Heimkino-Tipp: „New Order – Die neue Weltordnung“ (2020)

Living Hell

Im Oktober 2021 feierte auf dem Filmfest Hamburg das Drama „La Civil“ von Teodora Mihai seine deutsche Uraufführung. Der Film erzählt die wahre Geschichte einer Mutter in Mexiko, deren Teenagertochter wie so viele andere ebenso entführt wurde, und die sich – aller Gefahren zum Trotz – selbst auf die Suche nach ihrem Kind begab. Ein erschütternd-spannendes Werk, das die derzeitige Situation in dem Land ohne Beschönigungen zeigt – und hoffentlich bald seinen offiziellen Kinostart bei uns haben wird. Denn wer Nachrichten aufmerksam verfolgt wird wissen, dass Mexiko bereits seit vielen Jahren neben Gewalt und Korruption vor allem unter unzähligen Entführungen zu leiden hat. Dies hat u.a. auch zur Folge, dass jene, die es sich leisten können, ihre Anwesen abschotten und in z.T. festungsähnlichen Anlagen wohnen, während sich Menschen in ärmeren Gegenden hier und da in Bürgerwehren organisieren. Diese gesellschaftliche Kluft nutzt Regisseur Michel Franco als Ausgangspunkt für sein Thriller-Drama „New Order – Die neue Weltordnung“, in dem er die Folgen einer solchen Ungleichbehandlung rigoros weiterdenkt.

Auf der Hochzeit von Marianne (Naián González Norvind) kommen Wohlhabende zum Feiern, Tanzen und Koksen zusammen, während ihre Bediensteten eifrig in der Küche hantieren oder vor den Türen die übergroßen Wagen ihrer Chefs und Chefinnen bewachen. Alle sind happy und unbeschwert, bis plötzlich mehrere Fremde das Grundstück betreten und mit unbändiger Gewalt auf die Feiernden losgehen. Es ist ein Aufstand der Armen gegen die Reichen, der jedoch schnell vom Militär niedergeschlagen wird. Was darauf folgt, ist allerdings noch viel viel schlimmer.

Vorweg: Mensch sollte einen starken Magen haben, um „New Order“ bis zum Ende durchzuhalten. Denn was Regisseur und Autor Franco an Bildern wählt, überschreitet meiner Meinung nach mehr als einmal die Grenzen des Darstellbaren. Das explizite Zeigen von Folter, Vergewaltigung und Mord wirkt dabei umso abstoßender, da der Film in seiner Umsetzung sehr wirklichkeitsnah wirkt und scheinbar ohne Empathie für irgendeine Figur teilnahmslos deren Handeln und/oder Schicksal zeigt. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Begründung der FSK (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, Link). Dort heißt es u.a.: „Der meist nüchterne Inszenierungsstil erleichtert die Distanzierung zusätzlich. Da der Film zudem eine klare moralische Haltung zum Geschehen vermittelt, ist auch eine sozialethische Desorientierung von 16-Jährigen auszuschließen.“ Nun ja.

Soziale Ungleichheit anzuprangern und deren (mögliche) Folgen aufzuzeigen, ist zweifellos Aufgabe von Kunst. Das dies nicht immer auf unterhaltsamen Wegen geschieht, sollte Filmschauenden bewusst sein. Bei „New Order“ jedoch fällt es – zumindest mir – schwer, das Ziel des Regisseurs auszumachen. Denn das Gewalt, ganz gleich von wem sie ausgeht, über kurz oder lang immer auch Unschuldige trifft, ist keine neue Erkenntnis. Dass sie zudem auf die zurückfallen kann, die sie ausgelöst haben, überrascht ebenso wenig. Insofern ist Franco zumindest ehrlich: Jede/n kann es treffen, ganz gleich, an welcher Stelle im System sich die Person befindet.

Verstörend an „New Order“ ist allerdings, dass der Film absolut keine Erlösung für sein Publikum bietet. Jeder Hoffnungsschimmer wird wenige Sekunden später gewaltsam zunichte gemacht, jeder Anflug von Menschlichkeit in Blut ertränkt. Das mag konsequent und beabsichtigt sein. Jedoch macht es sich Franco zu leicht, wenn er lediglich Folgen und nie Ursachen zeigt oder zumindest andeutet. Konstruktive Lösungsvorschläge bleibt er schuldig und suhlt sich stattdessen in einem Gewaltexzess, der – auch das sicherlich gewollt – zunächst abstoßend, im weiteren Verlauf nur noch verrohend auf sein Publikum wirkt.

Offenbar scheint das vielen anderen Zuschauern nicht aufgestoßen zu sein. Der Film gewann u.a. den Silbernen Löwen und den Preis der Jugendjury in Venedig, den Publikumspreis des San Sebastian International Film Festival und war zudem in der Vorauswahl für den „Besten fremdsprachigen Film“ der Academy Awards. Aber auch das ist Aufgabe von Kunst: Unterschiedliche Reaktionen hervorzurufen und auf jede/n Betrachterin/er anders zu wirken. So oder so: „New Order“ wird lang nachwirken.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und spanischer Originalversion mit optionalen deutschen Untertiteln. Als Extras gibt es Trailer. „New Order – Die neue Weltordnung“ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite Entertainment) und ist seit 19. November 2021 auch digital erhältlich. (Packshot + Filmstills: © Ascot Elite)

Heimkino-Tipp: „Proxima“ (2019)

Die Astronautin

Erst vor wenigen Tagen ist der Saarländer Matthias Maurer ins All gestartet. Als zwölfter deutscher Raumfahrer wird er voraussichtlich sechs Monate auf der Internationalen Raumstation ISS tätig sein. Wenn Maurer ebenso gesprächig ist wie sein Kollege Alexander Gerst vor ein paar Jahren, erwarten uns „Erdenbewohner“ wieder außergewöhnliche Bilder und informative Videos direkt aus dem Orbit. Was dabei meist verdrängt wird: Der Weg dorthin ist nicht nur ein körperlicher, sondern ebenso ein seelischer Kraftakt für alle Beteiligten, insbesondere für die AstronautInnen.

