Erfolg dank „Die Bucht“ zu vermelden: Behörden, Politiker und Journalisten sind durch den Film für ein Thema sensibilisiert worden, dessen Verheimlichung jahrelang scheinbar mühelos möglich war. Dazu später mehr.

Doch ist es nicht das Thema an sich, welches „Die Bucht“ aus der Menge an Dokumentationen herausragen lässt. Vielmehr punktet Regisseur Louie Psihoyos mit einem spannend umgesetzten Krimiplot, der zweifellos auch als James-Bond-Abenteuer wunderbar funktioniert hätte. Psihoyos begleitet Ric O´Barry, der sich inzwischen als Aktivist gegen die Delfindressur engagiert, auf dem Weg nach Taiji, einem japanischen Küstenort. Wir erfahren, dass dies jener Ort ist, an dem die weltweit meisten Delfine angelockt und gefangen werden, um sie anschließend nicht nur inländischen Freizeitparks als Unterhaltungsware anzubieten. Jedoch ist diese Behauptung weder belegt noch jemals dokumentiert worden, weshalb O´Barry nun zum wiederholten Male motiviert aber wenig erfolgversprechend vorbeischaut. Allerdings hat er diesmal ein Team von Spezialisten um sich gescharrt, das mit ungewöhnlichen Ideen und Gerätschaften ans Werk geht. Man glaubt es kaum: Auch Techniker von ILM, Industrial Light & Magic, hauptberuflich für die Schaffung von Effekten in Hollywoodfilmen beschäftigt, zählen zum Trupp und bringen genau das Know-how mit, das der Mission letztendlich den Arsch rettet.

Denn kaum aus dem Flugzeug gestiegen, heften sich Fotografen und Detektive, Polizei und stumme Beobachter an die Fersen der Ausländer und beobachten jeden Schritt. Besonders reizbar sind sie in Bezug auf eine Bucht, die – ungewöhnlich streng und deutlich – vom restlichen Teil der Insel abgetrennt wird. O´Barry weiß, dass diese Bucht nicht ohne Grund hermetisch abgeriegelt ist, zusammen mit seinem Team geht er diesem Geheimnis schließlich auf die Spur.

Galgenhumor, Besessenheit und permanente Angst vor willkürlichen Verhaftungen prägen die Stimmung der Protagonisten. Psihoyos wendet sich aber auch der „gegnerischen“ Seite zu und versucht, das aggressive Verhalten der japanischen Fischer und Staatsmacht zu durchleuchten und zu erklären. Kulturelle Riten, Nationalstolz, traditionelle Essgewohnheiten, staatliche Medienkontrolle und schließlich Unfähigkeit, ja sogar Bestechlichkeit internationaler Gremien werden erwähnt, hinterfragt und geben dem Zuschauer somit ein umfassendes Bild von Rahmenbedingungen, die allesamt eine wichtige Rolle bei der Behandlung und dem Umgang mit Delfinen spielen.

„Die Bucht“ ist kein dumpfes Pamphlet, sondern wohldurchdachtes, intelligentes und faires Bildungsprogramm, das gerade durch seine Art, seinen Thrilleranleihen und seiner engagierten Hauptakteure zu begeistern weiß. Die neutrale Darstellung alltäglicher Mechanismen, Denk- und Verhaltensweisen war wohl auch einer der Gründe, weshalb die japanische Regierung die Zustände in Taiji begutachtete und schließlich unterband. Teilweise zumindest, denn statt Delfinen sind nun Pilotwale (Grindwale) die neue Beute der Fischer. Damit umgehen sie zwar – zumindest auf dem Papier – das momentane Delfinfangverbot. Doch aus biologischer Sicht sind Pilotwale ebenso eine Delfinart. Der Teufel hat somit weiterhin viel zu tun.

