Heimkino-Tipp: „The Sea of Trees“ (2015)

Gerry 2.0

Im Jahr 2002 wagte Regisseur Gus van Sant ein cineastisches Experiment: Zwei Darsteller (Casey Affleck, Matt Damon), eine Wüste, 103 Minuten LAUFzeit – in „Gerry“ sieht man beiden Protagonisten dabei zu, wie sie durch eine Steppe stolpern, auf der Suche nach Wasser, Zivilisation, Erlösung. In gewisser Weise ist van Sants neuer Film „The Sea of Trees“ eine späte Fortsetzung, auch wenn letzterer definitiv zugänglicher ist als der Vorgänger. Man könnte es böswillig auch massenkompatibler nennen.

Im Mittelpunkt von „The Sea of Trees“ steht der Uni-Dozent Arthur (Matthew McConaughey), der sich nach Japan begibt, um dort im Aokigahara-Wald* seinem Leben ein Ende zu setzen. Doch bevor es dazu kommt, wird er auf einen taumelnden, verletzten Mann (Ken Watanabe) aufmerksam, der sich ihm später als Takumi Nakamura vorstellt. Er hat sich offensichtlich verlaufen und bittet Arthur, ihm den Weg aus dem Wald zu weisen. Notgedrungen begleitet Arthur ihn, nur um festzustellen, dass er selbst die Orientierung verloren hat. Während ihrer gemeinsamen Suche nach dem rettenden Pfad berichtet Arthur dem Fremden von seiner Frau Joan (Naomi Watts), deren Schicksal ihn zu diesem Ort geführt hat.

In Rückblenden erzählt der Film nun vom Zerfall einer Ehe, die durch ein unerwartetes trauriges Ereignis wieder zu blühen begann. Es sind vor allem diese Alltagsszenen zwischen McConaughey und Watts, die mit ihrer emotionalen Wucht begeistern. Demgegenüber steht die Begegnung der Männer in einer undurchsichtigen, in Teilen bedrohlichen Natur. Wie diese beiden Erzählstränge letztlich zusammenpassen, wird beim aufmerksamen Zuhören und -schauen relativ schnell (und zu früh?) ersichtlich.

Das macht „The Sea of Trees“ noch nicht zu einem schlechten Film. Nur die Penetranz, mit der der Zuschauer mittels Querverweisen und wiederholten Szenen bzw. Dialogen zur gewünschten Interpretation regelrecht geprügelt wird, ist beinahe unerträglich. Nicht minder ärgerlich ist eine nur auf einen plumpen Schockeffekt hinzielende Actionszene im letzten Drittel des Films, die der Geschichte zwischen Arthur und Joan noch einmal einen Twist gibt, der erzählerisch auf sehr viel einfacheren Wegen hätte erreicht werden können.

Zweifellos ist die Aussage von „The Sea of Trees“ eine berührende und allgemein gültige. Wären das Skript und der Regisseur jedoch etwas häufiger von bereits ausgetretenen Pfaden bei der Umsetzung abgekommen, wäre möglicherweise ein außergewöhnliches Werk entstanden. So bleibt es lediglich ein Drama, das wohl nur wegen seiner prominenten Besetzung und des gewöhnlich sehr viel risikofreudigeren Mannes auf dem Regiestuhl in Erinnerung bleiben wird.

*Der Aokigahara-Wald existiert tatsächlich. Er ist auch als „Suicide Forest“ bekannt, da sich dort wöchentlich durchschnittlich drei Menschen das Leben nehmen.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Extras gibt es ein kurzes Making of sowie Trailer. „The Sea of Trees“ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite) und ist seit 13. Januar 2017 erhältlich. (Packshot + Filmstills: © Ascot Elite)

„Diamond Island“ (Kinostart: 19. Januar 2017)

