Heimkino-Tipp: „Smile“ (2022)

Unfinished Business

Welch interessanter Zufall: Schon der zuletzt hier auf dieser Seite besprochene Film, „Men“ von Alex Garland, beschäftigte sich in Form eines Horrorfilms mit der Frage, wie sich traumatische Ereignisse auf die Psyche eines Menschen auswirken können. Garland nutzte diesen Hintergrund für eine entlarvende, überspitzte Darstellung der leider noch immer vorherrschenden, männlichen Dominanz in der Gesellschaft. „Smile“-Regisseur Parker Finn hat zwar Anderes im Sinn, aber trotzdem ein Anliegen, was sein Werk ebenso zu mehr macht, als einen bloßen Grusel-Streifen.

Die überarbeitete Psychiaterin Rose (Sosie Bacon, Tochter des Schauspielerpaars Kevin Bacon und Kyra Sedgwick) muss erleben, wie eine Patientin vor ihren Augen Suizid begeht. Fortan hat die Ärztin zunehmend Probleme, ihren Alltag zu bewältigen, ist schreckhaft, unkonzentriert und wird schließlich von ihrem Chef in den Urlaub geschickt. Doch statt Entspannung zu finden, entgleist Roses’ Leben immer mehr. Schließlich entdeckt sie Hinweise darauf, dass auch anderen Ähnliches widerfahren ist – jedoch mit tödlichem Ausgang.

Schon gleich zu Beginn macht Regisseur und Autor Finn ziemlich deutlich, welche Filme ihn inszenatorisch inspiriert haben: Neben einem Vorspann, der auch musikalisch an den Anfang von „Insidious“ erinnert, scheinen die langsamen Kameraschwenks und das gruselige Platzieren von stillen Beobachtern in weiter Entfernung von „It follows“ entlehnt zu sein. Auch inhaltlich lassen sich zu Letzterem einige Parallelen finden, wie der spätere Storyverlauf zeigt (der jedoch an dieser Stelle natürlich nicht verraten werden soll, weshalb die „Inhaltsangabe“ hier schon endet).

Bei aller Sorgsamkeit seitens des Spannungsaufbaus und einigen optischen Raffinessen (so steht das Bild hier und da plötzlich kopf), fehlt es „Smile“ allerdings an dem bestimmten Etwas, was beispielsweise „It follows“ so beunruhigend machte. Einige Twists – Stichwort Katze – lassen sich schnell erahnen, Dialoge bieten zu viele Allgemeinplätze, einige Gruselszenen werden mittendrin beendet. Hinzu kommt ein, nennen wir es ‚Gefälle‘, bei den Schauspielern: Während Bacon alias Rose ebenso überzeugt wie die Nebendarsteller in der Eröffnungsszene, die maßgeblich zur Atmosphäre des Films beitragen, so wirken sowohl Kyle Gallner als Polizist und Ex-Freund als auch Jessie T. Usher als Rose’ Verlobter etwas zu explizit in ihren Emotionen.

Nichtsdestotrotz ist „Smile“ zweifellos ein guter Film, der redlich versucht, Grusel und Anspruch unterhaltsam miteinander zu kombinieren. Dafür großen Respekt an Regisseur Finn und seine Mannschaft, auch wenn es zum ganz großen Wurf noch nicht reicht. Aber das kann ja noch kommen.

Die 4K Ultra HD/Blu-ray/DVD-Disc bietet den Film in englischer Original- und deutsch synchronisierter Sprachfassung. Untertitel sind ebenso optional vorhanden. Als Bonus gibt es einen Audiokommentar, ein ausführliches Making of, entfallene Szenen sowie einen Kurzfilm von Regisseur Finn. „Smile – Siehst du es auch?“ erscheint bei Paramount Pictures / Universal und ist seit 15. Dezember 2022 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Paramount Pictures)

Heimkino-Tipp: „Men“ (2022)

Where evil lurks

Als langjähriger passionierter Cineast ist man(n) ja inzwischen einiges gewöhnt. Will sagen: Es braucht schon viel Raffinesse und Cleverness, um selbst abgebrühte Filmfreaks ordentlich zum Schwitzen zu bringen. Alex Garland ist dies mit seinem aktuellen Werk aufs Vortrefflichste gelungen. Dabei ist dies gar nicht mal nur den Twists seines formidablen Skripts geschuldet, sondern ebenso seines großen Talents, eine unterschwellig-bedrohliche Atmosphäre aufzubauen, die zwar nicht genau zu benennen, aber auf jeden Fall spürbar ist.

Harper (Jessie Buckley) gönnt sich nach dem unschönen Ende ihrer Ehe eine Auszeit in einem über alle Maßen großen Landhaus irgendwo abseits der Stadt. Während langer Spaziergänge durch die Natur, entspannter Bäder in ihrer rustikalen Unterkunft und gelegentlichen Telefonaten mit einer Freundin, erhofft sie sich neue Energie für einen Neuanfang und der Überwindung ihrer Traumata. Ein Wunsch, von dem sie sich jedoch bald und auf sehr verstörende Weise verabschieden muss.

Mit dieser etwas kryptischen Inhaltsangabe soll es auch genug sein, um interessierten LeserInnen ein ähnliches Filmerlebnis zu bescheren wie dem Autor dieser Zeilen. Je weniger über den Verlauf, einzelne Figuren und das Setting bekannt ist, umso wuchtiger wirkt das, was Autor und Regisseur Garland auf sein Publikum loslässt. Wer dessen frühere Werke (z.B. als Autor von „The Beach“ oder Regisseur von „Ex Machina“) kennt, wird die Mischung aus Anspruch, optischer Schönheit und blankem (physischen und psychischen) Horror zu schätzen wissen. Schauspielerisch dank der zwei Hauptakteure Buckley und Rory Kinnear ohnehin allererste Sahne, ist „Men“ eine genreübergreifende Wundertüte, die – und so etwas mögen nicht alle – am Ende viel Raum für Interpretation und/oder Kopfkratzen bietet. Hier kann womöglich das Making of, welches sich auf den Heimkino-Silberlingen befindet, Abhilfe schaffen oder zumindest Denkanstöße liefern.