P.S.: Da es wohl kaum einem Zuschauer gelingen wird, die zahlreichen, im Abspann genannten Adressen von Hilfsorganisationen zu notieren, hier eine kleine Auswahl:

www.delfine.org
www.SaveJapanDolphins.org
www.opsociety.org
www.oceancare.org
www.prowildlife.de
www.peta.de

„Das weiße Band“ (Kinostart: 15. Oktober 2009)

Ein weißes Band, befestigt an den linken Oberarm, soll die Kinder daran erinnern, ihre Taten zu bereuen und „brandmarkt“ sie gut sichtbar für jeden als Sünder. Für den Pfarrer (Burghart Klaußner) eines Dorfes im protestantischen Norden Deutschlands, am Vorabend des Ersten Weltkriegs, hat dieses Ritual nicht nur symbolischen Charakter. Es steht ebenso für Regeln, Ordnungen und traditionelle Verhaltensweisen, über welche er zusammen mit dem Gutsherrn (Ulrich Tukur), dem Verwalter (Josef Bierbichler) und vielen anderen wacht.

Strenge und Sittlichkeit, sowie Gottesfurcht und Bestrafungen bestimmen hier den Alltag. Ein trügerischer Frieden herrscht vor, bis eines Tages seltsame Unfälle geschehen. Menschen verschwinden, Verdächtigungen werden geäußert, weiße Bänder sichtbar. Doch Erklärungen bleiben aus.

Michael Haneke zählt nicht erst seit seinen radikalen Werken „Funny Games“ (1997/2007), „Die Klavierspielerin“ (2001) oder „Caché“ (2005) zu den aufregendsten und unberechenbarsten Filmemachern unserer Zeit. „Es ist ein Haneke-Film, der Rest ist mir egal.“ lautete sein störrischer Kommentar zu „Das weiße Band“, der sicherlich nicht jedem Zuschauer schmecken wird.

Stoisch, fast bewegungslos, beobachtet die Kamera in 145 Minuten das Leben einer Dorfgemeinschaft, die nur auf den ersten Blick in schwarz und weiß – wie die Bilder selbst – zu unterscheiden ist. Unter der strengen Hand einiger weniger brodelt Aggression und Wut, welche sich zunehmend ihre Bahnen an die Oberfläche sucht, während selbst die „Heiligen“ sehr zweifelhafte Verhaltensweisen an den Tag legen.

Ein Film voller Andeutungen, Interpretationsmöglichkeiten und einprägsamer Momente. Ein Film über das Geschöpf Mensch. Ein Film, der zu recht die „Goldene Palme“, den Hauptpreis, bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes erhielt.

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 21. Oktober 2009.

„Away we go – Auf nach irgendwo“ (Kinostart: 15. Oktober 2009)

Das Leben, eine Reise

Kinder kriegen ist nicht schwer – Eltern sein dagegen sehr. Sam Mendes weiß Abhilfe und schickt ein Paar auf einen witzig-charmanten Trip durch Amerika.

Gigantischer Bauchumfang, wenig Geld, viel Muffensausen. Schwanger zu sein und Verantwortung übernehmen zu müssen, versetzt dem jungen Paar Verona (Maya Rudolph) und Burt (John Krasinski), beide um die 30, einen gehörigen Schreck. Zwar ist die Liebe stark, das gemeinsame Miteinander routiniert und fernab von Langeweile. Gleichwohl: So richtig bereit für ein familiäres Dreiergespann „Mama-Papa-Kind“ fühlen sie sich kaum, ist der eigene Platz, das passende Zuhause noch nicht gefunden. Ebenso wenig hilfreich ist da der zweijährige Urlaub von Burts Eltern im belgischen Antwerpen, der einen Monat vor Veronas Niederkunft beginnen soll und beide allein zurücklässt. Was bleibt, ist die Flucht nach vorn. Ein Trip zu Veronas Geburtshaus soll Erleuchtung, Besuche bei Kollegen, Verwandten und Freunden erste Ideen zum perfekten Familienglück bringen.

Der an die Innentasche einer Jacke getackerte Reiseplan lässt es bereits erahnen: Was folgt, ist ein munteres Roadmovie, das dem planlosen jungen Paar ein Kaleidoskop an Lebensentwürfen präsentiert, von denen etliche furchterregend, einige passabel und nur einer der perfekte sein wird. Witzig ist dies allemal, wirklich neu hingegen nicht. Denn neben einer frustrierten und sich im Sarkasmus wälzenden Ex-Arbeitskollegin, Ehefrau und Mutter (Alison Janney), begegnen sie dabei auch einer Karrierefrau, Veronas Schwester (Carmen Ejogo), einer inzwischen zur New-Age-Prophetin mutierten Freundin aus Kindertagen (Maggie Gyllenhaal) mit einer Abneigung gegen Buggys, sowie zwei Kommilitonen, die ihr Glück mit Adoptivkindern gefunden haben. Das ist schön, unterhaltsam – und doch ein wenig vorhersehbar.

