Heimkino-Tipp: „Ein Gespenst auf Freiersfüßen“ (1947)

Das Meer in ihr

Bernhard Herrmann (1911-1975), der vor allem wegen seiner einprägsamen Kompositionen zu Alfred Hitchcock-Filmen in Erinnerung bleiben wird, bezeichnete „Ein Gespenst auf Freiersfüßen“ einst als seine beste Arbeit. Eine wahrlich erstaunliche Aussage von einem Mann, der u.a. für „Psycho“ und „Taxi Driver“ zwei der bedeutendsten Scores der Geschichte geschaffen hat.

„The Ghost and Mrs. Muir“, so der Originaltitel, ist eine jener cineastischen Hollywood-Perlen der 1940er-Jahre, die heute ein wenig in Vergessenheit geraten sind. Kaum verwunderlich, entstanden in diesem Jahrzehnt doch Klassiker wie „Citizen Kane“ (1941) und „Casablanca“ (1942), deren filmhistorische Bedeutung zu Recht größer ist. Nichtsdestotrotz beeindruckt dieses Liebesdrama mit einer ungewöhnlichen Handlung und jeder Menge – zumindest in Cineastenkreisen – bekannter Namen: Neben der bereits erwähnten Hermann’schen Filmmusik zum Beispiel der des männlichen Hauptdarstellers Rex Harrison, der einige Jahre später noch einmal mit Regisseur Joseph L. Mankiewicz bei „Cleopatra“ (1963) zusammenarbeiten sollte. Die Kamera führte Oscar-Preisträger Charles Lang, der es in seinem Berufsleben auf beeindruckende 18(!) Nominierungen für den Goldjungen brachte. Zudem ist eine junge Natalie Wood („… denn sie wissen nicht, was sie tun“, 1955) in einer Nebenrolle zu sehen.

Der Film erzählt die Geschichte der jungen Witwe Lucy Muir (Gene Tierney), die im England der Jahrhundertwende zusammen mit ihrer Tochter in ein abgelegenes Haus an die Küste zieht. Dort sind sie nicht allein: Der Geist des Vormieters, Schiffskapitän Daniel Gregg (Harrison), ist überhaupt nicht erfreut, seinen Besitz teilen zu müssen und legt sich fortan mächtig ins Zeug, um die neuen „Mitbewohner“ zu erschrecken und zum Auszug zu bewegen. Allerdings hat er sich mit Lucy eine eigenwillige und willensstarke Gegnerin ausgesucht, die dem rumpolternden Gregg ordentlich Paroli bietet – und sich in ihn verliebt. Schließlich arrangieren sich die beiden und Lucy erklärt sich sogar bereit, Greggs Memoiren zu tippen, die er ihr diktiert. Als sie diese zu einem Verleger bringt, lernt sie den charmanten Miles (Georges Sanders) kennen. Ihrem Hausgeist passt das gar nicht.

Aus heutiger Sicht fällt inhaltlich vor allem eines auf: die beinahe schon devote Hingabe der Dame zum selbstsicher, anfangs überheblich und launisch auftretenden Mann. 1947 bzw. um 1900 (die Zeitebene des Films) war Lucys Entscheidung, allein in einem großen Haus zu wohnen und einem Kerl wie Gregg zu Beginn zu widersprechen, zwar ein Ausdruck von Emanzipation. Allerdings nur in beschränktem Maße, wie sich im Verlaufe der Handlung immer wieder zeigt: So gelingt beispielsweise Lucy das Vorsprechen beim Verleger nur dank Miles’ Hilfe, während an anderer Stelle eine betrogene Ehefrau wie selbstverständlich die Affären ihres Gatten weglächelt. Warum Lucy zudem relativ schnell tiefe Gefühle für Gregg entwickelt, bleibt unklar. Akzeptiert frau diese Prämissen jedoch, ist der Weg frei für große Gefühle.