Wer sich jedoch lieber – und das ist weder wertend noch böse gemeint – schlicht ‚berieseln‘ lassen will, findet in „Men“ ebenso viele spannende Szenen, nach denen sich viele Thriller die Finger lecken würden. Genau das ist die große Kunst von Garland: Cineastische Werke zu schaffen, die ebenso fordern wie sie Spaß machen, die gleichsam unterhalten wie sie auch Rätsel aufgeben. Großes Kino!

Zum Schluss nur ein Satz, der mir im Nachhinein durch den Kopf ging: Erstaunlich und erfreulich, dass ausgerechnet ein männlicher Künstler einen derart ehrlichen und entlarvenden Film über sein Geschlecht abliefert.

Die 4K Ultra HD/Blu-ray/DVD-Disc bietet den Film in englischer Original- und deutsch synchronisierter Sprachfassung. Untertitel sind ebenso optional vorhanden. Als Bonus gibt es Teaser und Trailer, ein Making of und ein Interview. „Men – Was dich sucht, wird dich finden“ erscheint zusätzlich im Mediabook und im Steelbook bei Plaion Pictures und ist seit 27. Oktober 2022 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Plaion Pictures)

Heimkino-Tipp: „Gasoline Alley“ (2022)

Justice gets ... sleepy

Herzlich willkommen zu Film Nr. 8 von (voraussichtlich) 11, die 2022 Bruce Willis’ Filmografie auffüllen werden. Einst einer der bekanntesten, erfolgreichsten und publikumsstärksten Stars Hollywoods, hat sich das Interesse an seiner Arbeit in den vergangenen Jahren stark verringert. Mensch wunderte sich lediglich noch über seine beständig seltsame Rollenauswahl, meist in zweit- und drittklassigen Produktionen, in denen er oftmals nur Kurzauftritte absolvierte, dafür aber gerne als Zugpferd auf den zugehörigen Plakaten erschien. Meine persönlichen ‚Höhepunkte‘ diesbezüglich: Seine Szenen in „10 Minutes Gone“ (2019) filmte er laut imdb.com alle an einem Nachmittag – und zwar in dem Hotel, in dem er während der Dreharbeiten untergebracht war. Und die Marketing-Abteilung von „Cosmic Sin“ (2021) wiederrum hat sich frech einfach das Poster von „Stirb langsam 4“ als Vorlage genommen und mit Photoshop verschönert. Effektiver geht kaum.

Dies alles erhielt Anfang 2022 eine neue Perspektive, als Willis (bzw. seine Familie) von dessen Aphasie-Diagnose berichtete (Link) und ein baldiges Ende seiner Schauspielkarriere ankündigte. Insofern verbietet es sich nicht nur aus Pietätsgründen, Willis’ darstellerische Leistung zu kritisieren. Schade nur, dass er (scheinbar) nicht (mehr) die Chance hat, mit einem richtig guten Werk in den wohlverdienten Ruhestand zu wechseln.

Denn leider ist „Gasoline Alley“ wie so viele seiner letzten Streifen ebenso keine Qualitätsware. Zwar versucht Regisseur und Co-Autor Edward Drake zumindest optisch etwas aus der belanglosen Story rauszuholen. Doch was soll mensch auf visueller Ebene erzählen, wenn es einfach nichts zu erzählen gibt?

Der Tätowierer und Ex-Häftling Jimmy (Davon Sawa) wird verdächtigt, ein Call-Girl getötet zu haben, das er in der Mordnacht nachweislich in einer Bar getroffen hat. Um seine Unschuld zu beweisen, arrangiert er sich ausgerechnet mit den beiden Polizisten (Luke Wilson, Bruce Willis), die die Ermittlungen (auch gegen ihn) führen. Als Jimmy bei seinen Recherchen in Lebensgefahr gerät, ist er sich sicher, auf der richtigen Spur zu sein.

Vieles am Skript von „Gasoline Alley“ ist widersprüchlich und entbehrt jeglicher Logik. Unabhängig davon ist es aber auch erstaunlich zu sehen, wie die Schauspieler ihre Figuren interpretieren bzw. in bestimmten Situationen darstellen. Mein Verdacht: Keiner wusste wirklich, worum es in dem Streifen eigentlich geht. Darüber hinaus weiß Regisseur Drake aus dem Umstand, dass sein Publikum die wahren Ereignisse der Tatnacht nicht kennt, keine Spannung zu erzeugen (Ist Jimmy der Täter oder nicht?). Zudem gestaltet sich Jimmys Spurensuche erschreckend banal und ereignislos, was sich in einigen viel zu langen Szenen und Zeitlupen manifestiert, die wohl nur dazu dienen, die Laufzeit des Films ein wenig zu verlängern. Ebenso ärgerlich: Einer von Jimmys Helfern, ausgerechnet ein weißer(!) Cop, spukt quasi nebenbei den Satz „Seems he knows what lives matter most“ aus, als er sich lobend über einen Wohltäter der Polizei auslässt. Zweifellos ein politisches Statement, was jedoch luftleer im Raum stehenbleibt – und damit ein zweifelhaftes Licht auf den Mann im Regiestuhl wirft.

„Gasoline Alley“ hat außer Hauptdarsteller Sawa, der einmal mehr viel Commitment zeigt, keinerlei Pluspunkte auf der Habenseite zu bieten. Wer zudem während der ersten 20 Minuten aufmerksam die Tonspur verfolgt, kann die ‚Motivation‘ der bad guys in diesem Film schnell erahnen. Ca. 70 Minuten, eine lahme Autoverfolgungsjagd sowie eine belanglose Schießerei später gibt es die Auflösung dann auf einem Silbertablett.