Schön, unterhaltsam, ein wenig vorhersehbar

Regisseur Sam Mendes („Zeiten des Aufruhrs“) und seine beiden Autoren wagen es erst gar nicht, der bunten familiären Vielfalt auf der Leinwand auch ein paar verbale Spitzen in Bezug auf die gesellschaftlichen Zustände im eigenen Land beizugeben. Mendes verweilt viel lieber beim Abbilden von seltsamen Verhaltensweisen oder schlichter Provokation auf „American-Pie“-Niveau. Spätestens beim finalen Besuch von Burts Bruder, dessen Frau ihn soeben mit seiner Tochter zurück gelassen hat, wirken auch die ständigen, auf ewig geltenden Liebesbekundungen beider Protagonisten etwas naiv.

Doch vielleicht braucht man diesen Blick auf die Welt, den „Away we go“ in aller Konsequenz erzählt. Denn rational und mit System ist weder eine Familie noch eine Liebe zu erhalten. Gleich, wie viele gute oder schlechte Beispiele im eigenen Umfeld ihr Dasein fristen, der tägliche Kampf ist der eigene. Keine essenziell neue Erkenntnis, was den Film schlussendlich auch ein wenig ins Leere laufen lässt.

Kein Œuvre ohne Reise

Ähnlich einem Musiker, der scheinbar von Geburt aus verpflichtet ist, irgendwann in seiner Karriere ein Album mit traditionellen Weihnachtsliedern aufzunehmen, siehe aktuell Bob Dylan, kommen Regisseure offenbar nicht umhin, ihrem Œuvre stets ein Roadmovie hinzuzufügen. Nach Jim Jarmusch („Broken Flowers“) und Alexander Payne („About Schmidt“) nun also Sam Mendes. Wobei dessen Werk in vielerlei Hinsicht an die herrlich brachiale Komödie „Ein Ticket für zwei – Planes, Trains & Automobiles“ aus dem Jahr 1987 erinnert. Die beiden Komiker Steve Martin und John Candy gaben hier ein Reiseduo wider Willen, das sich – ebenso wie in „Away we go“ – via Flugzeug, Zug und PKW Richtung Heimat begibt und dabei allerlei Hürden zu überwinden hat. Nur waren es da die Tücken eines viel zu kleinen Hotelzimmers, die Nasenhöhlenentzündung des Partners oder übergroße Unterhosen als Handtuchersatz.

Mag sein, dass auch Sam Mendes ähnliche Erlebnisse während der Schwangerschaft seiner Gattin Kate Winslet durchleben musste und sein Wissen nun an alle Eltern in spe weitergeben will. Ein amüsanter Ratgeber für das erste Kind sozusagen. Ein Film, den man daher nur einmal zu schauen braucht – dann aber aufmerksam, gut gelaunt und nicht zu verkrampft.

Eine gekürzte Fassung des Textes erschien am 15. Oktober in der „Sächsischen Zeitung“.

„Männerherzen“ (Kinostart: 8. Oktober 2009)

Til Schweiger in einer Liebeskomödie. Til Schweiger als charmanter Womanizer, dem keine Frau widerstehen kann. Til Schweiger als Til Schweiger. Doch diesmal heißt das Endprodukt weder „Keinohrhasen“, noch „Barfuss“, entspringt das Drehbuch nicht dem Schweigerkosmos und ist der Regieposten ebenso anderweitig vergeben. In Bezug auf Komik, Umsetzung und Darstellerrekrutierung steht „Männerherzen“ jenen Vorbildern allerdings in nichts nach.

Sechs Kerle zwischen 25 und 45 (darunter Christian Ulmen, Wotan Wilke Möhring, Justus von Dohnányi und Schweiger) stehen im Mittelpunkt dieser betont leichtfüßigen Komödie um das ewige Mysterium „Mann“ und dessen manchmal platte, oftmals seltsame Art und Weise, sich dem weiblichen Geschlecht zu nähern. Vom schüchternen Single über den Macho bis hin zum überforderten Ehegatten in spe ist jede Variante präsent und kämpft, liebt, scheitert.

