„Beim Leben meiner Schwester“ (Kinostart: 27. August 2009)

Macaulay Culkin, Haley Joel Osment, Dakota Fanning, Abigail Breslin. Ungewöhnliche Namen scheinen – zumindest in Amerika – eine wichtige Grundlage für erfolgreiche Karrieren als Kinderstar zu sein. Doch der Ruhm ist begrenzt, mit Beginn der Pubertät ist das Leinwandleben an der Seite von Cruise, Willis oder De Niro meist beendet. „Kevin“ hockt nun allein zu Haus, Osment synchronisiert dieser Tage hauptberuflich Videospiele und Elle Fanning schnappt ihrer älteren Schwester inzwischen die Rollen weg.
„Little Miss Sunshine“-Pummelchen Breslin (13) steht dieses Schicksal möglicherweise ebenso noch bevor. Bis dahin veredelt sie Filme wie „Beim Leben meiner Schwester“ und beweist als Anna ihr Talent für anspruchsvolle und komplexe Rollen.

Als das Ehepaar Sara (Cameron Diaz) und Brian (Jason Patric) von der Leukämie ihrer Tochter (Sofia Vassilieva) erfahren, entscheiden sie sich nach zahlreichen fehlgeschlagenen Versuchen einer Knochenmarkspende für eine erneute Schwangerschaft. Zwar stehen die Chancen schlecht, doch mit etwas Glück könnte im Neugeborenen die Rettung liegen und Familie Fitzgerald zur Normalität zurückfinden. Schon kurz nach Annas Geburt stehen die ersten Untersuchungen an und sie wird zum wichtigsten Menschen bei der Behandlung und Heilung ihrer Schwester. Bis sie nach elf Jahren plötzlich „nein“ sagt: Keine Spenden mehr, keine Transfusionen, keine Hilfe. Nur ein juristisches Schreiben, das mit einer Klage gegen die Eltern droht, sollten sie Annas Wunsch nicht akzeptieren.

Mama Diaz hat das Wort

Eine Klage? Ein Prozess Kind gegen Eltern? Normalerweise geht einem solchen Schritt zunächst eine familieninterne Diskussion voraus, zumindest bei einem intakten Verhältnis. Dass der Amerikaner sogleich den Weg zum Anwalt wählt, ist eine wahrhaft seltsame Methode, eigene Forderungen durchzusetzen. Immerhin gelingt es Regisseur Nick Cassavetes diese für europäische Begriffe übertriebene Art der Willensbekundung mit einer glaubhaften Charakterexposition nachvollziehbar zu gestalten. Nach außen perfekte Familienidylle und Zusammenhalt vorgaukelnd, ist es vor allem die Mutter, überambitioniert, aufopferungsvoll und zwanghaft optimistisch in ihrem Denken, welche die Richtung vorgibt und dabei Kollateralschäden in Kauf nimmt.
Die jugendlich wirkende Cameron Diaz – immer noch gewillt, als ernsthafte Schauspielerin Fuß zu fassen – mag als dreifache Mutter fehlbesetzt wirken, ihr solides Spiel zwischen Hilflosigkeit und Strenge zerstreut etwaige Zweifel jedoch schnell.

Musik, Tränen und etwas Kitsch

Nun gehört es zu den Gesetzen des Genres, dass ein Drama dieses Kalibers, so es denn ein breites Publikum ansprechen will, nicht zwanghaft das Leiden und das moralische Ringen der Akteure in den Vordergrund stellt. „Beim Leben meiner Schwester“ lässt dann auch ziemlich schnell die durchaus spannende Frage um das Mitspracherecht eines Kindes bei medizinischen Notwendigkeiten hinter sich und konzentriert sich auf die Gefühlswelt der einzelnen Figuren. Als traue er seinen durchaus hervorragend agierenden Darstellern nicht, verpasst Cassavetes nun fast jeder Szene einen überkitschten Klangteppich mit zutiefst emotionaler Wohlfühlmusik, die dezenter gesetzt eine passende Ergänzung hätte darstellen können. Somit seufzt „Beim Leben meiner Schwester“ letztendlich im Tränenmeer des Zuschauers dahin, der streitbare Ansatz bleibt indessen am Ufer zurück. Schön ist’s irgendwie trotzdem.
Sonnenschein Breslin indessen wird zum nächsten Film durchgereicht und behauptet sich demnächst neben Woody Harrelson und Bill Murray in „Zombieland“. Danach gibt es gleich drei Trickfilmprojekte, die „nur“ ihr stimmliches Talent fordern. Wer sich so lange in einem Tonstudio versteckt, wird womöglich bald nicht mehr vermisst. Erst recht nicht, wenn die nächste Kinderrolle in einem Spielberg-Werk besetzt werden soll. Haley Joel Osment („A.I.-Künstliche Intelligenz“) und Dakota Fanning („Krieg der Welten“) wissen das schon lange.

