Heimkino-Tipp: „Zombie – Dawn of the Dead“ (1978)

Hell Yeah!

Es erstaunt immer wieder, mit welchem Gespür Filmemacher menschliches (Fehl-)Verhalten voraussagen können. Beispiel George A. Romero: Der 2017 im Alter von 77 Jahren verstorbene Regisseur und Drehbuchautor wirft zu Beginn seines hier besprochenen Klassikers einen Blick in die Nachrichtenredaktion eines TV-Senders, bei dem eine Live-Sendung völlig aus dem Ruder läuft: Hier ein Talkshow-Gast, der mit wissenschaftlichen Fakten verzweifelt versucht, sich Gehör zu verschaffen. Dort ein Moderator, der dessen Aussagen bezweifelt und als übertrieben brandmarkt. Und dazwischen ratlose Mitarbeiter, die sich entweder laut und wütend oder still und besorgt auf jeweils eine der beiden Seiten stellen. Grund des Chaos: Ein seltsames Virus, das die Bevölkerung im Rekordtempo dezimiert.

Klingt vertraut? Dabei stammt diese Szene aus einem Film, der bereits 1978 entstanden ist – und inzwischen als Klassiker gilt: „Zombie – Dawn of the Dead“. Nun, pünktlich zum Ende eines Jahres, das uns – bedauerlicherweise – ähnliche Situationen im realen Umfeld beschert hat, erscheint das Werk erstmalig ungeschnitten mit einer FSK-Freigabe, nachdem es 28 Jahre indiziert und beschlagnahmt war. Tja, wie sich die Zeiten ändern ...

Thematisch aufbauend auf seinem Debüt „Die Nacht der lebenden Toten“ (OT: „Night of the Living Dead“, 1968), porträtiert der Horrorfilm von Romero eine kleine Gruppe unterschiedlicher Charaktere, die gemeinsam in einem scheinbar leeren Einkaufszentrum Unterschlupf finden, während außerhalb des Konsumtempels mehr und mehr Menschen getötet/infiziert werden und daraufhin als Untote wiederauferstehen. Eine Heilung scheint es nicht zu geben, Ursache und Ausbruch des Virus bleiben ein Rätsel.

Nun ist es nicht schwer, einen derartigen Filminhalt als ‚nichtssagend‘ oder ‚plump‘ zu bezeichnen. Romeros Ansinnen war jedoch ein anderes: Er zielte mit seiner Zombie-Apokalypse auf die Auswirkungen des Kapitalismus ab, in der der Mensch nicht mehr ist als ein konsumierendes Wesen, das ohne viel Gehirnschmalz willenlos und triebgesteuert seinen Bedürfnissen nachschlürft. Darüber hinaus legte Romero mit seinen vier Hauptfiguren quasi die Blaupause für bis heute immer wieder gern genutzte Filmcharaktere in Notsituationen, die sich trotz gegenseitigem Misstrauen zusammenraufen müssen, um überleben zu können.

Aber es gibt auch andere Interpretationsansätze: Sind die Zombies möglicherweise eine Allegorie auf die armen Bevölkerungsschichten, die gegen die Wohlhabenden und deren Lebensstil aufbegehren? Stehen die vier Verteidiger des Kaufhauses demzufolge für die Reichen und Mächtigen, die zur Selbstverteidigung greifen, um ihren Reichtum zu schützen?

Zugegeben, für mich persönlich sind beide Lesarten nachvollziehbar, aber nur mit viel Wohlwollen ersichtlich. Grund hierfür ist vornehmlich die Gewaltdarstellung, die 1978 geradezu revolutionär wirkte und das Zeigbare im Kino neu definierte. Und ja, künstlerisch gesehen ist die Arbeit von Effekteguru Tom Savini, der hier in der Rolle eines aggressiven Rockers sogar selbst vor der Kamera agiert, bemerkenswert. Allerdings lassen die schauspielerischen Qualitäten einzelner Personen zu wünschen übrig, was zusammen mit der stellenweise etwas holprigen Inszenierungsweise die Glaubhaftigkeit des Szenarios beeinträchtigt (ja ich weiß, Zombies und Realität ...).

Filmhistorisch betrachtet ist diese FSK-bewertete Neuauflage jedoch eine erfreuliche Nachricht. Etliche Genre-Produktionen wären ohne „Zombie – Dawn of the Dead“ nicht denkbar und auch das in meinen Augen gelungene Remake von Zack Snyder aus dem Jahre 2004 verdankt dem Ruf von Romeros Original viel.

Noch ein paar Sätze zu den verfügbaren Fassungen: Es existieren drei unterschiedliche Versionen des Films, wobei der hier rezensierte sogenannte Argento-Cut die in Europa bekannteste ist. In den USA erschien eine etwas längere Fassung („Romero-Cut“), die als weniger temporeich gilt, da sie den Fokus mehr auf die Charakterisierung der Figuren legt. Schließlich existiert noch ein Director’s Cut, der in den 1990ern von Romero selbst angefertigt wurde. Wer alle drei Fassungen besitzen möchte, kann diese exklusiv über die Seite des Anbieters Koch Films bestellen. Alle anderen Editionen, die deutschlandweit verkauft werden, enthalten lediglich den Argento-Cut.

„Zombie – Dawn of the Dead“ erscheint in diversen Formaten auf DVD, Blu-ray und 4K-UHD in remasterter Qualität. Darauf befindet sich der Film in englischer original und deutsch synchronisierter Sprachfassung. Deutsche und englische Untertitel sind optional verfügbar. Die Extras variieren je nach Format. Verkaufsstart ist der 17.12.2020 (Packshots + stills: © Koch Films)

Heimkino-Tipp: „Die Epoche des Menschen – Das Anthropozän“ (2018)

Bestie Mensch

Der Moderator Claus Kleber, bekannt u.a. aus dem ‚heute journal‘ des ZDF, sagte einmal als Anmoderation zu einem Beitrag:

„Wir haben den biblischen Auftrag so ausgelegt, dass unsere Habgier da reinpasst. Wir haben uns die Erde nicht Untertan gemacht, sondern zur Beute. Wir behandeln Land und Meere, Pflanzen und Tiere wie Material mit dem wir machen können was wir wollen. Die haben keine Chance – und hätten sie verdient.“

Das war im Jahre 2013. Wie wenig sich an dieser präzise formulierten Zustandsbeschreibung seither geändert hat – und wenn, dann wohl nur im negativen Sinn –, verdeutlicht eine Dokumentation, die nun zwei Jahre nach ihrer Entstehung auf DVD und Blu-ray erscheint. Sie trägt den Titel „Die Epoche des Menschen“ und befasst sich mit der These, dass die Spezies Mensch eine neues Zeitalter auf dem Planeten Erde eingeläutet habe: das Anthropozän.

