„Ben X“ (Kinostart: 08.05.2008)

Wohl dem, der es niemals ertragen mußte: Hänseleien, kleine Schubser, Papierkugelattacken. Mobbing nennt man es heute, Ben heißt das Opfer.

Für den schüchternen Schüler (Greg Timmermans) ist der Gang zur Schule ein täglicher Spießrutenlauf. Ob im Bus, während des Unterrichts oder den Pausen auf dem Hof: Ben ist ein Außenseiter, schlampig gekleidet, stumm und für Idioten wie Bogaert (Titus de Voogdt) und Desmet (Maarten Claeyssens) somit leichte Beute. Zu Hause verbarrikadiert er sich stattdessen hinter seinem Computer, spielt „Archlord“ online, ist Held und Kämpfer zugleich, besiegt jeden Gegner und findet zudem in Scarlite (Laura Verlinden), einer Internetgefährtin, eine Verbündete.
Doch Ben hat genug. „Game Over“ heißt sein Plan, Schluß machen sein Weg, der Tod sein Ziel. Und Scarlite soll ihm dabei helfen.

Mobbing und Spielsucht. Der belgische Regisseur Nic Balthazar, der mit „Ben X“ seinen eigenen Roman „Nichts war alles, was er sagte“ (2002) verfilmte, nimmt sich in seinem Erstling gleich zwei aktuellen Riesenthemen an. Daß er sich damit nicht übernommen hat, beweist er mit einer ausgewogenen Inszenierung, die keine Pauschalerklärungen präsentiert, sondern Bens Leben als Reaktion auf sein Umfeld zeigt, das sich mit Sonderlingen wie ihm schwer tut. Auch dem Publikum macht er es nicht leicht, wenn er die Demütigungen im Klassenzimmer absichtlich schier unendlich lang andauern läßt.
Doch wer nun glaubt, den Verlauf des Filmes erahnen zu können, sollte sich schnellstens ein Ticket für „Ben X“ lösen. Denn ebenso wie das Leben ist auch dieser Film unvorhersehbar.

P.S.: Kostenloser Download des Filmspiels unter www.archlordgame.com

„Von Löwen und Lämmern“

Auch dieser Film ist inzwischen auf DVD erschienen.

Es ist schon eine Crux: Egal ob „Good Night, and Good Luck“, „Syriana“ oder nun „Von Löwen und Lämmern“ – versucht sich das amerikanische Kino an politischen Inhalten, fällt es finanziell oft auf die Nase. Nicht aufgrund mangelnder Qualität, Oberflächlichkeit oder gar verkapptem Patriotismus, sondern schlicht wegen Desinteresse des Publikums – zumindest zum offiziellen Kinostart im November 2007.

Umso erfreulicher, diesen packenden 90minüter nun auf DVD wiederzuentdecken, widmet er sich doch gleich drei Eckpfeilern einer modernen Gesellschaft - Medien, Bildung, Politik - und deren Einfluss auf unser Handeln. Kein Geringerer als Hollywood-Legende Robert Redford nahm dazu auf dem Regiestuhl Platz, holte neben Tom Cruise seine Partnerin aus „Jenseits von Afrika“ (1985), Meryl Streep, mit ins Boot und stellt anhand von mehreren Schauplätzen, sowie einer flotten, abwechslungsreichen Inszenierung mal eben die wichtigsten (politischen) Fragen unserer Zeit.

Während ein Senator (Cruise) der erfahrenen Journalistin Roth (Streep) die Vorzüge militärischer Taktiken im Irak und Afghanistan erklärt, streitet Uniprofessor Malley (Redford) mit einem Studenten über Sinn und Unsinn politischen Ehrgeizes. Zeitgleich kämpfen zwei seiner ehemaligen Schüler als Soldaten in Afghanistan ums nackte Überleben.

Ausgehend von allseits bekannten Argumenten und Vorurteilen, entspinnt „Von Löwen und Lämmern“ mit zunehmender Laufzeit ein komplexes Geflecht brisanter Themen, die je nach Sichtweise ganz unterschiedlich bewertet werden. Dem Zuschauer dabei bis zum Ende die Möglichkeit der eigenen Meinungsbildung zu lassen, ist nur einer von vielen Gründen, sich dieses spannende Stück Politkino zu gönnen.

DVD-Tipp„Die Polizistin“

Hier eine DVD-Rezension, die neulich in der „ad rem“ erschien.

Zu Beginn eine traurige Mitteilung: Laut Aussage einer Redaktionskollegin ignoriert ein Großteil der Leserschaft Filme, die das Etikett „Hergestellt in Deutschland“ tragen. Wenn dem tatsächlich so ist, dann folgen nun fünf Gründe, diese Einstellung zu ändern.