Dazed and Confused

Oha! Könnte es sein, dass „Diamond Island“ der erste kambodschanische Kinofilm ist, den ich gesehen habe? Etlichen Lesern dieser Seite wird es höchstwahrscheinlich ähnlich gehen. Kaum verwunderlich: Die Filmindustrie des südostasiatischen Landes steckt (wieder) in den Kinderschuhen und auch das Spielfilmdebüt von Davy Chou ist streng genommen ‚nur‘ eine französisch-deutsche Koproduktion. Die Ursache für diese quasi nicht existente Filmkultur liegt in der Geschichte des Landes begründet. Das Schreckensregime der Roten Khmer (1975 - 1979) löschte fast das gesamte Metier aus, Filmschaffende inklusive. So war es auch für Regisseur Chou eine notwendige Konsequenz, sein Jugenddrama fast ausschließlich mit Laiendarstellern zu besetzen, da es schlicht keine professionellen Schauspieler vor Ort gibt. Chou, dessen Großvater Van Chann in den 1960er-Jahren zu den wichtigsten Filmemachern und –Produzenten Kambodschas zählte, widmete sich in dem Dokumentarfilm „Golden Slumbers“ (2011/2012) eben jener Thematik. Nun also sein erster fiktiver Streifen.

Wobei ‚fiktiv‘ hierbei relativ ist: „Ich hatte in keiner Weise geplant, dass die Persönlichkeiten der Schauspieler die Figuren so extrem beeinflussen würden. Wenn man eine Figur erfindet, ist sie immer eine Projektion von etwas. Es ist deshalb faszinierend, wenn diese Projektion auf die individuelle Realität des Schauspielers trifft, mit seiner eigenen Geschichte, Persönlichkeit und Empfindung.“, gibt Chou in einem Interview zu, das im Presseheft zum Film zu finden ist.

Seine Figuren, das sind der 18-jährige Bora (Nuon Sobon) und seine gleichaltrigen Freunde. Sie haben ihre Heimatdörfer verlassen, um in der Hauptstadt Phnom Penh auf einer der größten Baustellen des Landes zu arbeiten: Diamond Island. Ein luxuriöses Neubauprojekt, das der ganzen Welt zeigen soll, dass Kambodscha ein modernes und stetig wachsendes Land geworden ist. Während die Jungs tagsüber in der sengenden Sonne schuften, hoffen sie nachts auf romantische Abenteuer mit Mädchen, die in den Stadtteilen rund um die Baustelle leben. Eines Abends trifft Bora zufällig seinen älteren Bruder Solei (Nov Cheanick) wieder, der bereits vor Jahren das ländliche Zuhause verlassen hat und nun ein scheinbar gutes Leben in der Großstadt führt. Er nimmt Bora mit in seine wohlhabende Welt, die so ganz anders ist als der Slum, den der Teenager täglich vor Augen hat.

„Diamond Island“ ist weniger ein Film mit einer konsequenten Handlung als vielmehr ein Werk der Stimmungen, der Atmosphäre. Regisseur Chou gelingt es wunderbar, das zurückhaltende Entdecken seiner jungen Protagonisten einzufangen. Schüchtern, ein wenig frech, hoffnungsvoll und bereit, das aufregende Leben anzugehen, suchen sie ihren Platz in der Gesellschaft, wohlwissend, dass ein Scheitern sie zurück in die Abgeschiedenheit des Hinterlandes katapultieren würde. Dank hypnotisch schöner Kamerafahrten (Thomas Favel) durchstreift der Zuschauer an ihrer Seite Phnom Penh und entdeckt dabei immer wieder die krassen Gegensätze zwischen arm und reich, die meist nur eine Straßenecke voneinander entfernt liegen. Dazu eine Filmmusik (Jérémie Arcache & Christophe Musset von der Band Revolver), die die Melancholie von Bora treffsicher einfängt und eine auditive Brücke zwischen modernen Sounds und traditionellen kambodschanischen Klangwelten baut.

In seinen schönsten Momenten erinnert „Diamond Island“ sogar an Sofia Coppolas „Lost in Translation“ (2003) – nicht nur in cineastischer Hinsicht, sondern auch Inhaltsbezogen: Denn irgendwann tritt der Film erzählerisch auf der Stelle, nur um kurz darauf Szenen anzuschließen, die zeitlich sehr viel später angesiedelt sind. Aber vielleicht ist diese Verwirrung beim Zuschauer auch beabsichtigt, spiegelt sie doch ebenso das Gefühlschaos wieder, das Bora erfährt.