Nun denn, auf zu Film Nr. 9 von 11 ...

Die Blu-ray/DVD bietet den Film in englischer Original- und deutsch synchronisierter Sprachfassung. Untertitel sind leider keine vorhanden. Als Bonus gibt es den Trailer zum Film. „Gasoline Alley – Justice Gets Dirty“ erscheint bei EuroVideo und ist seit 20. Oktober 2022 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © EuroVideo)

Heimkino-Tipp: „Sundown“ (2021)

Geheimnisse in Acapulco

Zusammen mit seiner Schwester Alice (Charlotte Gainsbourg) und ihren beiden Teenagerkindern verbringt der schweigsame Neil Bennett (Tim Roth) seinen Urlaub im mexikanischen Acapulco. Abgeschottet vom Lärm und den Gefahren der Stadt, lassen sie sich in ihrem Ferienhaus die Drinks bis an die Sonnenliege bringen, genießen laue Sommerabende im Restaurant mit Livemusik oder beklatschen die waghalsigen Klippenspringer an der Pazifikküste. Das Leben ist schön. Bis ein unerwarteter Anruf aus der britischen Heimat die Idylle jäh beendet: Mama Bennett ist verstorben, eine sofortige Rückreise unumgänglich. Zumindest für Alice und ihre Kids. Neil hingegen „vergisst“ seinen Reisepass im Resort und kann daher den Heimflug (noch) nicht antreten. Er komme mit dem nächsten Flieger nach.

Doch in Wahrheit hat er andere Pläne: Statt sich im Konsulat um Ersatzpapiere zu kümmern, mietet er sich in einem billigen Hotel ein, verdattelt die Tage am Strand und bandelt mit einer jungen Einheimischen (Iazua Larios) an. Alice’ Anrufe wimmelt er ab oder ignoriert er derweil. Überhaupt scheint ihm das Drumherum kaum mehr zu interessieren. Bis Alice unerwartet wieder zurückkommt, um ihren Bruder zur Rede zu stellen.

Erst vor wenigen Monaten besprach ich an dieser Stelle Regisseur Michel Francos Vorgängerfilm „New Order“. Starker Tobak über eine vermeintliche Revolution, die in einer Gewaltorgie sondergleichen endet. „Sundown“ könnte – bis auf wenige Szenen – inszenatorisch nicht entfernter davon sein. Statt Folter, Vergewaltigung und Mord gibt es hier vornehmlich lange, ruhige Einstellungen von einem Mann, der sich von seiner Umwelt mehr und mehr abnabelt und dem Müßiggang frönt. Selbst einen Gewaltakt in seiner unmittelbaren Nähe – ein Badegast wird in aller Öffentlichkeit erschossen – nimmt Neil regungslos hin, als sei es für ihn alltäglich.

Bis kurz vor Ende seines Films lässt Regisseur und Autor Franco sein Publikum im Unklaren darüber, was es mit dem seltsamen Verhalten seines Protagonisten auf sich hat. Doch selbst mit Kenntnis von dessen Motivation wirkt die ‚Auflösung‘ etwas unbefriedigend. Es mag daran liegen, dass Franco die erzählte Geschichte womöglich lediglich als Sinnbild für ein anderes inhaltliches Anliegen nutzt – zumindest wird dies hier und da von KritikerkollegInnen angeführt. Spiegelt „Sundown“ den Blick der Reichen auf ‚die da unten‘ wider? Erzählt der Film eine Aussteigergeschichte oder doch von schamloser Ausbeutung? Prangert Franco Gewalt, Bandenkriminalität und Habgier seiner eigenen (mexikanischen) Landsleute an? Es fällt schwer, das eigentliche Ziel von „Sundown“ zu entdecken. Was mich unweigerlich zum Schlusssatz meiner Rezension von „New Order“ führt: „Aber auch das ist Aufgabe von Kunst: Unterschiedliche Reaktionen hervorzurufen und auf jede/n Betrachterin/er anders zu wirken.“

Das (zweifellos ansehnliche) Agieren der Darsteller hilft da leider auch nicht weiter: Ähnlich wie Alice fragt sich der/die Zuschauer/in, was eigentlich mit Neil nicht in Ordnung ist, während dieser wortlos umher driftet und sein Handeln niemals erklärt. Kann man schon so machen. Mitunter wirkt diese bei Franco scheinbar sehr beliebte unendliche Interpretationsoffenheit jedoch dafür, dass mensch am Ende ein wenig frustriert den Abspann schaut.

Die Blu-ray/DVD bietet den Film in englischer Original- und deutsch synchronisierter Sprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional vorhanden. Als Bonus gibt es den Trailer zum Film. „Sundown“ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite Entertainment) und ist seit 16. September 2022 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Ascot Elite Ent.)

Heimkino-Tipp: „Nebenan“ (2021)

Mein (un)bekannter Nachbar

Die Bezeichnung „er wirkt in seinen Filmen stets wie der nette Typ von nebenan“ kann für einen Schauspieler schnell zu einem Fluch werden. Nun will ich gar nicht erst auf den Zug aufspringen und Daniel Brühl als solch einen „Durchschnittstypen“ bezeichnen – denn das ist er allein aufgrund seines immensen Talents nun wirklich nicht. Ein Blick auf seine (deutsche) Filmografie zeigt jedoch, dass er gerade in Filmen, in denen er solche Figuren verkörpert hat, besonders eindrücklich war. Zu meinen Favoriten zählen dabei u.a. „Nichts bereuen“ (2001), „Ein Freund von mir“ (2006) und vor allem „Lila, Lila“ (2009). Quasi nebenbei hat sich Brühl aber auch international einen Namen gemacht und sowohl bei Tarantino („Inglourious Basterds“, 2009) als auch in Serie („The Alienist“/„Die Einkreisung“, 2018) und in Hollywood-Blockbustern („Rush“, 2013; „The First Avenger: Civil War“, 2016) gerockt. Kurz: Daniel Brühl ist inzwischen ein (verdienter) Weltstar.

