... im Nachgang: „Killing them softly“ (Kinostart: 29.11.2012)

„Killing them softly“ war einer der späten cineastischen Höhepunkte des Jahres 2012. Meine Rezension dazu findet ihr HIER.

... im Nachgang: „Skyfall“ (Kinostart: 1.11.2012)

Ein wenig spät zwar, aber nicht minder interessant: Ein Rückblick auf das James Bond-Abenteuer „Skyfall“. Zu lesen HIER.

Heimkino-Tipp: „Work Hard Play Hard“ (2012)

Rational betrachtet existieren lediglich zwei Arten von Jobs auf dieser Welt: Einerseits das Bürodasein, bei dem der Arbeitnehmer überwiegend mit Computer, Telefon und Flipchart seinen Alltag bestreitet. Auf der anderen Seite stehen jene, die körperliche Arbeit vollbringen, unterwegs und/oder unter Menschen tätig sind und denen all das zuwider ist, was Carmen Losmann in ihrem mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilm „Work Hard Play Hard“ kommentarlos bebildert: die moderne Arbeitswelt eines Schreibtischjobs.

Für einen 90-Minüter klingt eine solche Prämisse zunächst wenig aufregend. In der Tat ist der Film vieles erst einmal nicht: Kein Imagefilm, kein historischer Abriss und auch kein Versuch, ausgewählte Personen bestimmter Berufszweige als Helden der Arbeit zu porträtieren. Unterteilt in zehn Kapitel, spielt das Werk lediglich „stilles Mäuschen“ bei Jobinterviews, Bauplanungen, Motivationsveranstaltungen und Seminaren, die allesamt nur ein Ziel haben: Optimierung von Arbeitsprozessen und maximales (Aus-)Nutzen der Arbeitskraft eines Mitarbeiters, um so den Umsatz des Unternehmens weiter zu steigern.

Was „Work Hard Play Hard“ dabei so spannend macht, sind die Einblicke, die der Zuschauer in die zig Möglichkeiten erhält, mit denen Arbeitnehmer heutzutage zu mehr Leistung angestachelt werden sollen – und auch können. Schnell wird klar: Der naive Gedanke vom „mehr Lohn, mehr Einsatz“-Prinzip ist längst überholt und durch eine Vielzahl an Methoden abgelöst worden, die von der Büroausstattung bis zum Klettergartenbesuch des Teams reichen. So zeigt sich u.a., wie verzahnt Architektur mit Mitarbeitermotivation sein kann, welche psychischen „Daumenschrauben“ unbemerkt angelegt, und wie Führungskräfte mittels emotionsloser Charakteranalyse auf eigene Schwächen hingewiesen werden. Je länger all diese Vorgänge im Film gezeigt werden, umso deutlicher wird die Tatsache, dass der Mensch längst zu einem simpel funktionierenden Rad in der Maschine „Gewinnmaximierung“ reduziert worden ist, was sich in vielen Szenen auch in der Sprache manifestiert, die kaum noch verständliche Begriffe bietet. Das wahrlich Erschreckende an diesem Zustand: Es ist ein Prozess, der beinahe unbemerkt geschieht und den Mitarbeiter in dem Glauben lassen soll, selbst Herr über seinen Arbeitsalltag zu sein oder zumindest für einen Chef zu malochen, dem das Wohlergehen seiner Angestellten am Herzen liege. Und dennoch ist ALLES nur ein Mittel zum Zweck.

Erhellend, bedrohlich, schockierend: „Work Hard Play Hard“ ist Bestandsaufnahme und Horrorszenario in einem. Eingefangen in wunderbar ruhigen Bildkompositionen (Kamera: Dirk Lütter), die weit entfernt sind von den derzeit inflationär im Kino zu sehenden Amateurdokumentationen, verzichtet Autorin Carmen Losmann auf eine Wertung des Gezeigten. Die ist auch kaum nötig, da ihr nüchterner Film eine Fülle an Tatsachen bietet, über die es sich lohnt im Anschluss zu diskutieren. Und womöglich auch dagegen zu rebellieren.