Einzig der geschiedene U-Bahn-Führer Roland hat nicht nur mit seinem Eheaus, sondern auch mit den Folgen eines verheerenden Unfalls zu hadern, was dem Film zwar etwas Tiefe gibt, zu den anderen, weitaus oberflächlicher angelegten Charakteren aber nicht so recht passen will. Überhaupt begnügt sich Regisseur Simon Verhoeven leider viel zu oft damit, lediglich schon bekannte Vorurteile, Macken und Eigenarten der porträtierten Spezies aneinanderzureihen, ohne daraus einen hintergründigen, oder zumindest satirischen Film zu entwickeln.

Vielleicht war dies auch gar nicht sein Anliegen, was bei der Vielzahl an Gags und „Kenn-ich“-Momenten nicht weiter ins Gewicht fällt und vielmehr den puren Unterhaltungswert fördert. Eben ganz so, wie es sich die Fans von Schweiger wünschen, dessen eigener Beitrag zum alltäglichen Beziehungswahnsinn, „Zweiohrküken“, schon im Dezember folgt. Seine Rolle darin: Til Schweiger.

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 7. Oktober 2009.

„Es kommt der Tag“ (Kinostart: 01. Oktober 2009)

Nicht jedem Film tut es gut, tragende Rollen mit Theaterschauspielern zu besetzen. Auch das Drama „Es kommt der Tag“ von Susanne Schneider wird sich dieses Vorwurfs sicherlich mehr als einmal erwehren müssen. Im schlechtesten Fall spielen Bühnen- und Leinwandakteure, deren Präsenz, Artikulation und vor allem textliche Betonung oftmals variieren, aneinander vorbei. Im besten Fall hingegen - so wie in diesem Film - erlebt der Zuschauer eine schauspielerische Performance der Extraklasse, die keinen Zweifel daran lässt, dass sich hier zwei Künstler nichts schenken, sich seelisch entblößen und genau fühlen, was sie äußern. Für manche mag es übertrieben wirken, für das momentan im darstellerischen Mittelmaß ertrinkende Cineastenauge ist es eine willkommene Abwechslung.

Katharina Schüttler, mehrfach ausgezeichnete Theaterschauspielerin (aufsehenerregend ihre Darstellung von „Hedda Gabler“ 2005 in Berlin) und seit 2000 auch im Kino unterwegs („Sophiiiie!“, „Wahrheit oder Pflicht“) verkörpert Alice, eine zornige junge Frau, die es ins Elsass nahe der deutschen Grenze treibt. Durch einen absichtlich herbeigeführten Unfall kommt sie bei dem Franzosen Jean Marc und dessen Familie unter – nicht zufällig, wie seine distanzierte, deutsche Frau Judith (Iris Berben) bald erkennt. Denn Alice ist ihre eigene Tochter, die sie vor fast 30 Jahren zur Adoption freigegeben hat, als sie vor der Polizei flüchtete, untertauchte und eine neue Identität annahm.

Iris Berben, inzwischen 59 Jahre alt und im TV immer noch omnipräsent, zeigt hier endlich auch auf Großformat, was sie kann. Ähnlich erging es schon Elmar Wepper in „Kirschblüten -Hanami“, Kritikerlob und der Deutsche Filmpreis waren da der gerechte Lohn. Nun also die Berben. Und ja, es ist ein Fest! Sie und Schüttler spielen ehrlich, verletzlich, verletzend, herausfordernd, punktgenau. Regisseurin Schneider steuert dazu messerscharfe Dialoge und Szenenkompositionen bei, welche beispielsweise ein an sich harmloses Mittagessen im Hausgarten zu einem verbal brutalen Katz- und Mausspiel werden lässt, das noch lange nachwirkt.

„Es kommt der Tag“ ist ein herausragend gespieltes und inszeniertes Familiendrama, das die Themen Verantwortung, Schuld und Vergebung im Kontext historischer Ereignisse rund um die „68er“ aufwirft und hinterfragt. Mitreißend, streitbar, sehenswert.