Umso schöner/erstaunlicher, dass er dem deutschen Film weiterhin seine Treue hält und nun mit „Nebenan“ sogar ein Regiedebüt vorlegt, das zwar inmitten von Berlin spielt, aber eigentlich ein Kammerspiel ist. Meine Hoffnung: Durch Brühls Starstatus wird auch bei jenen Interesse für „den deutschen Film“ geweckt, die diesen sonst gerne ablehnend umschiffen. Ja, es ist ein anderer Stil und ja, es sind meist Darsteller beteiligt, die außerhalb Deutschlands vielleicht nicht so viele Filme gedreht haben. Doch mein Gott sind das großartige Künstler, die ein ums andere Mal begeistern und gehuldigt gehören. Peter Kurth zum Beispiel, der in „Nebenan“ den Antagonisten gibt.

Alias Bruno sitzt der zufällig(?) in derselben Kneipe, die der (fiktive) Filmstar Daniel (Brühl, der hier auch die Hauptrolle spielt) auf dem Weg zum Flughafen aufsucht, um sich bis zum Abflug ein wenig die Zeit zu vertreiben. Daniel gibt sich „volksnah“, posiert gern für Fotoanfragen junger Fans und erwidert höflich aber distanziert den Small Talk, in den Bruno ihn verwickelt. Je länger der Plausch jedoch dauert, umso unangenehmer wird er für den Promi. Denn Bruno scheint überraschend viel über Daniels Privatleben zu wissen – mehr als ein Nachbar, als der er sich ausgibt, wissen sollte.

Psychothriller, Drama, Tragikomödie: „Nebenan“ verwebt etliche Genres miteinander, die überraschend gut harmonieren. Das liegt einerseits am hervorragenden, spannend aufgebauten Drehbuch von Daniel Kehlmann (der u.a. ebenso den tollen „Ich und Kaminski“ (2015), ebenfalls mit Brühl, verfasste), andererseits an der nicht zu übersehenden Spielfreude von Brühl und Kurth. Hier der zunächst cool auftretende, später überaus verunsicherte Filmpromi, dort der undurchsichtige, scheinbar harmlose Nachbar, der einige Asse im Ärmel versteckt. In herrlichen Wortgefechten nimmt sich „Nebenan“ u.a. den Themen Starallüren, Lebenslügen, Gentrifizierung, Arbeitslosigkeit, gesellschaftlichen Vorurteilen, Nächstenliebe und künstlerischer Freiheit an, ohne dabei zu konstruiert zu wirken. Nein, hier entstehen die inhaltlichen Wendungen allein durch die realitätsnahen Dialoge, die vom Hölzchen aufs Stöckchen und wieder zurück pendeln. Hinzu kommen Gesten, Blicke und mitunter unerwartete Allianzen, die nicht minder vieldeutig sind. Inszeniert ist das Ganze angenehm zurückhaltend, jedoch nie theaterhaft oder statisch. Vielmehr ist hier viel Bewegung drin, was die Spontanität der Dialoge passend auf die Bildebene übersetzt.

Die Kneipe als Brennglas einer ganzen Gesellschaft: „Nebenan“ nimmt dieses Sinnbild großartig auf und lässt daraus ein wunderbares Stück Film erwachsen, über das es auch im Anschluss zu diskutieren lohnt.

Die DVD bietet den Film in deutscher Originalversion. Englische und deutsche Untertitel für Hörgeschädigte sind optional zuschaltbar, zudem ist eine Hörfilmfassung mit an Bord (toll!). Als Bonus gibt es eine Kurzdoku über Daniel Brühl als Regisseur und Trailer. „Nebenan“ erscheint bei Zorro Medien GmbH/ good!movies und ist seit 15. September 2022 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Zorro Medien/good!movies/Reiner Bajo/Warner Bros. Ent.)

Heimkino-Tipp: „Der Schneeleopard“ (2021)

Die Beobachter

Eine der eindrücklichsten Szenen des Dokumentarfilms von Marie Amiguet und Vincent Munier eröffnet sich dem Publikum (fast) nur über die Tonspur: Es ist die Schilderung eines Ereignisses, das dem Wildlife-Fotografen Munier einst widerfahren ist, als er einen Leoparden beobachten und fotografieren wollte. Das Tier verschwand ganz plötzlich aus seinem Sichtfeld und tauchte auch nach mehreren Stunden des Wartens und Stillsitzens nicht mehr vor Muniers Kameralinse auf. Frustriert und überzeugt davon, den Leoparden als Motiv verloren zu haben, widmete er sein nächstes Foto einem Adler, der relativ nah vor ihm auf einem kleinen Felsvorsprung saß. Erst Monate später, beim Sortieren seiner Aufnahmen, bemerkte Munier, dass hinter dem fotografierten Felsen ein Ohr und ein Auge hervorlugten – es war der Leopard, der ihn die ganze Zeit selbst beobachtete und nicht aus seinem Sichtfeld entließ.

Diese wunderbare kleine Episode fasst sehr schön die Erkenntnis zusammen, die sich nach dem Genuss von „Der Schneeleopard“ bei den Zuschauern einprägt: Nicht wir Menschen sind die Beobachter, sondern wir selbst werden beobachtet. Jederzeit. Überall. Von Lebewesen, die wir selbst kaum noch wahrnehmen. Und wenn doch, dann meist nur mit einem flüchtigen Blick, ohne deren Schönheit und Eigenarten tatsächlich zu begreifen. Insofern ist es schon ironisch, dass es nun einen weiteren Film braucht, den mensch im Kino/Zuhause schaut, um sich der Einmaligkeit der Welt da draußen erst wieder bewusst zu werden.