Die DVD bietet den Film in deutscher Originalversion und optionale englische Untertitel. „Work Hard Play Hard“ erscheint bei filmkinotext / Schwarz Weiss Filmverleih / good!movies und ist seit 26. Oktober erhältlich. (Packshot: © good!movies)

P.S.: Für einen ersten Eindruck: www.workhardplayhard-film.de

Heimkino-Tipp: „Vier Fäuste für ein Halleluja“ (1971) / „Vier Fäuste gegen Rio“ (1984)

Als Fan des schlagkräftigen Duos Bud Spencer & Terence Hill ist man Kummer gewöhnt: Unzählige Male sind ihre Werke zumindest in Deutschland in verschiedenen Versionen erschienen, wahlweise mit oder ohne O-Ton, richtigem oder falschem Bildformat, ungekürzt oder gekürzt, remastered oder in bescheidener Bildqualität. Beinahe jährlich darf man sich über eine Neuveröffentlichung „freuen“, wobei – und das muss dem Rechteinhaber 3L aus Dortmund hoch angerechnet werden – stets tatsächlich ein Mehrwert für den Käufer entsteht.

Nun also in High Definition, als Blu-ray und in nochmals überarbeiteter Bildqualität. In den kommenden Monaten werden etliche Filmhits der beiden in diesem Format käuflich zu erwerben sein, den Anfang machen zwei ihrer wohl bekanntesten Streifen: „Vier Fäuste für ein Halleluja“ von 1971 sowie „Vier Fäuste gegen Rio“ aus dem Jahr 1984. Das Ergebnis kann sich wahrlich sehen lassen, in Anbetracht ihres Alters und der Tatsache, dass den Filmemachern schon damals nicht die technischen Möglichkeiten ihrer Kollegen aus Hollywood zur Verfügung standen, sind die Blu-rays ein wahrer Augenschmaus.

In „Vier Fäuste für ein Halleluja“ sind Spencer/Hill als die Gebrüder Bambi und Trinity unterwegs und versuchen, auf Wunsch ihres Vaters gefürchtete Banditen zu werden. Dank ihres Gerechtigkeitssinns geschieht jedoch genau das Gegenteil: Sie stellen sich einem Ganoventrupp entgegen und verhelfen so letztendlich dem Guten zum Sieg. Der von Enzo Barboni (auch Regisseur von „Vier Fäuste gegen Rio“) realisierte Film schaffte es gleich zwei Mal in die deutschen Kinos: 1972 und noch einmal zehn Jahre später, allerdings in einer veränderten Fassung. Inzwischen hatten die Produzenten nämlich erkannt, dass Spencer/Hill am besten als Comedy-Duo funktionieren, die während ihrer ohnehin amüsanten Prügeleien immer einen flotten Spruch auf den Lippen haben sollten. Also synchronisierte man den Film noch einmal neu – und machte ihn damit zu einem der erfolgreichsten Kinofilme in der Geschichte der Bundesrepublik. Diese Version ist auch die bis heute bekanntere, was dazu führte, dass es bei der Erstveröffentlichung der Blu-ray etliche unzufriedene Kunden gab, da diese nur die erste, ernstere Version beinhaltete. Einziges Manko der nun nachgereichten blauen Scheibe: Der Film ist kürzer – entspricht aber so der 1982er Kinofassung.

„Vier Fäuste gegen Rio“ hingegen war von Anfang an als Komödie konzipiert: Antonio (Spencer) und Bastiano (Hill) sind milliardenschwere Geschäftsmänner, die sich zwei Doppelgänger zulegen, um sich vor der schießwütigen Konkurrenz zu schützen. Die beiden Ersatzmänner Greg und Eliot fühlen sich als Jet-Setter sichtlich wohl, auch wenn es ab und an mit den Manieren hapert. Dafür besitzen sie schlagkräftige Argumente, die sie prompt beim Aufeinandertreffen mit den Bösewichtern kundtun. Vielleicht ist „Vier Fäuste gegen Rio“ das beste Beispiel, welch gute Schauspieler Spencer/Hill neben ihren albernen Schlägereien sein können: Ihr wunderbar hochnäsiges Auftreten als Milliardäre auf der einen, und ihr prolliges Gehabe auf der anderen Seite sind echte Hingucker und überzeugen auch in technischer Hinsicht. Denn im Gegensatz zu heutigen Produktionen war das doppelte Erscheinen desselben Darstellers in einer Szene damals noch aufwendige Kopier- und Trickarbeit.

Mit den beiden Neuveröffentlichungen auf Blu-ray ist 3L ein wirklich schönes Paket gelungen, auch wenn eine Zugabe der „ernsten“ Version zu „Halleluja“ eigentlich Pflicht gewesen wäre. Aber auch das wird sicherlich im nächsten Jahr noch nachgeholt. Bis dahin darf man sich neben den Filmen auf interessante Booklets freuen, in denen Wissenswertes zu Produktion, Synchronarbeit und Soundtracks vermerkt ist. Diverse Trailer, Bildergalerien, ein Video vom Fantreffen (auf „Halleluja“) sowie eine Vollbildversion (auf „Rio“, mit stellenweise mehr Bildinhalt) ergänzen das Set.