Aus der „Sächsischen Zeitung“ vom 27. August 2009.

„Inglourious Basterds“ / „Stolz der Nation“ (Kinostart: 20. August 2009)

„Interessanter als die Namensliste jener Regisseure, die eine `Palme d´Or´ (Auszeichnung des jährlich stattfindenden Cannes Film Festival) gewonnen haben, ist die Liste derer, die sie nicht erhalten haben.“

Ein Satz, wie ihn wohl nur ein Filmfreak wie Quentin Tarantino von sich geben kann, dem wohl bestinformierten, lebenden Lexikon zum Thema „bewegte Bilder“ und gleichsam meistgeliebter/meistgehasster Autorenfilmer Amerikas. Seine Werke polarisieren, schrecken ab, begeistern, belohnen Fans mit unzähligen Referenzen zu Kunst und Geschichte, lassen das weniger vorbelastete Publikum hingegen ratlos oder gar kopfschüttelnd zurück. Und trotzdem: Bringt der Autodidakt einen neuen Film auf die Leinwand, entgeht dies weder seinen Kritikern und schon gar nicht seinen Anhängern. Publicity auf allen Kanälen in Reinkultur.

Auch wenn Tarantinos künstlerisches Schaffen nicht überall auf Gegenliebe stößt, so sind Zweifel an seinen Fähigkeiten als Drehbuchautor, Regisseur und Musikarchäologe stets das beste Erkennungszeichen für all jene Zuschauer, die „Film“ nicht als Gesamtwerk, sondern lediglich als „Unterhaltung für Zwischendurch“ akzeptieren. Denn obgleich seine Art und Weise, Figuren, Konflikte und Ereignisse darzustellen viele zartbesaitete Seelen von vornherein vom Filmgenuss ausschließen, so sind seine Arbeiten weder dem Action-, Horror-, noch Kriegsfilmgenre zuzuordnen. Es sind Filme über Menschen, über deren Eigenheiten, über die Macht des Kinos.

Ginge es nach Tarantino, ist es nämlich jene auf Zelluloid gebannte Fantasiewelt, die alles Übel dieser Welt (im Konkreten: die Führungspersönlichkeiten des Nationalsozialismus) vernichten und auslöschen könnte. Ein Märchen, eine freche Idee, ein fabelhafter Stoff für einen außergewöhnlichen Film: „Inglourious Basterds“.

Schon der Beginn des im II. Weltkrieg angesiedelten Epos weiß zu begeistern: Untermalt von einer Melodie aus dem riesigen Fundus von Komponistenlegende Ennio Morricone, der aufgrund anderer Verpflichtungen (leider?) keinen neuen Soundtrack für seinen größten Fan unter den Filmemachern bereitstellen konnte, glaubt man sich in einen Italo-Western zurückversetzt, was die optische Eröffnung kongenial unterstreicht. Was folgt, ist ein sehr langes, sehr ruhig geführtes Gespräch zwischen einem Bauern und einem SS-Offizier, das einmal mehr Tarantinos Talent für psychologisch ausgefeilte Dialoge beweist, mit denen man in den kommenden 150 Minuten noch häufiger konfrontiert werden wird (übrigens von Tom Tykwer ins Deutsche übersetzt). Tatsächlich gibt es wohl derzeit kaum einen anderen Autor, der sich so viel Zeit für das gesprochene Wort in einem „Hollywoodfilm“ nimmt, der „IB“ trotz der konsequenten Verweigerung gängiger Klischees in Umsetzung und Erzählung ja doch ist.

