Heimkino-Tipp: „Wir“ (2019)

The Others

Diese verdammte Erwartungshaltung: Wer als Künstler gleich mit seinem Debüt weltweit für Aufsehen sorgt und Erfolge feiert, steht meist vor dem Problem, ein mindestens gleichwertiges Nachfolgewerk abliefern zu müssen. Da geht es Musikern wie Filmemachern. Der gebürtige New Yorker Jordan Peele beispielsweise erhielt für seinen großartigen Thriller „Get Out“ 2017 einen Oscar (Bestes Drehbuch), viel Kritikerlob und begeisterte sein Publikum mit einer innovativen, gleichsam amüsanten wie erschreckenden Geschichte. Ein Volltreffer in allen Belangen. Und nun? Gelingt Peele noch einmal so eine positive Überraschung? Oder bleibt er ein One-Hit-Wonder, der fortan verzweifelt versucht, den Erfolg des Erstlings zu wiederholen? Nach Sicht von „Wir“ kann ich mit Erleichterung schreiben: Peele hat es weiterhin drauf! Abermals kredenzt er eine gelungene Mischung aus Horror und Humor, dreht ordentlich an der Spannungsschraube und schafft es, Unterhaltung mit (unaufdringlicher) Gesellschaftskritik zu verbinden.

Adelaide (Lupita Nyong’o, Oscar für „12 Years a Slave“) reist mit ihren Lieben ins Ferienhaus nahe Santa Cruz, um dort ein paar entspannte Tage zu verbringen. Mit der Idylle ist es jedoch vorbei, als eines Abends eine ebenso vierköpfige Familie vor der Tür steht. Zwar versucht Adelaides Mann Gabe (Winston Duke) noch, die Eindringlinge abzuwehren, doch die ganz in rote Overalls gekleideten und mit riesigen Scheren bewaffneten ‚Nachbarn‘ lassen sich nicht vertreiben. Was das Geschehen noch seltsamer macht: Die „Reds“ sind ihren Opfern wie aus dem Gesicht geschnitten – und führen nichts Gutes im Schilde.

Momentan scheint es in Hollywood etliche Komiker zu geben, die ihr Talent für das Horrorgenre oder zumindest das ‚ernste Fach‘ entdecken. So überraschte u.a. Danny McBride als Co-Autor des letzten „Halloween“-Streifens, arbeitet sich Adam McKay („The Big Short“, „Vice“) inzwischen vornehmlich an der amerikanischen Politik ab und überrascht Peter Farrelly nach Jahrhundertwerken wie „Dumm und Dümmer“ oder „Verrückt nach Mary“ nun mit Oscar-prämierten Dramen à la „Green Book“. Nicht anders ist es bei Peele: Als Teil des Comedy-Duos „Key & Peele“ brachte er sein Publikum zunächst zum Lachen, bevor er ihnen mit „Get Out“ erstmals einen kalten Schauer über den Rücken jagte.

Auch in „Wir“ weiß er den Horror packend zu inszenieren: Peele orientiert sich an Klassikern von Spielberg, Carpenter und Co., kreiert zunächst eine beunruhigende Atmosphäre und spielt anschließend mit Erwartungen, sodass aus eigentlich Altbekanntem etwas Frisches und Ungewöhnliches entsteht. Und nebenbei dürfen sich die Filmnerds im Publikum freuen, sprudelt der Film doch nur so vor Anspielungen und Verweisen sowohl filmhistorischer als auch popkultureller Art. Obendrauf gibt es dann noch ein paar Mehrdeutigkeiten, dank derer „Wir“ (im Original passender betitelt, da unspezifischer: „Us“) ebenso als Kommentar zum Zustand der (US-)Gesellschaft gedeutet werden kann, in der sich zwei gegensätzliche Bevölkerungsschichten gegenüberstehen. Ein Problem, mit dem nicht nur Amerika zu kämpfen hat.

Laut eigener Aussage hat Peele noch mindestens zwei weitere Ideen für Horrorfilme in petto, in denen er sozialkritische Themen ansprechen will. Wenn er dabei das Niveau von „Get Out“ und „Wir“ beibehält, erwarten uns richtig gute Filme!