Stichwort Frauen: Filme mit weiblichen Weltraumfahrern gibt es bereits einige. Vor wenigen Jahren beispielsweise stellten mit „Gravity“ (2013) und „Interstellar“ (2014) gleich zwei großartige Hollywood-Produktionen Astronautinnen in den Mittelpunkt ihrer Geschichten. Auch „Contact“ (1997) wählte eine Frau für den möglichen Erstkontakt mit Außerirdischen aus, während „Hidden Figures“ (2016) all jenen Ingenieurinnen huldigte, die die erfolgreiche Raumfahrt überhaupt erst ermöglichten. „Proxima“ von Alice Winocour reiht sich nun ein in diese Liste spannender Porträts über Frauen, die das Weltraumabenteuer suchen.

Und doch ist dieser Film so ganz anders: Denn Regisseurin und Co-Autorin Wincour legt den Fokus nicht auf die Reise, sondern auf die Ereignisse vor dem Start und wie AstronautInnen wie Sarah (Eva Green) für ihren Trip vorbereitet werden. Die alleinerziehende Französin ist Mutter einer kleinen Tochter (Zélie Boulant), lebt von deren Vater (Lars Eidinger) getrennt und wird sehr kurzfristig für die nächste ISS-Mission auserkoren. Während sie unzählige kräftezehrende Trainingseinheiten absolviert, muss Sarah ebenso einen emotionalen Draht zu ihren beiden Missionskollegen, einem Amerikaner (Matt Dillon) und einem Russen (Aleksey Fateev) finden, während ihr Kind zunehmend unter der Trennung leidet – wohlwissend, dass ihre Mama für mehrere Monate nicht auf dem selben Planeten leben wird wie sie.

Sicherlich, die Prämisse, mit der „Proxima“ sein Publikum konfrontiert, ist ein Extrem: Sarah ist Single-Mutter, der Kindsvater lebt im Ausland, die Beorderung zum Flug erfolgt ohne lange Vorlaufzeit und mindestens ein neuer Kollege, mit dem sie demnächst sehr viel Zeit auf sehr engem Raum verbringen wird, entpuppt sich als männlicher Chauvinist. Andererseits: Wenn es einen Beruf gibt, in dem Extreme an der Tagesordnung sind, dann ist es der des Astronauten. Und dies ist genau das, womit Sarah lernen muss, umzugehen.

Eva Green verkörpert diesen innerlichen Kampf glaubhaft und – auch rein sprachlich – bemerkenswert. Mühelos zwischen französischer, deutscher, englischer und russischer Sprache switchend (daher unbedingt die Originalversion anschauen!), versucht sie einerseits die harten Anforderungen zu meistern, andererseits für ihr Kind da zu sein. Eine Gratwanderung, die sie zu zerreißen droht und sie mehr als einmal vor die Wahl stellt: Bin ich für meine Familie da oder erfülle ich mir nach all den jahrelangen Strapazen diesen einen Kindheitswunsch und fliege ins All?

Neben den schauspielerischen Leistungen des internationalen Casts beeindruckt „Proxima“ auch mit der Wahl seiner Drehorte. Gefilmt in z.T. realen Einrichtungen für Weltraumreisende, gibt es Einblicke in vielfältige Trainingsmethoden, in die Geschäftigkeit auf abgelegenen Weltraumbahnhöfen und sogar in das notwendige Ausfüllen von Dokumenten, die für Unglücksfälle vorbereitet werden.

Im Kern ist „Proxima“ daher so etwas wie die weitergedachte, weibliche Variante von „Aufbruch zum Mond“ (2018), einem Film, der ein ähnliches Dilemma verpackt in die wahre Geschichte des Neil Armstrong präsentierte. Wer diese persönliche Annäherung an das Thema ‚Flug ins All‘ mochte, wird auch von „Proxima“ begeistert sein.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in mehrsprachiger Original- und deutsch synchronisierter Sprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional zuschaltbar. Als Extras gibt es Trailer. „Proxima – Die Astronautin“ erscheint bei Koch Films und ist seit 25. November 2021 auch digital erhältlich (Packshots + stills: © Koch Films)

Heimkino-Tipp: „The Nest“ (2020)

Greed is Good

Es heißt, dass Mitte der 1980er-Jahre junge, aufstrebende Broker an der New Yorker Wall Street einen Mann besonders abgefeiert hätten: Gordon Gekko, eine Filmfigur aus dem Oliver-Stone-Börsenthriller „Wall Street“ (1987), die ihrem Darsteller Michael Douglas einen Oscar als Bester Hauptdarsteller bescherte. Skrupellosigkeit, Habgier und die Bereitschaft, ‚über Leichen zu gehen‘ machten Gekko zum Vorbild all jener Nachwuchsbörsenmakler, die Stone mit seinem Werk eigentlich vorführen und kritisieren wollte.

Auch der Brite Rory O’Hara (Jude Law) scheint die Gekko-Philosophie verinnerlicht zu haben, als er zusammen mit seiner amerikanischen Frau Allison (Carrie Coon) und den beiden Kindern (Oona Roche, Charlie Shotwell) ins Großbritannien der Thatcher-Ära zurückkehrt, um dort bei einem seiner früheren Arbeitsgeber wieder einzusteigen. Um seinen gesellschaftlichen Status zu zementieren, aber zweifellos auch um seine Gattin wohlzustimmen, ziehen sie in ein riesiges Anwesen im Londoner Umland. Hier kann Allison ihre Reitschule wiedereröffnen und wenn es mal Abwechslung braucht, gibt’s ja immer noch Appartements in der großen Stadt, die mühelos als Zweitwohnsitz angemietet werden können.