Davy Chou ist mit „Diamond Island“ ein Kleinod gelungen, das auf technischer Ebene keine internationalen Vergleiche scheuen muss, inhaltlich allerdings nicht auf voller Länge überzeugen kann. Aber definitiv der beste kambodschanische Film, den ich bisher gesehen habe.

(Plakat + stills: © 2016 Rapid Eye Movies)

Heimkino-Tipp: „Mechanic: Resurrection“ (2016)

Arthur, der Todesengel

Nachdem es der inzwischen 49-jährige Jason „The Stath“ Statham zuletzt ein w-e-n-i-g ruhiger angehen ließ und sich unter anderem mit „Redemption“ (Rezension siehe HIER), „Wild Card“ (Rezension siehe HIER) sowie „Spy ‒ Susan Cooper Undercover“ Rollen mit dramatischen bzw. komödiantischen Anforderungen stellte, kehrt er nun mit dem zweiten Teil der „The Mechanic“-Reihe wieder in seine Komfortzone zurück: dem knallharten Actiongenre, das vor allem seine physischen Stärken erfordert.

Die Regie bei der Fortsetzung zum passablen Erstling von 2011, der wiederum ein Remake des Charles Bronson-Klassikers „Kalter Hauch“ von 1972 war, übernahm Dennis Gansel. Es ist gleichzeitig das US-Debüt des gebürtigen Hannoveraners, der in den vergangenen Jahren hierzulande schon etliche Filmhits vorlegte: „Napola“ (2004), „Die Welle“ (2008) und „Die vierte Macht“ (2012), um nur einige zu nennen, zeichneten sich bereits durch einen, nennen wir es ‚hollywoodesken‘ Stil aus. Da war es nur konsequent, dass Gansel nun auch in den USA tätig wird.

Herausgekommen ist ein klassischer Statham-Streifen, der bezüglich der Quantität an Actionszenen keine Wünsche offenlässt. Es knallt, scheppert und explodiert allerorten, mittendrin ein cooler Hauptdarsteller, der einmal mehr beweist, dass er der einzig legitime Erbe des Stallone-/Schwarzenegger-Throns ist; denn im Gegensatz zu Vin Diesel und anderen Konsorten ist The Stath der Spaß an der Arbeit jederzeit anzusehen, ein Augenzwinkern ist stets zu erkennen und sein Charisma unübersehbar. Da macht es auch nix, wenn er mal wieder die Grenzen der Realität ein wenig zu sehr strapaziert ‒ The Stath darf das!

Nachdem sich der ehemalige Berufskiller Arthur Bishop (Statham) nach Südamerika zurückgezogen hat und dort quasi unter dem Radar the sunny side of life genießt, wird er über Umwege (und eine grandiose Actionsequenz zu Beginn) zu gleich drei neuen Aufträgen gezwungen – andernfalls stirbt die hübsche Gina (Jessica Alba), in die sich unser Held erst kurz zuvor verliebt hatte. Dass es sich bei den potenziellen Opfern um außergewöhnlich gut bewachte und geschützte Personen handelt, erschwert die Mission, die Bishop rund um den Globus führt.

Fast entsteht der Eindruck, „The Mechanic“ soll Stathams eigene „James Bond“-Reihe werden: In atemlosem Tempo hetzt er von einem Traumort zum nächsten, trifft dabei ausnahmslos auf schöne Damen (neben Alba u.a. Michelle Yeoh) und schickt die bösen Jungs mit ihren schießwütigen Handlangern ohne mit der Wimper zu zucken reihenweise über den Jordan. Das alles ist von Gansel zackig und äußerst blutig in Szene gesetzt, glücklicherweise ohne Schnittmassaker wie zuletzt beispielsweise bei Liam Neesons „Taken“-Reihe. So sehr sich die Macher (hier sei besonders die Stunt-Crew um Legende Vic Armstrong gelobt) aber auch mühen, unterhaltsame und spannende Fights/Szenen zu kreieren: irgendwann ermüdet es doch ein wenig, zumal die Anzahl der bedauernswerten Statisten, die unserem Protagonisten entgegentreten müssen, schon „Phantom Kommando“-Spähren erreicht.