Wann dieses begann, ist noch immer Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen. Vom Beginn des 17.Jahrhunderts bis 1950 reicht das Spektrum jener Zeit, vor der ab der Mensch die Erde signifikant verändert hat, sei es durch Atombombentests, Bevölkerungswachstum, Siedlungsbewegungen, Ressourcenverbrauch oder einer zunehmenden Flut an Plastikpartikeln. Diese Aufzählung ließe sich leider um viele weitere Beispiele ergänzen.

Wie einschneidend die Eingriffe der Menschen in die Natur auch optisch sind, verdeutlicht diese beeindruckende Dokumentation mit einer Bilderflut sondergleichen. Über mehrere Kontinente hinweg werden Orte gezeigt, die sich wahrscheinlich unabänderlich zum Schlechteren entwickelt haben, weil der Mensch in seinem Bedarf (lies: seiner Gier) der Natur rigoros zu Leibe rückt, ohne sich um die Folgen für das Ökosystem zu scheren. Ohne verbal erhobenem Zeigefinger im Off-Kommentar (in der Originalversion eingesprochen von Aktrice Alicia Vikander, in der deutschen Fassung von Schauspieler und Umweltaktivist Hannes Jaenicke) sorgen die nackten Fakten verbunden mit den Filmaufnahmen beim Zuschauen für Unbehagen.

Nun könnte man der Doku von Jennifer Baichwal, Nicholas de Pencier und Edward Burtynsky vorwerfen, parteiisch zu sein und die andere Seite, beispielweise Wiederaufforstungsprojekte oder die Leipziger Neuseenlandschaft, die ehemalige Braunkohleabbaugebiete zu wunderschöne Naherholungszentren umwandelt, gar nicht erst zu erwähnen. Doch ist dem nicht so: Als thematische Klammer des Films dient die (bewusste) Vernichtung von Elfenbein in Afrika, das von Wilderern stammt und nun verbrannt wird, um ein Geschäftemachen mit dem edlen Material, für dessen Gewinn noch immer Elefanten getötet werden, zu unterbinden.

Von kleinen Hoffnungsschimmern wie diesen abgesehen, ist die Kernaussage von „Die Epoche des Menschen“ jedoch bedrückend: Wenn der Mensch den Planeten weiterhin so schröpft wie bisher, bleiben schon bald nur noch Erinnerungen übrig an das, was hier einst vergeblich versuchte, neben uns ‚Weltherrschern‘ zu existieren.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und in englischer Originalfassung sowie optionale deutsche Untertitel. Als Bonus sind Trailer beigefügt. „Die Epoche des Menschen – Das Anthropozän“ erscheint bei Happy Entertainment im Vertrieb von AL!VE und ist seit 11. Dezember 2020 erhältlich. (Packshot + stills: Happy Entertainment)

Heimkino-Tipp: „Unhinged – Außer Kontrolle“ (2020)

Duell 2.0

Da isser nun: Einer der wenigen Filme, die behaupten können, es im Jahre 2020 bis auf die Kinoleinwand geschafft zu haben. Neben „Tenet“, der schon (zu?) früh zum ‚Retter der weltweiten Kinolandschaft‘ ausgerufen wurde, war der kleine Fiesling „Unhinged“ ebenso einer jener neuen Streifen, die in den wenigen Wochen zwischen Lockdown Nr.1 und Lockdown Nr.2 im Juli ins Feld geschickt wurden, um die Massen zurück in die Lichtspielhäuser zu locken. Das gelang – gemessen an den Einspielergebnissen (laut Box Office Mojo 42,8 US-Dollar weltweit) ganz okay – vor allem angesichts der Tatsache, dass der simple aber unheimlich spannende Thriller in seinem Kern nicht mehr als ein anständiges B-Movie ist.

Im Leben der jungen Mutter Rachel (Caren Pistorius) läuft es momentan nicht so prall: Scheidung, Stress im Job, Schlafmangel und chronische Unpünktlichkeit bestimmen ihren Alltag und gehen auch an ihrem Teenager-Sohn Kyle (Gabriel Bateman) nicht spurlos vorüber. Als beide mal wieder viel zu spät auf dem Weg zu Kyles Schule sind, hupt die genervte Rachel einen SUV-Fahrer an, der an einer grün leuchtenden Ampel vor ihr steht und das Gaspedal unbenutzt lässt. Minuten später steht das Gefährt neben ihr im Stau und der Fahrer (Russell Crowe) bittet sie um Entschuldigung – in Erwartung einer höflichen Erwiderung, die allerdings ausbleibt. Hätte Rachel aber mal lieber machen sollen, denn der bärtige Griesgram lässt fortan nicht mehr von ihr ab und setzt alles daran, Mutter und Kind einen richtig miesen Tag zu bescheren.

Unhöflichkeit im Straßenverkehr, Beschimpfungen und viel zu kurze Zündschnuren bei den Verkehrsteilnehmern: Die Prämisse, auf die „Unhinged“ zunächst aufbaut, dürfte vielen Zuschauern bekannt vorkommen. Was sich daraus dann jedoch in den darauffolgenden 80 Minuten entwickelt, bleibt hoffentlich reines Fantasiespektakel. Mit Lichthupe oder ähnlichem Kinderkram gibt sich die beleidigte Leberwurst im Großgefährt nämlich gar nicht erst ab, sondern geht gleich in die Vollen. Zwar lässt der Film keinen Zweifel daran, dass er es mit zunehmender Laufzeit storytechnisch ein wenig übertreibt. Ganz so weit hergeholt sind die Verhaltensweisen des Psychos, der Rachel und Kyle das Leben zur Hölle macht, allerdings (leider) nicht. So bin ich mir u.a. auch nicht sicher, ob der bemerkenswerte Vorspann des Streifens gestellte Szenen oder reale Aufnahmen von „Meinungsverschiedenheiten“ auf den Straßen zeigt.