Die Blu-ray zu „Vier Fäuste für ein Halleluja“ präsentiert den Film in der bekannten deutschen Comedy-Synchronisation im Originalbildformat. „Vier Fäuste gegen Rio“ hat die deutsche und eine englische Synchronisation an Bord und bietet zwei verschiedene Bildformate. Beide Blu-rays erscheinen bei 3L Vertriebs GmbH & Co. KG und sind seit 15. November erhältlich. (Packshot: © 3L)

„Argo“ (Kinostart: 8. November 2012)

„Das ist die beste schlechte Idee, die wir haben, Sir!“ Als CIA-Agent ist man brenzlige Situationen sicherlich gewöhnt. Was den Herren vom Geheimdienst allerdings 1979 vorgelegt wurde, als es darum ging, amerikanische Botschaftsmitarbeiter aus dem Iran zu schmuggeln, ist an Absurdität kaum zu überbieten. Ben Affleck bringt diese Rettungsaktion in „Argo“ nun kongenial auf die Leinwand.

Die Situation: Die iranische Revolution ist in vollem Gange, der von der US-Regierung unterstützte Schah vertrieben und die Bevölkerung in Aufruhr. Ein wütender Mob stürmt die amerikanische Botschaft und nimmt die Anwesenden in Geiselhaft. Sechs Mitarbeitern gelingt die Flucht in die kanadische Residenz, doch das Land können sie nicht verlassen. Das Problem: Jedes Rettungsszenario entpuppt sich als undurchführbar, will man einen internationalen Konflikt vermeiden. Die Idee: CIA-Mann Tony Mendez (ebenfalls Affleck) kreiert eine komplette Filmproduktion mit Drehbuch, Darstellern, Plakaten und Presseterminen und behauptet, mit seiner kanadischen Crew – den Flüchtigen – im Iran auf Drehortsuche zu sein.

Es wäre leicht gewesen, diesen Wahnwitz der jüngeren US-Geschichte in eine amüsante Form zu pressen. Regisseur Affleck und Produzent George Clooney hatten jedoch Anderes im Sinn – und präsentieren mit „Argo“ einen erstklassigen Agententhriller, der nicht nur optisch an die Genrehochzeit in den 1970ern erinnert. Bis zur eigentlichen Rettung lässt es sich Affleck dann auch nicht nehmen, das von Schaumschlägern und Lügnern regierte Hollywood mit feinem Sarkasmus auf die Schippe zu nehmen, wenn er die akribischen Vorbereitungen zur Planumsetzung schildert. Unterstützt von Topdarstellern wie Bryan Cranston, Alan Arkin und John Goodman sowie einer sichtbaren Versiertheit beim Umgang mit filmischen Mitteln (Parallelmontagen, Kameraführung), beweist Affleck eindrucksvoll, dass ihm nach „Gone Baby Gone“ und „The Town“ ein weiterer cineastischer Volltreffer gelungen ist.

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 14. November 2012.

Heimkino-Tipp: „From Dusk Till Dawn 2+3“ (1999/2000)

Dass die Trash-Granate „From Dusk Till Dawn“ von 1996 wenig später zwei Fortsetzungen spendiert bekam, ist vielen immer noch unbekannt. Sicherlich auch, weil beide Filme keinen direkten Bezug zu ihrem erfolgreichen Vorgänger haben und sämtliche Stars des ersten Teils vermissen lassen. Dafür gibt es ein Wiedersehen mit etlichen bekannten Gesichtern des Robert Rodriguez / Quentin Tarantino-Universums, den beiden Männern hinter dem originalen „From Dusk Till Dawn“, die hier lediglich im Hintergrund (u.a. als Produzenten) mitwirkten.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Auch wenn der Erstling ein 100%iges „B-Movie“ war, bot er doch großen Unterhaltungswert, der den Nachfolgern leider etwas abhanden kommt. Von vornherein lediglich für den Videomarkt produziert, können weder Umsetzung noch Dialoge mit dem großen Bruder mithalten – und trotzdem sind „Texas Blood Money“ und „The Hangman’s Daughter“, so die Untertitel, für einen amüsanten Filmabend die richtige Wahl.

„From Dusk Till Dawn 2: Texas Blood Money“:

Soeben aus dem Gefängnis ausgebrochen, plant Luther (Duane Whitaker) bereits das nächste große Ding. Dazu trommelt er unter der Führung seines Kumpels Buck (Robert Patrick) seine Gang zusammen und macht sich auf Richtung Mexiko. Schon auf dem Weg dahin kreuzen einige von ihnen den Weg von Vampiren, was den geplanten Banküberfall später zu einem Blutfest der ganz besonderen Art werden lässt.