Drumherum gibt es viel Augenfutter sowohl für Fans von Guckschatz Jessica Alba als auch von The Stath, die in unzähligen sinnfreien Szenen wahlweise am Strand, im Wasser oder im Bett ihre schönen Körper präsentieren. Irgendwann taucht dann auch noch Tommy Lee Jones auf, der im beigefügten Interview auf die Frage, warum er hierbei mitwirken wollte, nach kurzem Überlegen nur den Drehort und die Kostüme als Argument aufführen kann. Wunderbar ehrlich und im Film von Jones ebenso witzig dargestellt.

„Mechanic: Resurrection“ sticht zwar nicht unbedingt im Filmkanon von The Stath heraus, bietet aber solide und kurzweilige Unterhaltung für Fans des Genres. Einige Stunts sind dabei tatsächlich herausragend (Stichwort: Swimmingpool), in ihrer Vielzahl jedoch ermüdend. Ein „No-Brainer“ sozusagen, der allerdings viel Spaß macht.

P.S.: Noch eine Anmerkung zum Special „Videotagebuch der Dreharbeiten“: Regisseur Gansel hat die ersten Tage nach seiner Ankunft in Hollywood mit seiner Handykamera festgehalten. Sie zeigen erfreulich offen, wie das „System Hollywood“ funktioniert und Neuankömmlinge von Termin zu Termin gejagt werden. Inwiefern das Endprodukt tatsächlich ein Gansel-Werk ist, lässt sich erahnen.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung. Deutsche und englische Untertitel für Hörgeschädigte sind vorhanden. Als Extras gibt es mehrere Featurettes (eines davon stellt den Komponisten Mark Isham etwas ausführlicher vor), ein Making of, Interviews, Trailer sowie das oben erwähnte Videotagebuch des Regisseurs. „Mechanic: Resurrection“ erscheint bei Universum Film und ist seit 27. Dezember 2016 erhältlich. (Packshot + Filmstills: © Universum)

Heimkino-Tipp: „Die Unfassbaren 2“ (2016)

The Prestige Kids

Realitätsnahe Spielfilme über Zauberer und ihre Kunst zu kreieren, ist keine leichte Aufgabe: Im Gegensatz zu einer Bühnenshow fehlt der unmittelbare Kontakt zum Publikum, jeder Schnitt und Szenenwechsel ersetzt das Staunen beim Zuschauer mit dem Verdacht, mittels eines Kameratricks geschummelt zu haben. Dass es trotzdem gelingen kann, einen glaubhaften und spannenden Film über die Magie der Magie zu machen, bewies unter anderem Christopher Nolan 2006 mit „The Prestige“. Sein Kollege Louis Leterrier legte 2013 mit „Die Unfassbaren – Now You See Me“ nach, überfrachtete seinen Streifen jedoch mit derart vielen Special Effects, unmöglichen Kamerafahrten und hektischen Schnitten, dass nur wenig Magisches übrigblieb. Erinnerungswürdig aber war die Besetzung, die bis auf die weibliche Hauptrolle (alt: Isla Fischer, neu: Lizzy Caplan) komplett zurückkehrt, um nun im zweiten Teil wieder die Zaubercombo „Vier Reiter“ (plus Gäste) zu geben.

Atlas (Jesse Eisenberg), Merritt (Woody Harrelson), Jack (Dave Franco), Dylan (Mark Ruffalo) und Lula (Lizzy Caplan) werden von der Bühne weg entführt und nach Macau verschleppt. Dort wartet der junge Technik-Nerd Walter Mabry schon auf sie und zwingt sie, unter Zuhilfenahme ihrer Fähigkeiten einen spektakulären Raub zu vollziehen. Parallel versucht das FBI, die Bande zu erwischen, da sie während ihrer Shows gerne mal das Publikum mit geklautem Geld beschenken.