Der hier erstmals auftretende SS-Mann Hans Landa (Christoph Waltz) stellt eine Schlüsselfigur in der Planumsetzung des amerikanischen Leutnants Aldo Raine (Brad Pitt) dar, der zusammen mit anderen jüdischen Soldaten und Anhängern (darunter Eli Roth, Til Schweiger, Diane Kruger) möglichst viele Nazis im besetzten Frankreich „skalpieren“ will. Eine passende Gelegenheit, sogleich die ganze Naziführungsbrut zu exekutieren, arrangiert unbewusst der deutsche Kriegsheld und Schauspieler Fredrick Zoller (Daniel Brühl), der sich in eine französische Kinobetreiberin (Mélanie Laurent) verguckt und Göbbels überredet, die große Premiere seines Propagandafilms „Stolz der Nation“ in ihr Haus zu verlegen.

Zufall und Schicksal spielen eine nicht unerhebliche Rolle, wenn die Geschichte schließlich (fast) alle Akteure im Kino zusammenführt. Nie jedoch stellt sich dabei das Gefühl eines „zu konstruierten“ Plots ein, dafür ist Tarantino einfach zu gründlich und clever in seiner Vorarbeit als Autor und seinen Fähigkeiten als menschliches Filmlexikon. Denn was einmal mehr der ganzen Szenerie eine besondere Note verleiht, ist das wilde Zitieren quer durch die Geschichte des Kinos, Namen die fallen, Musikstücke die kurz ertönen, Filmplakate die im Hintergrund schimmern. Bei aller Zitierwut und Verbeugung vor seinen Kollegen gelingt es ihm jedoch gleichermaßen, eine glaubhafte Welt zu schaffen, in der seine Charaktere nachvollziehbar agieren und niemals zur bloßen Staffage verkommen, da alle stets die Handlungen der anderen beeinflussen. Um dies zu erreichen, schenkt er nahezu jeder Nebenfigur einen Moment auf der Leinwand, erwartungsgemäß mit ebensolcher Sorgfalt geschrieben und inszeniert, wie der ganze Rest des Streifens. Das Kartenspiel einiger deutscher Soldaten in einer Taverne liefert hierzu ein treffendes Beispiel.

Abseits des gesprochenen Wortes punktet „Inglourious Basterds“ selbstverständlich auch bei der optischen Umsetzung: Stammkameramann Robert Richardson („JFK“, „Casino“, „Natural Born Killers“) findet mittels wunderbarer Kranfahrten oder witzig gesetzter Low-Angle-Shots (= Kamera schaut von unten auf die Akteure) wie immer einprägsame Bilder jenseits ausgetretener Pfade. Nicht zu vergessen jene eingefrorenen Momente, in denen die Haupthandlung kurz beiseite gelegt wird, um die Vorgeschichte einiger Basterds zu erzählen. Typisch, aber auch hier unverwechselbar Tarantino, der nie um eine ironische Brechung seiner Schlachterplatte verlegen ist. Dank solcher Intermezzi reizt „Inglourious Basterds“ das gesamte Spektrum von Stimmungen aus, die ein Film beim Publikum bewirken kann – trotz der eher düsteren Thematik.

Bei der diesjährigen Verleihung der `Palme d´Or´ ging „Inglourious Basterds“ als Film an sich zwar leer aus, Christoph Waltz jedoch erhielt für seine Darstellung des SS-Offiziers Landa die Auszeichnung als bester Darsteller. So fügt sich sein Regisseur, der bereits 1994 für „Pulp Fiction“ den Hauptpreis gewann, zumindest im Jahr 2009 selbst in die „interessantere Liste“ der Nichtpreisträger ein, etwas Abgefahreneres, Unterhaltsameres und Erinnerungswürdigeres als dieser Film wird uns in diesem Jahr allerdings wohl kaum mehr begegnen. Darauf verwette ich mein rechtes Auge.

