DVD-Tipp: „Ein andalusischer Hund“ / „Das goldene Zeitalter“


Am Anfang stand die Vereinbarung, „keine Idee, kein Bild zuzulassen, zu dem es eine rationale, psychologische oder kulturelle Erklärung gäbe; die Tore des Irrationalen weit zu öffnen; nur Bilder zuzulassen, die sich aufdrängten, ohne in Erfahrung bringen zu wollen, warum.“ Das Ergebnis dieser Übereinstimmung zwischen den beiden spanischen Künstlern Luis Buñuel (1900-1983) und Salvador Dalí (1904-1989) wird heute oftmals als das Meisterwerk des surrealistischen Films bezeichnet: „Ein andalusischer Hund“.

Der 1929 in Frankreich entstandene Kurzfilm (ca. 17 Minuten) ist nun zusammen mit dem zweiten gemeinsamen Film von Buñuel und Dalí, „Das goldene Zeitalter“ (1930, ca. 63 Minuten), erstmals auf DVD in Deutschland erhältlich. Zwei Kunstwerke, die sich einem nachvollziehbaren Handlungskonstrukt verwehren, surreale Bilderwelten aneinanderreihen, provozieren und verstören. Zwei Kunstwerke, die nicht nur die Bewegung des Surrealismus vom reinen Gedankenspiel und der Literatur auf die darstellende (Film-)Kunst übertrugen, sondern ebenso die (moralischen) Grenzen des Darstellbaren bewusst überschritten. So sind die Szenen vom mit einer Rasierklinge durchschnittenen Auge einer Frau, der Hand, aus der unzählige Ameisen quillen oder des Mordes eines Vaters an seinem jungen Sohn noch heute schockierend, gleichzeitig aber optisch bemerkenswert umgesetzt – und sicherlich auch vielen Menschen bekannt, die diese Filme nie selbst gesehen haben.

Um den eigentlichen Sinn dieser Bilderwelten zu begreifen, sind Vorkenntnisse über die surrealistische Bewegung unabdingbar. Zuschauer, die vornehmlich aufgrund der filmhistorischen Bedeutung an diesen Werken interessiert sind (was auch auf mich zutrifft), müssen allerdings trotzdem nicht an ihrem Halbwissen leiden: Neben einer 90minütigen (!) Dokumentation über Buñuel liegt der DVD noch ein mehrseitiges Booklet bei, das Auszüge aus Buñuels Autobiographie „Mein letzter Seufzer“ (erschienen 1983) enthält. Darin erinnert sich der Regisseur an den Entstehungsprozess und die Premieren beider Filme und gibt damit auch ein paar Anhaltspunkte zur Bedeutung und zur Eigeninterpretation seiner Arbeit. So ist zu lesen, dass er damals wie 50 Jahre später nicht gezögert hätte, das Negativ (=Original) von „Ein andalusischer Hund“ zu verbrennen – einfach nur, weil es ihm „vollkommen egal“ sei.

Über dieses Fazit kann man den Kopf schütteln oder – als Verfechter des Surrealismus – zustimmend applaudieren. Also genau das tun, was Buñuel und Dalí beabsichtigten: darüber streiten, es verdammen oder loben. Letzteres verdient diese liebevolle DVD-Umsetzung allemal.

Die DVD „Ein andalusischer Hund“ / „Das goldene Zeitalter“ (FSK 16) erschien am 19. November 2010 bei Pierrot le Fou/AL!VE AG.

„Home for Christmas“ (Kinostart: 2. Dezember 2010)

So alljährlich wie das Fest selbst gibt es zum Ende eines jeden Kinojahres auch stets die passenden Filme zum Thema. Romantisch, friedlich und vor allen besinnlich geht es da oftmals auf der Leinwand zu, proportionales Anwachsen des Schluchz-Faktors vor der Leinwand inklusive. Auf den ersten Blick scheint auch Bent Hamers Episodendrama „Home for Christmas“ genau diese Erwartungen zu erfüllen. Nach „Kitchen Stories“, „Factotum“ und zuletzt „O’Horten“ nun also gediegenes Advents-Wohlfühlkino aus Norwegen?

Nicht mit Hamer, einem Profi in Sachen Mehrdeutigkeit: Da ist der Vater, dessen Beinahe-Exfrau ihm den Besuch seiner Kinder verwehrt, ein Arzt, der einem Flüchtlingspärchen bei der Niederkunft hilft, eine Geliebte auf dem Abstellgleis, zwei Kinder beim Sternengucken und ein einsamer Mann auf dem Weg zu seinen Eltern.
Verknüpft sind diese einzelnen Kapitel nur sehr lose, typisch Hamer jedoch voll leiser Komik, berührender Tragik und einer Zuckerprise Melancholie. Angenehme, feine – gar belanglose? – Geschichtchen, wie sie besser in die Winterzeit nicht passen könnten. Richtet der Zuschauer sein Augenmerk dann aber auf die Namen einzelner Figuren, deren Wege und Handlungen, so ergibt sich ein buntes Mosaik mit vielen kleinen Anspielungen auf die klassische Weihnachtsgeschichte und die Gebote des Christentums. Allerdings niemals offensichtlich, aufdringlich oder belehrend. Vielmehr entsteht der Eindruck, als habe sich der Autor der Vorlage, Levi Henriksen, lediglich davon inspirieren lassen, um auf die Schicksale und kleinen Wunder des Hier und Heute hinzuweisen.

Das ist intelligenter, unterhaltsamer und lohnender als vieles andere, was das Genre „Weihnachtsfilm“ in den vergangenen Jahren hervorgebracht hat. Aber so sind sie halt, die Skandinavier: grüblerisch, zurückhaltend – und talentierte Filmemacher.

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 2. Dezember 2010.

Inside ‚The American‘. Eine Buchrezension.


„Ein Filmprojekt in Angriff zu nehmen, ist eine heikle Angelegenheit. […] Man weiß nicht genau, auf was man sich eingelassen hat“, heißt es im Vorwort zum Foto-Tagebuch „Inside ‚The American‘“ von Anton Corbijn. Erstaunlich, aber wahr: Selbst der Starfotograf, Videokünstler und Filmregisseur Corbijn hat im Alter von 55 Jahren offenbar noch Selbstzweifel an seinen Fähigkeiten. Zurückhaltung könnte man es auch nennen.

Dabei kann der Niederländer auf eine abwechslungsreiche und stilbildende Karriere zurückblicken, die das Image von Einzelkünstlern und Bands, beispielsweise Herbert Grönemeyer, U2 oder Depeche Mode, bedeutsam geformt und etabliert hat. Corbijn startete seine Karriere als Musikfotograf, um wenig später mit seinen -videos („Enjoy the Silence“, Depeche Mode 1990), Coverentwürfen („The Joshua Tree“, U2 1987; „Keep the Faith“, Bon Jovi 1992) und Bühnenkonzepten („Devotional“-Tour, Depeche Mode 1993/94) Aufmerksamkeit zu erregen. Im Jahr 2007 folgte mit dem mehrfach ausgezeichneten und weltweit erfolgreichen „Control“, angelehnt an das Leben des Joy-Division-Sängers Ian Curtis, sein Debüt als Filmregisseur. Schon damals veröffentlichte er parallel zum Kinostart einen Bildband, der die Dreharbeiten dokumentierte. Mit „Inside ‚The American‘“ setzt er diese Tradition nun fort.