Vieles spielt sich dabei in Innenräumen ab, während im Hintergrund beständig das Meer zu sehen ist und selten mehr als drei Personen eine Unterhaltung führen. Und doch gelingt es Regisseur Mankiewicz, eine angenehme und gleichsam gruselig-wohlige Atmosphäre aufzubauen. Die Kameraarbeit von Lang (der auch hierfür eine Oscar-Nominierung erhielt) ist außergewöhnlich und präsentiert sehr stimmungsvolle schwarz-weiß Bildkompositionen. Bei aller Romantik überrascht „Ein Gespenst auf Freiersfüßen“ mit einem melancholischen Schluss, der sicherlich dem Film Noir-Genre geschuldet ist, das Mitte der 1940er-Jahre zumindest in Hollywood auf seinen Höhepunkt zusteuerte.

Ergo: Ein interessantes, optisch wunderschönes Werk, das inhaltlich viel über seine Entstehungszeit verrät und etliche Stars vor und hinter der Kamera vereint, deren ganz große Zeit noch kommen sollte.

Die DVD bietet den s/w-Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche und englische Untertitel. Als Bonusmaterial gibt es den Original-Trailer und eine Bildergalerie, die auch Fotos von den Dreharbeiten präsentiert. „Ein Gespenst auf Freiersfüßen“ erscheint bei Winkler Film im Vertrieb von AL!VE und ist seit 9. September 2016 erhältlich. (Packshot + stills: © Winkler Film GmbH)

Heimkino-Tipp: „Eye in the Sky“ (2015)

War of the Words

Imitiert das Leben die Kunst? Oder ist es vielmehr umgekehrt? Im Falle des Films „Eye in the Sky“ trifft zweifellos Ersteres zu. Denn Drehbuchautor Guy Hibbert („Five Minutes of Heaven“, 2009) verfasste die Vorlage zu Gavin Hoods Thriller bereits vor etlichen Jahren – lange, bevor die darin gezeigten Diskussionen, Entscheidungen und technischen Mittel in der sogenannten westlichen Welt zum Standard wurden. Gleichzeitig ist der von Colin Firth co-produzierte Streifen auch in cineastischer Hinsicht etwas Besonderes: Der im Januar 2016 leider viel zu früh verstorbene Alan Rickman hat hier seinen letzten Auftritt, als General Frank Benson.

Der sitzt zusammen mit einigen hochrangigen Vertretern der britischen Regierung vor einem Bildschirm, der heimliche Drohnen-Aufnahmen aus einem Haus in Nairobi zeigt. Dort sind vermeintliche Terroristen gerade dabei, mehrere Selbstmordattentäter mit ihren todbringenden Waffen auszustatten. Bensons Kollegin, Colonel Katherine Powell (Helen Mirren), die den Einsatz leitet und den Regierungsmitgliedern via Telefon zugeschaltet ist, möchte das Gebäude am liebsten sofort mit einem Drohnenangriff in Schutt und Asche legen und akzeptiert dafür bereitwillig Kollateralschäden. Als deutlich wird, dass dies auch den Tod eines kleinen Mädchens beinhalten würde, zögert der Drohnenpilot Steve Watts (Aaron Paul) – und zwingt so alle Beteiligten zum Überdenken ihrer Äußerungen.

Ähnlich wie bereits Andrew Niccol in seinem großartigen „Good Kill“ (2014, Rezension HIER), seziert „Eye in the Sky“ diese neue Art der Kriegsführung auf äußerst bedrückende und ungeschönte Art und Weise. Stand bei Niccol jedoch noch der Drohnenpilot im Mittelpunkt, so konzentriert sich Regisseur Hood gleich auf mehrere Handlungsorte: die Regierenden, die Ausführenden und die direkt vor Ort Involvierten. Jedem Schauplatz gönnt der Film packende Szenen, die das ganze Dilemma eines solchen Einsatzes verdeutlichen. Während der Pilot den tödlichen Schuss abfeuern und mit seinem Gewissen vereinbaren muss, fürchten die Politiker im tausende Kilometer entfernten London vornehmlich um ihren Ruf in der Öffentlichkeit, sollte die bewusste Tötung eines Kindes publik werden. Um nicht persönlich die Verantwortung übernehmen zu müssen, hangeln sie sich von einem Parlamentarier zum nächsten und zögern eine Entscheidung heraus, was die Militärs Benson und Powell sukzessive zur Weißglut treibt. Kein Wunder, gerät doch ihr Agent (Barkhad Abdi) in Nairobi aufgrund der Verzögerung zunehmend in Bedrängnis und versucht schließlich unter Einsatz seines eigenen Lebens, das Mädchen aus der Schusslinie zu bekommen.