Ein paradiesisches Leben? Nur für kurze Zeit, denn Rorys Wiedereinstieg ins große Geschäft gelingt nicht so mühelos wie erhofft. Zudem rebelliert nicht nur ihre Teenagertochter Sam zunehmend aggressiver gegen ihre Yuppie-Eltern, sondern auch Allison gegen die immer gleiche Rory-Ansage, er habe alles unter Kontrolle.

Ein einsames, altes und abgelegenes Haus, knarzende Böden und Türen, unruhige Stalltiere: „The Nest“ könnte problemlos als Gruselfilm auf den Spuren von „Shining“ durchgehen, in dem sich der Mann des Hauses zunehmend zu einer Bedrohung für seine Familie entwickelt. In gewisser Weise ist dies inhaltlich sogar der Fall, da Rorys risikofreudiges Geschäftsgebaren nicht folgenlos für seine Familie bleibt. Sehr viel besser funktioniert das Thrillerdrama jedoch als Dekonstruktion einer scheinbar glücklichen Familie, die – von Selbstüberschätzung, Naivität und Wohlstand geblendet – miterleben muss, wie wenig gesellschaftlicher Status beim täglichen (Über-)Leben hilft.

Regisseur Sean Durkins ohnehin hervorragendes Drehbuch wird dabei von vier grandiosen Akteuren vor der Kamera zum Leben erweckt. Vor allem Law und Coon sind ein Genuss und spielen ihre Figuren nuancenreich und nahbar. Oder anders formuliert: „The Nest“ präsentiert Charaktere, die echt, real und in ihrem Handeln glaubhaft wirken. Zusammen mit der unaufgeregten aber stets unterschwellig bedrohlich wirkenden Inszenierung ist Durkin nach seinem Erstling „Martha Marcy May Marlene“ (2011), in dem er sich dem seelischen Missbrauch in einer Sekte widmet, somit ein weiteres cineastisches Glanzstück gelungen.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischsprachiger Originalversion mit optionalen deutschen Untertiteln. Als Extras gibt es Interviews, einen Blick hinter die Kulissen und Trailer. „The Nest – Alles zu haben ist nie genug“ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite Entertainment) und ist seit 12. November 2021 auch digital erhältlich. (Packshot + Filmstills: © Ascot Elite)

Heimkino-Tipp: „Das Dorf der Verdammten“ (1995)

Kinder des Zorns

Ein Jahr nach seiner überaus gelungen H. P. Lovecraft-Huldigung „Die Mächte des Wahnsinns“ erhielt Regisseur John Carpenter („Halloween“, „The Thing“, „Jagd auf einen Unsichtbaren“) das Angebot, den 1960 entstandenen Horrorfilm „Das Dorf der Verdammten“ unter gleichem Titel neu zu verfilmen. Herausgekommen ist ein ruhig erzählter, subtiler Gruselstreifen, der vor allem dank seiner Atmosphäre punktet.

In dem kleinen Küstenstädtchen Midwich kommt es eines Tages zu einem mysteriösen Blackout. Alle Menschen fallen scheinbar ohne ersichtlichen Grund in Ohnmacht, um sechs Stunden später ebenso spontan wieder aufzuwachen. Das ruft die Wissenschaftlerin Dr. Verner (Kirstie Alley) auf den Plan, die das Ereignis im Auftrag der Regierung näher untersuchen soll. Das ist auch dringend nötig, denn wie der ansässige Arzt Alan (Christopher Reeve) mit Erstaunen feststellt, sind mehrere Frauen im Ort plötzlich schwanger. Doch damit nicht genug der Verwunderung: Die einige Monate später geborenen Kinder legen allesamt äußerst seltsame Verhaltensweisen an den Tag und sehen sich zudem sehr ähnlich, wie die folgenden Jahre zeigen. Als es vermehrt zu seltsamen Todesfällen kommt, wächst das Misstrauen der Erwachsenen gegenüber den Kids zunehmend.

„Ich vertraue Kindern nicht. Sie sind hier, um uns zu ersetzen“, formulierte es die Politikerin Marina Weisband (Bündnis 90/Die Grünen) einmal sehr treffend mit einem Augenzwinkern. Es könnte die Tagline zum Film „Das Dorf der Verdammten“ sein, in dem genau dies scheinbar passiert. Carpenter setzt für seine Interpretation der Geschichte vornehmlich auf Stimmungen und Unwohlsein, das sich weniger in konkreten Schockeffekten als vielmehr in dem gezeigten stillen Verhalten seiner kleinen Teufel manifestiert. Mit platinblonden Haaren, sich stets im Gleichschritt und gemeinsam bewegend sowie einer sachlichen, gefühlskalten Kommunikation gegenüber allen, die älter sind als sie selbst, faszinieren und erschrecken die Nachwuchs-Diktatoren gleichzeitig.

Was bezüglich der Handlung etwas irritiert (aber aufgrund der zu zeigenden Entwicklung der Kinder unumgänglich scheint), sind die mitunter großen Zeitsprünge zwischen einzelnen Szenen. Sie erschweren ein wirkliches Einfühlen in die (erwachsenen) Figuren, die über große Teile des Films passiv erscheinen und ebenso wie die Zuschauer nur staunen können über das Benehmen ihrer Sprösslinge. Besonders Kirstie Alleys Dr. Verner entpuppt sich als ein unspezifischer Charakter, dessen Agenda bis zum Ende unklar bleibt. Das ist insofern schade, da ihre Figur quasi das weibliche Gegenstück zum sogenannten Krebskandidaten („cigarette smoking man“) aus der Serie „Akte X“ darstellt, die sich ja gerade 1995, zum Zeitpunkt der Produktion des Films, weltweit großer Beliebtheit erfreute. Eine verpasste Chance, wie ich finde.

