Heimkino-Tipp: „Curveball“ (2021)

Wir machen die Wahrheit

These: Film ist immer Manipulation. Die Zuschauer sehen, hören und bezeugen stets nur das, was die Filmemacher ihnen bereit sind zu zeigen. Vor allem das Dokumentarfilm-Genre ist hierfür prädestiniert und hat mit Mockumentarys inzwischen sogar eine ganz eigene Bezeichnung für Dokus geschaffen, die ihre realen Bilder mit inszenierten Szenen vermischen – ohne, dass es sofort ersichtlich ist. „Fiktionaler Dokumentarfilm“ ist ein anderer Begriff dafür.

Dies kann bei Spielfilmen ähnlich sein. Zwar weiß das Publikum von vornherein, dass das Gezeigte einer (Autoren-)Fantasie entsprungen ist. Eine realistische, lebensnahe Darstellung dieser Fiktion kann dies jedoch schnell vergessen machen. Kommt dann noch das Attribut „basierend auf wahren Begebenheiten“ hinzu, können Spielfilme mitunter zu (gefährlichen) Propagandawaffen werden. Beispiele liefert die Filmgeschichte etliche, von „Panzerkreuzer Potemkin“ über „Jud Süß“ bis hin zu „Zero Dark Thirty“ – wie mensch all diese Geschichten aufnimmt, interpretiert und weiterdenkt, kann ganz unterschiedliche Folgen haben.

Auch ich hatte nun dank „Curveball“ einen solchen ‚Moment der Erleuchtung‘. Als politisch interessierter Mensch glaubte ich u.a. zu wissen, warum damals das Kabinett Schröder II (2002-2005) der Teilnahme am Irakkrieg der Amerikaner eine Absage erteilte. Nach der Sichtung von Johannes Nabers bitterbösem Streifen ist die Faktengrundlage eine andere. Ohne an dieser Stelle weiter ins Detail zu gehen, ist Naber damit ebenso das gelungen, was oben angedeutet wurde: Sein Film legt schlüssig, clever und obendrein noch sehr unterhaltsam eine (ausgewählte) Faktensammlung vor, die bei mir als Zuschauer etwas auslöst, mich zum Umdenken animiert und auch mein Bild von bestimmten Personen/Politikern nachhaltig verändert. Nun will ich Naber gar keine bösen Absichten unterstellen. Vielmehr nutzt er seine Fähigkeiten als Filmemacher, um auf einen Missstand hinzuweisen, der die Weltpolitik und die Weltgeschichte beeinflusste und für immer veränderte. Klingt übertrieben? Ist aber so.

Konkret erzählt (oder berichtet?) „Curveball“ eine Geschichte über den Bundesnachrichtendienst, kurz BND. Dessen Mitarbeiter Wolf (Sebastian Blomberg) ist Biowaffenexperte und wird von seinem karrieregeilen Chef Schatz (Thorsten Merten) auf einen Informanten (Dar Salim) angesetzt, der angeblich in einer von Saddam Husseins geheimen Waffenfabriken tätig war. Zwar sind seine Beweise dafür ziemlich dünn, Wolf, Schatz und den BND hält dies jedoch nicht davon ab, an der These, der Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen, festzuhalten. Als es im September 2001 zu den verheerenden Terroranschlägen in New York kommt, wird der BND dank seines Informanten plötzlich ein ‚Global Player‘ auf Augenhöhe mit der CIA. Denn deren Regierung will nur Eines: Irgendeinen Grund für einen Angriffskrieg gegen den Irak finden. Ob dieser der Wahrheit entspricht, ist erstmal zweitrangig.

Getragen von fantastischen Darstellern, ist „Curveball“ eine feinsinnige Geheimdienstfarce, die von peinlichem Männerstolz, Erfolgsgier, Überheblichkeit und Paranoia erzählt - dummerweise in einem Berufsfeld, dessen Aktionen und Behauptungen weltweite Folgen haben können. Dass Vieles davon nahe an der Wahrheit ist, macht es umso witziger/bedrückender/beschämender.

Aber das scheint Regisseur Naber generell zu liegen: Die satirische Bloßstellung der menschlichen Arroganz und Dummheit. Siehe dazu auch „Zeit der Kannibalen“ (2014, Rezi HIER). Ein Filmemacher/Künstler der dorthin geht, wo es (moralisch) wehtut. Gerne mehr davon!

Die DVD bietet den Film in deutscher Originalsprachfassung und als Hörfilmfassung für Blinde und Sehbehinderte (sehr lobenswert!). Deutsche Untertitel sind optional verfügbar. Als Extra gibt es Interviews, gelöschte Szenen und Trailer. „Curveball – Wir machen die Wahrheit“ erscheint bei Filmwelt Verleihagentur / EuroVideo Medien GmbH und ist seit 17. März 2022 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Sten Mende/Filmwelt/EuroVideo)