Einer verjüngten Ocean’s Eleven-Variation gleich gilt es nun, bestens bewachte Infos zu klauen, den Oberbösewicht hinters Licht zu führen und ganz nebenbei noch die Öffentlichkeit zu unterhalten, was Regisseur Jon M. Chu („G.I. Joe – Die Abrechnung“) auch erstaunlich gut gelingt. Mehr noch als im ersten Teil lässt er dabei aber seine bemerkenswerte Darstellerriege miteinander agieren und witzige Dialoge austauschen, und entschlüsselt für sein Publikum gleichzeitig noch ein paar Tricks, die die Darsteller vor der Kamera tatsächlich vollführten. Höhepunkt ist zweifellos der Einbruch in einen Hochsicherheitstrakt, bei dem die „Vier Reiter“ mittels geschickt vollzogener Ablenkungsmanöver eine Festplatte stibitzen. Wer’s nicht glaubt, bitte das Making of anschauen!

DER ganz große Trumpf, neben den ebenso wiederkehrenden Schauspielerlegenden Michael Caine und Morgan Freeman als Rivalen im Hintergrund, ist allerdings Daniel Radcliffe („Harry Potter“). Der hat sichtlich Freude an der Rolle des garstigen Mabry, zumal er einen an Zauberei interessierten, aber wenig talentierten Nerd geben darf. Herrlich!

Mehr Humor, weniger offensichtliche Effekte und eine bessere (weil ruhigere) Inszenierung als beim Vorgänger lassen „Die Unfassbaren 2“ zu einem unterhaltsamen Spektakel werden, das zwar nie die dramatische und inhaltliche Tiefe von Meisterwerken wie „The Prestige“ erreichen kann, nichtsdestotrotz aber vor allem dank der fabelhaft aufgelegten Darsteller Freude macht.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel für Hörgeschädigte. Als Extras befinden sich drei Making of-Segmente sowie diverse Teaser und Trailer auf den Discs. „Die Unfassbaren 2“ erscheint bei Concorde Home Entertainment und ist seit 27. Dezember 2016 erhältlich. (Packshot: © Concorde)

Heimkino-Tipp: „Imperium“ (2016)

Die Macht der Worte

Es gibt zweifellos angenehmere Wege einen Film zu eröffnen denn mit einer Aussage von Adolf Hitler. Für sein Langfilmdebüt „Imperium“ hat es Regisseur und Autor Daniel Ragussis trotzdem gewagt – nur um seinem Publikum in den folgenden knapp zwei Stunden eindrucksvoll zu zeigen, dass eine der hilfreichsten und primären Waffen des Hasses immer noch das Wort sein kann. Leider ist dies auch rund um den Globus momentan in erschreckender Weise wieder zu erleben, was diesem Filmdrama zusätzliche, traurige Aktualität verleiht.

Der junge FBI-Agent Nate Foster (Daniel Radcliffe) hat bei seinen erfahrenen Kollegen nicht den besten Stand. Der zurückhaltende Bursche mit einer Vorliebe für klassische Musik ist für seine ältere Kollegin Angela (Toni Collette) daher der ideale Kandidat für einen Undercover-Einsatz, von dem sie sich Beweise für ihre Theorie eines rechten Terrornetzwerks erhofft, das landesweit Anschläge koordiniert und vorbereitet. Nach anfänglichem Zögern lässt sich Foster überreden, mit einer neuen Identität in eben jenes Umfeld einzutauchen. Als „Nathan“ gelingt es ihm dank seines intelligenten Auftretens sehr schnell, zu den Entscheidungsträgern der rechtsradikalen Bewegung vorzudringen. Die Gefahr, aufzufliegen, ist jedoch omnipräsent. Zudem gerät Nathan immer wieder in Situationen, in denen er seine Gesinnung vor den Augen anderer beweisen muss.