Sieht mensch über die oberflächliche Figurenzeichnung hinweg, bietet „Das Dorf der Verdammten“ aber immer noch genug Substanz, um über die gesamte Laufzeit hinweg ein mulmiges Gefühl zu erzeugen. Zwar bleibt der Streifen einige Antworten schuldig und hätte darüber hinaus ein etwas aufwendigeres Finale verdient. Bezüglich Carpenters Filmografie jedoch wurde es – sorry Maestro – danach nur noch schlechter.

Die Blu-ray-Neuauflage im Steelbook bietet den Film in englischer original und deutsch synchronisierter Sprachfassung sowie optional deutsche und englische Untertitel. Als Extras gibt es u.a. Making of-Clips, eine Bildergalerie und Trailer. „Das Dorf der Verdammten“ erscheint bei Koch Films und ist seit 18. November 2021 erhältlich (Packshots + stills: © Koch Films)

Heimkino-Tipp: „Breaking News in Yuba County“ (2021)

Ruhm und Irrsinn

Manchmal begegnet mensch als Zuschauer Geschichten, bei denen nicht klar ist, ob es sich um Fiktion, Realität oder überspitze Satire wahrer Ereignisse handelt. Tate Taylors („The Help“, „Girl on the Train“) Krimikomödie „Breaking News in Yuba County” ist so ein Fall – unterhaltsam, verrückt und irgendwie, auf eine seltsame Art, auch glaubhaft.

Die unauffällige Sue Buttons (Allison Janney) führt ein offenbar ziemlich ereignisloses Leben, das sie nur durch beständiges autogenes Training erträgt. Kaum verwunderlich, haben doch sowohl ihre Familie als auch ihre KollegInnen ihren Geburtstag vergessen – und das scheinbar nicht zum ersten Mal. Schlimmer noch: Sie erwischt ihren Gatten (Matthew Modine) ausgerechnet heute bei einem außerehelichen Schäferstündchen. Der ist davon derart überrascht, dass er prompt tot von der Bettkante rutscht. Wie in Trance nutzt Sue diese Gelegenheit für einen ungewöhnlichen Plan: Sie verkündet medienwirksam, ihr Mann sei entführt worden. Das setzt eine grotesk-blutige Kettenreaktion in Gang.

„Breaking News in Yuba County“ ist Komödie, Krimi und bitterböse Abrechnung mit der Geltungssucht unbedeutender Menschen zugleich. Ob betrogene Ehefrau, erfolgshungrige Schwester (Mila Kunis), nach Action lechzende Verkäuferin (Wanda Sykes), überambitionierte Ermittlerin (Regina Hall), geltungssüchtige Nachwuchsgangsterin (Awkwafina) oder überdramatisierende TV-Moderatorin (Juliette Lewis): Sie alle haben ganz offensichtlich Panik, in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, wenn sie nicht irgendetwas Herausragendes leisten.

Dieses Potpourri an (verrückten?) Figuren erinnert in seinen besten Momenten an die Welt der Coen-Brüder („Fargo“) und sorgt für wunderbare Unvorhersehbarkeit. Richtig ernst nehmen kann mensch diese ganze Chose jedoch nicht. Oder ist hier vielleicht doch mehr US- amerikanische Alltagsrealität zu sehen als mir lieb ist? Jedenfalls blieb mir beim erstaunten Betrachten dieser Ansammlung an Skurrilitäten mehr als ein Mal das Lachen im Halse stecken, und das nicht nur aufgrund einiger Gewaltspitzen – ja, die Freigabe ‚ab 16‘ ist gerechtfertigt – oder der zu sehenden Frisurenparade.

Die Darsteller jedenfalls scheinen große Freude an ihrem Aufenthalt in „Yuba County“ gehabt zu haben. Neben den oben Genannten ist der Ort ebenso von Leuten wie u.a. Ellen Barkin, Jimmi Simpson und Clifton Collins Jr. bewohnt, die seit Jahren in großen und kleinen Rollen begeistern. Respekt an Regisseur Taylor und seine beiden Castingagenten Kerry Barden und Paul Schnee, so eine Besetzung zusammenzutrommeln!

Fazit: Wer es abgefahren, schwarzhumorig und blutig mag, wird mit „Breaking News in Yuba County“ viel Spaß haben.

Die Blu-ray/DVD bietet den Film in englischer Original- sowie deutscher Synchronsprachfassung. Optionale deutsche Untertitel für Hörgeschädigte sind verfügbar. Als Extras gibt es u.a. Interviews und Trailer. „Breaking News in Yuba County“ erscheint bei Constantin Film Verleih GmbH und ist seit 4. November 2021 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Constantin Film)

Heimkino-Tipp: „Percy“ (2020)

A Straight Story

Das Kino liebt Geschichten von Underdogs, die sich wider Willen gegen Mächtige auflehnen und trotz beschränkter Mittel versuchen, zumindest den moralischen Sieg zu erlangen. Der 2020 verstorbene kanadische Farmer Percy Schmeiser hat solch einen Kampf geführt und bekommt nun mit Christopher Walken in der Hauptrolle ein filmisches Denkmal gesetzt.