„Eye in the Sky“ verweigert sich einer einfachen „das-ist-richtig-und-das-ist-falsch-Lösung“ und zwingt sein Publikum stattdessen mit immer neuen Blickwinkeln und Argumenten, die Situation zu bewerten. Es ist nicht leicht, aus solch einer Fülle von Schauplätzen und Figuren einen packenden, anspruchsvollen und quasi in Echtzeit ablaufenden Film zu kreieren. Oscar-Preisträger Gavin Hood (für „Tsotsi“, 2005) ist dies aber mit Bravour – und herausragenden Darstellern – gelungen.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung. Deutsche und englische Untertitel für Hörgeschädigte sind vorhanden. Als Extras gibt es zwei sehr sehr kurze Making of-Clips, unkommentierte Szenen vom Dreh, Interviews und diverse Trailer. „Eye in the Sky“ erscheint bei Universum Film und ist seit 16. September 2016 erhältlich. (Packshot + Filmstills: © eOne/Universum)

... im Nachgang: „Jason Bourne“ (Kinostart: 11. August 2016)

Matt Damon kehrt als vergesslicher Ex-Agent auf die Leinwand zurück. Was ich davon halt, lest ihr HIER. Von mir stammt der Contra-Teil des Textes.

(Plakat: © 2016 Universal Pictures International Germany GmbH)

... im Nachgang: „Toni Erdmann“ (Kinostart: 14. Juli 2016)

Ein paar Worte zum derzeit meist gelobten Film aus deutschen Landen, der auch beim diesjährigen Cannes-Filmfestival begeistert aufgenommen wurde. Von mir stammt der Contra-Teil des Textes. Und ja, mein Pro-Kollege was not amused. Nachzulesen HIER!

(Plakat: © 2016 NFP marketing & distribution/Komplizen Film)

Heimkino-Tipp: „Der Senkrechtstarter“ (1984)

Apocalypse Now!

Er hat es versucht. Ohne Hemmungen, mit voller Hingabe und im Bewusstsein, dass seine Fans ihn dafür hassen könnten: Als Sylvester Stallone 1984 den Boxring gegen eine Gesangsbühne tauscht, um zusammen mit Country-Superstar Dolly Parton eine Musical-Komödie zu drehen, hätte das der nächste erfolgreiche Schritt in seiner Karriere werden können. Fernab vom Actionkino à la „Rocky“ und „Rambo“ wollte er Humor, Selbstironie und Stimmgewalt beweisen. Das Ergebnis: K.O. in der ersten Runde. Es sollte sieben Jahre dauern, bevor er sich noch einmal als Spaßmacher versuchte. Allerdings nahm von „Oscar – Vom Regen in die Traufe“ (1991) keiner Notiz, während „Stop! Oder meine Mami schießt“ (1992) die Katastrophe schon im Titel trug.

Schade ist dies schon ein wenig, denn Stallone ist als (verbal) schlagkräftiger Typ bekannt und wäre so vielleicht seinem Image als Action-Überheld entkommen. Vier „Rambo“-, sieben „Rocky“- sowie drei „Expendables“-Filme später ist dieser Zug definitiv abgefahren. Da verwundert es kaum, dass „Der Senkrechtstarter“ im deutschsprachigen Raum erst jetzt erstmalig auf DVD und Blu-ray veröffentlicht wird. Ein Filmabend der ganz besonderen Art nimmt seinen Lauf …