Je weiter sich Daniel Radcliffe zeitlich von seinen „Harry Potter“-Auftritten entfernt, umso mehr versetzt er mich ins Staunen. Zwar gab er auch schon den Zauberlehrling sehr überzeugend. Doch Radcliffe hat in Bezug auf seinen Beruf ganz offensichtlich noch lange nicht genug. Hier ist ein Künstler, der darauf brennt, seinen schauspielerischen Horizont konstant zu erweitern. Seine Performance in „Imperium“ beweist dies einmal mehr eindrucksvoll. Obwohl kleiner und weniger Muskelbepackt als seine „Kameraden“, versprüht sein Nathan eine bedrohliche Aura, die keinen Zweifel an seinen Überzeugungen aufkommen lässt. Auf der anderen Seite gelingt es Radcliffe ebenso, die innerliche Zerrissenheit seines Charakters ob der widerlichen Taten und Äußerungen seines Umfelds zu verdeutlichen. Klasse!

Abseits der schauspielerischen Qualität hat der Film aber noch sehr viel mehr zu bieten: Neben einer erschreckend realitätsnahen Dokumentation der rechten Szene, rückt immer wieder das Wort-Motiv in den Mittelpunkt. Als aufgeklärter und seinen Verstand nutzender Zuschauer mögen die präsentierten hohlen Parolen und absurden Verschwörungstheorien der Nazis lächerlich erscheinen. Die Realität lehrt uns gerade etwas anderes. Und der Illusion, es handele sich bei den Anhängern solcher Bewegungen ‚nur‘ um gescheiterte, bildungsarme Schichten, erteilt Regisseur Ragussis ebenso ein Absage. So geht die vielleicht größte Bedrohung in „Imperium“ nicht von den stets gewaltbereiten Schlägerbanden aus, sondern vielmehr von Personen wie Gerry Conway (Sam Trammell), einem wohlhabenden Familienmenschen, hinter dessen bürgerlicher Fassade ein überzeugter Nationalist steckt, der sogar seine Kinder schon auf einen angeblich bevorstehenden „Rassekrieg“ vorbereitet. Seine Waffe: die Sprache. Und er ist nicht die einzige Figur im Film, die mit ihrer Wortwahl zu Misstrauen, Hass und Gewalt anstachelt.

„Imperium“ schafft somit das Kunststück, neben tollen Schauspielerleistungen und einer packenden Thrillerhandlung ebenso zum Nachdenken anzuregen – über den Zustand westlicher Gesellschaften im Jahre 2016, über die Verführungskraft rechter Denkweisen und über die Macht, die eine Behauptung, ein Satz, ein Wort haben können.* Im Guten wie im Schlechten.

* Ein Thema, dem sich – in einem völlig anderen Kontext – übrigens auch der fantastische Film „Arrival“ widmet, der derzeit im Kino zu sehen ist.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie optionale deutsche Untertitel. Als Bonus befindet sich neben Trailern ein Interview mit Daniel Radcliffe auf den Discs, das im Rahmen der Filmpremiere beim Filmfest in Zürich 2016 aufgenommen wurde. „Imperium“ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite) und ist seit 9. Dezember 2016 erhältlich. (Packshot + stills: © Ascot Elite)

... im Nachgang: „Paterson“ (Kinostart: 17. November 2016)

Nach drei Jahren gibt es endlich einen neuen Jim Jarmusch-Film. Warum der einen Kinobesuch lohnt, lest ihr HIER (von mir stammt der Pro-Teil des Textes).

(Plakat: © 2016 Weltkino Filmverleih GmbH)

Heimkino-Tipp: „Maggies Plan“ (2015)

21st Century Woman

Greta Gerwig besitzt die Woody Allen-Eigenheit: Konstant gute Filme, immer ein wenig ähnlich, stets sympathisch und doch sehr speziell. Harscher formuliert: ob „Frances Ha“, „Mistress America“ oder nun „Maggies Plan“: Gerwig spielt was sie am besten kann, eine leicht verwirrte, charmante und mit dem (Liebes-)Alltag überforderte Stadtneurotikerin, die man entweder sehr mag oder abgrundtief hasst. Das mag vielleicht auch an ihrem unkonventionellen Auftreten liegen, bei dem nie ganz klar ist, ob die 33-Jährige eine Rolle spielt oder schlicht sie selbst ist. Auf jeden Fall aber prädestiniert es sie für Komödien wie die von Rebecca Miller („Pippa Lee“).