Seit Generationen ist die Familie von Schmeiser in der Landwirtschaft tätig. Mit Erfahrung, Weitblick und Geduld hat er es zum Erfolg gebracht und führt ein arbeitsreiches, aber glückliches Leben. Das ändert sich, als er Post von den Juristen des Chemieriesen Monsanto erhält. Sie werfen Percy vor, ihr genverändertes Saatgut illegal genutzt und damit seine Erträge gesteigert zu haben. Erbost und alle Vorwürfe von sich weisend, setzt sich der Eigenbrötler mithilfe des Provinzanwalts Weaver (Zach Braff) zur Wehr – und verliert in erster Instanz. Angestachelt von der Umweltaktivistin Rebecca (Christina Ricci), legt er Berufung ein und beginnt einen lang anhaltenden Kampf vor Gericht gegen den schier übermächtigen Gegner.

Ein charmanter Griesgram, eine hübsche Unterstützerin und ein engagierter, aber unerfahrener Anwalt zusammen gegen eine anonyme Masse von skrupellosen Anzugträgern: Die Sympathien, die Regisseur Clark Johnson in seinem Film hegt, sind von Anfang an klar verteilt. Leider gestaltet sich der Verlauf der Geschichte ebenso überraschungsarm. Klar, mir persönlich ist eine ungeschönte Abbildung der Wahrheit ebenso lieber als eine der Unterhaltung willen ausgeschmückte Erzählung. Dann wäre es jedoch nicht verkehrt, filmisch oder zumindest bei der Zeichnung der Figuren etwas mehr Herzblut an den Tag zu legen.
„Percy“ wirkt in weiten Teilen wie eine Aneinanderreihung kurzer Momente aus dem Leben des Farmers, die, einer Checkliste gleich, abgearbeitet werden. Alles ist steril, glatt und ohne ‚persönlichen Touch‘ inszeniert, was offenbar genau dem Wunsch der Produzenten an Regisseur Johnson entsprach. Der hat bisher fast ausnahmslos Episoden diverser TV-Serien verantwortet und versteht sein Handwerk zweifellos. Als TV-Produktion macht „Percy“ daher alles richtig. Für einen Kinofilm hingegen ist mir das zu dürftig.

Darstellerisch gibt es zwar ebenso nix zu bemängeln. Eine große Herausforderung sind die wenig mit Tiefe versehenen Charaktere für Profis wie Walken, Ricci oder Braff wohl aber sicherlich nicht gewesen.

Ergo: Hier wäre mehr drin gewesen, zumal der Kampf des echten Schmeisers ihm nicht nur den Alternativen Nobelpreis eingebracht hat, sondern der Welt ein grundlegendes Gerichtsurteil beschert hat, das wegweisend war für die Regulierung genveränderter Pflanzen in der Landwirtschaft.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie optionale deutsche Untertitel. Als Bonusmaterial gibt es Trailer. „Percy“ erscheint bei MFA+ Film im Vertrieb von Al!ve und ist seit 5. November 2021 auch digital erhältlich. (Packshot/stills: © MFA+ FilmDistribution e.K./PVM Productions Inc./Mongrel Media)

Heimkino-Tipp: „Der Prinzipal“ (1987)

Herr Latimer und seine Klasse

Wer das US-amerikanische Schulsystem – wie ich – lediglich aus Hollywood-Filmen kennt, kann schon mal verzweifeln: die Kids gewaltbereit, ihre Lehrer frustriert und verängstigt, die Gebäude und deren Ausstattung in katastrophalem Zustand. So gesehen u.a. in „187 – Eine tödliche Zahl“ (1997), „Freedom Writers“ (2007), „Dangerous Minds“ (1995) und dem hier vorliegenden „Der Prinzipal“ (1987). Das Erschreckende: Fast immer werden die Konflikte darin mit Gewalt gelöst. Nicht ausschließlich, aber doch zu einem gewissen Anteil.

Der Lehrer Rick Latimer (James Belushi) trinkt gerne einen über den Durst, hat eine kurze Zündschnur und sitzt auch schon mal mit dem Fernglas in seiner Klasse, um potenzielle SpickerInnen zu entlarven und/oder die Kleiderwahl seiner Schülerinnen zu begutachten. Als er im Suff ein fremdes Auto demoliert, hat die Chefetage die Faxen dicke und versetzt ihn an eine Problemschule. Dort wird er zwar sogleich zum Direktor ernannt, hat aber ebenso wie seine dortigen Kollegen nix zu sagen. Denn die Brandel High School ist das Königreich von Gangchef Victor Duncan (Michael Wright) – und der duldet keinen zweiten Boss neben sich. Doch hat er sich mit Holzkopf Latimer den falschen Gegner ausgesucht. Zusammen mit der engagierten Lehrerin Hilary (Rae Dawn Chong) und Hausmeister Jake (Louis Gossett Jr.) nimmt er den Kampf gegen den ungezogenen Bengel und dessen Bande auf.

„Der Prinzipal“ ist vor allem eines: Ein temporeicher Actionfilm mit wunderbarem 80er-Jahre-Feeling und einem Belushi, der mit Humor und Schlagfertigkeit (ja, das ist tatsächlich doppeldeutig gemeint) seinen Mann steht. Was der Film eindeutig nicht ist: Eine sozialkritische Studie über die Mängel eines Schulsystems, das scheinbar konzept- und hoffnungslos dahinsiecht und stets nur das Recht des Stärkeren propagiert. Das ist bei den oben genannten Filmen im Kern ähnlich dokumentiert, die präsentierten Lösungen dabei meist eine Kombination aus Zuckerbrot und Peitsche.

Sei’s drum. Wer diese traurige Tatsache akzeptiert, kann mit Filmen wie „Der Prinzipal“ trotzdem jede Menge Spaß haben. Die Charaktere sind nahe der Eindimensionalität, die Coolness steht im Vordergrund und sobald einzelne Störfaktoren innerhalb der Schülerschaft entfernt sind, wird alles besser. Ja, ich überspitze an dieser Stelle etwas, meine das aber gar nicht despektierlich. Es ist halt nur eine sehr einfache Welt, die da präsentiert wird. Aber die ist in Zeiten wie diesen ja manchmal gar nicht mal so uncharmant.