Die Blu-ray/DVD/4K Ultra HD bietet den Film u.a. in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie diverse Untertitel. Als Extras gibt es ein paar kurze Making of-Clips. „Wir“ erscheint bei Universal Pictures Germany GmbH und ist seit 25. Juli 2019 erhältlich. (Packshot + stills: © Universal Pictures)

Heimkino-Tipp: „Destroyer“ (2018)

Bad Lieutenant

Cops am Rande des Abgrunds, die suchend durch die Straßen einer anonymen Stadt schlürfen und darauf hoffen, Erlösung und Vergebung zu finden. Nicht unbedingt eine neue Filmidee, aber für Freunde des Thriller-Genres stets eine gute Prämisse. Wenn dann – wie in diesem Fall – auch noch zwei Frauen die beiden treibenden Kräfte hinter dem Projekt sind, ist zumindest meine Neugier geweckt.

Eigentlich ist dank Klassikern wie „French Connection“, „Dirty Harry“ (beide 1971), „Bad Lieutenant“ (1992) oder „Narc“ (2002) bereits alles gesagt und gezeigt worden, was filmisch und schauspielerisch möglich ist, wenn es um ‚abgestürzte‘ Gesetzeshüter geht. Es sei denn, man(n) lässt endlich auch mal eine Frau mit Polizeimarke in dunkle Abgründe blicken. Vorhang auf für „Destroyer“!

Erin (Nicole Kidman) war einst als Undercover-Agentin tätig und sollte die Bande des skrupellosen Gangsters Silas (Toby Kebbell) unterwandern. Der Auftrag endete anders als erhofft, Silas entkam und Erin ist seitdem ein seelisches und körperliches Wrack. Als sich die Hinweise darauf verdichten, dass der untergetauchte Verbrecher wieder aktiv ist, nimmt die Einzelgängerin seine Spur auf. Ein Himmelfahrtskommando, das in Erin viele schmerzhafte, verdrängte Erinnerungen wieder lebendig werden lässt.

Dass Frau Kidman keine Scheu vor Seelenstriptease hat und häufig vollkommen hinter dem Äußeren der von ihr verkörperten Figuren verschwindet, ist inzwischen eines ihrer Markenzeichen. Selten aber sah sie derart kaputt, erschöpft und fertig aus wie vor der Kamera von Regisseurin Karyn Kusama („Girlfight“, 2000; „Æon Flux“, 2005). Nicht von ungefähr: Laut eigenen Aussagen hatte Kidman während der Dreharbeiten die Grippe erwischt. Profi der sie ist, ließ sie dies sogleich in ihre Performance einfließen.

Statt wie beispielsweise in dem Serienkillerinnen-Drama „Monster“ Charlize Theron unter Tonnen von Make-up zu begraben, nur um sie weniger attraktiv erscheinen zu lassen, bleibt Kidman hier gerade durch den Verzicht auf Maske & Co. viel mehr Freiraum, um zu agieren. Sie wirkt natürlich, befreit und sehr authentisch. Und das nicht nur in emotional aufgeladenen Szenen (wo sie immer punktet), sondern auch als wenig zimperliche, toughe Ermittlerin, die ihre Fäuste ebenso effektiv einzusetzen weiß wie ihre Handfeuerwaffen. Woah!

Dramaturgisch hat „Destroyer“ – zumindest für jene, die thematisch ähnliche Streifen kennen – zwar wenige Überraschungen zu bieten. Mit der großartigen Leistung vor (Kidman) und hinter der Kamera (Kusama) aber reiht sich der Film ein in die (leider noch) viel zu kurze Liste brettharter Action-Thriller („Strange Days“, 1995; „Punisher: War Zone“, 2008), die von Frauen inszeniert wurden und viele männliche Kollegen ziemlich blass aussehen lassen.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie optionale deutsche Untertitel für Hörgeschädigte. Als Extras befinden sich ein Mini-Making of, Interviews und Trailer auf den Discs. „Destroyer“ erscheint bei Concorde Home Entertainment und ist seit 18. Juli 2019 erhältlich. (Packshot + stills: © Concorde)