In der Hauptrolle mit George Clooney als schweigsamer Killer formidabel besetzt, erzählt „The American“ von dessen einsamer Odyssee in den italienischen Abruzzen. Ganz klassisch dem Aufbau eines Westerns folgend, von denen sich Corbijn nach eigener Aussage auch hat inspirieren lassen, wird sich der Mann hier seiner ausweglosen Situation bewusst und plant, sein Leben zu ändern. Seinem Auftraggeber schmeckt dies freilich wenig.
Unabhängig vom zugegebenermaßen dünnen Gerüst der Filmhandlung, begeistert „The American“ vor allem dank seiner Optik. Denn gleich ob Film oder Foto: Corbijn besitzt das Talent, den ‚besonderen Augenblick‘ einzufangen.

In Buchform offenbart sich die Qualität des Corbijn’schen Könnens noch einmal in all seiner sonderbaren Schönheit: sei es ein Blick an der Seite Clooneys aus dem Fenster, ein Szenenbild vom blutverschmierten Kopfsteinpflaster oder die Reaktion der Crew auf die Späße des Kasperkopps George. Der Moment an sich wird lebendig und Corbijn gelingt es, selbst die dunkelsten Regenwolken bedrohlich, und gleichzeitig wunderschön aussehen zu lassen. Auffällig ist, dass sogar bei spontanen Schnappschüssen (und demnach fehlender technischer Vorbereitungen) die Handschrift des Fotografen zu erkennen ist. Ein Gut, welches die Fähigkeiten Corbijns unterstreicht.

Doch „Inside ‚The American‘“ ist mehr als nur ein Fotoband. Die einzelnen Bilder des 164 Seiten starken Buches sind vom Regisseur handschriftlich kommentiert und verraten dabei auch die Intension hinter einzelnen Szenen und Blickwinkeln. Nicht weniger anschaulich sind die zahlreichen Skizzen und Storyboard-Zeichnungen, auf denen Sets, Kamerabewegungen und Schauspieleranweisungen vermerkt sind. Letzteres mag vielleicht nur die ganz hartgesottenen Filmfans interessieren. Doch verdeutlicht es andererseits die vielen Entscheidungsprozesse, die ein Regisseur während des Filmens treffen muss – und ist somit ehrlicher als jedes nichtssagende „Making of“, das heute auf DVD als Zugabe gepresst wird.

„Inside ‚The American‘“ empfiehlt sich dank seiner Fülle an Bildern, persönlichen Texten und Qualität sowohl als Lese- als auch als Fanbuch. Und für all jene, denen es zeitnah nicht vergönnt ist, einen Abstecher in die Abruzzen zu unternehmen, ist es ebenso als wunderbare Motivsammlung geeignet. Noch dazu mit einem sehr hübschen, meist Oberkörper-freien Reiseführer als Dreingabe.

Anton Corbijn
INSIDE THE AMERICAN
Photographien und handschriftliche Texte von Anton Corbijn
164 Seiten, 116 Tafeln in Farbe, Englische Originalausgabe mit deutscher Übersetzung, 30,5 x 21 cm, gebunden.
ISBN 978-3-8296-0476-5
€ 49.80, € (A) 51.20, sFr. 82.-

Foto: © 2010 Universal Studios Licensing LLLP. The movie The American © Focus Features LLC. All rights reserved. © 2010 Introduction Anton Corbijn / Courtesy Schirmer/Mosel.

... im Nachgang

So, und weil es sich über diesen Film so schön streiten lässt, hier noch einmal etwas zu „Jud Süß – Film ohne Gewissen“:

http://www.kinokalender.com/kolumne.html

„Jud Süß – Film ohne Gewissen“ (Kinostart: 23. September 2010)

Wo endet künstlerische Freiheit und beginnt Geschichtsverfälschung? Selten hat ein Film bezüglich dieser Frage so viele Kontroversen hervorgerufen wie „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ von Oskar Roehler. Ein Schicksal, das das Werk mit seiner historischen Quelle teilt.

Das Original von 1940 gilt als ein Musterbeispiel für antisemitische „Kunst“ im Dritten Reich. Es vereint filmische Versiertheit mit unterschwelliger Propaganda und in der Tat eindrucksvollen Schauspielleistungen. Einen wichtigen Anteil daran hatte der österreichische Darsteller Ferdinand Marian. Obwohl er eine Mitwirkung zunächst ablehnte, bestand Propagandaminister Joseph Goebbels darauf, ihn für die Hauptrolle zu besetzen. „Mit einigem Nachhelfen“, so eine Anmerkung aus Goebbels Tagebüchern, nahm Marian die Rolle trotz Vorbehalte an. Der Erfolg des Films, die Würdigung seiner Leistung, sowie der daraus resultierende gesteigerte Hass auf Juden in Europa, trieben Marian 1946 offenbar in den Tod.

Das sind die historischen Fakten, auf denen Regisseur Roehlers Film beruht. Zusammen mit seinem Drehbuchautor Klaus Richter hat er diese Tatsachen allerdings ein wenig verändert, ausgeschmückt, ergänzt. Ihnen deshalb „Geschichtsfälschung“ zu unterstellen wäre jedoch ungerechtfertigt: Künstlerische Freiheit zur Dramatisierung eines Stoffes ist ein alltägliches Hilfsmittel für Autoren und Regisseure. Doch das hätte es retrospektiv gar nicht gebraucht: Tobias Moretti ist als Marian eine Offenbarung, während Moritz Bleibtreu durch ungebremste Überhöhung seinen Goebbels als das porträtiert, was er war: eine Witzfigur.

Herausgekommen ist ein theatralisch überhöhtes, in Teilen sicherlich zu verkopftes Werk, das zwischen Biografie und Satire schwankt und formal etwas bieder wirkt, jedoch aufgrund der Thematik empfehlenswert bleibt.

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 22. September 2010.

„Verlobung auf Umwegen“ (Kinostart: 9. September 2010)

Ein Zeitungsartikel als Ideengeber, zwei Wochen für das Konzept, weitere 14 Tage später die Drehgenehmigung. Das Skript von Deborah Kaplan und Harry Elfont zu „Verlobung auf Umwegen“ entstand ebenso flink wie es verkauft wurde. Sowas lässt aufhorchen, immerhin gibt es romantische Komödien bereits im Übermaß und inhaltliches Neuland betreten nur die wenigsten. Sollte „Verlobung auf Umwegen“ also die lang ersehnte Alternative oder gar die Neubelebung des Genres sein?