Darin ist sie als alleinstehende New Yorkerin Maggie zu sehen, die mit Mitte 30 den Entschluss fasst, ein Kind zu bekommen – notfalls ohne Mann. Sie bittet einen Kommilitonen (Travis Fimmel) aus früheren Tagen, als Samenspender zu agieren, allerdings bitte ohne dazugehörigen Sex. Just nachdem er eingewilligt hat und das Projekt Baby Fahrt aufnimmt, lernt sie den Uni-Dozenten John (Ethan Hawke) kennen. Der ist zwar mit einer erfolgreichen Kollegin (Julianne Moore) verheiratet, aber totunglücklich. Drei Jahre später sind die beiden ein Paar, haben ein gemeinsames Kind und alles könnte perfekt sein – wenn John nicht so gleichgültig wäre. Enttäuscht von seinem Desinteresse, fasst Maggie einen ungewöhnlichen (zweiten) Plan, um für alle Beteiligten eine optimale Lösung zu finden.

Optimierung ist auch das Grundthema, dem sich Regisseurin und Autorin Miller in ihrem Low-Budget-Streifen mal satirisch, mal giftige Pfeile schießend annähert: Ihre Protagonistin Maggie ist eines jener Exemplare, die stets auf das Wohlbefinden aller bedacht sind. Konflikte werden selten direkt von Angesicht zu Angesicht diskutiert, stattdessen wird vermittelt, zurückgesteckt, geschwiegen und ‚hintenrum‘ heimlich ein Schlachtplan entworfen. Halt nur ohne blutige Schlacht und auf einen schmerzfreien Ausgang optimiert. Gleiches gilt für ihren Lebensentwurf, zu dessen Optimierung ihrer Meinung nach eben ein Kind gehört – bis die Realität dazwischenfunkt.

Obwohl diesmal nicht von ihrem Lebensgefährten Noah Baumbach („Greenberg“) inszeniert, ist „Maggies Plan“ ein lupenreiner Gerwig-Film. Komplett auf sie und ihre quirlig/scheue Art zugeschnitten, stolpert sie durch eine Geschichte, die an sich nicht so besonders ist und mehr zum Schmunzeln denn zum Schenkelklopfen einlädt. Angesiedelt in der Intellektuellen-Szene, hauen sich die Charaktere nicht plumpe Fäkalienwitze um die Ohren, sondern geben eher verschwurbelte Dialoge von sich, die zwar nicht minder amüsant, aber manchmal doch ein wenig angestrengt wirken. Oder ist dies alles nur Ironie? Allein das Fachgebiet von Uni-Dozent John ist schon ein Aberwitz an sprachlicher Komposition: „Fiktokritische Perspektiven in Familiendynamiken und Masken in der modernen Familie seit den Viktorianern“.

Richtig viel Spaß hingegen scheint Julianne Moore als dänisch-stämmige Ex zu haben, die – zumindest im Original – einen herrlichen Akzent von der Leine lässt und in ihrem Auftreten keinen Hehl daraus macht, dass sie Maggie zwar mag, aber auch für ein wenig doof hält.

„Maggies Plan“ ist weit entfernt von Hollywoods Hochglanzromanzen und begeistert mit einer rauen Inszenierung, die den kantigen Charakteren eine passende Bühne gibt. Nichts für jedermann, aber eine erfrischende Alternative zum üblichen Schmonz.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Extras gibt es ein kurzes Making of und Trailer. „Maggies Plan“ erscheint bei MFA+ Film im Vertrieb von Sony Pictures Home Entertainment und ist seit 5. Dezember 2016 erhältlich. (Packshot + Filmstills: © MFA+ FilmDistribution e.K./Sony Pictures/Lily Harding Pictures, LLC.)