... im Nachgang: „Rum Diary“ (Kinostart: 02.08.2012)

Gibt es etwas Unterhaltsameres, als Johnny Depp beim Torkeln zuzusehen? Nein - behaupte ich zumindest im aktuellen Streitgespräch des „Kinokalender Dresden“. Den kompletten Artikel gibt es HIER.

Heimkino-Tipp: „Our Day Will Come“ (2010)

Meine erste „Begegnung“ mit dem französisch-stämmigen Schauspieler Vincent Cassel fand 1997 mit dem stylishen Gangsterfilm „Doberman“ statt. Da hatte der Berserker bereits seinen kontroversen Durchbruch „Hass“ zwei Jahre hinter sich und war – zumindest in meinen jungen Cineastenaugen – jemand, vor dem man Angst haben sollte. Heute zählt Cassel auch international zu den ganz Großen, ist sowohl in Hollywood („Ocean’s Twelve“, „Black Swan“) als auch Europa („Elizabeth“, „Birthday Girl“) unterwegs und hat von seiner Intensität bei der Darstellung extremer Charaktere nichts eingebüßt. Bisheriger Karrierehöhepunkt dürfte zweifellos „Public Enemy“ (2008) gewesen sein, Cassels Porträt von Jacques Mesrine, des wohl bekanntesten französischen Schwerverbrechers, der von den 1960ern bis Ende der 1970er wütete und dabei unzählige Banken ausgeraubt, über 40 Menschen getötet und etliche Ausbrüche aus staatlichen Gefängnissen hinter sich gebracht hat. Ein Medienstar und 1979 schließlich auf offener Straße von der Polizei hingerichteter Mann, dessen Gewalttätigkeit noch heute ihresgleichen sucht.

Für „Our Day Will Come“ hat sich der Gatte von Monica Bellucci nun mit einem anderen Wüterich für dessen filmischen Erstling zusammengetan: Romain Gavras, griechischer Videokünstler und Sohn von Regielegende Costa-Gavras („Missing“, „Music Box“), der vor allem dank seines umstrittenen Music-Clips „Born Free“ für M.I.A. 2009 weltweit für Furore sorgte, da dieser – basierend auf echten Aufnahmen – einen Massenmord durch Soldaten zeigt. Die Opfer: Rothaarige Menschen. Diesem Thema widmet sich Gavras nun auch in „Our Day Will Come“.

Der von seinen Mitmenschen und Patienten gelangweilte Psychiater Patrick (Cassel) trifft eines Nachts auf den Sonderling Rémy (Olivier Barthelemy). Der rothaarige junge Mann hat häufig Stress mit seiner Familie, ist ständiges Opfer von Streichen Gleichaltriger und wird zudem von seiner anonymen Internetbekanntschaft regelmäßig versetzt. Schuld an der alltäglichen Hölle gibt er seiner Haarfarbe. Patrick, selbst konstant schwankend zwischen Wut und Nachdenklichkeit, nimmt Rémy unter seiner Fittiche – jedoch nicht, um ihm zu helfen, sondern um ihn nach seinen eigenen Überzeugungen zu formen. Der Plan gelingt, bis Rémy seiner aufgestauten Aggression zunehmend freien Lauf lässt. Bald ist nicht mehr klar, wer wen kontrolliert und wie weit Rémy bereit ist zu gehen, um sein Ziel Irland zu erreichen. Denn nur dort, im „Land der Rothaarigen“, glaubt er, Erlösung finden zu können.

Roadmovie, Sozialdrama oder bissige Satire? Romain Gavras und sein Co-Autor Karim Boukercha wechseln im Verlauf der Reise nicht nur immer wieder das Alpha-Männchen in ihrer Erzählung, sondern auch die Art und Weise, wie sie den wachsenden Menschenhass ihrer beiden Protagonisten darstellen: mal erschreckend-brutal, dann wieder amüsant-verrückt. Obwohl sich weder Patrick noch Rémy als Sympathiefiguren für den Zuschauer eignen, bleibt ihr Trip bis zum überraschenden Ende interessant. Der Film taugt dabei ebenso als Parabel für die Ausgrenzung Einzelner aufgrund von Aussehen, Religion oder Herkunft, wie auch als ein Zeugnis der Manipulierbarkeit eines Menschen, der wie Rémy zutiefst verunsichert und sozial inkompetent ist.

Man kann „Our Day Will Come“ leicht Überspitzung und Realitätsferne vorwerfen. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass Regisseur Gavras es eher wie die Filmfigur John Doe in „Sieben“ hält: „Wenn die Leute einem zuhören sollen, reicht es nicht, ihnen auf die Schulter zu tippen. Man muss sie mit einem Vorschlaghammer treffen. Erst dann können Sie sich ihrer Aufmerksamkeit gewiss sein.“ Im Falle von „Our Day Will Come“ hat Gavras dieses Ziel eindrucksvoll erreicht.