P.S.: „Stolz der Nation“ von Eli Roth (Darsteller des „Bärenjuden“ Donny Donowitz) startet zeitgleich mit „Inglourious Basterds“ und ist nur zusammen mit dem Hauptfilm als kurze Sequenz am Ende zu sehen. Der (gefälschte) Propagandafilm stellt den (erfundenen) mutigen Kampf des deutschen Soldaten Zoller dar, dem es gelang, hunderte Feinde in die Flucht zu schlagen. Wer etwas mehr über dessen Heldentat erfahren möchte, dem seien folgende Seiten empfohlen:

http://stolzdernation.com/#/home

Wer hingegen dem armen Kameraden mit dem blutigen (rechten) Auge eine paar tröstende Worte widmen will, wende sich bitte an den Autor dieser Zeilen, der als Statist bei diesem Film mitwirken durfte - und seitdem mit einem eingeschränkten Sichtfeld sein Dasein fristet.

„Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft“ (Kinostart: 13. August 2009)

Ein Film kann niemals das gesamte Leben eines Menschen widerspiegeln oder in all seiner Dichte darstellen. In seinem fulminanten Gangsterporträt über Jacques Mesrine wies Regisseur Jean-François Richet gleich zu Beginn auf diesen leider viel zu oft vergessenen Fakt hin, dem sich alle Filmemacher stellen müssen, zumindest bei einem auf wahren Ereignissen und Personen beruhenden Drehbuch. Nun ist es nur die halbe Miete, bestimmte Kapitel im Leben eines Menschen zu erwähnen. Viel wichtiger für eine in sich geschlossene Biographie jedoch ist all das, was daraus entsteht: Welchen Einfluss hatte das Waisenhaus auf die Erziehung? Wie wirkt sich das Fehlen familiärer Beziehungen auf den Charakter aus? Was motiviert ein armes Mädchen, das sich vornehmlich mit Strickarbeiten und Chansondarbietungen in drittklassigen Etablissements finanziell über Wasser hält, eine Karriere als Modedesignerin für Besserverdienende zu starten?

„Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft“ von Anne Fontaine („Nathalie“, 2003) schert sich um solche Fragen herzlich wenig. Erzählt werden soll der Lebens- und Karriereweg von Gabrielle „Coco“ Chanel (Audrey Tautou, „Amélie“, 2001), jener Modeschöpferin, die mit ihren revolutionären Arbeiten das 20. Jahrhunderts bedeutend geprägt hat. Das Hauptaugenmerk Fontaines liegt dabei in der etwas seltsam anmutenden Liebes-/Freundschaftsbeziehung zu Ètienne Balsan (dargestellt von Benoît Poelvoorde, der sich dank der Farce „Mann beißt Hund“ von 1992 für immer als das personifizierte Böse in mein Gedächtnis eingebrannt hat), einem Lebemann und Frauenhelden, von dem sie sich aushalten lässt und den sie trotz wachsender Aversion doch als Beschützer akzeptiert.

Höhepunktlos plätschert die Erzählung dahin und der Verdacht kommt auf, dass - trotz der Bedeutung für die Modewelt - das (Vor-)Leben von Coco Chanel ein ziemlich biederes und ereignisloses war. Nicht einmal die kurze Affäre mit einem rücksichtsvollen, sehr charmant auftretenden Freund ihres Hausherrn (Alessandro Nivola, „Face/Off“, 1997) kann ansatzweise fesseln, da uns die Figur der Coco ebenso verschlossen bleibt wie das versteinerte Gesicht der Hauptdarstellerin.

Verschenkt, spannungsarm, uninspiriert. Nein, es genügt nicht, sich einfach nur einer berühmten Person ohne bewegende Biographie anzunehmen und ihre manchmal freche, aber oftmals schlicht dreiste Dickköpfigkeit in ein „vorbildhaftes Rebellentum einer mutigen Frau“ umzudichten. Da retten auch die Kostüme nichts mehr, die zwar schick anzusehen sind, jedoch als Katalysator für einen durch und durch mäßigen Film ganz und gar unnütz sind.