Die auf Zelluloid gebannte Wahrheit zerstört diese Hoffnung leider schnell: Die Bostoner Karrierefrau Anna (Amy Adams) wartet schon lang sehnsüchtig auf die eine bedeutende Frage ihres Liebsten. Der schenkt ihr jedoch auch am vierten Jahrestag statt eines Rings lediglich glitzernden Ohrenschmuck und widmet sich anschließend einem Geschäftstermin in Dublin. Nun hat Anna die Faxen dicke und reist ihm hinterher. Ihr Ziel: Am 29. Februar des Schaltjahres dem Kerl nach altem irischen Brauch selbst einen Antrag machen. Ein Unwetter bewirkt die Umleitung ihres Fluges nach Wales. Nun ist Anna auf die Hilfe eines gutaussehenden Einheimischen (Matthew Goode) angewiesen, um ihren Traum noch pünktlich verwirklichen zu können. Was folgt, ist so überraschungsarm wie durchschaubar:

Die Stadtneurotikerin und der Naturtyp zanken, necken und verlieben sich. Das sieht schön aus, ist hier und da amüsant, doch gleichzeitig zu konstruiert um dem Romantiker im Kinosessel ein freudiges „Hach“ zu entlocken. Schließlich kennt der bereits Filme wie „New in Town“, „Auf die stürmische Art“ und „Sechs Tage, sieben Nächte“. Sollte dem wider Erwarten nicht so sein, ist „Verlobung auf Umwegen“ andererseits ein annehmbarer Einstieg in die Reißbrett-Romanzen-Welt Hollywoods.

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 8. September 2010.

„The Expendables“ (Kinostart: 26. August 2010)

„Wir werden das 'A-Team' ausräuchern!“ Gemessen an den finanziellen Einnahmen seines neuen Werkes „The Expendables“ versprach der 64-jährige Sylvester Stallone tatsächlich nicht zu viel. Und auch optisch dürfte nach wenigen Filmminuten klar sein, welches der beiden 80er-Revivals, die momentan um die Gunst des Publikums werben, das ehrlichere ist.

Dabei mutet es ironisch an, dass ausgerechnet „The Expendables“, bei dem Stallone Hauptrolle, Regie und Drehbuch übernahm, sein bislang erfolgreichster Streifen ist; ein Film, der all seine vergeblichen Versuche, dem Image als eindimensionaler Actionheld zu entkommen, negiert. Stallone anno 2010 ist simpel, wenig subtil und handgemacht – so, wie es schon einmal vor 25 Jahren war.

Das spiegelt sich auch inhaltlich wieder: Barney Ross (Stallone) ist Kopf einer Gruppe von Söldnern, die für gute Bezahlung ihre Fähigkeiten als Kampfmaschinen zur Verfügung stellen. Nun werden sie in ein südamerikanisches Land geschickt und sollen dort einen Diktator stürzen. Ein Auftrag, der die Mannen schnell an ihre psychischen und physischen Grenzen bringen wird.

„The Expendables“ schert sich weder um Moral noch Tiefgang. Manchmal amüsant - siehe Auftritt Willis & Schwarzenegger - oftmals jedoch einfach nur laut, brutal und grimmig, legt Stallone nach „John Rambo“ (2008) abermals einen lupenreinen Actionfilm vor, der solide inszeniert ist, schlussendlich jedoch nur den Fans von einst zusagen wird. Denn bis auf die hin und wieder sichtbare hektische Kameraführung gibt es in diesem Film kaum Hinweise auf sein Produktionsjahr. Das freut den von Effekten gesättigten Genrefan, ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass Stallone sich damit nur noch weiter von seiner schauspielerischen Glanzleistung im Drama „Cop Land“ entfernt. Doch das ist ja inzwischen auch schon wieder 13 Jahre her.

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 25. August 2010.

„8. Wonderland“ (Kinostart: 12. August 2010)

Die Weite Wilde Welt des Internets ermöglicht neben vielen anderen Dingen vor allem eines: Menschen zusammenzuführen. Sei es durch den Austausch von Ideen, die Kombination von Wissen, oder das Sammeln von Interessen. Jüngst durfte sich Fast-Bundespräsident Gauck über immensen virtuellen Zuspruch freuen, die Piratenpartei ist sogar selbst ein geistiges Kind des Internets.

Das französische Regie-Duo Nicolas Alberny und Jean Mach geht noch einen Schritt weiter: Es erschafft einen kompletten Staat, „8. Wonderland“, im Triple W. Eine „Zivilisation des Geistes“ soll er sein, eine Welt „humaner und gerechter als die, die eure Regierungen bislang errichteten.“ Hier werden Guerilla-Aktionen geplant, die kurz darauf von willigen „Staatsbürgern“ in der Realität umgesetzt werden. Das Aufstellen von Kondom-Automaten am Vatikan beispielsweise. 'Verändere die Welt und hab Spaß dabei', scheint das Credo zu sein, etliche diskussionswürdige Denkansätze gibt es hier. Wirklich neu ist davon keiner, wobei das jedoch noch der kleinste Makel am filmischen „8. Wonderland“ ist.

Die Idee, neben dem klassischen Verständnis eines existierenden Staates gleich noch die Regeln und Errungenschaften der Filmkultur auf den Kopf zu stellen, scheitert gnadenlos. Es gibt keinen Hauptdarsteller und keinen „roten Faden“, kein filmisches Konzept und keine Erzählstruktur. Die Umsetzung gleicht einem ziellosen Surfen im Internet, einer plumpen Aneinanderreihung von kurzen Momenten und Gesprächsfetzen, welche weder erhellend noch nachhaltig sind.

Deshalb kann aus „8. Wonderland“ niemals reale Wirklichkeit, oder zumindest ein filmisches Kunstwerk werden: Denn es ist seelenlos.

Eine gekürzte Fassung des Artikels erschien in der „Sächsischen Zeitung / PluSZ“ vom 12. August 2010.

„Splice“

Nach langer Abstinenz ein Lebenszeichen in Form eines Artikels für den „Kinokalender Dresden“. Unter der Rubrik „... im Nachgang“ erschien eine Besprechung zu dem wunderbaren Film "Splice".

DVD-Tipp: „Schande“


Viele Monate vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft ist Südafrika in den Medien bereits omnipräsent. Reportagen, Dokumentationen und Reiseberichte prägen den Blätterwald und die TV-Landschaft, schwankend zwischen naivem Betroffenheitskitsch und seriösem Landesporträt. Da fällt es schwer Begeisterung zu wecken für einen Film, der im Herbst des vergangenen Jahres – leider viel zu kurz – in einigen Programmkinos zu sehen war, nun auf DVD erhältlich ist und ebenso Afrika als Handlungsort präsentiert.

Steve Jacobs („Die schöne Spanierin“) wagte sich zusammen mit seiner Autorin Anna-Maria Monticelli an den Roman „Schande“ des Literatur-Nobelpreisträgers J. M. Coetzee von 1999. Die Reise eines Mannes in ein (ihm) fremdes Land, ein anderes Leben und zu sich selbst. Als Hauptdarsteller für diese äußerst ambivalente Figur brilliert einmal mehr John Malkovich („Der fremde Sohn“, „Von Mäusen und Menschen“), der stets am besten agiert, wenn ihm eine Figur mit Tiefe und Charakter zur Verfügung gestellt wird. Eine Figur wie die des Literaturprofessors David Lurie.