Der größte Pluspunkt, neben dem beständig bewanderten schmalen Grat zwischen Realität und Fiktion, ist aber auf jeden Fall Russell „das Vieh“ Crowe. Man möge mir diese Wortwahl verzeihen, aber wie sich Crowe mit Übergewicht (hoffentlich ein extra für die Rolle angelegter Fatsuit/Fettanzug und nicht sein wirklicher Körperumfang) von Szene zu Szene schiebt, ist Hingucker und Angstmacher zugleich. Sein SUV mit Kühlergrill ist da nur passendes Hilfsmittel, um seiner Wut auf die Mitmenschen wirkungsvoll Ausdruck zu verleihen.

„Unhinged“ ist kompromisslos und geradeaus erzählt, hält sich – bis auf eine Pre-Credit-Szene – gar nicht erst mit Tiefgang auf und bietet temporeiche Unterhaltung par excellance. Das funktioniert auch deshalb so gut, da der Zuschauer von Anfang an weiß, dass der bad guy keine Gefangen macht und bereits jede Art von Zurückhaltung längst hinter sich gelassen hat, als wir ihn kennenlernen.

Vielleicht ist genau hier der tiefere Sinn von „Unhinged“ zu entdecken: Verhalte dich stets höflich zu jeder dir unbekannten Person. Denn du weißt nie, welche rote Linie sie bereits überschritten hat und wozu sie fähig ist. Andererseits: Wie wir bereits dank Spielbergs fulminantem Debütwerk „Duell“ (1971) wissen, braucht es nicht unbedingt immer einen Grund, um auf der Abschussliste/Kühlerhaube eines schlechtgelaunten Mitbürgers zu landen.

Die DVD / Blu-ray / 4K Ultra HD-Disc bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional verfügbar. Als Extras gibt es einen Audiokommentar, ein interessantes Making of sowie Trailer. „Unhinged – Außer Kontrolle“ erscheint bei Leonine und ist seit 27. November 2020 auch digital erhältlich. (Packshot + Filmstills: © Leonine)

Heimkino-Tipp: „Gangland“ (1997)

2 of Amerikaz Most Wanted

Zugegeben, ich habe ein gespaltenes Verhältnis zu dem Künstler Tupac Shakur: Als Hip Hop-Künstler 2Pac zweifellos ein Meister seines Fachs (sowohl inhaltlich als auch technisch), war sein Verhalten als Privatmensch geprägt von gewaltsamen Auseinandersetzungen aber auch wohltätigem Handeln. Seine bis heute nicht aufgeklärte Ermordung 1996 (Shakur war zu diesem Zeitpunkt 25 Jahre alt) hat zusätzlich zu einer in meinen Augen etwas befremdlichen Heroisierung dieses streitbaren Charakters geführt.

Doch soll uns hier nicht Shakur, der Rebell interessieren sondern ausschließlich sein schauspielerisches Talent. In „Gangland“, dessen Originaltitel nicht minder passend „Gang related“ lautet, gibt er einen Cop namens Rodriguez, der zusammen mit seinem Partner Divinci (James Belushi) Kriminelle abzieht und daran gut verdient. Als sie dabei jedoch einen Undercover-Agenten töten, werden ausgerechnet sie mit der Aufklärung des Falls betraut. Auf der Suche nach einem armen Würstchen, dem sie den Mord anhängen können, entscheiden sie sich für einen Obdachlosen (Dennis Quaid), was eine unerwartete Kettenreaktion in Gang setzt.

Es hat schon einen ironischen Beigeschmack, wenn Tupac Shakur einen Polizisten mit Gewissensbissen darstellt. Glaubt man dem Interview, welches im Bonusmaterial der Veröffentlichung beigefügt ist, zog er seine Inspiration für seine Performance aus eigenen Beobachtungen, die er während seiner Haftzeit und seiner wiederholten Konfrontationen mit Gesetzeshütern machte. Trotzdem geht er neben der ‚Rampensau‘ Belushi ziemlich unter, was sicherlich auch an dem Nebenrollencharakter seiner Figur liegt, der das Drehbuch nur wenige Momente der Selbstreflexion zugesteht. Der Fokus liegt vielmehr auf Divinci, der ganz klar treibende Kraft hinter all den Verzweiflungstaten ist, die die beiden Cops mehr und mehr in den Schlamassel ziehen.

Jim Kouf, der hier ein eigenes Skript verfilmte, hält ein paar amüsante Überraschungen bereit, die die Story am Laufen und die Spannungskurve hoch halten. Nur zum Finale hin hätte es gern noch ein wenig mehr Suspense sein dürfen, aber das ist sicherlich Geschmackssache. Inszenatorisch eher unauffällig, wäre aber noch der Soundtrack eine Erwähnung wert, hält dieser doch neben ein paar 2Pac-Songs ebenso Tracks von u.a. Ice Cube, Snoop Dogg und allerhand Souliges bereit.

Das alles macht „Gang Land“ zu einem guten, sehenswerten Thriller, der zwar – zumindest meiner Interpretation nach – nichts Tiefgründiges oder Gesellschaftskritisches bietet (was bei einem Titel wie „Gang related“ nicht überrascht hätte), aber gut unterhält und einen qualitativ würdigen Abschluss von Tupac Shakurs Schauspielkarriere bildet, da dies der letzte Streifen ist, den er vor seinem überraschenden Tod beenden konnte.

„Gangland – Cops unter Beschuss“ erscheint in einem sehr schicken Mediabook mit inhaltsgleicher Blu-ray/DVD. Der Film liegt in original englischer sowie deutsch synchronisierter Sprachfassung vor. Allerdings – und dies ist ein großes Manko – ohne Untertitel, was hörgeschädigte Zuschauer einmal mehr vom Filmgenuss ausgrenzt. Bei einer Veröffentlichung im Jahr 2020 sehr ärgerlich! Als Extras gibt es einen kurzen Making of-Clip mit Interviews der Beteiligten und einen Trailer. Ein informatives Booklet (Autor: Christoph N. Kellerbach) ist ebenso enthalten. „Gangland“ erscheint bei justbridge entertainment GmbH und ist seit 13. November 2020 erhältlich. (Packshot + stills: © justbridge/MGM)

Heimkino-Tipp: „The Last Waltz“ (1978)

It Might Get Loud

Ende der 1970er-Jahre durchlief Filmemacher Martin Scorsese offenbar seine „musikalische Karrierephase“. Neben dem Musical-Drama „New York, New York“ (1977), mit Liza Minelli und Robert De Niro in den Hauptrollen, inszenierte er 1978 auch den Konzertfilm „The Last Waltz“ rund um die Musiker von The Band.