„Fanboys“ (Kinostart: 30.07.2009)

Möge die Macht gegen dich sein

Es war einmal in einer entfernten Galaxie, einem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Wo es (fast) jedem gelingen kann, nur auf Grundlage einer halbwegs witzigen Idee ganze Scharen von Filmproduzenten zu begeistern (darunter Kevin Spacey). Daraufhin setzten sich an diesem Ort zwei Drehbuchautoren zusammen, um einen amüsanten Film über die Folgen des „Star Wars“ -Fandaseins zu Papier zu bringen. Leider vergaßen sie jedoch, ihrer Kreation neugierig machende, charmante, oder schlicht interessante Charaktere zuzufügen. Als Folge dessen meldeten sich lediglich vier mäßig begabte Darsteller für die Hauptrollen (Dan Fogler, Jay Baruchel, Sam Huntington, Chris Marquette), doch was macht das schon, wenn zumindest ein paar bekannte Gesichter (William Shatner, Carrie Fisher) hier und da die Szenerie bereichern?

Denn die vier Jungs sind unterwegs zum Anwesen von George Lucas, dem Schöpfer von „Star Wars“ und im Jahr 1998 alleiniger Besitzer der ersten Filmfassung von „Episode I“. Die Zeit drängt, denn einer der Helden ist an Krebs erkrankt und möchte das Werk vor seinem Ableben sehen. Doch die Reise zur bestbewachten Ranch der USA ist gespickt mit allerlei seltsamen Zwischenstopps, Feinden aus dem „Star Trek“-Lager und einer banalen Aneinanderreihung belangloser Ereignisse, an deren Ende sich einer der Protagonisten im Kino sitzend fragt: „Was, wenn ‚Episode I‘ langweilt?“ Dann, mein Freund, dann hast Du „Fanboys“ gesehen! Und die Macht ist gegen dich.

Aus der „Sächsischen Zeitung“ (Plusz) vom 30. Juli 2009.

„Salami Aleikum“ (Kinostart: 23. Juli 2009)

Woran denken Sie, wenn Sie den Titel „Salami Aleikum“ lesen? Einen Film aus dem Nahen Osten? Vielleicht eine orientalisch angehauchte Geschichte? Oder doch „nur“ eine Komödie, die wenig rücksichtsvoll die islamische Kultur persifliert?

Vorurteile, oder wie im oben genannten Beispiel Meinungen, die lediglich auf flüchtigen Wahrnehmungen basieren, sind in jeder Gesellschaft omnipräsent. Häufig im Offensichtlichen, viel zu oft auch im Verborgenen. Darauf hinzuweisen und Vorurteile zu hinterfragen, ist ein endloser, aber wichtiger Prozess, sei es auf politischem oder kulturellem Wege.

Ali Samadi Ahadi, Regisseur des in Deutschland produzierten Films „Salami Aleikum“, geht dieses schwierige Thema auf ganz spezielle Weise an – als einen bunten Mix aus Komödie, Sozialdrama und Bollywood. Herausgekommen ist ein manchmal albernes, manchmal nachdenkliches, dabei stets unterhaltsames Werk zum völlig überholten, ewigen Ossi/Wessi- und Deutschsein-/Ausländersein-Denken.

Mohsen (Navid Akhavan), 20 Jahre alt und deutsch-iranischer Abstammung, lebt zusammen mit seinen Eltern, den Inhabern einer Metzgerei, in Köln. Wenn es nach seinem Vater (Michael Niavarani) ginge, würde Mohsen ganz im Sinne der Familientradition ebenfalls hinter der Theke stehen und Gehacktes verkaufen. Doch der sensible Junge verliert sich lieber in Tagträumen und strickt. Ständig.
Als der elterliche Betrieb wegen einer Unachtsamkeit beim Entsorgen von Schlachtabfällen vor dem Ruin steht, geht Mohsen einen zwielichtigen Deal mit einem polnischen (!) Geschäftsmann ein. Alles, was er tun muss, ist eine Fahrt ins Nachbarland, um dort ein paar wohlgenährte, umsatzversprechende Schafe abzuholen. Selbstverständlich war das Geschäft „getürkt“ und der schüchterne Mohsen landet ungewollt inmitten der ostdeutschen Provinz: in Oberniederwalde. Ein paar Zufälle und Missverständnisse später gilt Mohsen bei den Bewohnern als Vorhut für die Wiederkehr großer Investoren, die aus dem brachliegenden VEB „Textile Freuden“ ein weltweit erfolgreiches Unternehmen machen sollen.