Der Beginn der Geschichte wirkt zunächst wie eine freche Adaption von Isabel Coixets „Elegy“, in der ein alternder Dandy seinen Alltag mit Affären würzt, bevorzugt mit jungen, hübschen Studentinnen der eigenen Vorlesungen. Allerdings weniger rücksichtsvoll und ohne einen Hauch von Reue, was ihm nach einem weiteren Ausrutscher schließlich den Job kostet. Schuldig ja. Bedauern nein.
Lurie beschließt, dem beengten Dasein voller Regeln und Erwartungen in Kapstadt zu entfliehen und besucht seine Tochter Lucy (Jessica Haines). Die wohnt weitab der Großstadt im Landesinneren und bewirtschaftet eine Farm. Ihre Lebensgefährtin hat sie verlassen, ihr einziger Helfer bei den täglichen Aufgaben ist der schwarze Arbeiter Petrus (Eriq Ebouaney). Eines Tages muss Lurie miterleben, wie drei junge Männer gewaltsam in das Haus eindringen, es ausrauben und Lucy misshandeln. Schlimmer noch: Seine Tochter weigert sich, die Täter anzuzeigen, die ganz offensichtlich der Familie ihres Assistenten angehören.

Neben den menschlichen Tragödien, die „Schande“ auf äußerst nüchterne Weise erzählt, ist es besonders das beiläufige Porträt des Landes, welches Südafrika als eine Welt zeigt, in der die Schatten der beschämenden Vergangenheit, stumme Akzeptanz des Unkontrollierbaren und naive Verdrängung allerorten zu finden sind. Lurie dient dabei – trotz seiner zahlreichen Verfehlungen – als Entdecker, der mit den Augen des Zuschauers Südafrika in seiner optischen Schönheit und seiner gesellschaftlichen Zerrissenheit kennenlernt. Regisseur Jacobs und sein Kameramann Steve Arnold finden dafür immer wieder berauschende wie deutliche Bilder, wie beispielsweise die Distanz zwischen den Häusern von Lucy und Petrus. Während sie ihre Existenz sukzessive verliert, baut er sein neues Heim Stein für Stein auf, lächelnd, freundlich und im Wissen einer besseren, glücklicheren Zukunft.

Keine optimistische Aussage für ein Land, das eigentlich „zusammen“ einen Neuanfang wagen wollte und dabei letztendlich an der Natur des Menschen zu zerbrechen droht. Immerhin begreift Lurie, wie auch er zuvor, völlig frei von Selbstzweifeln, das Leben einer Studentin durch seinen Egoismus zerstört hat. Wenn er schon die Gegebenheiten auf dem Land nicht ändern kann, so doch zumindest sein rücksichtsloses Verhalten. Wie Hauptdarsteller John Malkovich diese Wandlung und späte Reue verdeutlicht, zählt zu den Höhepunkten des Films. Am Anfang vom geordneten Leben in der sicheren Stadt gelangweilt, am Ende vom rauen Alltag des „wilden Afrika“ erschüttert und zur Untätigkeit verdammt: Malkovich vermag diese Reise famos wiederzugeben.

„Schande“ ist ein Film, der viel Diskussionsstoff bietet, sei es über die Hauptfigur oder den Ort des Geschehens. Die zurückhaltende, lediglich beobachtende Perspektive der Inszenierung verweigert sich jeder Wertung und lässt dem Betrachter ausreichend Spielraum für Interpretationen, Anteilnahme – und anspruchsvollen Filmgenuss.

... im Nachgang

Im aktuellen "Kinokalender Dresden" (Ausgabe Mai 2010) hab ich mich mal wieder mit einem Kollegen angelegt. Hier das Ergebnis:

http://www.kinokalender.com/kolumne.html

„I´m here“


Wer sich einen Film des Regisseurs Spike Jonze („Being John Malkovich“, „Adaption“, „Wo die wilden Kerle wohnen“) anschauen will, sollte offen für das Fantastische sein – in vielerlei Hinsicht. Ebenso wie sein Kollege Michel Gondry treffen da nämlich Alltag, Träumerei, absurder Humor und ganz viel Gefühl aufeinander. Kino in seiner reinsten Form sozusagen. Kino, das einlädt zum Träumen, sich-verzaubern-Lassen, Mitfiebern und Glücklichsein. Neben diesen Eigenschaften ist es aber vor allem auch die Kunst, unprätentiöse Spezialeffekte – sowohl computergeneriert als auch von Hand gebastelt – fast unbemerkt in die Szenerie zu integrieren, ganz so, als seinen sie alltäglich.

Ähnliches ist nun auch in „I´m here“ zu entdecken, einem 29minütigen Kurzfilm, der ausschließlich im Internet zu bewundern ist. Englischkenntnisse sind von Vorteil, da es keine Untertitelspur gibt. Doch wer sich darauf einlässt, erlebt eine wunderbar inszenierte Liebesgeschichte, eingebettet in eine Website, die nicht weniger begeistert.

Hier der Link: http://www.imheremovie.com

Viel Spaß!

im Nachgang...

Liebe Leser,

einigen ist es sicherlich schon aufgefallen: die Blog-Befüllung schleift ein wenig. Hat mit meinem neuen Arbeitgeber und Wohnort zu tun. Beides ganz wunderbar, nur schaff ich es leider nicht mehr wöchentlich, meine Kommentare zum Filmgeschehen auf der Leinwand hier zu hinterlegen.

Aber vielleicht wird dieser Blog dadurch endlich auch zu einer Rezensions-Plattform für ältere Werke, die auf DVD geschaut werden - so zumindest war das Anliegen, als CineCsaba an den Start ging.

Bis dahin verweise ich mit Freude auf folgende Artikel, die in der Rubrik "im Nachgang" einmal monatlich in der Printausgabe des Kinokalender Dresden erscheinen und nun auch online zu lesen sind. Hier bespreche ich regelmäßig aktuelle Filme mit einem Kollegen, wobei es sich stets um ein pro/kontra-Gespräch handelt.

"Avatar": http://www.kinokalender.com/kolumne20_avatar.html

"Giulias Verschwinden": http://www.kinokalender.com/kolumne21_giulias-verschwinden.html

Viel Spaß beim Lesen wünscht: Csaba

„Männer die auf Ziegen starren“ (Kinostart: 4. März 2010)

Es gibt auf dieser Welt Ereignisse und Begebenheiten, die einem Drehbuchautor – die Coen-Brüder eingeschlossen – ob ihrer Absurdität wohl nie in den Sinn kommen würden. Die Geschehnisse, von denen der britische Reporter Jon Ronson in seinem Buch „Männer die auf Ziegen starren“ zu berichten weiß, sind zweifellos dieser Kategorie zuzuordnen. Der Titel ist hierbei wörtlich zu nehmen, denn nichts anderes wurde einigen amerikanischen Soldaten vor nicht allzu langer Zeit im Irak antrainiert. Ziegen anstarren. Mittels Telekinese töten. Durch Wände hindurchgehen. Wolken teilen. Ein bunter Strauß schönster Hippiefantasien sozusagen, den Grant Heslov nun verfilmt hat.