The Band zählten zu den seinerzeit angesehensten Rockgruppen, wie schon die schiere Anzahl an Bühnengästen bei dem hier zu erlebenden Auftritt verdeutlicht: Bob Dylan, Neil Young, Joni Mitchell, Eric Clapton, Muddy Waters, Neil Diamond, Ringo Starr und Ron Wood sind nur einige ihrer Fans, die sich im November 1976 in San Francisco zu „The Last Waltz“ zusammenfanden. Der im extra hierfür hergerichteten Winterland Ballroom absolvierte Gig sollte das (vorläufig) letzte Kapitel der 16jährigen Bandgeschichte sein.

Zustande gekommen ist die Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Gitarrensaitenzupfer eher spontan: Ohne Aussicht auf eine Gage sagte Scorsese zu, den Film zu realisieren, sah er doch die Chance, etwas bis dahin nie Dagewesenes kreieren zu können. Denn statt einfach nur statisch das Konzert abzufilmen, verfasste er ein 300 Seiten umfassendes Skript, in dem er jede Kameraeinstellung bereits vorab festlegte. Als Leitfaden dienten ihm dazu die Songtexte und die jeweilige Instrumentierung, auf die er seine Aufnahmewinkel abstimmte. Entstanden ist dabei das, was heutzutage Standard ist bei Konzert-DVDs: Ein dynamisches, hervorragend geschnittenes und alle Bühnenaktivitäten abbildendes Seh- und Hörerlebnis, als wäre man live dabei.

So ist es auch gar nicht nötig, die Songs von The Band zu kennen. Die Spielfreude, die die Herren und Damen an den Tag legen, reißt mit und erinnert gleichzeitig an einen Musikstil, der spätestens mit Beginn der 1980er-Jahre, mit dem Aufkommen von Punk und New Wave, nur noch marginale Bedeutung in den Charts hatte. Insofern ist „The Last Waltz“ nicht nur das (erste) Finale für The Band (sie fand später in diversen Formationen erneut zusammen), sondern ebenso eine Huldigung an deren irgendwo zwischen Rock, Blues und Folk angesiedelten Sound, der zuvor viele Jahre die Musikwelt global dominierte.

Zugegeben, es erscheint aus heutiger Sicht angesichts pompöser Bühnenshows großer Stars vielleicht etwas zu unspektakulär, was da auf der Bühne geschieht. Als Zeitdokument, Rückschau und Verbeugung vor einem Musikstil/einer Rockgruppe jedoch ist „The Last Waltz“ einzigartig und zugleich filmische Blaupause für Vieles, was danach noch kommen sollte.

„The Last Waltz“ erscheint als Repack in einem sehr schicken Mediabook mit inhaltsgleicher Blu-ray/DVD. Der Film liegt in original englischer Sprachfassung mit optionalen deutschen Untertiteln vor. Als Extras gibt es eine retrospektive Making of-Doku, den Mitschnitt einer nicht im Film verwendeten Jam-Session, Audiokommentare sowie Trailer. Ein informatives Booklet (Autor: Christoph N. Kellerbach) ist ebenso enthalten. „The Last Waltz“ erscheint bei justbridge entertainment GmbH und ist seit 23. Oktober 2020 erhältlich. (Packshot + stills: © justbridge/MGM)

Heimkino-Tipp: „Monos“ (2019)

Dschungelhelden

Wird eine internationale Produktion mit deutschen Geldern co-finanziert, kann man sich darauf verlassen, an irgendeiner Stelle im Film einen Bezug zu Deutschland zu finden. Häufig sind es dann german actors, die in einer Nebenrolle auftauchen, oder die Handlung wechselt kurz zu einem Schauplatz in unserer Republik. In „Monos“, dessen Geschehen sich in den südamerikanischen Anden abspielt, nimmt das jedoch wirklich seltsame Formen an: So ist eine dort lebende Farmersfamilie beim abendlichen TV-Konsum zu sehen, die sich eine Dokumentation über Bonn(!) und die Gummibärchenproduktion(!!) anschaut. [hier bitte einen kichernden Smiley einfügen]

Abgesehen von dieser kleinen inhaltlichen Verfehlung ist „Monos“ jedoch ein beachtliches, außergewöhnliches Werk. Der Hybridfilm, in dem Laien- und professionelle Darsteller nebeneinander agieren, erzählt von einer Gruppe Kindersoldaten, die anfangs in einer abgelegenen Bergregion, später inmitten des Dschungels eine entführte US-Amerikanerin (Julianne Nicholson) bewachen sollen. Die nicht näher bezeichnete Organisation, für die sie dabei tätig sind, erhofft sich offenbar Lösegeld für die Geisel, die sie alle nur „Doctora“ nennen. Als die Kids aufgrund eines Angriffs in einen anderen Landesteil flüchten müssen, versucht die abgemagerte, langsam den Verstand verlierende Frau ihren Häschern zu entkommen, was die jungen Revoluzzer auf vielerlei Weise in arge Bedrängnis bringt.

Regisseur und Co-Autor Alejandro Landes ließ sich für seinen Film von William Goldings Literaturklassiker „Herr der Fliegen“ (1954) inspirieren und überträgt die Geschichte von Jugendlichen, die (fast) ohne Erwachsene ihren Alltag in einer dauerhaften Extremsituation bewältigen müssen, kongenial auf das Schicksal von Kindersoldaten. Ihre Kameradschaft ist fragil, ihr Leben von Training, Kämpfen und Feiern bestimmt. Die ihnen auferlegte Pflicht – das Bewachen einer Gefangenen – gelingt ihnen nur mit Mühe und die brutale Autorität ihres Kommandanten, der nur hin und wieder die Szenerie betritt, lässt schnell die tiefen Risse in der Gemeinschaft erkennen.

Landes’ Film überträgt den schwierigen Prozess des Erwachsenwerdens auf eine diffuse Kriegsszenerie, in der Indoktrinierung, fehlende Sozialisation und Gewalt als einziges Mittel der Konfliktlösung prägende Elemente sind. Was bewirkt dies bei jungen Menschen? Wieviel Anteilnahme und Mitgefühl bleiben ihnen erhalten? Können sie diesem schmerzhaften Alltag aus eigener Kraft oder nur mit Hilfe von außen entfliehen? Oder sind sie ohnehin bereits verloren? Es sind interessante Fragen, die in „Monos“ mitschwingen und auf der Bildebene mittels unterschiedlicher Perspektiven und Drehorte versinnbildlicht werden.