Entstanden in einem der (wahrscheinlich) ruhigsten Flecken der Erde, im tibetischen Hochland, begleitet ein kleines Filmteam Munier und seinen Schriftsteller-Freund Sylvain Tesson auf der Suche nach dem titelgebenden Tier, von dem es wohl nur noch sehr wenige Exemplare gibt. Mit genauer Vorplanung, disziplinierten Tagesabläufen und viel Erfahrung gelingt es beiden, die Spur des seltenen Geschöpfs aufzunehmen, um es hoffentlich irgendwann vor die Kamera zu bekommen. Geduldig und bereit, Kälte und Gefahren zu ertragen, sitzen sie stundenlang in kleinen Verstecken und erleben dadurch nicht nur die Natur in all ihren Facetten hautnah, sondern lernen dabei auch viel über sich selbst.

Die Ruhe, die sie verinnerlichen und das wiederholte Staunen über das, was sie sehen, überträgt der Film formidabel auf sein Publikum. Klar, Schnitt und sich verändernde Kameraperspektiven unterstreichen und betonen einzelne Szenen zusätzlich. Und doch hat mensch den Eindruck, quasi ungefiltert die volle Breitseite von Muniers und Tessons Emotionen, Eindrücken und Erlebnissen zu erhalten. Sie führen Gespräche über die Rolle des Menschen, reflektieren ihr eigenes Verhalten gegenüber der Natur und genießen die völlige Abwesenheit von Zeit und den Krisen dieser Welt. Die wie immer tief berührende, aber niemals aufdringliche musikalische Untermalung des legendären Duos Warren Ellis und Nick Cave veredelt die Bildebene zudem mit einer zusätzlichen Note.

„Menschen werfen mir manchmal vor, dass ich nur die schönen Seiten der Welt fotografiere und all die schlimmen Sachen ignoriere“, sagt Munier sinngemäß an einer Stelle mit Blick auf sein eigenes Schaffen. Nur um gleich danach eine eigene Begründung anzuschließen: Sollten wir Menschen nicht viel mehr auf genau diese Wunder achten, die überall um uns herum tagtäglich geschehen? „Der Schneeleopard“ ist ein schönes Argument dafür, genau das viel öfter zu tun.

Die Blu-ray/DVD bietet den Film in französischer Original- und als deutsche Voice-over Fassung. Deutsche Untertitel sind optional vorhanden. Zudem gibt es diverses Bonusmaterial, u.a. zusätzliche Szenen und einen Musikclip. „Der Schneeleopard“ erscheint bei MFA+ FilmDistribution e.K. im Vertrieb von AL!VE und ist seit 2. September 2022 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © MFA+/Vincent Munier/Paprika Film & Kobalann Productions)

Heimkino-Tipp: „Come On, Come On“ (2021)

Der Zufalls-Papa

Der Reporter Johnny (Joaquin Phoenix) reist im Rahmen eines Interviewprojekts durch die USA und befragt Kinder und Jugendliche nach ihren Ängsten, Träumen und Wünschen. Eine gute Ablenkung von seinen privaten Sorgen, die um den Tod seiner Mutter und der Trennung von seiner großen Liebe kreisen. Da hilft es schon, dass er mit seiner Trauer nicht ganz alleine ist: Auch seine Schwester Viv (Gaby Hoffmann) hadert mit ihrer Vergangenheit, sei es als Tochter, Mutter oder Ex-Ehefrau. Um ihrem depressiven Gatten a.D. (Scoot McNairy), dem Vater ihres neunjährigen Sohnes Jesse (Woody Norman), zu helfen, bittet sie Johnny, ein paar Tage auf den kleinen Wirbelwind aufzupassen. So nimmt Johnny ihn mit auf seine Recherchetour. Für beide Jungs der Beginn eines emotionalen Abenteuers.

Der Wissensdurst von Kindern kann brutal sein. Wer jemals in ein „Kreuzverhör“ des neugierigen eigenen Nachwuchs‘ (oder dem von Freunden) gekommen ist, wird dies bestätigen können. Als Erwachsener kann mensch da sehr schnell ins Stottern kommen, gerade wenn es persönlich wird. Mike Mills, Regisseur und Autor von „C‘mon C‘mon“, hat Momente wie diese in seinem leisen, komplett in schwarz/weiß inszenierten Film kongenial eingefangen. Die Reise, die Onkel und Neffe zusammen unternehmen, wirkt dabei in vielen Szenen wie eine spontane oder zumindest improvisierte Unterhaltung zweier Charaktere, die unterschiedlicher nicht sein können und doch viel gemeinsam haben.

Dass Mills wie schon bei seinen Vorgängerfilmen „Beginners“ und „Jahrhundertfrauen“ auf eigene Erfahrungen, selbst erlebte Gespräche und Literatur zurückgreift, die ihn offenbar nachhaltig beeindruckt haben, ist unübersehbar (allein schon wegen einiger eindeutiger Titeleinblendungen). Darüber hinaus gelingt ihm jedoch ebenso ein erhellender Blick auf die amerikanische Gesellschaft – oder vielmehr die Gedanken, die sich junge Menschen angesichts der gesellschaftlichen und politischen Lage in ihrem Land machen, indem er immer wieder Schnipsel von Johnnys (realen) Interviews einstreut oder den Älteren ins Verhör seines energiegeladenen kleinen Begleiters steckt.

‚Na und? Was ist daran so besonders?‘ mögen sich einige fragen. Zugegeben, auch ich brauchte zwei Anläufe, bevor dieses leise, bisweilen etwas sperrige Werk seinen Zauber auf mich entfaltete. Vielleicht liegt es daran, dass der Film einerseits so persönlich wirkt/ist und andererseits doch so viele bekannte Momente enthält, die mensch als Erwachsener, egal ob mit oder ohne eigene Kinder, kennt.