Auf den ersten Blick ist „Salami Aleikum“ nichts weiter als eine Ansammlung altbekannter Klischees: Der unehrliche Pole, das verstaubte Ostdorf, darin Bewohner, welche den Fremdling kritisch beäugen und sofortige Anpassung fordern, ein cholerischer Vater, der von seinem Sohn die strenge Einhaltung traditioneller Regeln erwartet, sowie eine übergroße, blonde Landpommeranze (Anna Böger), die mit den Nachwirkungen ihrer gedopten DDR-Sportlerkarriere zu kämpfen hat.
Doch weiß Drehbuchautor Arne Nolting all diese Oberflächlichkeiten wunderbar zu nutzen, um daraus Figuren zu entwickeln, die allesamt weit entfernt davon sind nur vorgeführt zu werden oder für eine gesellschaftliche Schicht von Menschen herhalten zu müssen. Es ist schlicht rührend und absurd zugleich, wie sich die Charaktere auf Grundlage ihres Halbwissens über fremde Kulturen versuchen anzunähern. Dazu zählen überstürzte Sprachkurse in Eigenregie ebenso wie das Einpacken eines Baseballschlägers zur Verteidigung, wenn die Koffer für die Reise nach Ostdeutschland gepackt werden. Die Väter präsentieren sich später beim gemeinsamen Trinkgelage brüderlich ihre angestaubten Uniformen und beim Fachsimpeln über den Nutzen ausländischer Investoren freut sich Papa Wolfgang Stumph: „Na wenigstens ist es kein Wessi!“

Überhaupt spielen nicht nur Stumph und Niavarani als misstrauische Väter fabelhaft auf. Dem gesamten Cast scheint es eine helle Freude gemacht zu haben, dieses mit Tricksequenzen und Tanzeinlagen gespickte Stück Filmkunst zum Leben zu erwecken. Sie verleihen ihren Figuren trotz aller anfänglichen Ressentiments Wärme und Sympathie, transportieren deren Wünsche, Träume und Erwartungen nach Außen und entlarven somit gleichzeitig hier und da die Wurzeln für Vorurteile und falsche Beurteilungen.

„Salami Aleikum“ gelingt das Kunststück, auf sehr leichtfüßige Art und Weise Vorurteile zu karikieren, auf gesellschaftliche Zustände hinzuweisen und mit herzlichen Charakteren zu unterhalten. Ausgezeichnet!

„Harry Potter und der Halbblut-Prinz“ (Kinostart: 15. Juli 2009)

Zu Beginn ein wenig Statistik: Es ist der sechste Film im achten Jahr, Werk zwei für Regisseur David Yates und mit stolzen 153 Minuten momentaner Laufzeit-Vize unter den Harry-Potter-Abenteuern. Eine Selbstverständlichkeit, angesichts der vielen anstehenden Ereignisse im Zauberinternat Hogwarts, wo Harry (Daniel Radcliffe) zusammen mit seinen Freunden Hermine (Emma Watson) und Ron (Rupert Grint) das nächste Schuljahr beginnt.
Unter den wachsamen Augen des Direktors Dumbledore (Michael Gambon) erfährt der junge „Auserwählte“ hier immer mehr Geheimnisse aus dem Leben seines Feindes, Lord Voldemort (Ralph Fiennes). Als wäre dies nicht schon gefährlich genug, spielen auch noch die Hormone verrückt und beuteln die angehenden Zauberer mit den Tücken der ersten Liebe.

Dem „Halbblut-Prinz“en vorzuwerfen, der Reihe wenig Neues hinzuzufügen, ist ob der aufeinander aufbauenden Dramaturgie der einzelnen Teile kein faires Argument. Neueinsteiger tun daher gut daran, sich zuvor in das Potter-Universum einzulesen, um die vielen kleinen Nettigkeiten im Hintergrund überhaupt wahrnehmen zu können.