Bob Wilton (Ewan McGregor) nimmt uns Zuschauer mit auf eine Reise nach Kuwait, wo wir die Bekanntschaft des selbsternannten „Jedi“ Lyn Cassady (George Clooney) machen. Dieser weiht Wilton in die Geheimnisse neuer Kampfstrategien der US-Army ein, bei denen das „Ziegenanstarren“ zur Grundausbildung gehört. Geleitet wurde diese etwas seltsam anmutende Truppe alternativer Kämpfer von Bill Django (Jeff Bridges), der nun spurlos verschwunden ist. Zusammen begeben sich Bob und Lyn auf die Suche nach dem Ober-Guru und geraten dabei in einige haarsträubende Abenteuer.

Die eingangs erwähnten Coen-Brüder standen ganz offensichtlich Pate bei dieser sehr gelungenen Leinwandadaption einer ohnehin amüsanten Vorlage. Denn die Filmversion von „Männer die auf Ziegen starren“ ist ein wahres Sammelbecken an überzogenen Charakteren, schrägem Humor und fürchterlichen Frisuren. Satirische Seitenhiebe auf Armee, Politik und die Darsteller selbst finden sich in vielen Szenen wieder, die pointierten Dialoge geben der angenehm-unauffälligen Inszenierung die passende Würze. Wunderbar!

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 10. März 2010.

„Nine“ (Kinostart: 25. Februar 2010)

Am Ende sind Namen und Auszeichnungen halt doch nur Schall und Rauch! Nicht weniger als sechs Oscarpreisträger sowie zwei weitere bekannte Stars aus der Film- und Musikwelt versammelte Regisseur Rob Marshall („Chicago“), um seine Musicalverfilmung „Nine“ zum Leben zu erwecken. Vor nahezu tödlicher Langeweile bleibt der Zuschauer jedoch trotzdem nicht verschont.

Der berühmte Filmregisseur Guido Contini (Daniel Day-Lewis) steckt in einer Schaffenskrise. Ob Presse, Agent oder Publikum: Alle erwarten sie ein neues Meisterwerk. Doch der Maestro muss zunächst erst einmal sein Leben, beruflich wie privat, sortieren. Gattin (Marion Cotillard), Geliebte (Penélope Cruz), Muse (Nicole Kidman), Assistentin (Judi Dench) und Mutter (Sophia Loren) – alle nerven, fordern, bitten. Singend, tanzend, leidend.

Mag es auch als Broadway-Musical große Erfolge gefeiert haben, im Filmkosmos, in dem „Moulin Rouge“ bereits 2001 den vermeintlichen Höhepunkt des Genres markierte, wirkt diese Adaption seltsam antiquiert. Lustlos in der Regie, wenig originell bei den Tanzeinlagen und sogar musikalisch erschreckend lau: Das Kalkül hinter Drehbuch, Umsetzung und Vermarktung des Endprodukts ist unübersehbar. Da geht selbst ein einzelner Lichtblick wie die von Cotillard eindrucksvoll ambivalent gespielte Ehefrau haltlos unter. Aufmerksame Cineasten mögen in der Figur des Regisseurs vielleicht sogar noch Verweise auf Federico Fellini erkennen. Schlussendlich jedoch drängt sich nur ein Gedanke auf: „Nine“ ist in all seiner gewollten Perfektion nicht mehr als ein beim Produzentendinner auf einer Serviette entworfenes Kunstobjekt, das ausschließlich durch seine äußere Hülle Appetit machen soll, sich jedoch schon im Vorspeisengang als fades Luftgebäck entpuppt.

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 17. Februar 2010.

„Valentinstag“ (Kinostart: 11. Februar 2010)

Einen Tag im Leben der Liebe möchte er uns zeigen. Einen Tag voller Leidenschaft, Gefühl, Wärme und Romantik: Garry Marshall, inzwischen stolze 75 Jahre alt und Regisseur von Filmen wie „Pretty Woman“, „Die Braut, die sich nicht traut“ und „Plötzlich Prinzessin“. Ein gewisser Erfahrungsschatz an romantischem Kitsch ist also nicht zu leugnen – ein anderes großes Manko jedoch ebenso wenig: Denn Garry Marshall und seine Autoren haben sich – siehe erwähnte Filmographie – noch nie um Realitätsnähe bemüht, was angesichts des vorangestellten Ziels nicht nur wundert, sondern mit zunehmender Laufzeit vor allem langweilt. Statt nämlich tatsächlich ein amüsantes Potpourri zu kreieren, das die verschiedenen Facetten der Liebe in all ihren hellen und dunklen Aspekten ehrlich anspricht, watscheln die unzähligen Hauptdarsteller, darunter Julia Roberts, Anne Hathaway, Jessica Alba, Patrick Dempsey und Jamie Foxx, planlos durch ihre Reißbrett-Alibi-Leben, lassen in ihren Dialogen jeglichen Wortwitz missen und durchlaufen dabei fürchterlich vorhersehbare, spannungsfreie und ermüdende Märchendilemmata. Zusammengeführt werden diese Episoden halbherzig-ideenlos, Tempo oder gar optische Ideen, dies zumindest peppig ins Bild zu setzen, sucht man vergebens.

Wie unterhaltend, unbeschwert und glaubhaft ein Film dieses Genres trotz bekannter Muster sein kann, bewies „Er steht einfach nicht auf Dich!“ im Frühling des vergangenen Jahres. Im direkten Vergleich stellt sich nun jedoch die Frage, was sowohl Schauspiel-Schönling Bradley Cooper, als auch den beiden Co-Autoren seit diesem gelungenen Beitrag im Filmkosmos zugestoßen sein mag, um 2010 solch einem flachbrüstigen Unsinn zugesagt zu haben? Doch nicht etwa die ominöse rosarote Brille gegenüber der Gage? Ist dies der Fall, macht Liebe offenbar doch blind.

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 10. Februar 2010.

„Metropolis“ (1927)

Liebe Filmfreunde,

am Freitag, den 12. Februar, wird es im Rahmen der Berlinale eine einmalige Sonderaufführung des Fritz-Lang-Klassikers „Metropolis“ am Brandenburger Tor in Berlin geben. Der Einritt ist frei, zur musikalischen Untermalung dieses Stummfilmklassikers werden gleich zwei Orchester die Originalpartitur des Komponisten Gottfried Huppertz spielen. In der Tat ein historisches Ereignis, wenn man sich einmal – abseits der künstlerisch-historischen Bedeutung dieses Monumentalwerks – die Odyssee der nun (fast kompletten) 154 Minuten vor Augen führt (zu sehen in der Dokumentation „Die Reise nach Metropolis“; Sendetermin: 12. Februar, 23:20 Uhr, arte).