Traurige Fußnote: Der neujährige Devante Bryant, der in einer der Interviewszenen zu sehen ist, wurde kurz nach den Filmaufnahmen in New Orleans beim Spielen mit anderen Kindern erschossen. Regisseur Mike Mills widmete ihm seinen Film.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in englischer Original- sowie deutscher Synchronsprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional zuschaltbar. Als Bonus gibt es einen Audiokommentar des Regisseurs und Trailer. „Come On, Come On“ erscheint bei DCM Film Distribution GmbH im Vertrieb von Leonine und ist seit 19. August 2022 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © DCM)

Heimkino-Tipp: „Nawalny“ (2022)

Gift hinterlässt immer eine Spur

Wer nicht daran glaubt, dass Menschen sich im Laufe ihres Lebens charakterlich, politisch und intellektuell verändern können, verschließt die Augen vor Geschichte und Realität. So gibt es u.a. viele Beispiele aus der Zeit des „Dritten Reichs“, in der Mitläufer zu Widerstandskämpfern wurden. Diverse gegenwärtige Aussteigerprogramme für Rechts- und Linksextremismus beweisen dies ebenso. Oder ehemalige Oligarchen wie Michail Chodorkowski, einst sehr reicher und einflussreicher Unternehmer Russlands, der sich gegen den Machthaber auflehnte und in die Opposition (und schließlich ins Exil) ging. Natürlich ist es leicht, solche Personen stets auf ihre unrühmliche Vergangenheit und Aussagen zu reduzieren. Man kann jedoch auch versuchen, dies als das anzusehen, was es (meist) ist: Eine (im besten Fall) abgeschlossene frühere Episode im Leben eines Menschen, der sein Denken und Umfeld verändert hat.

Dies soll deshalb nicht unerwähnt bleiben, da dem Protagonisten in dem hier besprochenen Dokumentarfilm, Alexei Nawalny, ebenso eine frühere Nähe zum Nationalismus nachgesagt wird. Kritiker werden nicht müde zu betonen, dass „westliche Medien“ dies angeblich gerne ignorieren, wenn sie ihn als wichtigsten Oppositionellen in der Russischen Föderation betitelten. Der kanadische Regisseur Daniel Roher geht dieses Problem gleich zu Beginn seines Films offensiv an und befragt Nawalny hierzu. Dessen Replik ist die eines Medienprofis, die vielseitig interpretierbar bleibt. Warum dieser Mann trotzdem (auch im Westen) eine so schillernde Figur ist? Weil er sich offen gegen einen Despoten stellt, der nachweislich Auftragsmorde begehen lässt, innenpolitisch alles gewaltsam unterdrückt, was nicht seinem überholten Weltbild entspricht, und – als traurige Fußnote – nach Fertigstellung des Films einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen hat, dessen Folgen weltweit verheerend sind. Insofern ist „Nawalny“ auch ein filmisches Dokument aus einer Zeit, die noch eine andere war – in der sich jedoch bereits abzeichnete, was da womöglich noch kommen sollte.

Roher begleitete Nawalny von Mitte 2020 bis zu seiner erneuten Verhaftung und langjährigen Verurteilung 2022 und erhielt dabei detaillierte Einblicke in die Arbeit von dessen Team. Kernstück des Films ist dabei die Aufarbeitung jenes Giftanschlags, der Nawalny töten sollte – und nur durch eine Verkettung glücklicher Umstände misslang. Hinzu kommen einige Aufnahmen, die ihm im Kreise seiner Familie zeigen, die unweigerlich Teil seines politischen Kampfes wird/ist sowie erhellende Episoden über die Recherchearbeit, mit denen Nawalnys Mitstreiter die weitreichenden Verbindungen seiner Verfolger offenlegen. Es sind vor allem diese Szenen, die verdeutlichen, wie wichtig inzwischen soziale Medien und das Internet als Datenquelle für Oppositionelle geworden sind, um sich gegenüber ihren Widersachern zu behaupten und öffentlich überhaupt wahrgenommen zu werden.

„Nawalny“ gleicht damit mehr einem Spionagekrimi als einem persönlichen Porträt, zumal der Politiker selbst seine politischen Ziele – abseits der Abwahl des aktuellen Präsidenten – nur sehr rudimentär beschreibt. Mit Blick auf die derzeitige weltpolitische Lage bin ich persönlich jedoch überzeugt, dass Nawalny die bessere Alternative wäre.

Daniel Roher ist eine spannende, bedrückende und gleichsam Mut machende Momentaufnahme eines unerschrockenen, charismatischen Menschen gelungen, deren Ausgang leider ungewiss ist. Ich für meinen Teil hoffe sehr, dass es nicht – wie im Film kurz scherzhaft angedeutet – Nawalnys letzter Film wird.

Die DVD bietet den Film in englischer Original- sowie deutscher Synchronsprachfassung, bei der – wie für Dokumentationen üblich – der englische Off-Kommentar übersetzt wurde. Optionale deutsche Untertitel sind ebenso vorhanden. Als Bonus gibt es Trailer. „Nawalny – Gift hinterlässt immer eine Spur“ erscheint bei DCM Film Distribution GmbH im Vertrieb von Leonine und ist seit 1. Juli 2022 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © DCM / Cabel News Network Inc.)

Heimkino-Tipp: „Lamb“ (2021)

Familienbande

In scheinbar völliger Einsamkeit bewirtschaftet das Paar Maria (Noomi Rapace) und Ingvar (Hilmir Snær Guðnason) einen Bauernhof in der majestätisch-schönen isländischen Berglandschaft. Die Arbeit mit ihren Schafen und auf den Feldern ist ebenso wie ihr Miteinander von Routine geprägt, ihre Gespräche dabei ebenso karg wie die Natur, die ihre Gesichter bereits gezeichnet hat.

Mit dem stillen Alltag ist’s vorbei, als eines ihrer Schafe ein besonderes Kalb gebiert. Etwas ist anders mit dem Tier, das Maria sogleich in ihre Arme schließt und in eine Wolldecke gepackt mit ins Haus nimmt. Auch für Ingvar scheint es selbstverständlich, das Neugeborene – welches für die Zuschauer lange nicht sichtbar wird – fortan in Schlafzimmer, Küche und Wohnzimmer um sich zu haben und wie ein Menschenkind zu behandeln. Eine perfekte kleine Familie? Nicht, solange noch das Muttertier vor einem der Hausfenster täglich und unüberhörbar flehend nach seinem Nachwuchs blökt. Und nur so lange, bis Ingvars Bruder Pétur (Björn Hlynur Haraldsson) unangekündigt auf dem Gut auftaucht und sich für mehrere Wochen einnistet.

