
Am Anfang stand die Vereinbarung, „keine Idee, kein Bild zuzulassen, zu dem es eine rationale, psychologische oder kulturelle Erklärung gäbe; die Tore des Irrationalen weit zu öffnen; nur Bilder zuzulassen, die sich aufdrängten, ohne in Erfahrung bringen zu wollen, warum.“ Das Ergebnis dieser Übereinstimmung zwischen den beiden spanischen Künstlern Luis Buñuel (1900-1983) und Salvador Dalí (1904-1989) wird heute oftmals als das Meisterwerk des surrealistischen Films bezeichnet: „Ein andalusischer Hund“.
Der 1929 in Frankreich entstandene Kurzfilm (ca. 17 Minuten) ist nun zusammen mit dem zweiten gemeinsamen Film von Buñuel und Dalí, „Das goldene Zeitalter“ (1930, ca. 63 Minuten), erstmals auf DVD in Deutschland erhältlich. Zwei Kunstwerke, die sich einem nachvollziehbaren Handlungskonstrukt verwehren, surreale Bilderwelten aneinanderreihen, provozieren und verstören. Zwei Kunstwerke, die nicht nur die Bewegung des Surrealismus vom reinen Gedankenspiel und der Literatur auf die darstellende (Film-)Kunst übertrugen, sondern ebenso die (moralischen) Grenzen des Darstellbaren bewusst überschritten. So sind die Szenen vom mit einer Rasierklinge durchschnittenen Auge einer Frau, der Hand, aus der unzählige Ameisen quillen oder des Mordes eines Vaters an seinem jungen Sohn noch heute schockierend, gleichzeitig aber optisch bemerkenswert umgesetzt – und sicherlich auch vielen Menschen bekannt, die diese Filme nie selbst gesehen haben.
Um den eigentlichen Sinn dieser Bilderwelten zu begreifen, sind Vorkenntnisse über die surrealistische Bewegung unabdingbar. Zuschauer, die vornehmlich aufgrund der filmhistorischen Bedeutung an diesen Werken interessiert sind (was auch auf mich zutrifft), müssen allerdings trotzdem nicht an ihrem Halbwissen leiden: Neben einer 90minütigen (!) Dokumentation über Buñuel liegt der DVD noch ein mehrseitiges Booklet bei, das Auszüge aus Buñuels Autobiographie „Mein letzter Seufzer“ (erschienen 1983) enthält. Darin erinnert sich der Regisseur an den Entstehungsprozess und die Premieren beider Filme und gibt damit auch ein paar Anhaltspunkte zur Bedeutung und zur Eigeninterpretation seiner Arbeit. So ist zu lesen, dass er damals wie 50 Jahre später nicht gezögert hätte, das Negativ (=Original) von „Ein andalusischer Hund“ zu verbrennen – einfach nur, weil es ihm „vollkommen egal“ sei.
Über dieses Fazit kann man den Kopf schütteln oder – als Verfechter des Surrealismus – zustimmend applaudieren. Also genau das tun, was Buñuel und Dalí beabsichtigten: darüber streiten, es verdammen oder loben. Letzteres verdient diese liebevolle DVD-Umsetzung allemal.
Die DVD „Ein andalusischer Hund“ / „Das goldene Zeitalter“ (FSK 16) erschien am 19. November 2010 bei Pierrot le Fou/AL!VE AG.