Überhaupt, die Optik: Kameramann Jasper Wolf gelingt es mühelos, an Herzogs „Aguirre, der Zorn Gottes“ (1972) und Coppolas „Apocalypse Now“ (1979) anzuknüpfen und einen Sog zu erzeugen, dem mensch sich mit zunehmender Laufzeit nicht entziehen kann. Spektakuläre Stuntszenen (Stichwort: Stromschnellen), die zum Teil ohne Stuntdoubles entstanden sind, erinnern zusätzlich an den Klassiker „Beim Sterben ist jeder der Erste“ (1972) – alles große Vorbilder, denen „Monos“ angemessen Tribut zollt.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und spanischer Originalsprachfassung sowie optionale deutsche Untertitel. Als Bonusmaterial gibt es Trailer. „Monos – Zwischen Himmel und Hölle“ erscheint bei DCM Film Distribution GmbH/Universum Film und ist seit 9.Oktober 2020 (auch digital) erhältlich. (Packshot + stills: © DCM)

Heimkino-Tipp: „Monsieur Killerstyle“ (2019)

He’s got the Look!

Quentin Dupieux ist schon eine besondere Marke: Während sich andere Kollegen seines Metiers immerzu an neuen Gewaltexzessen ergötzen, um dem Thriller- und Horrorgenre ungesehene Schauwerte abzuringen, setzt der französische Filmemacher eher auf Kreativität. So ließ er beispielsweise 2010 im herrlich schrägen „Rubber“ einen Autoreifen(!) zum Leben erwachen, der sich auf einen mörderischen Trip durch diverse Ortschaften begibt. In seinem neuesten Werk „Monsieur Killerstyle“ ist es nun eine Jacke, die für allerlei Irrsinn sorgt – oder besser: ihr neuer Besitzer, der soeben von seiner Frau verlassene Georges (Jean Dujardin).

Der legt sich für viel (zu viel) Geld eine gebrauchte Wildlederjacke zu, die ihm von der Größe her zwar nicht wirklich passt, aber – so zumindest seine Wahrnehmung – stylisch ist. Pleite, dafür schick gekleidet, mietet er sich in einem Hotel ein und filmt sich mit einer gleichsam überholten Kamera, die er beim Kauf dazubekam, vornehmlich selbst beim Tragen seines neuen Kleidungsstücks. Der örtlichen Barkeeperin Denise (Adèle Haenel) lügt er derweil vor, Regisseur zu sein, was sie wiederrum anstachelt. Denn schließlich ist sie Hobby-Cutterin und schneidet in ihrer Freizeit gerne bekannte Filme wie „Pulp Fiction“ um. Da er dringend Geld benötigt und sie ihr Talent am Schneidetisch beweisen will, werden die beiden Geschäftspartner. Denn Georges hat inzwischen auch eine (Film-)Mission: Er will seiner Jacke ihren Herzenswunsch erfüllen, die einzige auf der ganzen Welt zu sein.

Ein Mann, der auf Geheiß seiner Jacke scharfe Gegenstände zweckentfremdet, um anderer Menschen Jacken in seinen Besitz zu bringen und das alles auch noch filmt? Was zum ...?!? Das Publikum muss schon eine Vorliebe für schwarzen Humor mitbringen, wenn es an „Monsieur Killerstyle“ seinen Spaß haben will. Absurde Szenen, die sowohl erschauern als auch auflachen lassen (Stickwort: Ehering), stetige Unvorhersehbarkeit der Handlung, eine ordentliche Portion Situationskomik und zwei glänzend aufspielende Hauptdarsteller tun ihr Übriges, um die gerade mal 77 Minuten Laufzeit zu einem kurzen, bösen Vergnügen zu machen.

So abgefahren die Prämisse aber auf den ersten Blick sein mag, unter der Oberfläche dieser grotesk-amüsanten Geschichte verbirgt sich eine beinahe schon traurige Erzählung über Einsamkeit, Träume und dem Bedürfnis nach Wahrnehmung. Das Skript von Regisseur Dupieux lässt es zudem in der Schwebe, ob Denise ihren neuen Kumpel durchschaut oder ebenso psychisch angeknackst ist, was ihrer Figur zusätzliche Unberechenbarkeit gibt. Zusammen mit Alleskönner Dujardin, dessen Figur beständig zwischen Angeberei, verletzter Seele und Einfältigkeit changiert, beweist Haenel hier abermals ihr großes Schauspieltalent. Und Dupieux sein Händchen für wirklich abgefahrene Stories!

Unterhaltsam, ungewöhnlich und – Achtung: Wortspiel! – ein Mordsspaß.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und französischer Originalsprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional verfügbar. Als Bonusmaterial gibt es einen Audiokommentar von Regisseur Quentin Dupieux und Hauptdarsteller Jean Dujardin sowie Trailer. „Monsieur Killerstyle“ erscheint bei Koch Media und ist seit 10. September 2020 (digital) / 24. September 2020 (DVD/Blu-ray) erhältlich. (Packshot + stills: © Koch Media)

Heimkino-Tipp: „The Fanatic“ (2019)

Mad City

Ernst gemeintes Statement oder doch nur werbewirksames Geschwafel? Es ist nicht immer einfach, Aussagen von Filmschaffenden einzuordnen, wenn sie über ihre neueste Arbeit sprechen. So ließ sich beispielsweise James Cameron zum Kinostart von „Terminator: Genisys“ (2015) dazu hinreißen, den Streifen als erste gelungene Fortsetzung des von ihm geschaffenen Franchises zu bezeichnen. Der Film floppte (zu Recht) kolossal und so wiederholte Cameron sein Lob sinngemäß einfach zur Veröffentlichung des nächsten Teils – alles zuvor sei unbedeutend und „Terminator: Dark Fate“ (2019) das einzig wahre Sequel zu seinen ersten beiden Filmen.