1. Andreas Dresen: Der 44jährige Regisseur mit Geburtsort Gera, der vielen leider erst seit „Halbe Treppe“ (2002) ein Begriff ist, gilt dank seiner anspruchsvollen und dabei stets unterhaltenden Kino- und TV-Streifen seit vielen Jahren als einer der talentiertesten Filmemacher der Republik. Bescheidenes Auftreten inklusive: Zu Interviews kommt er gern auch per Rad angefahren.

2. Axel Prahl: Aktuell als Kommissar Thiel im „Tatort“ unterwegs, veredelte er bereits fünf Dresen- Filme mit seinem wunderbaren Spiel und ist sich auch nicht zu schade, mit Irokesenschnitt durch ein „Wir sind Helden“-Video zu tanzen.

3. Gabriela Maria Schmeide: Stille und doch immer wieder auffallende Nebendarstellerin, die in ihrem zweiten Film als Titelgebende Polizistin Anne allein unter Männern in einem Rostocker Problembezirk ihre ersten Arbeitstage absolviert und dabei schnell an ihre emotionalen Grenzen stößt. Halt findet sie in einer Affäre mit einem Kleinkriminellen, den sie eigentlich verhaften sollte. Und auch ihr Kollege (Prahl) scheint mehr zu wollen als ein kumpelhaftes Verhältnis.

4. Das Ergebnis: Ein Film, der ob seiner Professionalität, Realitätsnähe und seines fabelhaften Drehbuchs nach der TV-Ausstrahlung doch noch den Weg ins Kino fand und nun nach acht Jahren auf DVD erscheint. Zwar stört die schlechte Bildqualität ein wenig, ein sehr informativer und witziger Audiokommentar von Dresen und Autorin Laila Stieler, sowie ein Trailer machen dieses Manko jedoch wieder wett.

5. Eine Empfehlung von

Csaba Lázár

„Der Rote Baron“ (Kinostart: 10.04.2008)

Ganze sechs Jahre nahm sich Autor und Regisseur Nikolai Muellerschoen Zeit, um dem berüchtigten/berühmten/gefeierten Fliegerass des Ersten Weltkriegs (1914-1918), Manfred von Richthofen, genannt „Der Rote Baron“, ein filmisches Denkmal zu setzen. Sechs Jahre – dies läßt genaue Recherchen, wohlüberlegtes Drehbuchschreiben und eine professionelle Umsetzung vermuten. Zu einem Drittel gibt das Endergebnis dieser Hoffnung Recht. Leider rettet dies den Film jedoch nicht vor einer inhaltlichen – Achtung Kalauer! – Bruchlandung.

Erzählt wird die (Lebens-)Geschichte des erfolgreichsten deutschen Jagdfliegers des 20. Jahrhunderts, der mit nur 24 Jahren bereits eine beeindruckende Liste von etwa 80 (registrierten) Abschüssen feindlicher Flugzeuge vorweisen konnte. Vom Kaiser gefördert, von Feinden ehrfürchtig als „Der Rote Baron“ betitelt, erhielt er die Aufgabe, das deutsche Jagdflieger-Geschwader zu leiten und wagte später gar die offene Konfrontation mit Kaiser Wilhelm II.

So jedenfalls erzählt es Regisseur Muellerschoen, der laut Aussagen seines Produzenten manche Aspekte lediglich „vereinfacht“ habe. Mit der historischen Wahrheit hat dies jedoch nicht mehr viel zu tun. Allerdings paßt es einfach zu gut in dieses durch und durch amerikanisierte Heldenepos, dem Protagonisten jegliche dunklen Charaktereigenschaften abzusprechen. Lieber dichtet man dem „Baron“ gleich noch eine Liebesgeschichte mit einer Krankenschwester und einen naiven Sportsgeist an. Denn nicht das Töten, sondern der Wettkampf mit den feindlichen Kriegern sei der Antrieb Richthofens gewesen. Ein schöner Gedanke, dem historische Quellen allerdings heftig widersprechen.

Läßt man diese Zweifel einmal beiseite, offenbart sich jedoch ein sehr viel größeres Manko: Unglaubwürdige Figuren, die sich mit wahrlich platten Dialogen von Szene zu Szene schleppen, denen ganz im Stile des modernen Kinos stets eine Jahreszahl mit Ortsnennung vorangestellt wird. Da diese Zusatzinfos jedoch kein einziges Mal Bedeutung für die Handlung haben, sind sie schlicht störend und mitunter nur noch lächerlich (Beispiel: „7km vom Kampfplatz entfernt“). In diesem Sinne immerhin die perfekte Ergänzung zur konstanten Inhaltslosigkeit des Gesprochenen und dem Gesicht des Hauptdarstellers Matthias Schweighöfer („Kammerflimmern“, 2004).