Der Fernsehsender arte überträgt das Ereignis für alle Daheimbleibenden ab 20:15 Uhr live. Wer also ein Stück Filmgeschichte erleben möchte, sollte sich diesen Termin freihalten.

„Gegen jeden Zweifel“ (Kinostart: 4. Februar 2010)

Routiniert. Mit diesem – Achtung Ironie – verbalen Oscar beschreibt die Pressenotiz die Arbeit und den neuen Film von Peter Hyams, dem „routinierten Actionfilmer“, dessen durchwachsene Filmographie Werke wie „End of Days“, „Das Relikt“ oder auch die Fortsetzung zu Kubricks Meilenstein der Filmkunst „2001 – Odyssee im Weltraum“ unter dem Titel „2010 – Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen“ aufweist.

Nun hat er sich abermals an einem historischen Werk probiert, diesmal allerdings als sogenanntes Remake, als Neuverfilmung also. Niemand Geringeres als Fritz Lang (dessen eigenes Überwerk „Metropolis“ auf der diesjährigen Berlinale endlich (fast) komplett zu sehen ist) lieferte einst die filmische Vorlage zu „Gegen jeden Zweifel“. Das war 1956 (damals unter dem Titel „Jenseits allen Zweifels“), unwichtig zu erwähnen, dass Drehbücher in jener Zeit auf eine ganz andere Art und Weise, als wir es heute kennen, verfasst und umgesetzt wurden. Oder hätte dies vielleicht doch jemand Peter Hyams noch einmal mitteilen sollen?

Als Regisseur, Autor und Kameramann in Personalunion muss er nun leider für einen Großteil meiner Kritik herhalten. Denn, lieber Peter, wenn Du einen klassischen Stoff schon neu verfilmst oder modernisierst, dann tue dies das nächste Mal bitte etwas umfangreicher und ideenvoller.

Der Journalist C.J. (Jesse Metcalfe) ist davon überzeugt, Staatsanwalt und Gouverneur in spe Mark Hunter (Michael Douglas) habe einige Leichen im Keller. Schon lange hat der nämlich auf wundersame Weise keinen einzigen seiner Fälle verloren, selbst wenn die Beweislage offensichtlich etwas anderes voraussagt. Also beginnt der strebsame Redakteur zu recherchieren und stößt schon bald auf etliche Ungereimtheiten. Ihm zur Seite steht die attraktive Juristin Ella (Amber Tamblyn), die dummerweise / passenderweise auch als Hunters Assistentin fungiert.

„Gegen jeden Zweifel“ wirkt in allen Belangen antiquiert. Was womöglich als Hommage an das Original gedacht war, entpuppt sich als ein auf TV-Niveau dahinsiechendes Möchtegern-Krimifilmchen, das ausgelutschter und – dies besonders – vorhersehbarer nicht sein kann. Beispielhaft hierfür soll das Schicksal von C.J.s Freund genannt sein, der streng nach Schema F in die Geschichte hinein- und später wieder hinauskatapultiert wird.

Grausamer noch als jede x-te Douglas´sche Wiederbelebung seines „Wall-Street“-Alter Egos Gordon Gekko, ist die vom Original offensichtlich unverändert übernommene Sprachkultur der Figuren. Bei aller Ernsthaftigkeit, die dieser Film versucht zu verbreiten, wirken Post-Sex-Dialoge vom Kaliber „Leidenschaft ließ mich zuvor das `L-Wort´ zu dir sagen“ schlicht lächerlich und deplatziert. Dies führt Hyams in Bezug auf die Musikauswahl noch weiter, wobei diese missglückte Adaption alten Hollywoodschmachtgefiedels fairerweise David Shire angelastet werden muss, der für „Zodiac“ (2007) eigentlich gute Arbeit geleistet hat.

Spannungsarm, überraschungslos und mit der Tiefe eines Aschenbechers versehen: so ist dieser Film, so handeln dessen Figuren, – und so vergrault man ein halbwegs intelligentes Publikum. Katastrophal in allen Belangen.

„Giulias Verschwinden“ (Kinostart: 4. Februar 2010)

Es gibt sie noch! Jene Regisseure und Drehbuchautoren, die sich eben nicht mit leidlich amüsanten, oberflächlichen Faxengeschichten á la „Dinosaurier – Gegen uns seht ihr alt aus!“ zufrieden geben und sich Realitätsnähe sowie Tiefgang auch für ein älteres Publikum bewahren. Ist es besonders gelungen, so wie in diesem Fall, sollten sich auch Zuschauer diesseits der 50 nicht scheuen, ein Kinoticket zu lösen.

Denn Christoph Schaubs nach einem Drehbuch von Martin Suter inszeniertes Kammerspiel, das selten mehr als zwei Handlungsorte zeigt, ist eine exzellente Abarbeitung zu den Themen Älterwerden, Selbstironie und Gelassenheit gegenüber sämtlichen gesellschaftlichen Erwartungen, denen man(n) und frau ab einem bestimmten Lebensjahr gegenüberstehen.

Eigentlich soll es „nur“ ein gemütliches Beisammensitzen zum 50. Geburtstag von Giulia (Corinna Harfouch) sein, zu dem sich ein paar ihrer engsten Freunde in einem Züricher Restaurant zusammenfinden. Noch warten sie auf den Ehrengast, doch Giulia, die im Bus auf dem Weg zum Ort des Geschehens ein Gespräch zweier Teenager belauscht hat, entscheidet sich für einen kurzen Zwischenstopp in einem Brillengeschäft. Dort wird ein charmanter Herr (Bruno Ganz) auf sie aufmerksam, der sie prompt zu einem Drink in eine Bar einlädt.

Die Zufallsbekanntschaft entwickelt sich rasch zu einem sehr offenen und persönlichen Gespräch über das Alter und die Liebe, währenddessen ihre Freunde selbst die Chance von Giulias Abwesenheit nutzen, um einen ehrlichen Blick auf sich und das Leben generell zu werfen.

Humor, Intelligenz und Ehrlichkeit zeichnen nicht nur die Gespräche, sondern ebenso die Figuren aus, mit denen uns Schaub und Suter beglücken. Ein erhellendes, zum Glück nicht wehleidiges, sondern rundum gelungenes Filmvergnügen!

„LowLights“ (Kinostart: 4. Februar 2010)

Löse deine Protagonisten aus ihrem vertrauten Umfeld und schicke sie, womöglich unter einer anderen Identität, auf eine kleine Reise, bei der sie sich und ihre Liebsten von einer neuen Seite kennenlernen.

So wenig neu, wie diese Idee im Filmuniversum einerseits ist, so vielfältig sind andererseits oftmals ihre Variationen. Nun versucht sich die litauisch-deutsche Koproduktion „LowLights“ von Autor/Regisseur Ignas Miškinis daran und will uns neue Facetten dieser Grundidee präsentieren, scheitert dabei jedoch an schlichter Ideenarmut.