In diesem Licht betrachtet entspricht die Bemerkung von John Travolta, Hauptdarsteller und(!) Produzent von „The Fanatic“, möglicherweise auch nur halbwegs der Wahrheit: Seine Figur des Moose sei von allen bisher gespielten seine Lieblingsrolle. Nach ikonischen Auftritten u.a. in „Grease“, „Nur Samstag Nacht“, „Pulp Fiction“ und „Schnappt Shorty!“ verwundert so ein Satz schon ein wenig. Andererseits liefert Travolta im dritten Werk von Limp Bizkit-Frontmann Fred Durst tatsächlich einen denkwürdigen Auftritt ab, der beständig zwischen beachtlich und lächerlich pendelt.

Moose ist ein alleinstehender Mann mit autistischen Zügen, der auf einem Gehweg in Hollywood sein Geld als mittelmäßiger Performance-Künstler verdient. Sein ganzer Schatz ist seine umfangreiche Sammlung an Hunter Dunbar-Devotionalien, einem Horrorfilm-Star, dessen Filme Moose abgöttisch liebt. Als Dunbar (Devon Sawa) eine Autogrammstunde ankündigt, sieht Moose seine Chance gekommen, seinen Helden endlich persönlich kennenzulernen. Was dann als verunglücktes Gespräch beginnt, nimmt für Dunbar zunehmend bedrohliche Formen an – inklusive ungebetenen Hausbesuchen von seinem größten „Fan“.

Wie schmal der Grat zwischen Fan-Dasein und Stalking sein kann, haben u.a. bereits Filme wie „Sadistico“ (1971) und „The Fan“ (1996) mehr oder minder gelungen angedeutet. Und sicherlich hat Regisseur/Musiker Fred Durst auch selbst schon das eine oder andere beunruhigende Erlebnis mit einem Anhänger gehabt, das er hier verarbeitet. Allerdings leider nicht mit der Tiefe und Entschlossenheit, die das Thema zweifellos ermöglicht.

Dabei sind die Voraussetzungen eigentlich vorhanden: Der Alltag von Moose – Single mit Handicap, mieser Job, Fixierung auf einen Promi – liefert viel Potenzial, ein Licht auf Existenzen abseits von Hollywoods Glamourwelt zu richten. Hinzu kommt eine junge Fotojournalistin (Ana Golja), die Jagd auf Celebrities in peinlichen Situationen macht und dabei schon mal zu zweifelhaften Methoden greift. Sie verschafft Moose erst die nötigen Infos, um den Privatmann Dunbar aufzuspüren und nachzustellen, was vom Drehbuch aber ebenso stiefmütterlich behandelt wird und nicht hinterfragt wird. Eine weitere Chance auf die Anteilnahme seiner Zuschauer verspielt Durst damit, dass er Leinwandheld Dunbar als hochnäsig und ziemlich unsympathisch präsentiert. So stehen sich letztendlich zwei schwer zu mögende Figuren gegenüber, was das Mitfiebern nicht unbedingt fördert.

Darstellerisch ist Travoltas Auftritt, wie bereits angedeutet, ebenso zwiespältig. Nach eigenen Aussagen als Tribut für seinen 2009 verstorbenen, autistischen Sohn Jett gedacht, spielt er Moose einerseits kindlich und naiv, an anderer Stelle bedrohlich und sich sehr wohl seiner Taten bewusst. Das triggert beim Zusehen sowohl Mitleid und Verständnis als auch Kopfschütteln und Angst. Ein schwer zu fassender Charakter, der ebenso rätselhaft bleibt wie die Fragen, die der Film hinterlässt: Ist es okay, einen Star zu bedrängen, wenn er ein Arschloch ist? Sind nur geistig Behinderte zu so etwas fähig? Haben Filmfans und -sammler generell einen Knall weg? Wieviel Dankbarkeit seitens der Stars an ihre Anhänger ist angemessen?

‚Richtige‘ Antworten auf Fragen wie diese gibt es nicht. Bei einem ‚Insider‘ wie Fred Durst auf dem Regiestuhl hätte ich mich jedoch gefreut, ein wenig mehr „hinter die Kulissen“ blicken zu können. Aber immerhin: Was die filmische Umsetzung angeht, hat Regisseur Durst zweifellos Talent. In Anbetracht der momentan sehr ruhigen Karriere seiner Band Limp Bizkit vielleicht ein neues, dauerhaftes Betätigungsfeld? Meinetwegen gern!

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung mit optionalen deutschen Untertiteln. Als Bonusmaterial gibt es neben dem Trailer und einer Bildergalerie einen Blick „Hinter die Kulissen“ während der Dreharbeiten. „The Fanatic“ erscheint bei Koch Media und ist seit 3. September 2020 (digital) / 17. September 2020 (DVD/Blu-Ray) erhältlich. (Packshot + stills: © Koch Media)

Heimkino-Tipp: „Die Gräfin von Hongkong“ (1967)

Schöne Frau im Schrank

Charles ‚Charlie‘ Chaplin (1889 – 1977) gilt als einer der ersten Weltstars des Kinos. Ob in seiner legendären Rolle als Tramp, als Mitbegründer des Filmstudios United Artists oder Regisseur/Autor von Klassikern wie „Goldrausch“ (1925), „Moderne Zeiten“ (1936) und „Der große Diktator“ (1940): ohne Chaplin wäre das Medium Film heute nicht das, was es ist.

Waren seine Werke zunächst mehrheitlich dem Genre der Komödie zuzurechnen, so inszenierte Chaplin in der Spätphase seines Schaffens, nach dem Zweiten Weltkrieg, vornehmlich Dramen mit humoristischem Anstrich, die – so zumindest meine Wahrnehmung – heute leider kaum mehr bekannt sind und im Schatten seiner oben genannten, bekannteren Arbeiten stehen. Während der McCarthy-Ära in den frühen 1950er-Jahren in den USA als Kommunist gebrandmarkt, siedelte er – einem Wiedereinreiseverbot während der britischen Promotion-Tour zu seinem Film „Rampenlicht“ (1952) geschuldet – nach Europa über und setzte hier seine künstlerische Tätigkeit fort. Kann sein vorletzter Film „Ein König in New York“ (1957) noch als bittere Abrechnung mit amerikanischen Werten jener Zeit verstanden werden, stellt die erst zehn Jahre später entstandene Romantikkomödie „Die Gräfin von Hongkong“ eine Art Rückkehr zu Chaplins legendärem Slapstick-Humor dar, auch wenn er darin selbst nur einen Cameo-Auftritt als Schiffskellner absolviert. Die Hauptrollen überließ er zwei der damals größten Stars des Kinos: Sophia Loren und Marlon Brando.