Die beliebte und stimmgewaltige Jake (Parton) tritt regelmäßig im New Yorker Country-Club „Rhinestone“ auf. Dort muss sie sich tagein tagaus ihrem schmierigen Manager Freddie (Ron Leibman) erwehren, der sie ständig anbaggert und statt ihrer stimmlichen lieber ihre körperlichen Reize feiert. Genervt und von dem Wunsch beseelt, Freddies Knebelvertrag endlich zu entkommen, macht Jake ihm ein verlockendes Angebot: Wenn es ihr gelingt, den nächstbesten Kerl in zwei Wochen in einen veritablen Country-Sänger zu verwandeln, wird der Kontrakt aufgelöst. Andernfalls verpflichtet sie sich für fünf weitere Jahre, exklusiv für ihn zu arbeiten. Auftritt Nick Martinelli (Stallone): Der chaotische Taxifahrer braucht dringend eine Autoreparatur, um seinen Job nicht zu verlieren und lässt sich auf den Deal ein. In Jakes ländlicher Heimat beginnt daraufhin seine „Ausbildung“ – romantische Verwicklungen selbstverständlich inklusive.

Basierend auf dem von Glen Campbell 1975 veröffentlichten Song (!) „Rhinestone Cowboy“, verfilmte Komödien-Spezialist Bob Clark („Porky’s“) ein Drehbuch von Phil Alden Robinson – oder zumindest, was davon übrig blieb, nachdem Stallone selbst Hand anlegte. Der war zu jener Zeit leider derart von sich selbst überzeugt, dass nachträgliche Skript-Reparaturen seinerseits keine Seltenheit waren. Herausgekommen ist ein Film, der sich nicht so recht entscheiden mag, ob er eine Satire oder doch eher ein Loblied auf das Country-Music-Business präsentieren möchte: Das Publikum vor der Bühne pöbelt und trinkt ohne Unterlass, die Cowboys auf dem Land geben sich einfältig und hinterwäldlerisch und die Outfits sind allesamt gruselig. Musikalisch zumindest von Partons Seite noch akzeptabel, schreit sich Stallone absichtlich zunächst durch ein paar Standards, bevor er „seine Stimme“ entdeckt. Blöderweise klingt die auch nicht viel besser, sein zusätzliches Rumgehampel sorgt für weiteres Fremdschämen. Ja, es ist anfangs ironisch gemeint, Stallone gelingt es bisweilen sogar vorzüglich, das Unwohlsein seiner Figur darzustellen. Warum er mit zunehmender Laufzeit jedoch diese Musik, diese Klamotten und dieses Publikum zu lieben beginnt, bleibt ebenso ein Rätsel wie das Ziel des Films: Soll der Zuschauer nun über die oder mit den Charakteren lachen?

Apropos: Dolly Parton scheint von einigen Gags selbst überrascht worden zu sein. Anders ist es nicht zu erklären, dass sie immer wieder inmitten einer Szene kichern muss, wenn ihr Schauspielpartner sich zum Affen macht oder eine halbgare Punchline abfeuert. Diese sind teilweise erschreckend sexistisch und stets auf das Äußere der Parton abzielend. Auch wenn es eine andere Zeit war, ein wenig mehr verbalen Gegenwind hätte ich von einer bekannten und respektierten Sängerin ihres Kalibers schon erwartet. So lässt sich Parton alias Jake immer wieder auf ihr Aussehen reduzieren, erträgt billige Anmachsprüche und bietet kaum charakterliche Tiefe. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang: Die deutsche Synchro unterscheidet sich teilweise massiv vom ebenso amüsanten Originaldialog, dem hier eine Übersetzung in bester Rainer Brandt-Manier spendiert wurde.

Fazit: „Der Senkrechtstarter“ ist ein harmloses Filmchen, das aufgrund seiner Unentschlossenheit viel Potenzial verschenkt und trotz eines qualitativ hochwertigen Soundtracks (Parton bezeichnete ihn später als einen Karrierehöhepunkt und durfte sich zudem über zwei erfolgreiche Singles freuen) vor allem aber wegen Stallones Mitwirkung erinnerungswürdig bleibt. Ich empfehle ein Double-Feature mit „Stop! Oder meine Mami schießt“.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Bonusmaterial gibt es lediglich den Original-Trailer. „Der Senkrechtstarter“ erscheint bei Winkler Film im Vertrieb von AL!VE und ist ab 23. September 2016 erhältlich. (Packshot + stills: © Winkler Film)