Linas (Jonas Antanèlis) trifft seinen alten Schulfreund Tadas (Dainius Gavenonis) eines Abends zufällig wieder. Gelangweilt und angenervt von seinem beruflichen und privaten Alltag, lässt er sich von Tadas zum „Night Driving“ überreden – zielloses Umherfahren im Auto durch die nächtliche Stadt. Als Tadas zufällig eine schöne Frau (Julia Maria Köhler) einsammelt und zum Verweilen einlädt, ist Linas sowohl überrascht als auch geschockt und neugierig zugleich: denn bei der Dame handelt es sich um seine eigene Ehefrau.

Statt diese drei Figuren nun in der folgenden Filmhälfte auf einen psychologischen oder zumindest persönlichen Erfahrungstrip zu schicken, macht das Trio tatsächlich nur eines: Auto fahren. Das hat zunächst natürlich eine wunderbare, die Stimmung beruhigende Atmosphäre zur Folge, kann jedoch den Film allein natürlich nicht tragen. So wartet man zunehmend sehnsüchtig auf eine charakterliche Entwicklung, doch diese bleibt dem Dreierpack – trotz etlicher Gelegenheiten – leider verwehrt. Verschenkt!

„Sherlock Holmes“ (Kinostart: 28. Januar 2010)

Ja seid ihr denn von Sinnen? Nicht genug, dass scheinbar jeder in Hollywood produzierte Film ab sofort im 3-D-Format erscheinen muss (aktuell: „Harry Potter“, „Ghostbusters 3“, „Gremlins“, „Piranha“), nein, inzwischen gibt es oftmals schon vor Kinostart die Ankündigung einer Fortsetzung. Guy Ritchies („Snatch“, RocknRolla“) Historien-Krimi-Komödien-Vehikel „Sherlock Holmes“ darf somit als Auftakt einer mehrteiligen Serie gelten, erste Zahlen vom Einspiel rechtfertigen diese Entscheidung zumindest wirtschaftlich allemal.

Doch halt, sollte bei aller Freude über Robert Downey, Jr.s erfolgreichen Karriereneustart nach endlosen Drogenabstürzen nicht doch auch ein wenig auf Qualität geachtet werden? Naiv wie ich bin, habe ich nämlich die Hoffnung darauf, dass es den Geldgebern in der Traumfabrik nicht nur um den schnöden Mammon geht, noch nicht vollends aufgegeben.

Denn abseits des Medienhypes und einiger gerechtfertigter Kritiken über die Spielfreude des Hauptdarstellers, ist „Sherlock Holmes“ nicht mehr als lautes, blendendes Rumskino. Den aktuellen Sehgewohnheiten eines jungen Publikums angepasst, ist der berühmte britische Detektiv (Downey, Jr.) ein durchtrainierter, frecher und kampferprobter Kriminologe, dem zwar aufgrund zeitlicher Einordnung ins London des 19. Jahrhunderts (noch) keine Hilfsmittel á la „CSI“ zur Verfügung stehen. Dank seines messerscharfen Verstands und seines aufmerksamen Kollegen Dr. Watson (Jude Law) ist Bösewicht Lord Blackwood (Mark Strong) jedoch gleich zu Beginn fällig und wandert hinter Gitter. Klar, dass diesem die Flucht gelingt und Holmes abermals die Verfolgung aufnehmen muss um Schlimmeres zu verhindern.

So erleben wir eine in düstere Kulissen getauchte Hatz mit Prügeleien, verbalen Gemeinheiten und einem wie immer sehr coolen, in diesem Fall alles zusammenhaltenden Downey, Jr. Denn einzig dessen Performance rettet den Film besonders in der ersten Hälfte seiner ohnehin viel zu langen 128 Minuten vor dem Schiffbruch. Konzept- und komplett spannungslos reihen sich hier „amüsante“ Szenen aus dem Alltag des etwas neben der Spur lebenden Holmes aneinander, die zudem aus einer kruden Mischung aus vertrauter Guy-Ritchie-Optik und unübersehbaren Einflüssen aus dem „Saw“-Universum bestehen (dessen siebenter Teil 2010 natürlich auch in 3-D erscheint). Wenn dann noch ein menschlicher Riese in Gestalt und Gestus eines „Beißers“ (James-Bond-Fans wissen Bescheid) die Szenerie bereichert, ist der Ideenklau perfekt.

Was bleibt, ist ein viel zu gewalttätiger Spaßkrimi, der sicherlich unterhält, angesichts vorhersehbarer Handlung und fehlender Doppelbödigkeit, wie sie beispielsweise die Superhelden-Farce „Iron Man“ in Mengen besaß, jedoch einiges an Potenzial verschenkt.

„Same Same But Different“ (Kinostart: 21. Januar 2010)

Kommentar von Regisseur Detlev Buck: „Seit der Filmhochschule will ich einen Film machen, der nicht nur, wie so oft, ein bisschen Liebe beinhaltet, sondern nichts außer Liebe thematisiert. Doch keine Liebesgeschichte hat sich angeboten. Jetzt, mit dieser wahren Geschichte von Benjamin Prüfer und Sreykeo, sehe ich endlich die Zeit gekommen, den Film zu machen.

Die Geschichte von Benjamin und dessen Frau Sreykeo: Es ist die Geschichte eines deutschen Rucksacktouristen, der sich in Phnom Penh, der Hauptstadt Kambodschas, in ein `Bargirl´ verliebt und sein Leben radikal umkrempelt. Bargirls verdienen sich ihren Lebensunterhalt in Kneipen, Karaoke-Lokalen und Biergärten, arbeiten – im Gegensatz zu Prostituierten – jedoch auf eigene Rechnung. Doch statt wie so viele „Kunden“ am Morgen danach wieder zu verschwinden, bleibt Ben (gespielt von David Kross) in Sreykeos Leben präsent, lernt ihre Familie kennen, sorgt sich um sie und gesteht ihr seine Liebe. Sreykeo (Apinya Sakuljaroensuk) fasst Vertrauen und Ben einen Plan, wie er trotz Geldnot und dadurch erzwungener Rückkehr nach Deutschland Sreykeo weiterhin helfen kann. Bis sie ihm eines Tages mit nur einem Wort ihren chronischen Husten erklärt: p o s i t i v e.

„Same same but different“ verwundert auf mehreren Ebenen:
1.) dass diese an Schicksalsschlägen doch sehr reiche Geschichte tatsächlich wahr ist,
2.) Detlev Buck („Männerpension“ als Regisseur, „Sonnenallee“ als Darsteller) in seiner ersten internationalen Produktion sowohl inhaltlich als auch inszenatorisch hervorragendes Kino vorlegt, und
3.) David Kross („Krabat“, „Der Vorleser“) sein schauspielerisches Talent scheinbar von Rolle zu Rolle ausbaut.