Fast ausschließlich auf einem Kreuzfahrtschiff spielend, erzählt „Die Gräfin von Hongkong“ von der turbulenten Überfahrt des US-Senators Odgen (Brando) von Hongkong nach Amerika, der zu seiner Überraschung die mittellose russische Gräfin Natascha (Loren) in seiner Kabine auffindet. Sie möchte ihr altes Leben hinter sich lassen und einen Neuanfang wagen, auch wenn sie keine Papiere, keine Kleidung und keinen Plan hat, wie sie das anstellen soll. Als Natascha droht, den verheirateten Odgen bloßzustellen, falls er sie verrät, muss er notgedrungen einen Weg finden, die blinde Passagierin bis zur Ankunft zu verstecken. Dies gestaltet sich jedoch zunehmend schwieriger.

Örtlich begrenzt auf eine zwei-Zimmer-Luxuskabine, wirkt „Die Gräfin von Hongkong“ mehr wie ein Bühnenstück, in der amüsante Dialoge und wunderbarer Slapstick im Mittelpunkt stehen. Wenn Loren und Brando bei jedem Türklopfen panisch versuchen, ihr gemeinsames Geheimnis zu bewahren, ist das Chaplin-Kunst in Reinform. Nicht verschließbare Badezimmertüren, neugierige Journalisten und ein Generalschlüssel für Bedienstete tun ihr Übriges, um dem unfreiwilligen Paar konstant Schweißperlen auf die Stirn zu treiben.

Gewiss, inhaltlich und bezüglich des Handlungsverlaufs ist „Die Gräfin von Hongkong“ vielleicht etwas altbacken und überraschungsarm. Aber vielleicht ist es gerade das, was den Charme dieser Komödie ausmacht, die erfrischend harmlose Unterhaltung zum Schmunzeln bietet.

Berichten von den Dreharbeiten zufolge kamen weder Brando mit Chaplin, noch Loren mit Brando sonderlich gut aus. Wenn dem tatsächlich so war, haben es alle Beteiligten gut überspielt. Was allerdings offensichtlich ist: Die letzten fünf Minuten des Films wirken seltsam hastig, holprig und unvollständig. Fast scheint es so, als sei sogar eine Dialogszene zwischen Odgen und seiner Gattin (Tippi Hedren) mittendrin beschnitten worden, was der ganzen Geschichte ihres emotionalen Höhepunkts beraubt und ausgerechnet diese letzte Arbeit von der Kinolegende Chaplin etwas unrund ausklingen lässt. Zumindest sind so jene Gerüchte zu erklären, dass es von Seiten des Filmstudios Universal zu Kürzungen von bis zu 15 Minuten gekommen sein soll. Bis heute ist dies allerdings die einzig noch vorhandene Filmkopie.

Unabhängig davon ist die hier vorliegende Erstveröffentlichung auf Blu-ray, abgetastet von einem neuen HD-Master, ein wahrer Augenschmaus. Und: Im Vergleich zu früheren Video- und DVD-Versionen ist der Film – bis auf die eben genannte offizielle Kürzung – vollständig. Schön, dass damit nun Chaplins Gesamtwerk bezüglich seiner Langspielfilme (von 1921 bis 1967) endlich komplett vorliegt.

Die neu erschienene DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung. Deutsche und englische Untertitel sind optional verfügbar. Als Bonusmaterial gibt es neben dem Trailer zwei interessante Bildergalerien: vom Set und vom weltweiten Promotionsmaterial. „Die Gräfin von Hongkong“ erscheint bei explosive media/Koch Media und ist seit 23. Juli 2020 erhältlich. (Packshot: © explosive media/Koch Media/Universal)

Heimkino-Tipp: „Freies Land“ (2019)

Die Mörder sind unter uns

Eines kann mensch Regisseur, Drehbuchautor und Kameramann Christian Alvart ganz sicher nicht vorwerfen: dass er unkreativ wäre. Während andere Filmemacher gern ‚auf Nummer sicher gehen‘ und oftmals einem Stil treu bleiben, wird der gebürtige Hesse nicht müde, Grenzen auszutesten und Neues auszuprobieren. Seine Art Filme zu drehen, ist unübersehbar an amerikanischen Vorbildern angelehnt, hebt sich aber vielleicht gerade deshalb von ‚typisch deutschen‘ Genrevertretern ab. „Antikörper“ (2005) ist auch 15 Jahre nach Erscheinen noch immer ein Thriller von epischer Schön- und Grausamkeit, Alvarts Versuche, der „Tatort“-Reihe mit ‚Jason Bourne‘-Anleihen neue Impulse zu geben (siehe Nick Tschiller-/Til Schweiger-Episoden), sorgten zumindest für Aufsehen.

Mit „Freies Land“ bringt er nun die „True Detective“-Optik ins deutsche (Heim-)Kino. War es im US-Vorbild das karge Hinterland, welches eindrucksvoll in Szene gesetzt wurde, so sind es hier von Wasserstraßen zerklüftete, fast menschenleere Landschaften in Mecklenburg-Vorpommern, die den Background für eine düstere Kriminalgeschichte bilden, angesiedelt kurz nach der Wendezeit.

1992 wird der Hamburger Polizist Stein (Trystan Pütter) in die Provinz entsandt, um zusammen mit seinem ostdeutschen Kollegen Bach (Felix Kramer) das Verschwinden von zwei jungen Frauen aufzuklären. Wie sich schnell zeigt, sind beide ermordet worden – und scheinbar nicht die einzigen, die auf der Suche nach einem aufregenderen Leben in der Großstadt einem Verbrechen zum Opfer fielen.

Basierend auf dem spanischen Werk „La Isla Mínima – Mörderland“ (2014), siedelt Alvart seine Version in einem Deutschland an, das gerade dabei ist, sich neu zu sortieren und Menschen blühende Landschaften verspricht, während es ihnen gleichzeitig erst die Jobs und anschließend die Lebensgrundlage entzieht. Mittendrin zwei Kommissare mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Prägungen, Ermittlungsmethoden und Verständnis von Gerechtigkeit.

