Heimkino-Tipp: „Longlegs“ (2024)

Gruselkabinett

Als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte, waren neue Filme sehr viel mehr auf gute Vorab-Rezensionen, neugierig machende Teaser und Trailer sowie positive Mundpropaganda angewiesen. Der Trick lag darin, das Interesse des Publikums zu wecken, ohne zu viel zu verraten. Heuer ist so etwas leider kaum noch möglich, besteht doch regelrecht ein (Klick-)Wettbewerb darum, wer als erstes den größten Spoiler einer neuen Serie oder eines Films auf seinem Social Media-Account preisgibt. Umso erfreulicher, dass hin und wieder Ausnahmen gelingen – wie im Falle von „Longlegs“, dem aktuellen Thriller von Osgood Perkins.

USA, Mitte der 1990er: Seit über 30 Jahren ist das FBI auf der Suche nach einem Phantom, das sich ‚Longlegs‘ nennt. Ähnlich dem Zodiac-Killer, der Ende der 1960er-Jahre mehrere Morde verübte, hinterlässt Longlegs kryptisch anmutende Schreiben an den Tatorten, die bisher nicht entschlüsselt werden konnten. Nun soll die junge Nachwuchsagentin Lee (Maika Monroe) ihr Glück an dem Fall versuchen – und entdeckt zur Überraschung ihres Vorgesetzten (Blair Underwood) tatsächlich eine neue Spur: Scheinbar gelingt es Longlegs stets, Väter dazu zu bewegen, ihre Familien zu ermorden, ohne selbst tätig zu werden. Nicht weniger verstörend: Offensichtlich weiß er bereits, dass Lee ihm auf den Fersen ist.

Richtig bedrückend sind Thriller oftmals dann, wenn das Publikum die Ereignisse aus der Sicht der Antagonisten miterleben kann. Regisseur und Autor Osgood Perkins weiß dies sicher ganz genau, war doch sein Vater kein Geringerer als Anthony Perkins, der dank seiner Rolle als Norman Bates in Alfred Hitchocks „Psycho“ (1960) weltweit bekannt wurde. Auch „Longlegs“ präsentiert immer wieder Szenen, die in das Innenleben des Gejagten blicken lassen, was per se schon Unbehagen auslöst. In den Händen eines Schauspielers wie Nicolas Cage potenziert sich das dann noch einmal beträchtlich. Obwohl sein Äußeres über die Hälfte des Films nur schemenhaft erkennbar ist, weiß mensch schon von Beginn an, dass dieser Freak(?) nichts Gutes im Schilde führt. Stimme, Körperhaltung, Sprachmelodie, Kleidung, Gang: Cages’ Longlegs ist ein Gesamtkunstwerk – und natürlich der Star des Films.

Doch nicht allein: Die Figur der Nachwuchsermittlerin Lee ist in ihrer verschlossenen und kommunikationsnegierenden Art ein nicht minder interessanter Charakter, deren Eigenheiten nach und nach begründet, entschlüsselt und von Monroe (der Hauptdarstellerin aus dem grandiosen „It Follows“) bemerkenswert dargestellt werden. Apropos: Kamera, Perspektivenwahl und Sounddesign erinnern ebenso immer wieder an den Horrorfilm von 2014 und zeugen vom großen Stilwillen des Regisseurs.

„Longlegs“ ist – nicht nur aufgrund seiner kantigen Figuren – kein ‚Krimi für nebenbei‘, sondern nimmt sich viel Zeit für die Gestaltung seiner Welt, von Atmosphäre und Handlung. Wer sich darauf einlässt, den erwartet ein wunderbar gruseliges Filmerlebnis, das länger nachwirkt als etliche andere Genre-Vertreter. Die Entscheidung des Verleihs, im Vorfeld statt einer eindeutigen eine auf den Inhalt bezogen eher rätselhafte Promotion zu betreiben und darin u.a. Longlegs’ Aussehen nicht preiszugeben (was die diversen Teaser beweisen), unterstreicht dies gelungen. Ich empfehle sehr, dies vor der Erstsichtung auch so zu belassen.

Die 4K Ultra HD/Blu-ray/DVD bietet den Film in englischer Original- sowie deutscher Synchronsprachfassung. Deutsche und englische Untertitel sind optional vorhanden. Als Bonus gibt es einen Audiokommentar des Regisseurs, Interviews, diverse Teaser und Trailer. „Longlegs“ erscheint bei DCM Film Distribution GmbH im Vertrieb von Leonine und ist seit 29. November 2024 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © DCM/C2 Motion Picture Group LLC)