Apropos: Was dieser Jungmime hier abliefert, ist für meine Begriffe -sorry- schlicht katastrophal! Bis auf die äußerliche Ähnlichkeit mit seinem historischen Vorbild kann Schweighöfer in dieser Rolle absolut keinen Pluspunkt bei mir sammeln. Schade auch um Axel Prahl („Du bist nicht allein“, 2006), der sich hier in einer ganz und gar überflüssigen Nebenrolle verheizen läßt. Wenn er wenigstens den Kaiser hätte spielen dürfen… Der Rest des Casts (u.a. Til Schweiger, Joseph Fiennes, Lena Heady und der wie immer sehenswerte Hanno Koffler) spielt in meinen Augen solide; mehr nicht.

Recherche ungenau, Drehbuch dünnbrüstig. Was bleibt, ist eine wirklich famose bildliche Umsetzung. Die Fliegerszenen - allesamt digital bearbeitet – können überzeugen, sehen (wirklich!) real aus und werden von einer düsteren Optik eingerahmt, die den Krieg als das erscheinen läßt was er ist: ein schmutziges, dunkles, lautes und unschönes Kapitel. Im Kontrast dazu taucht Kameramann Klaus Merkel Szenen der Freude in warme Bilder und könnte damit jedem Michael-Bay-Streifen Konkurrenz machen.

„Der Rote Baron“ ist eine Big-Budget-Produktion (Budget: 18 Millionen), die optisch einiges zu bieten hat, jedoch inhaltlich schwach und mitunter arg gekünstelt daherkommt. Dies wird durch die lustlose eigene Synchronisation (man drehte auf Englisch) der deutschen Darsteller noch zusätzlich verstärkt. Muellerschoen verschenkt die streitbare Figur des Manfred von Richthofen leider zu Gunsten eines unglaubwürdigen Heldenabgesangs auf eine "Legende", die hier völlig verklärt wird. Andererseits ist dieses „hollywoodeske“ Konzept für die Vermarktung im Ausland zweifellos von großem Vorteil.

„Mr. Shi und der Gesang der Zikaden“ (Kinostart: 10.04.08)

Nicht nur wegen des Inhalts drängen nach Ende des neuen Films von Wayne Wang („Smoke“) die Begriffe Yin und Yang, Sonne und Schatten, in das Bewußtsein des Betrachters. Denn bei aller Freude zur Entscheidung des Filmverleihs, das 80minütige Werk zum „Erhalt des wunderbar leisen Humors und der Atmosphäre“ nur unsynchronisiert mit deutschen Untertiteln in die Kinos zu bringen (Yin), gesellt sich ungläubiges Kopfschütteln über die Titelwahl: Im Original nicht grundlos mit „A Thousand Years Of Good Prayers“ betitelt, beraubt er den Film damit gleichzeitig eines sinngebenden Rahmens (Yang), der sich nun nur schwer erschließen läßt.

Auch dem Protagonisten des Films, Mr. Shi (Henry O), treten Yin und Yang gegenüber: Als sich seine in Amerika lebende Tochter (Faye Yu) scheiden läßt, macht sich der verwitwete Rentner aus Peking auf in die USA, fest davon überzeugt, seinem Mädchen mit guten Ratschlägen helfen zu können. Doch die Annäherung der beiden gestaltet sich schwierig, kaum ein Wort wird gesprochen, Frust macht sich breit. Mr. Shi wagt den Ausbruch und begegnet während seiner Spaziergänge einer Dame, mit der er fortan witzige, charmante und sehr persönliche Gespräche führt – trotz erheblicher Sprachbarrieren.

Es sind nicht viele Dialoge, die das Drehbuch seinen Akteuren in den Mund legt. Umso bedeutender erscheinen die stillen, wortlosen Szenen zwischen Vater und Tochter, die vom Regisseur zurückhaltend und einfühlsam eingefangen werden. Und auch wenn Mr. Shi im Park plötzlich ganz offen mit seiner neuen Bekanntschaft plaudert, so macht dieser empfehlenswerte Film doch eines sehr deutlich: Sprache ist niemals die einzige Form der Kommunikation, um anderen Menschen seine Zuneigung, Gefühle oder Sympathie zu vermitteln.