Es ist viel Stoff, den Alvart in seinen Film packt, der vor allem auf optischer Ebene zu begeistern weiß, auch bezüglich des Auftretens und Aussehens der beiden Hauptcharaktere Stein und Bach. Inhaltlich hingegen, und das schreibe ich mit großem Bedauern und einem seufzendem ‚schade‘ auf den Lippen, bleibt Vieles bloße Behauptung. Ja, Figuren mittels ihrer Wirkung auf die Umgebung, über ihr Verhalten und über ihr Erscheinungsbild zu charakterisieren, ist ein lobenswerter und künstlerisch anspruchsvoller Ansatz. Was ihnen jedoch fehlt ist Dreidimensionalität. Dies äußert sich u.a. darin, dass die Schauspieler Pütter und Kramer zwar nebeneinander, aber nicht miteinander agieren. Klar, ihr Fremdeln ist sicherlich Ausdruck der Ossi-/Wessi-Skeptik jener Tage, doch selbst Nebenfiguren wie die von Nora (von) Waldstätten verkörperte Katharina bleiben skizzenhaft und erwachen nie wirklich zum Leben.

Wenn dann noch ein zwielichtiger Geschäftsmann aus dem Westen die Szenerie betritt und mit Zigarre im Mund, schickem Mantel um den dicken Bauch und blitzblanker Limousine samt Chauffeur demonstrierenden Fabrikarbeitern die kalte Schulter zeigt, mag das zwar sinnhaft für das Gebaren skrupelloser Kapitalisten stehen. Subtil geht aber anders. Dies gelang Alvarts Kollege Andreas Dresen in „Gundermann“ (2018; Rezi: HIER) beispielsweise viel besser weil nicht so sehr ‚in the face‘ inszeniert. Ob’s an fehlenden Zwischentönen liegt, die bei Alvart zugunsten einer fantastischen Optik ein wenig vernachlässigt werden?

„Freies Land“ ist somit ein zweischneidiges Schwert: Herausragend dank Bildgestaltung und Atmosphäre, mangelt es hier und da an psychologischem Tiefgang. Der Film nähert sich seinen Charakteren nie wirklich an, sondern bleibt konstant auf Distanz, was andererseits aber die Kälte und das Misstrauen zwischen den Menschen gut widerspiegelt. Also doch Absicht?

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutscher Originalsprachfassung und als Hörfilmfassung für Blinde und Sehbehinderte (sehr lobenswert!). Deutsche Untertitel sind optional verfügbar. Als Extra gibt es den Trailer zum Film. „Freies Land“ erscheint bei EuroVideo Medien GmbH und ist seit 9. Juli 2020 digital sowie seit 23. Juli 2020 auf DVD/Blu-ray erhältlich. (Packshot + stills: © Verleih Telepool/EuroVideo)

Heimkino-Tipp: „Die schwarze Windmühle“ (1974)

Get Tarrant!

Michael Caines Beruf ist Schauspieler. Er arbeitet in diesem Job, um Geld zu verdienen und hat seit seinem Leinwanddebüt in den 1950ern in über 160 Filmen mitgewirkt. Dass dabei nicht alle gelungen sind, daraus macht er selbst keinen Hehl. „Der Weiße Hai IV – Die Abrechnung“ (1987) kommentierte er beispielsweise mit „Ich habe ihn nie gesehen, aber er soll schrecklich sein. Dafür habe ich das Haus gesehen, das ich [mir] davon bauen konnte und es ist großartig.“ Vor allem in den 60ern und 70ern des vergangenen Jahrhunderts war Caine in zig Thrillern zu sehen, von denen einige („Ipcress – Streng geheim“, 1965; „Jack rechnet ab/Get Carter“, 1971) inzwischen als Klassiker gelten. Der 1974 unter der Regie von Don Siegel entstandene „Die schwarze Windmühle“ steht denen in nichts nach.

Caine gibt darin Major John Tarrant, einen britischen Agenten, dessen Sohn entführt wird. Die Kidnapper, so wird aus den telefonischen Verhandlungen schnell klar, scheinen Insiderinformationen zu besitzen, die auch Tarrants Chef Harper (Donald Pleasence) in Bedrängnis bringen. Als dieser sich weigert, auf die Forderungen der Kriminellen einzugehen, riskiert Tarrant fortan alles, um seinen Jungen zurückzubekommen.

Was sich liest wie ein Treatment aus einem Hitchcock-Film (Unschuldiger wird in eine Konspiration verwickelt und muss seine Haut retten), entwickelt sich in den Händen von Genre-Experte Siegel zu einem überaus spannenden, realitätsnahen und wendungsreichen Abenteuer, in dem es weder für den Protagonisten noch für die Zuschauer Zeit zum Durchschnaufen gibt. Das Skript ist – und hier sind wir wieder bei Hitch – eine clevere Verknüpfung von vielen packenden Einzelepisoden, die scheinbar mühelos aufeinander aufbauen und Tarrant zügig von einem Schauplatz zum nächsten befördern. Nicht nachdenken und grübeln heißt hier die Devise, sondern handeln – und zwar schnell.

Als i-Tüpfelchen neben einem wie immer superben Caine hat „Die schwarze Windmühle“ einen Pleasence zu bieten, der seine spleenige Figur mit Strenge und Ticks ausstattet und so für den einen oder anderen Lacher sorgt. Als Bösewicht glänzt zudem der fantastische John Vernon („Topas“), dem in seiner langen Karriere leider nie der Sprung vom Neben- zum Hauptdarsteller gelang.

Formal ist der Streifen unübersehbar ein Kind der 70er und reiht sich optisch und inszenatorisch in den rauen, fast schon dokumentarischen Stil von „French Connection“ (1971) sowie „Dirty Harry“ (1971, ebenfalls Siegel) ein. Ein richtig guter Thriller also, der sämtliche Beteiligten – sowohl vor als auch hinter der Kamera – auf der Höhe ihres Schaffens zeigt. Nimm’ dies, Doppelnull 7!

„Die schwarze Windmühle“ erscheint als Neuauflage in zwei Mediabooks (oben: Covervariante 1, unten: Covervariante 2). Die beiliegenden DVDs/Blu-rays bieten den Film in englischer original und deutsch synchronisierter Sprachfassung. Deutsche und englische Untertitel sind optional zuschaltbar. Als Extras gibt es diverse Interviews (davon ein sehr amüsantes mit Caine aus dem Jahr 2013), Trailer, einen (deutschen) Audiokommentar von Filmhistoriker Mike Siegel sowie eine Bildergalerie. „Die schwarze Windmühle“ erscheint bei Koch Films und ist ab 11. Juni 2020 erhältlich (Packshots + stills: © Koch Films)