„Rocketman“ (Kinostart: 30.05.2019)

Zwar läuft der Film schon einige Wochen in den hiesigen Kinos, aber besser spät als nie. Der Text erschien ursprünglich im Kinokalender Dresden:

Soll das jetzt etwa immer so laufen? Schritt eins: Einst erfolgreiche Musiker wünschen sich ein filmisches Porträt. Schritt zwei: Ein Drehbuchautor kritzelt eine Fantasiegeschichte zusammen, die sich nur sehr frei an Tatsachen orientiert. Schritt drei: Der Brite Dexter Fletcher übernimmt die Regie. Schritt vier: Das Endprodukt wird gefeiert als wäre es ein Meisterwerk sondergleichen. So geschehen bei der Queen-Biografie »Bohemian Rhapsody« im vergangenen Jahr und nun bei »Rocketman«, einem Rückblick auf die Karriere von Elton John.

Dabei macht der neue Streifen zunächst viel richtig: Überrascht mit Musical-Einlagen, die das Privatleben des Musikers mittels seiner Songs erzählen, spürt den Ursprüngen seiner Begabung in der Kindheit nach und überzeugt mit einem elektrisierenden Hauptdarsteller (Taron Egerton). Die Hits sprudeln im Minutentakt, man staunt über den bunten Paradiesvogel auf der Leinwand sowie seine kleinen und großen Eskapaden abseits der Bühne.

Aber dann: Drogen! Garstige, hinterhältige Liebhaber! Einsamkeit trotz immensem Reichtums! Mag ja sein, dass dies der übliche Weg vieler Rockstars ist, die viel zu jung viel zu reich werden und irgendwann ihren moralischen Kompass ein wenig aus den Augen verlieren. Aber warum muss dies dann stets in solcher Ausführlichkeit ausgebreitet werden? Besonders wenn dies wie im Falle von »Rocketman« – und übrigens auch »Bohemian Rhapsody« – auf Kosten interessanterer Fakten geschieht? Statt drei alkoholgeschwängerte Abstürze nacheinander in gefühlter Endlosschleife zu zeigen, könnte der Film Essenzielleres erzählen. Zum Beispiel über Elton Johns Oscar-Gewinn 1995 (für „Can You Feel The Love Tonight“ aus dem Soundtrack zu „Der König der Löwen“), etwas über sein bewegendes Abschiedslied für Prinzessin Diana 1997 („Candle In The Wind“, mit 45 Millionen verkauften Exemplaren immerhin die erfolgreichste Single aller Zeiten) oder über die Tatsache, dass er aufgrund seines Drogenkonsums nach einer Kehlkopfoperation das Singen neu erlernen musste.

Aber was zählen schon Fakten im Jahre 2019? Lass’ doch dazu einfach behaupten, er verdanke seinen Künstlernamen John Lennon – merkt doch ohnehin keiner. Doch, meine lieben Filmemacher! Und es ärgert mich! Weil es überflüssig, unwahr und anbiedernd ist. Ihr könnt Geschichte im Kino gerne umschreiben, überhöhen, variieren. Wie unterhaltsam das sein kann, hat »Inglourious Basterds« eindrucksvoll bewiesen. Aber pfuscht nicht grundlos in Künstlerbiografien rum, nur um sie interessanter und gefälliger erscheinen zu lassen. Vor allem dann nicht, wenn die wahre Geschichte sehr viel mehr Potential bietet, der beeindruckenden Lebensleistung eines Menschen zu huldigen.

Gummelnd: Csaba Lázár

(Plakat: © Paramount Pictures Germany GmbH)

Heimkino-Tipp: „Extremely Wicked, Shockingly Evil and Vile“ (2019)

Monster

„Extrem widerwärtig, schockierend boshaft und abscheulich“ – mit diesen Worten versuchte Richter Edward D. Cowart 1979 die Taten von Theodore Robert Bundy, besser bekannt als Ted Bundy, zu beschreiben. In dem Prozess wurde Bundy unter anderem des zweifachen Mordes für schuldig befunden und zum Tode auf dem elektrischen Stuhl verurteilt. Zu diesem Zeitpunkt wusste niemand, dass er in Wahrheit mindestens 30 Menschen ermordet hatte.