Besonders hervorzuheben sind vor allem die sehr atmosphärischen Szenen auf den Straßen Phnom Penhs sowie der Verzicht von Regisseur Buck, das im Vergleich mit europäischen Standards doch sehr einfache und von Armut geprägte Leben in Kambodscha nicht mitleidsvoll und auf oberflächliche Emotionalität zielend inszeniert zu haben (hui, was für ein Satz - sorry!). Auch weiß der kurze, auf wenige Augenblicke begrenzte Ausflug zu Bens Eltern in Deutschland zu überzeugen, der, ganz grandios zurückhaltend gespielt von Olli Dittrich (!), die Familienverhältnisse prägnant verdeutlicht. Einzig die Bruderfigur wirkt seltsam deplatziert und klischeehaft, ist aber für die Geschichte leider wohl unabdingbar.

Doch verschwindet dieses Manko hinter all den Eindrücken, die dieser Film bietet. Und der Gewissheit, „dass die Bedeutung der Liebe zwischen den Menschen mit der Verantwortung wächst“ (Detlev Buck).

„Surrogates – Mein zweites Ich“ (Kinostart: 21. Januar 2010)

Statt einer Inhaltsangabe will diese Rezension zu Beginn das Augenmerk auf einen anderen Aspekt legen: die Arbeit der „KNB EFX Group“. Gegründet im Jahr 1988 von Greg Nicotero und Howard Berger, weckte diese Effekteschmiede erstmals mit dem Vampirmetzelfest „From Dusk Till Dawn“ (1996) mein Interesse, da dort – wie bei einem Regisseur vom Schlage eines Robert Rodriguez üblich – weniger Perfektion als vielmehr Ideenreichtum das Endprodukt bestimmten. Will sagen: Mit wenig Mitteln einprägsame (nicht perfekte!) Special Effects zu kreieren, ist eine Kunst, die in Zeiten von „Avatar“ kaum noch im Blockbusterkino zu entdecken ist.

Natürlich haben sich auch die Mitarbeiter der KNB EFX Group den neuen technischen Möglichkeiten nicht verschlossen, wie „Kill Bill“, „Minority Report“ oder nun eben „Surrogates“ eindrucksvoll beweisen. Doch der beste Effekt ist immer noch der, der nicht wahrgenommen wird und gemessen an dieser Prämisse hat der Tüftlerladen hier wahrlich Vorzügliches fabriziert.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht der Mord an einem jungen, aber gut betuchten Collegestudenten in einer nicht näher definierten Zukunft. FBI-Agent Tom Greer (Bruce Willis) wird mit der Aufklärung des Falles beauftragt, ihm zur Seite stehen dabei seine Kollegin Jennifer (Radha Mitchell, „Silent Hill“) – und Unmengen an Robotern mit menschlichem Antlitz. Denn in der Welt von Greer & Co. hat (fast) jeder Erdenbürger einen künstlichen Doppelgänger, der außerhalb der eigenen vier Wände den Alltag – arbeiten, einkaufen, kommunizieren – verlebt. Die echten Menschen hingegen sitzen derweil in einer Apparatur, von wo aus sie alle Handlungen ihrer personalisierten Roboter bestimmen können – ferngesteuert, distanziert, (scheinbar) sicher. Bis eben jener Collegestudent sowohl künstlich als auch quasi zeitgleich „in echt“ stirbt.

Zugegeben, es ist eine gewöhnungsbedürftige, seltsam anmutende Welt, in die uns Regisseur Jonathan Mostow („Breakdown“, Terminator 3“) da hinein katapultiert. Doch in sich funktional und durchaus logisch, sieht man von einigen wenigen Unstimmigkeiten hier und da einmal ab, wirft der Film abseits einer spannenden Mörderhatz die Frage nach dem Sinn immer weiter fortschreitender Technisierung auf, hinterfragt das omnipräsente „zweite Ich“, welches wahrscheinlich jeder dank Chatrooms, Online-Plattformen und Foren ohnehin schon besitzt, und erinnert an die Schönheit des Unvollkommenen. Im Menschen, in der Natur, im Verhalten. Insofern konterkarieren die perfekten Effekte die Story hervorragend, sind doch die künstlichen von den echten Menschen kaum zu unterscheiden, ist der Übergang vom Schauspieler zur Puppe oder animierten Figur selbst für Genrespezialisten nicht wahrnehmbar (es sei denn, Bruce Willis trägt eines seiner wunderbaren blonden Haartoupets).

Mostow und seinem Stammteam (bekannte Namen u.a. bei Drehbuch, Kamera, Produktionsdesign, Kostüme, Schnitt) ist ein großartiger SciFi-Thriller gelungen, der die Balance zwischen Anspruch, Action und Spannung in jeder Minute halten kann, dabei prächtig unterhält und dazu noch eine außergewöhnliche Auflösung bietet. Bravo!

„Das Kabinett des Dr. Parnassus“ (Kinostart: 7. Januar 2010)

Ex-Monthy-Python-Mitglied Terry Gilliam ist die personifizierte Hartnäckigkeit: Wenn Produzenten ihm das Budget kürzen, Unwetter ganze Sets fluten oder Hauptdarsteller während des Drehs schwer erkranken, ist dies für den Schöpfer von „Brazil“ und „12 Monkeys“ noch lange kein Grund, ein Filmprojekt aufzugeben (Wer´s nicht glaubt: die Dokumentation „Verloren in La Mancha“ aus dem Jahr 2002 zeigt Gilliams erfolglosen Kampf, „Don Quijote“ zu verfilmen, auf sehr unterhaltsame Weise). Der überraschende Tod von Heath Ledger, eine der zentralen Figuren in „Dr. Parnassus“, machte zwar auch diesmal wieder nachträgliche Skriptänderungen nötig. Die kongeniale Umsetzung dieses `Plan B´ jedoch würdigt den letzten Auftritt des Verstorbenen meisterlich.

Dr. Parnassus (Christopher Plummer) reist als Zauberkünstler und Schausteller mit einem klapprigen Varieté-Vehikel von Stadt zu Stadt. Zusammen mit seinen Assistenten und seiner Tochter Valentina (Lily Cole) präsentiert er dabei eine ziemlich verworrene Show, die nur wenige Zuschauer anlocken kann. Bis die Gaukler Tony (Ledger) kennenlernen – sein Talent bringt endlich den ersehnten Erfolg. Auch Mr. Nick (Tom Waits), der Leibhaftige persönlich, nimmt davon Kenntnis und fordert nun von Parnassus die Erfüllung eines vor Jahren geschlossenen Paktes: Valentina.

Es ist die essenzielle Geschichte vom Kampf zwischen Gut und Böse, die Gilliam hier in rauschhaften, sonderbaren, unfassbar phantasievollen Bildern erzählt. Da er sich dabei klassischen Seh- und Erzählgewohnheiten widersetzt, gelingt ihm die Erschaffung eines cineastischen Kunstwerkes, das zum Träumen, Staunen, Mitfühlen und -fiebern einlädt und im Kino von heute seinesgleichen sucht. Unabhängig davon gelingt es den Schauspielern Johnny Depp, Colin Farrell und Jude Law nicht nur, ihren Kollegen Ledger eindrucksvoll zu `ersetzen´, sondern dessen Rolle auch in seinem eigenen Stil weiterzuführen. Ganz so, als hätte der Teufel dabei seine Hände mit im Spiel gehabt.

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 13. Januar 2010.