P.S.: Ein interessanter Fakt, auf den die englische Wikipedia-Seite zum Film hinweist: „Der Prinzipal“ reiht sich – übrigens ebenso wie „Dangerous Minds“ und „Freedom Writers“ – ein in die inoffizielle Liste von „white saviour narrative in films“. Deren Merkmal sind von Weißen gespielte Charaktere, die in eine ihnen ungewohnte Umgebung hineingeraten, nicht-Weiße aus ihrer misslichen Situation erretten und dabei auch etwas über sich selbst lernen. Vor allem im amerikanischen Kino ein immer noch wiederkehrendes Erzählmuster (siehe u.a. „Gran Torino“, „Avatar“, „The Blind Side“, „Django Unchained“, „Dune“).

„Der Prinzipal“ erscheint als Neuauflage in einer Blu-ray/DVD-Mediabook-Edition und als Einzel-DVD. Die Discs enthalten den Film in englischer Original- und deutscher Synchronsprachfassung. Deutsche und englische Untertitel sind optional verfügbar. Als Extras gibt es den Trailer zum Film. „Der Prinzipal – Einer gegen alle“ erscheint bei justbridge entertainment GmbH und ist seit 5. November 2021 erhältlich. (Packshot + stills: © justbridge/Rough Trade)

Heimkino-Tipp: „Waves“ (2019)

Sounds and Color

Ja, Filme sind primär ein Unterhaltungsmedium. Aber sie sind ebenso eine Form von Kunst, um Geschichten aller Art mithilfe unterschiedlichster Stilmittel zu erzählen. Ein wunderbares Beispiel, wie beides nahezu perfekt miteinander kombiniert werden kann, lässt sich in „Waves“ von Trey Edward Shults („It Comes At Night“, 2017) bewundern.

Erzählt wird die Geschichte der afroamerikanischen, gut situierten Vorstadtfamilie Williams aus Florida. Papa Ronald (Sterling K. Brown) erzieht seine beiden leiblichen Kinder Tyler (Kelvin Harrison Jr.) und Emily (Taylor Russell) zusammen mit seiner zweiten Frau Catherine (Renée Elise Goldsberry) nach strengen, aber fairen Regeln und versucht, sie dadurch für das oftmals herausfordernde Erwachsenenleben von People of Color in Amerika zu stärken. Besonders Sohnemann Tyler, der ebenso wie sein Vater im Ringsport Erfolge feiert, fordert und fördert er pausenlos, sei es beim Trainieren, Hausaufgaben machen oder beim allwöchentlichen Kirchenbesuch. Tylers geordnetes Teenagerdasein gerät aus den Fugen, als ihm seine Langzeitfreundin Alexis (Alexa Demie) von ihrer Schwangerschaft erzählt. Beide haben verschiedene Vorstellungen davon, wie sie mit dieser Situation umgehen wollen. Der darauf folgende Streit und dessen Folgen verändern das Leben aller für immer.

Schaue ich einen Film erstmalig im Heimkino, habe ich es mir inzwischen abgewöhnt, nebenbei eine Mahlzeit zu mir zu nehmen (Süßkram natürlich ausgenommen). Zu groß ist die Wahrscheinlichkeit, beim kurzen Blick auf Teller und Tablett etwas auf dem Bildschirm zu verpassen, zu übersehen, nicht wahrzunehmen. Mensch sollte nämlich nie vergessen: Jede einzelne Sekunde eines Films/einer Serie wurde – im Idealfall – bewusst gewählt und kreiert, um die zu erzählende Geschichte zu bebildern. Das Licht, der Kamerawinkel, die zu hörende Musik und das Agieren von Personen vor der Kamera – all das hat eine Bedeutung und kann schnell verloren gehen, wenn der Blick des Publikums gerade woanders verweilt. „Waves“ macht dies besonders deutlich: Die Eröffnungssequenz ist eine meisterhafte Aneinanderreihung von kurzen Szenen, die mit einer erstaunlichen technischen Finesse und hohem Tempo eingefangen und kombiniert wurden. Davon auch nur eine Sekunde zu verpassen, wäre unverzeihlich.

Doch nicht nur das. Auch im weiteren Verlauf findet Regisseur Shults interessante, ungewöhnliche Perspektiven, die er kongenial mit Musik und Farbspielen zusammenfügt, die hier und da Dialoge gar komplett ersetzen und stattdessen die Story vorantreiben und/oder die Gedankenwelt der Figuren verdeutlichen. Das wiederkehrende, ganz auf die Gefühlswelt der Charaktere abgestimmte Spiel mit dem Bildformat setzt dieser außergewöhnlichen Art des Geschichtenerzählens schließlich die Krone auf.

Optische Spielereien wie diese bleiben jedoch reine Scharade, wenn es drumherum nix zu entdecken gibt. „Waves“ ist davon erfreulicherweise weit entfernt und bringt viel inhaltliches Gepäck mit, erzählt von Liebe, Vergebung, Mitgefühl und familiärem Zusammenhalt in alle ihren Facetten.

All das macht „Waves“ im wahrsten Sinne des Wortes zu einem Kunstwerk, das von uns Zuschauenden volle Aufmerksamkeit verdient.

Die DVD bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachversion. Deutsche Untertitel sind optional verfügbar. Als Extras gibt es Trailer. „Waves“ erscheint bei good!movies/Zorro Medien und ist seit 30. September 2021 auch digital erhältlich (Packshot und stills: © good!movies/Universal Pictures).