Bundy (1946 - 1989) gilt als einer der schlimmsten Massenmörder der amerikanischen Geschichte – und als einer der charismatischsten. Denn neben seiner Intelligenz und seinem höflichen Benehmen war es vor allem sein gutes Aussehen, mit dem er seine ausnahmslos weiblichen Opfer anlocken konnte. Hinzu kommen zwei erfolgreiche Fluchten aus der Haft sowie sein selbstbewusstes Auftreten während seines Prozesses, der landesweit im TV übertragen wurde – und ihm viele vor allem weibliche Fans bescherte. Insofern ist es nur konsequent, dass sich Regisseur Joe Berlinger entschied, für seine Verfilmung der Ereignisse auf einen ebenso hübschen und charmanten Schauspieler zurückzugreifen: Auftritt Zac Efron alias Ted Bundy in „Extremely Wicked, Shockingly Evil and Vile“.

Wer Efron bisher nur mit dämlichen Klamotten à la „Dirty Grandpa“ in Verbindung bringt oder als singenden Schönling aus „High School Musical“ kennt, mag zunächst vielleicht zweifeln, ob der 31-Jährige auch böse kann. Doch schon sein Auftritt im abgefahrenen „The Paperboy“ hat durchschimmern lassen, dass Efron mehr auf dem Kasten hat. Und ja, als Bundy überzeugt er!

Das mag auch daran liegen, dass „Extremely Wicked, Shockingly Evil and Vile“ einen interessanten Zugang zu den historischen Ereignissen wählt. Statt den ‚klassischen‘ Weg einer Biografie zu wählen, die nacheinander sämtliche Morde des Monsters in Menschengestalt explizit darstellt, versucht Regisseur Berlinger, sein Publikum mit eben jenen Mitteln zu verführen, wie es Bundy seinerzeit tat: Aus dem Blickwinkel seiner langjährigen Partnerin Liz (Lily Collins) erzählt, erleben wir Bundy als fürsorglichen, zärtlichen und ja, verdammt gutaussehenden Mann, der eines Tages von der Polizei verhaftet wird. Mit glaubhaften Argumenten und einem umwerfenden Lächeln gelingt es ihm, Liz von seiner Unschuld zu überzeugen und gleichzeitig Zweifel an den scheinbaren Beweisen der Polizei zu schüren. Bundy weiß sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren und kann somit – nach gelungener Flucht und trotz Verfolgung – weiterhin seinem blutigen Treiben nachgehen.

„Extremely Wicked, Shockingly Evil and Vile“ verdeutlicht damit sehr präzise, wie leicht man/frau sich von Äußerlichkeiten, Auftreten und Intelligenz täuschen lassen kann. Gewalt ist im Film erfreulicherweise kaum zu sehen, allein die Schilderungen im Gerichtssaal genügen, um das Ausmaß von Bundys Treiben zu illustrieren. Dort trifft er mit Richter Cowart zudem auf einen intellektuell gleichwertigen Gegner, den John Malkovich mit einer Würde und Wucht spielt, die einmal mehr beweisen, was für ein großartiger Schauspieler er ist.

Apropos: In Nebenrollen sind etliche weitere Stars versteckt, die man beinahe nicht wiedererkennt, u.a. James ‚Metallica‘ Hetfield, Jeffrey Donovan („Sicario“) und Haley Joel Osment („The Sixth Sense“).

„Extremely Wicked, Shockingly Evil and Vile“ wagt einen etwas anderen Ansatz, um einer Person bzw. deren Charakter nahe zu kommen. Sicherlich nicht jedermanns Sache, allein wegen der darstellerischen Leistungen jedoch sehenswert.

Die Blu-ray/DVD bietet den Film u.a. in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie optionale deutsche Untertitel für Hörgeschädigte. Als Extras gibt es ein kurzes Making of und Trailer. „Extremely Wicked, Shockingly Evil and Vile“ erscheint bei Constantin Film und ist seit 4. Juli 2019 erhältlich. (Packshot + stills: © Constantin Film)