Inhaltliche Schwächen offenbaren sich allerdings auch ohne tiefere Kenntnisse: Das zu Beginn sorgsam und humorvoll aufgebaute Beziehungschaos wird am Ende wenig überzeugend „repariert“, Professor Snape (Alan Rickman), eine der Hauptfiguren, wirkt in Gestus und Sprache wie ein austauschbares Abbild von „Matrix“-Bösewicht Agent Smith, und in Ermangelung eigener Ideen stürzt sich zum Finale auch noch „Herr der Ringe“-Monster Gollum in Dutzendfacher Ausführung auf den armen Harry.

Schlecht ist der Film deswegen nicht, ein wenig mehr inhaltliche Sorgfalt und künstlerisches Neuland darf es im nächsten Teil aber schon gern sein.

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 15. Juli 2009.

„Achterbahn“ (Kinostart: 2. Juli 2009)

Wie an anderer Stelle auf diesem Internetblog schon einmal erwähnt, zählen Dokumentationen nicht zu meinen Favoriten im Kinoprogramm. Oftmals genügen weder Inhalt noch Umsetzung dem Anspruch an einen spannenden, unterhaltsamen, anregenden Film, um ihn vorbehaltlos zu empfehlen.
Peter Dörflers „Achterbahn“ jedoch bietet dies alles. Mehr noch: Es ist kaum vorstellbar, dass diese Geschichte tatsächlich der Realität entspringt.

Ein weiterer immenser Vorteil dieser Dokumentation gegenüber anderen Geschichten ist die unauffällige, für dieses Sujet allerdings essenziell wichtige Arbeit „hinter der Kamera“. In diesem Fall von Regisseur Dörfler selber geführt, dessen Erfahrung als Spielfilmfotograf (u.a. „SommerHundeSöhne“, 2004) das Werk vom amateurhaften Rest (man verzeihe mir diese Generalisierung) wohltuend abhebt. Dörfler hat tatsächlich Bilder kreiert, welche die Leinwand nutzen und füllen können.

„Achterbahn“ berichtet von der abwechslungsreichen Lebensgeschichte der Familie Witte, ein Name, der untrennbar mit dem Berliner Spreepark, auch bekannt als „Plänterwald“, verbunden ist. Ein Freizeitpark, der nach der Wiedervereinigung von Norbert Witte als Geschäftsführer übernommen wurde und zum größten Rummelplatz der Region ausgebaut werden sollte. Witte galt zu dieser Zeit bereits als „alter Hase“ in diesem Geschäft, hatte mit seinen Fahrgeschäften erfolgreich Tourneen durch Jugoslawien und Italien absolviert und dabei anständige Gewinne erzielt.
Das Projekt „Vergnügungspark Plänterwald GmbH“ startete 1990 und versprach tatsächlich ein Erfolg zu werden. Doch aller Besucherströme zum Trotz erwirtschafteten Witte und seine Mieter kaum Umsatz, zusätzlich gebeutelt von geschäftsschädigenden Entscheidungen des Berliner Senats (u.a. wurden freie Parkplätze gestrichen) folgte 2001 die Insolvenz. Um den Schulden zu entgehen, „floh“ Familie Witte mit einigen Karussells nach Peru, um dort einen Neuanfang zu wagen. Probleme beim Zoll und Korruption verzögerten den Aufbau, aus Geldnot nutzte Norbert Witte im Jahr 2003 eine Reise nach Deutschland zum Schmuggel von Drogen – und wurde verhaftet. Ebenso wie sein Sohn, der in einem undurchsichtigen Verfahren zu 20 Jahren (!) Haft in Peru, in einem der härtesten Gefängnisse der Welt, verurteilt wurde.

Seit 2008 ist Vater Witte nun wieder auf freiem Fuß und plant bereits neue Investitionen. Unterdessen lassen seine Ex-Frau und seine Tochter nichts unversucht, den Sohn und Bruder aus Peru nach Deutschland zu holen.

Nomen est Omen: Treffender als „Achterbahn“ hätte Dörfler seinen Film nicht betiteln können. Das Auf und Ab im Leben Wittes überträgt sich auf den Zuschauer, staunend, kopfschüttelnd und mit fiebernd verfolgt man diese schier unglaubliche Geschichte eines Stehaufmännchens, das sich selbst durch familiäre Tragödien nicht von seinem Traum abhalten lässt und immer wieder einen Neubeginn wagt – koste es, was es wolle.