„Lamb“ ist einer jener Filme, die mit wenig hörbaren Dialogen, langen Kameraeinstellungen und einer bedächtigen Erzählweise viel Raum und Zeit für Interpretationen beim Publikum lassen. Ähnlich einer märchenhaften Fabel, mit Bildern und Konturen, die der Nebel regelrecht verschluckt, entspinnt sich eine faszinierende Geschichte über Eltern(un)glück, Egoismus und die Rolle des Menschen, der sich die Natur und seinen Lebensraum Untertan gemacht hat – was niemals folgenlos bleiben kann.

Regisseur Valdimar Jóhannsson verbindet in seinem Werk religiöse Motive (siehe Namen und zeitliche Umstände der Geschichte, die an Heiligabend beginnt) mit isländischer Folklore, was auch an der Drehbuch-Beteiligung des Dichters Sjón deutlich wird. Der gebürtige Isländer arbeitete u.a. bereits mit Björk und Lars von Trier zusammen und war zusammen mit beiden für einen Song aus dem Film „Dancer in the Dark“ 2001 für einen Oscar nominiert. Ein künstlerisches Schwergewicht sozusagen, was die nicht ganz einfache Zugänglichkeit von „Lamb“ ein wenig erklären mag.

Persönlich habe ich stets sehr viel Freude an solcherlei Filmen, die interessante Prämissen präsentieren und viel Platz für eigene Deutungen lassen. Ein Film wie ein Buch, das bei jedem Lesen eine andere Wirkung entfaltet und neue Interpretationsmöglichkeiten anbietet. Zusammen mit dem erhabenen Setting inmitten der isländischen Natur, der stets beobachtenden jedoch nie wertenden Kameraführung sowie den tollen Darstellerleistungen ist dadurch wahrlich etwas Beeindruckendes entstanden.

Die DVD/Blu-ray/4K UHD bietet den Film in isländischer Original- und deutsch synchronisierter Sprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional verfügbar. Als Extras gibt es ein Interview und zwei Kurzfilme des Regisseurs, Behind-the-Scenes-Clips, ein Making of zu den Special Effects, gelöschte Szenen, Bildergalerien, Teaser und Trailer. „Lamb“ erscheint bei Koch Films als Einzel-DVD, Einzel-Blu-ray und in zwei verschiedenen Mediabook-Varianten (inkl. 4K UHD-Disc) und ist seit 28. April 2022 (digital bereits ab 14. April) erhältlich (Packshots + stills: © Koch Films).

Heimkino-Tipp: „Curveball“ (2021)

Wir machen die Wahrheit

These: Film ist immer Manipulation. Die Zuschauer sehen, hören und bezeugen stets nur das, was die Filmemacher ihnen bereit sind zu zeigen. Vor allem das Dokumentarfilm-Genre ist hierfür prädestiniert und hat mit Mockumentarys inzwischen sogar eine ganz eigene Bezeichnung für Dokus geschaffen, die ihre realen Bilder mit inszenierten Szenen vermischen – ohne, dass es sofort ersichtlich ist. „Fiktionaler Dokumentarfilm“ ist ein anderer Begriff dafür.

Dies kann bei Spielfilmen ähnlich sein. Zwar weiß das Publikum von vornherein, dass das Gezeigte einer (Autoren-)Fantasie entsprungen ist. Eine realistische, lebensnahe Darstellung dieser Fiktion kann dies jedoch schnell vergessen machen. Kommt dann noch das Attribut „basierend auf wahren Begebenheiten“ hinzu, können Spielfilme mitunter zu (gefährlichen) Propagandawaffen werden. Beispiele liefert die Filmgeschichte etliche, von „Panzerkreuzer Potemkin“ über „Jud Süß“ bis hin zu „Zero Dark Thirty“ – wie mensch all diese Geschichten aufnimmt, interpretiert und weiterdenkt, kann ganz unterschiedliche Folgen haben.

Auch ich hatte nun dank „Curveball“ einen solchen ‚Moment der Erleuchtung‘. Als politisch interessierter Mensch glaubte ich u.a. zu wissen, warum damals das Kabinett Schröder II (2002-2005) der Teilnahme am Irakkrieg der Amerikaner eine Absage erteilte. Nach der Sichtung von Johannes Nabers bitterbösem Streifen ist die Faktengrundlage eine andere. Ohne an dieser Stelle weiter ins Detail zu gehen, ist Naber damit ebenso das gelungen, was oben angedeutet wurde: Sein Film legt schlüssig, clever und obendrein noch sehr unterhaltsam eine (ausgewählte) Faktensammlung vor, die bei mir als Zuschauer etwas auslöst, mich zum Umdenken animiert und auch mein Bild von bestimmten Personen/Politikern nachhaltig verändert. Nun will ich Naber gar keine bösen Absichten unterstellen. Vielmehr nutzt er seine Fähigkeiten als Filmemacher, um auf einen Missstand hinzuweisen, der die Weltpolitik und die Weltgeschichte beeinflusste und für immer veränderte. Klingt übertrieben? Ist aber so.