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Die DVD/BluRay bietet den Film in deutsch synchronisierter und französischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Bonusmaterial gibt es ein erhellendes Making of, das zwar weniger die Produktion beleuchtet, dafür aber einige interessante Äußerungen von Setmitgliedern enthält, die auf Themen des Films Bezug nehmen. Ein weiteres Extra ist der hervorragende Trailer, der im Gegensatz zum heute üblichen Vorgehen nicht die gesamte Handlung verrät, sondern die bedrohliche Stimmung des Werks formidabel einfängt. „Our Day Will Come“ erscheint bei Universum Film/FilmFrontal und ist ab 21. September erhältlich. (Packshot: © Universum Film)

Heimkino-Tipp: „Shame“ (2011)

Gleich zu Beginn von „Shame“ macht Regisseur und Drehbuchautor Steve McQueen – übrigens nicht zu verwechseln mit seinem berühmten Namensvetter, dem 1980 verstorbenen Schauspieler aus „Bullitt“ – klar, was er in seinem zweiten Spielfilm zeigen will: Intimität, Intensität und Seelenstriptease. Und obwohl jene erste Szene lediglich Hauptdarsteller Michael Fassbender dabei zeigt, wie er einer jungen Dame in der U-Bahn in die Augen sieht, ist dieser Moment von einer Eindringlichkeit, die im Kino ihresgleichen sucht. Und tatsächlich gelingt es McQueen, diese Eindringlichkeit bis zum Ende beizubehalten.

Großen Anteil daran hat zweifellos der einmal mehr fantastisch aufspielende Fassbender, der sich für diesen Film nicht nur körperlich sondern auch seelisch komplett entblößt. Als sexsüchtiger Yuppie Brandon aus der New Yorker Geschäftswelt streift er durch die Stadt, ständig auf der Suche nach einer neuen Möglichkeit, seinem Trieb nachzugeben. Er onaniert, lässt sich mit One-Night-Stands ein und von Prostituierten verwöhnen. Als eines Tages überraschend seine Schwester Sissy (Carey Mulligan) auftaucht, wirft das nicht nur seinen Tagesablauf, sondern zunehmend auch sein Leben aus der ohnehin fragilen Bahn. Denn Sissy ist gefühlsmäßig ebenso ein Wrack wie ihr Bruder. Einzig ihre Art, es der Außenwelt mitzuteilen, unterscheidet sie vom introvertierten Brandon.

Aufsehen erregte der Film schon während der Dreharbeiten, als die Darsteller hinter einem New Yorker Hotelfenster blank zogen und den staunenden Passanten einen ersten Vorgeschmack auf das Drama boten. Später lobte „Prometheus“-Kollegin Charlize Theron zudem öffentlichkeitswirksam Fassbenders Auftritt und Mut mit dem Kommentar „Dein Penis war eine Offenbarung!“. Heißen, erotischen Sex bietet „Shame“ trotzdem nicht. Stattdessen gibt es mechanisch wirkende Akte en masse, die wenig Sinnlichkeit versprühen. Denn nichts anderes durchlebt Brandon in seinem Alltag. So ist diese Gefühlskälte beim Sex auch ein wunderbares Bild für Brandons Umwelt, die abgestumpft ihrem eintönigen Tagesablauf nachgeht, immer auf der Suche nach dem nächsten Kick. Die um Aufmerksamkeit und Nähe bettelnde Sissy bildet dazu einen passenden, aber nicht weniger traurigen Gegenpol.

Optisch weiß McQueen die Kühle der Großstadt New York formidabel einzufangen. In langen, mit ruhiger Hand eingefangenen Kamerafahrten durchkreuzt er zusammen mit seinem Protagonisten die von Versuchungen nahezu überfüllte Stadt, ohne ihm einen Ausweg anzubieten. So wird spätestens beim seltsam distanzierten Rendez-vous Brandons mit einer Kollegin klar, dass Sex mit Gefühlen bei ihm längst nicht mehr möglich ist. Eine emotionale, normale Beziehung allerdings ebenso wenig.

„Shame“ ist eine distanziert inszenierte, unfassbar intensiv gespielte Charakterstudie, die lange nachwirkt. Ein sehr offenherziger Kommentar zur Gesellschaft in fabelhafter Optik, der provoziert und hinter seinen expliziten Szenen eine traurige Geschichte über Vereinsamung erzählt. Meisterlich.

Die DVD/BluRay bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche und englische Untertitel. Leider beschränken sich die Extras lediglich auf einen Trailer und zwei sehr kurze Clips (Gesamtspieldauer acht Minuten), in denen die Darsteller und der Regisseur über die Figuren und ihr Arbeitsverhältnis sprechen. „Shame“ erscheint bei Prokino/EuroVideo und ist ab 13. September erhältlich. (Packshot: © EuroVideo Film)