„Pandorum“ (Kinostart: 1. Oktober 2009)

Da ist er wieder, dieser - Verzeihung - Dilettant. Paul W.S. Anderson steht schon seit einigen Filmen auf meiner imaginären „Liste der zu vermeidenden Regisseure“. Ob „Event Horizon“ (1997), „Resident Evil“ (2002), oder „Alien vs. Predator“ (2004), dieser Mann ist ein einziges Ärgernis in Bezug auf Qualität und Halbwertszeit seiner Werke. Ausnahmen bestätigen die Regel, sein letztes B-Movie „Death Race“ (2008) hatte sogar so etwas wie Charme (siehe Rezension vom November 2008).

Doch zurück zur Hasstriade: Auch wenn er „Pandorum“ nur als Produzent beiwohnte, ist sein Einfluss unübersehbar. Christian Alvart, Regisseur dieses SciFi-Actioners, biedert sich hier dermaßen an die Sehgewohnheiten eines gerade von Anderson propagierten Stils an, man mag es nicht für möglich halten. Dies ist umso trauriger, da Alvart vor vier Jahren mit „Antikörper“ einen finsteren, tiefgründigen Thriller vorgelegt hat, der sich zwar auch an amerikanischen Vorbildern orientierte (vor allem „Das Schweigen der Lämmer“), diese aber respektvoll zitierte und sinnvoll mit eigenen, guten Ideen ergänzte.

Anleihen an Klassiker des Genres, wie beispielsweise „Alien“ oder „Blade Runner“, sind auch hier im Übermaß zu entdecken, deren Level erreicht „Pandorum“ jedoch zu keinem Zeitpunkt. Kaum Variation, keinerlei Innovation. Stattdessen das immer gleiche Prinzip des Abzählreims, wonach jede Figur früher oder später das Zeitliche segnet. Dabei klingt die Grundidee gar nicht so blöde: Zwei Besatzungsmitglieder eines Raumschiffs (Dennis Quaid und Ben Foster) wachen nach einer langen Schlafphase auf, können sich allerdings an nichts erinnern. Sie beschließen, sich bis zur Kommandobrücke durchzuschlagen, finden auf dem Weg dorthin weitere Überlebende, müssen sich dabei jedoch auch einigen schauerlichen Gestalten im Blutrausch erwehren.

Womit ein weiteres Problem genannt wäre: Stand das „Stan Winston Studio“ zu Lebzeiten des Masken- und Special-Effects-Meisters* noch für angsteinflößende, unverwechselbare und überaus erinnerungswürdige Monsterkreationen, verkommt die Effekteschmiede zunehmend zum auswechselbaren Wunderladen. Weder die Kreaturen, noch deren Verhalten beeindrucken den vorbelasteten Genrefreund. Wohl auch deshalb entschied sich Alvart - offenbar ganz im Sinne Andersons - viel zu hektische Schnitte, armselig ausgeleuchtete Sets und langweilige Kampfszenen mit einem überaus störenden Score zu unterlegen um zumindest etwas Atmosphäre zu transportieren. Ergebnis: Mission definitiv gescheitert. Schon ein Nichtzeigen der missgebildeten Gegenspieler hätte genügt, dem Film zumindest bis zur Hälfte ein wenig Spannung zu gönnen. Hätte genügt.

Alibifiguren, ein zwar nett anzusehendes, aber von den Dialogen immens ablenkendes Dekolleté der unvermeidlichen weiblichen Kampfamazone (Ellen Ripley ich hör die trapsen), das schlichte inhaltliche und optische Nachäffen amerikanischer Vorbilder, die große Verwunderung über Alvart und die Negierung seiner eigentlichen Fähigkeiten. Alles Faktoren, die „Pandorum“ zu einer der größten Enttäuschungen des laufenden Kinojahres machen.

*Stan Winston (1946-2008) galt als einer der führenden Make-up-Designer und Effektspezialisten der Welt und wurde für seine Arbeit vier Mal mit dem Oscar ausgezeichnet. Zu seinen bekanntesten Kreationen zählen die Effekte in „Terminator“, „Aliens“, „Predator“, „Edward mit den Scherenhänden“, „Jurassic Park“ und „Iron Man“. Als Vorreiter und Revolutionär hat er als Experte für Spezialeffekte das Kino des 20. Jahrhunderts maßgeblich mitgestaltet.