Heimkino-Tipp: „Benedetta“ (2021)

Flesh + Blood

Ich bin immer wieder beeindruckt, mit welch Virtuosität und Energie Regisseure jenseits der 60, 70 und, wie hier bei Paul Verhoeven, jenseits der 80 Filme raushauen, die weit von sogenannter Altersmilde entfernt sind. So knurrt immer noch keiner so wunderbar wie Clint Eastwood (91 Jahre alt, „Cry Macho“, 2021), inszeniert niemand Ritterspektakel so derbe wie Ridley Scott (84 Jahre alt, „The Last Duel“, 2021), und wenn es um sexuell aufgeladene Provokationen geht, ist der gebürtige Niederländer Verhoeven (83 Jahre alt) immer noch der beste Mann, um es filmisch umzusetzen.

Nachdem er 2016 mit dem gefeierten und gleichsam umstrittenen „Elle“ (Rezension HIER) einmal mehr für Furore sorgte, widmet er sich in „Benedetta“ nun einer (realen) historischen Figur, die zu Lebzeiten offenbar auf vielerlei Weise für Aufsehen sorgte. Benedetta Carlini (1590 - 1661) wurde seit ihrer Kindheit auf ein Leben im Kloster vorbereitet. Sie behauptete später, Visionen von Jesus zu haben, trug Wundmale an Händen, Füßen und Stirn und soll zudem eine lesbische Beziehung mit einer anderen Nonne geführt haben. In einer Zeit, in der Männer der Kirche das alleinige Sagen hatten (oder zumindest viel Einfluss auf Regierende), waren Enthüllungen und Frauen wie diese etwas, das viel Misstrauen hervorrief – sowohl bei den Herrschenden als auch bei der Bevölkerung.

Der Lebensgeschichte von Carlini, im Film mit beeindruckender Präsenz und nuanciertem Spiel dargestellt von Virginie Efira, folgt Verhoeven in seinem Film chronologisch und verdeutlicht dabei nicht nur das religiöse, sondern ebenso das sexuelle Erwachen einer Nonne, die sich einerseits berufen fühlt, die Menschen in ihrer Umgebung vor Unheil zu warnen und zu schützen, andererseits zunehmend offensiv mit ihrer Macht hantiert – sei es gegenüber ihrer Liebhaberin (Daphne Patakia) oder der ihr unterwiesenen Schwestern (u.a. Charlotte Rampling). Dass ein Regisseur wie Verhoeven dabei in punkto Zeigefreudigkeit und Gewaltspitzen keine Gefangenen macht, sollte jeder/m klar sein, der andere Werke aus dessen Œuvre kennt.

Ähnlich wie sein Kollege Scott in „The Last Duel“, der ebenso vom Kampf einer Frau um Selbstbestimmung (im Frankreich des 14. Jahrhunderts) handelt, stilisiert Verhoeven seine Protagonistin jedoch nicht zu einer modernen Feministin, sondern legt vielmehr rigoros und wenig schmeichelhaft Machtstrukturen offen, in der Frauen jedwede Individualität abgesprochen und jeder Regelbruch hart bestraft wird.

Wie der geneigte Zuschauer (ja, hier ist vornehmlich der männliche gemeint) damit umgeht und es auf heutige Zustände überträgt, bleibt ihm selbst überlassen. Doch einmal mehr wird zumindest mir klar, wie aktuell selbst über 400 Jahre alte Geschichten und Ereignisse auch heute noch sind. Und wie wenig sich bisher geändert hat. Leider.

Der Film erscheint in mehreren verschiedenen Varianten auf DVD/Blu-ray/4K Ultra HD. Neben Einzeldiscs gibt es zwei optisch unterschiedliche Mediabook-Versionen, die diverse Extras (Interviews, Trailer, Booklet) enthalten. Der Film liegt bei allen Veröffentlichungen im französischen Originalton und deutsch synchronisiert vor. Untertitel sind optional einblendbar. „Benedetta“ erscheint bei Koch Media/Capelight und ist seit 18. Januar digital und ab 24. Februar 2022 physisch erhältlich. (Packshot + stills: © capelight pictures / Koch Films)