Heimkino-Tipp: „Wege des Lebens“ (2020)

The Father

Was geschieht mit einem Menschen, dessen Wahrnehmung langsam verblasst? Der seine Fähigkeit verliert, sich (nicht nur verbal) artikulieren zu können und das Hier und Jetzt nicht mehr vom längst Vergangenen zu trennen vermag? Demenz und innere Isolation stehen nicht selten im Mittelpunkt von mal mehr mal weniger gelungenen Filmen. Dabei Kitsch zu umgehen und Betroffene nicht als bloße Opfer eines körperlichen Verfalls zu zeigen, gelingt nicht immer. Ganz formidabel und mitunter sehr kreativ an dieses Thema angenähert haben sich meiner Meinung nach u.a. Sarah Polleys „An ihrer Seite“, Christopher Nolans „Memento“ oder auch Atom Egoyans „Remember“, wobei Letztgenannte die Manipulierbarkeit von Erkrankten wunderbar herausarbeiten.

Doch genug des Abschweifens. An dieser Stelle soll es um das neue Werk von Sally Potter („Yes“, „The Party“) gehen, welches sie auf Grundlage ihres eigenen Theaterstücks inszenierte. „Wege des Lebens“ (im Original „The Roads Not Taken“) zeigt einen Tag im Leben des an Demenz erkrankten Mittfünfzigers Leo (Javier Bardem), der von seiner Tochter Molly (Elle Fanning) zu diversen Arztterminen begleitet wird, wozu er ohne fremde Hilfe wohl nicht mehr in der Lage wäre. Seine mangelnde Kommunikationsfähigkeit, verbunden mit unvorhersehbaren Handlungen seinerseits und Ereignissen seines Umfelds, sorgen nicht nur für Kopfverletzungen bei Leo, sondern ebenso für sehr unterschiedliche Reaktionen anderer – allen voran bei Molly, die sich im Gegensatz zu fast allen anderen beharrlich weigert, ihren Vater auf ein Abstellgleis zu schieben.

Das Faszinierende und gleichzeitig Anspruchsvolle an „Wege des Lebens“ ist zweifellos die Umsetzung: Ebenso wie Leo, dessen Gedanken ständig zwischen Traum und Realität sowie echten Erinnerungen und Fantasien hin und her springen, wechselt die Handlung mitunter inmitten einer Szene in eine andere Umgebung und versucht damit, Leos geistige Unruhe auf das Publikum zu übertragen. Das erfordert Konzentration und Geduld beim Zuschauen, zumal (der reale) Leo kaum mehr als ein paar gemurmelte Worte über die Lippen bringt, deren Sinn Molly mit unbändigem Optimismus versucht zusammenzufügen.

Der Originaltitel „The Roads Not Taken“ suggeriert, in der hier sichtbaren Gedankenwelt Leos all jene Momente zu erleben, die sein Leben unter anderen Vorzeichen möglicherweise bestimmt hätten. Gleichzeitig verdeutlicht der fast ausnahmslos aus seiner Perspektive erzählte Film, wie viel Leben in jeder einzelnen Person steckt, selbst wenn es äußerlich nicht den Anschein erweckt. Parallel dazu macht Regisseurin Potter keinen Hehl daraus, welche Auswirkungen die Pflege eines solchen Menschen auf das nähere Umfeld haben kann – sei es auf die Karriere von Tochter Molly oder auf die Beziehung mit seiner Exfrau Rita (Laura Linney).

Anders als es sich nun vielleicht liest, ist „Wege des Lebens“ jedoch kein Film über eine Krankheit oder einen Erkrankten. Es ist vielmehr die Erzählung einer bewegenden Familien- und Lebensgeschichte, die in viele Puzzleteile zerfallen ist, und nun mühsam und geduldig von Leo, Molly und auch vom Publikum wieder zusammengesetzt werden muss. Dass dabei auch Neues zum Vorschein kommt (hallo Salma Hayek!), von dem frau zuvor gar nichts wusste und das die Person womöglich in einem ganz neuen Licht dastehen lässt, ist nur einer vor vielen Aha-Momenten. „Was wäre wenn …?“ ist die große Frage, die dabei über fast jeder Szene schwebt und dazu einlädt, über eigene (richtige? falsche?) Entscheidungen nachzudenken.

Ein interessantes Werk, das von kleinen, gut beobachteten Glücksmomenten und tollen Schauspielern lebt, auch wenn es bisweilen anstrengt, der Handlung immer zu folgen.

Die DVD bietet den Film in deutsch synchronisierter und englisch/spanischer Originalversion. Deutsche Untertitel sind optional verfügbar. Als Extras gibt es Trailer. „Wege des Lebens – The Roads Not Taken“ erscheint bei good!movies/Zorro Medien und ist seit 16. September 2021 auch digital erhältlich (Packshot und stills: © good!movies/Universal Studios).

Heimkino-Tipp: „A Quiet Place 2“ (2020)

Sag’ kein Wort!

Na, wisst ihr noch, wie ihr den März 2020 verbracht habt? John Krasinski und seine Frau Emily Blunt jedenfalls besuchten die Premiere seines neuen Filmes „A Quiet Place 2“, der mit Spannung erwarteten Fortsetzung seines Überraschungshits von 2018 – und dann war erstmal Schluss. ‚Dank‘ Corona-Pandemie, Lockdown und Kinoschließungen gab es den offiziellen Kinostart erst 14(!), in Deutschland sogar ganze 15 Monate später. Zustände wie im vergangenen Jahrtausend, als Hollywood-Blockbuster durchschnittlich erst mit einem Jahr Verspätung auf die hiesigen Leinwände kamen. Für Cineasten eine Qual. Dafür geht es nun mit der Heimkinoveröffentlichung sehr schnell – „A Quiet Place 2“ ist ab sofort on demand, ab Ende September auch physisch zu haben.