Konkret erzählt (oder berichtet?) „Curveball“ eine Geschichte über den Bundesnachrichtendienst, kurz BND. Dessen Mitarbeiter Wolf (Sebastian Blomberg) ist Biowaffenexperte und wird von seinem karrieregeilen Chef Schatz (Thorsten Merten) auf einen Informanten (Dar Salim) angesetzt, der angeblich in einer von Saddam Husseins geheimen Waffenfabriken tätig war. Zwar sind seine Beweise dafür ziemlich dünn, Wolf, Schatz und den BND hält dies jedoch nicht davon ab, an der These, der Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen, festzuhalten. Als es im September 2001 zu den verheerenden Terroranschlägen in New York kommt, wird der BND dank seines Informanten plötzlich ein ‚Global Player‘ auf Augenhöhe mit der CIA. Denn deren Regierung will nur Eines: Irgendeinen Grund für einen Angriffskrieg gegen den Irak finden. Ob dieser der Wahrheit entspricht, ist erstmal zweitrangig.

Getragen von fantastischen Darstellern, ist „Curveball“ eine feinsinnige Geheimdienstfarce, die von peinlichem Männerstolz, Erfolgsgier, Überheblichkeit und Paranoia erzählt - dummerweise in einem Berufsfeld, dessen Aktionen und Behauptungen weltweite Folgen haben können. Dass Vieles davon nahe an der Wahrheit ist, macht es umso witziger/bedrückender/beschämender.

Aber das scheint Regisseur Naber generell zu liegen: Die satirische Bloßstellung der menschlichen Arroganz und Dummheit. Siehe dazu auch „Zeit der Kannibalen“ (2014, Rezi HIER). Ein Filmemacher/Künstler der dorthin geht, wo es (moralisch) wehtut. Gerne mehr davon!

Die DVD bietet den Film in deutscher Originalsprachfassung und als Hörfilmfassung für Blinde und Sehbehinderte (sehr lobenswert!). Deutsche Untertitel sind optional verfügbar. Als Extra gibt es Interviews, gelöschte Szenen und Trailer. „Curveball – Wir machen die Wahrheit“ erscheint bei Filmwelt Verleihagentur / EuroVideo Medien GmbH und ist seit 17. März 2022 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Sten Mende/Filmwelt/EuroVideo)

Heimkino-Tipp: „Benedetta“ (2021)

Flesh + Blood

Ich bin immer wieder beeindruckt, mit welch Virtuosität und Energie Regisseure jenseits der 60, 70 und, wie hier bei Paul Verhoeven, jenseits der 80 Filme raushauen, die weit von sogenannter Altersmilde entfernt sind. So knurrt immer noch keiner so wunderbar wie Clint Eastwood (91 Jahre alt, „Cry Macho“, 2021), inszeniert niemand Ritterspektakel so derbe wie Ridley Scott (84 Jahre alt, „The Last Duel“, 2021), und wenn es um sexuell aufgeladene Provokationen geht, ist der gebürtige Niederländer Verhoeven (83 Jahre alt) immer noch der beste Mann, um es filmisch umzusetzen.

Nachdem er 2016 mit dem gefeierten und gleichsam umstrittenen „Elle“ (Rezension HIER) einmal mehr für Furore sorgte, widmet er sich in „Benedetta“ nun einer (realen) historischen Figur, die zu Lebzeiten offenbar auf vielerlei Weise für Aufsehen sorgte. Benedetta Carlini (1590 - 1661) wurde seit ihrer Kindheit auf ein Leben im Kloster vorbereitet. Sie behauptete später, Visionen von Jesus zu haben, trug Wundmale an Händen, Füßen und Stirn und soll zudem eine lesbische Beziehung mit einer anderen Nonne geführt haben. In einer Zeit, in der Männer der Kirche das alleinige Sagen hatten (oder zumindest viel Einfluss auf Regierende), waren Enthüllungen und Frauen wie diese etwas, das viel Misstrauen hervorrief – sowohl bei den Herrschenden als auch bei der Bevölkerung.

Der Lebensgeschichte von Carlini, im Film mit beeindruckender Präsenz und nuanciertem Spiel dargestellt von Virginie Efira, folgt Verhoeven in seinem Film chronologisch und verdeutlicht dabei nicht nur das religiöse, sondern ebenso das sexuelle Erwachen einer Nonne, die sich einerseits berufen fühlt, die Menschen in ihrer Umgebung vor Unheil zu warnen und zu schützen, andererseits zunehmend offensiv mit ihrer Macht hantiert – sei es gegenüber ihrer Liebhaberin (Daphne Patakia) oder der ihr unterwiesenen Schwestern (u.a. Charlotte Rampling). Dass ein Regisseur wie Verhoeven dabei in punkto Zeigefreudigkeit und Gewaltspitzen keine Gefangenen macht, sollte jeder/m klar sein, der andere Werke aus dessen Œuvre kennt.

Ähnlich wie sein Kollege Scott in „The Last Duel“, der ebenso vom Kampf einer Frau um Selbstbestimmung (im Frankreich des 14. Jahrhunderts) handelt, stilisiert Verhoeven seine Protagonistin jedoch nicht zu einer modernen Feministin, sondern legt vielmehr rigoros und wenig schmeichelhaft Machtstrukturen offen, in der Frauen jedwede Individualität abgesprochen und jeder Regelbruch hart bestraft wird.

Wie der geneigte Zuschauer (ja, hier ist vornehmlich der männliche gemeint) damit umgeht und es auf heutige Zustände überträgt, bleibt ihm selbst überlassen. Doch einmal mehr wird zumindest mir klar, wie aktuell selbst über 400 Jahre alte Geschichten und Ereignisse auch heute noch sind. Und wie wenig sich bisher geändert hat. Leider.

Der Film erscheint in mehreren verschiedenen Varianten auf DVD/Blu-ray/4K Ultra HD. Neben Einzeldiscs gibt es zwei optisch unterschiedliche Mediabook-Versionen, die diverse Extras (Interviews, Trailer, Booklet) enthalten. Der Film liegt bei allen Veröffentlichungen im französischen Originalton und deutsch synchronisiert vor. Untertitel sind optional einblendbar. „Benedetta“ erscheint bei Koch Media/Capelight und ist seit 18. Januar digital und ab 24. Februar 2022 physisch erhältlich. (Packshot + stills: © capelight pictures / Koch Films)