Heimkino-Tipp: „Pelikanblut“ (2019)

Meine Welt, meine Liebe, mein Leben

Eltern zu sein, ist ein Vollzeitjob. Das war zwar auch schon vor der weltweiten Corona-Pandemie so. Vielen Entscheidungsträgern scheint es aber erst jetzt, in Zeiten von Lockdown, Homeschooling und Home Office, wirklich bewusst zu werden. Vor allem Alleinerziehenden gebührt mein immerwährender Respekt, durchleben sie solcherlei ‚Ausnahmezustände‘ ja quasi ständig.

Eine von ihnen ist die Pferdetrainerin Wibke (Nina Hoss), Protagonistin im Film „Pelikanblut“. Sie hat sich dazu entschlossen, ohne Partner ein Adoptivkind großzuziehen. Ein zweites soll die Mädelsfamilie nun komplettieren. In Bulgarien findet sie mit Raya (Katerina Lipovska) die scheinbar perfekte neue Schwester für Nikolina (Adelia-Constance Ocleppo). Schnell jedoch wird Wibke klar, dass Raya besondere Aufmerksamkeit benötigt. Offenbar hat sie in ihrem jungen Leben bereits Schlimmes durchleben müssen, was sie nun u.a. durch Provokationen am Esstisch, heimliche nächtliche Spaziergänge und Beißattacken zu verarbeiten versucht. Obwohl nicht nur Wibkes Arbeit und Freundschaften zunehmend darunter leiden, ist sie fest davon überzeugt, Raya mit Liebe, Geduld und recht ungewöhnlichen Maßnahmen besänftigen zu können. Doch diese überschreiten zunehmend von ihrem Umfeld akzeptierte Grenzen.

Ein schreiendes Kind, überforderte Erziehungsberechtigte und unkonventionelle Mittel: Fast scheint es, als befände man sich in einer Adaption des überaus erfolgreichen Dramas „Systemsprenger“, der etwa zur selben Zeit entstand, allerdings schon ein Jahr zuvor in den Kinos zu sehen war und seitdem im In- und Ausland für Furore sorgt. Doch „Pelikanblut“ hat anderes im Sinn und stellt im Gegensatz zum bekannten Vorgänger nicht das Kind, sondern die Mutter in den Mittelpunkt.

Nina Hoss spielt diese Frau (wie alle ihre Rollen) souverän und würdevoll, stattet ihren Charakter mit Stärke und Selbstvertrauen, aber ebenso mit Zweifeln und Makeln aus. Was Wibke zu der beziehungsscheuen, zurückgezogen lebenden Person gemacht hat, verrät das Drehbuch nicht. Nur eine sichtbare Narbe im Gesicht lässt erahnen, dass im Verborgenen noch viel mehr schlummert. Was die Figur und damit den Film so faszinierend macht, ist der feste Glaube von ihr, dem verstörten(?) Mädchen helfen zu können und Raya nicht – wie es einige aus Wibkes Umfeld ihr nahelegen – ab- und damit aufzugeben. Auch im übertragenen Sinn ist dies ein starkes Statement für die Opferbereitschaft einer jeden Mutter, wenn es um die eigenen Kids geht.

Überhaupt spickt Regisseurin und Autorin Katrin Gebbe („Tore tanzt“) ihr Werk mit vielen (auch religiösen) Gleichnissen, die die Geschichte auf vielfältige Weise in einem anderen Kontext spiegeln. Verpackt in einen Inszenierungsstil, der eher dem Horrorfilm-Genre zuzuordnen ist (Licht, Kamera, Geräuschkulisse), entpuppt sich „Pelikanblut“ als ein gelungener Hybrid, der seine Spannung nicht nur aus der Konfrontation der Figuren, sondern auch aus dem unerwarteten Storyverlauf und vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten zieht. Beklemmend, stilsicher und lange nachwirkend.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutscher Originalsprachfassung sowie optionale deutsche Untertitel. Als Bonusmaterial gibt es Trailer. „Pelikanblut“ erscheint bei DCM Film Distribution GmbH im Vertrieb von Leonine und ist seit 9. April 2021 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © DCM)