Bei einem solch tollen ersten Teil und so langer Wartezeit wachsen die Erwartungen zwangsläufig ins Unermessliche. Mit wenig Dialogen, dafür umso mehr Atmosphäre, Spannungsmomenten zum Armlehnen-Zerkratzen und einer herausragenden Soundarbeit hatte Schauspieler/Regisseur Krasinski zwei (inzwischen drei) Jahre zuvor ein Thriller-Statement gesetzt, wie es leider nicht mehr oft zu erleben ist. Selten zuvor habe ich beim Verlassen eines Kinosaals derart viele volle Popcorn-Becher gesehen, da sich keiner traute, sie während der Vorstellung anzurühren. Dazu ein mutiges Ende in vollendeter Coolness. Kann ein zweiter Teil da mithalten?

Das dachte sich wohl auch Krasinski, der sich zunächst weigerte, eine Fortsetzung zu kreieren. Angeblich waren es wohl die Verführungskünste (Was er damit wohl meint?) der Produzenten, die ihn schließlich umstimmten. Allerdings stammt das Skript diesmal allein aus seiner Feder und es ist der Story anzumerken, dass die Handlung sinnvoll weiter erzählt werden sollte. Der Fokus ist ein anderer, Randfiguren aus Teil eins stehen nun im Mittelpunkt: Mama Evelyn (Emily Blunt) verlässt zusammen mit ihren drei Kindern das zerstörte Zuhause, um den tödlichen außerirdischen Kreaturen, die sich scheinbar nur anhand von Geräuschen orientieren können, zu entkommen. Auf ihrem Weg stoßen sie auf Emmett (Cillian Murphy), einem Nachbarn aus früheren Tagen. Doch vor allem Tochter Regan (Millicent Simmonds) hat das Verstecken und die ständige Untätigkeit satt und wagt einen Ausbruch. Sie will allein jene Menschenkolonie finden, die verschlüsselte Botschaften übers Radio sendet.

Ein Teenagermädchen, das sich von seinen Eltern abnabeln will. Eine Mutter, die ihre Kinder um alles in der Welt beschützen möchte. Ein Sohn, der lernen muss, Verantwortung zu übernehmen. Und ein Eremit, der jegliche Interaktion mit anderen Personen vermeidet, seit er seine Liebsten in einem scheinbar aussichtslosen Kampf verloren hat. „A Quiet Place 2“ stellt verschiedene Charaktere vor, die sich auf ganz unterschiedliche Weise mit einer Extremsituation versuchen zu arrangieren. Ersetze „Monster“ mit „Virus“ und der Film könnte aktueller nicht sein. Gespickt mit vielen, sehr gut inszenierten Grusel- und Schreckmomenten, weiß der Film zumindest auf der Spannungsebene zu überzeugen. Was jedoch schnell an Reiz verliert, wenn es lediglich in endlosen Varianten wiederholt wird.

Denn Krasinski hat ganz offensichtlich für alle seine Figuren einen Plan, macht Andeutungen, legt Finten und zeigt Verborgenes – jedoch ohne im weiteren Verlauf daran anzuknüpfen. So hütet Emmett ein Geheimnis in einem abgelegenen Raum, während Evelyn aus (zumindest mir) nicht ganz nachvollziehbaren Gründen ihr halbwegs sicheres Zuhause (wofür?) verlässt. Zudem beginnt der Film mit einer schweißtreibenden, aber für die Handlung völlig belanglosen Actionszene, die keinerlei neue Informationen zu den aggressiven Kreaturen bereithält. Stattdessen wirkt sie wie eine Pre-Titelsequenz bei Bond, die einzig dazu dient, dem ansonsten abwesenden Krasinski alias Lee selbst noch einmal etwas Screentime zu geben.

Solcherlei Überlegungen drängen sich in den 90 Minuten Laufzeit immer wieder auf, eben weil die Geschichte außer Ansätzen kaum etwas ausformuliert. So wirkt „A Quiet Place 2“ wie ein etwas zu lang geratenes Verbindungsstück zu einem weiteren Teil, der möglicherweise ein paar der offenen Fragen beantwortet, die hier zwar gestellt, aber ansonsten ignoriert werden. Weiß ich am Ende mehr über die Protagonisten als zu Beginn? Nein. Haben sich die Charaktere signifikant weiterentwickelt? Kaum. Wurden sie mit Situationen konfrontiert, die andere Fähigkeiten von ihnen verlangten als zuvor? Nicht wirklich. Funktioniert der Film ohne Kenntnis der Ereignisse des Vorgängers? Ja, da die Figuren hier keinerlei „emotionales Gepäck“ mitbringen, das ihr Handeln im ersten Teil noch beeinflusste – und ihm damit mehr Bedeutung gab.

Trotz aller Sympathie für die Beteiligten, der positiven Erwartungshaltung im Vorfeld und der abermals guten Umsetzung bleibt „A Quiet Place 2“ somit weit hinter seinen Möglichkeiten und trägt ein wenig das Geschmäckle einer sogenannten Cash Cow, deren Fleisch zwar immer noch gut schmeckt, aber weit entfernt ist, eine außergewöhnliche Delikatesse zu sein.

Die 4K Ultra HD, Blu-ray und DVD bieten den Film jeweils u.a. in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie diverse Untertitel. Unter den Extras befinden sich diverse Kurzdokumentationen, die sich mit einzelnen Aspekten der Produktion befassen. „A Quiet Place 2“ erscheint bei Paramount Home Entertainment und ist seit 7. September digital und ab 30. September auf 4K Ultra HD, Blu-ray und DVD in diversen Editionen (z.B. zusammen mit Teil 1 oder im Steelbook) erhältlich. (Packshot + stills: © Paramount Home Entertainment)