Regisseur Scott Spiegel, dessen Frühwerk „Intruder“ (1989) inzwischen einen gewissen Kultstatus erreicht hat, versucht, das leider ziemlich konventionelle Drehbuch, welches er zusammen mit Whitaker fabrizierte (einer von Bruce Willis’ Vergewaltigern in „Pulp Fiction“), immer wieder mit lustigen Kameraperspektiven etwas aufzumöbeln. An Ideen mangelt es ihm also nicht, nur hätte etwas mehr Spannung der vorhersehbaren Geschichte hier und da sicherlich gutgetan. Die Effekte gehen in Ordnung und wer sich trotz knapper 85 Minuten Laufzeit langweilt, kann ja parallel versuchen, die bekannten Gesichter (z.B. Danny Trejo) einem Rodriguez- oder Tarantino-Film zuzuordnen.

„From Dusk Till Dawn 3: The Hangman’s Daughter“:

Etwas professioneller und vor allem temporeicher zeigt sich der dritte Teil der Saga. Das Drehbuch, unter Mitwirkung von Rodriguez entstanden, erzählt die Vorgeschichte der legendären „Titty Twister Bar“ um 1900. Hier landet der flüchtige Bandit Johnny (Marco Leonardi) mit Esmeralda (Ara Celi), der schönen Tochter seines Henkers. Die muss er bald darauf gegen Vampire verteidigen, die Esmeralda zu ihrer nächsten Prinzessin machen wollen.

Der ungewöhnliche Mix aus Western und Horror unterhält trotz vieler unbekannter Darsteller prächtig und lässt den roten Lebenssaft ordentlich fließen. Gewürzt mit Humor, kommt Teil 3 somit wieder näher ans Original heran und kann – im Rahmen seiner Möglichkeiten – durchaus als gelungen bezeichnet werden. Übrigens wurde eine vormals geschnittene Szene nach dem Abspann wieder in den Film integriert – also nicht zu früh abschalten!

Technisch gibt es bei beiden DVDs nichts zu bemängeln, auch wenn der Mehrwert dieser „Remastered Version“ (eine Neuauflage von 2004) eher marginal bleibt. Zumal diesmal keine Untertitel vorhanden sind (zumindest auf DVD), was einen Rückschritt zu früheren Veröffentlichungen darstellt. Nichtsdestotrotz bietet das Doppelpack eine günstige Möglichkeit, seine „From Dusk Till Dawn“-Sammlung zu vervollständigen.

Die DVDs/Blu-rays bieten die Filme in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung. „From Dusk Till Dawn 2 + 3“ erscheinen bei Universum Film und sind seit 2. November erhältlich. (Packshot: © Universum Film)

Heimkino-Tipp: „Dream House“ (2011)

Wenn der neue Film eines sechsfach Oscar-nominierten Regisseurs, besetzt mit drei Weltstars – von denen einer gerade äußerst erfolgreich seinen dritten Auftritt als James Bond im Kino absolviert – direkt und ohne großes Aufsehen auf DVD/BluRay veröffentlicht wird, muss wohl einiges schief gelaufen sein. Ist allerdings die Liebesgeschichte, die sich während der Produktion hinter der Kamera entwickelt hat, das einzig nennenswerte Ergebnis, muss offenbar alles schief gelaufen sein. Schlimmer noch: Die prominenten Darsteller weigerten sich sogar, ihr Werk nach der Fertigstellung zu promoten. Kein gutes Omen für einen Grusel-Thriller mit dem stimmungsvollen Titel „Dream House“.

Was war passiert? Glaubt man den Kurzinterviews, die während der Dreharbeiten entstanden und der DVD/BluRay als Bonus beigefügt sind, war die Begeisterung der drei Hauptdarsteller Daniel Craig, Rachel Weisz und Naomi Watts zu Beginn sehr groß. Die Möglichkeit, mit Filmemacher Jim Sheridan („Mein linker Fuß“, „Im Namen des Vaters“) unter dieser Besetzung spielen zu können, wiegte eindeutig schwerer als die Tatsache, ein lediglich mäßiges Skript vorliegen zu haben. Dieses wurde erwartungsgemäß während der Dreharbeiten umgeschrieben, zufrieden war am Ende aber wohl keiner mehr. Sheridan bat letztendlich erfolglos darum, seinen Namen aus den Credits entfernen zu lassen, da der Film ohne seine Mitwirkung umgeschnitten wurde und nicht mehr seinen Vorstellungen entsprach. Nur Craig fand später noch ein paar wenige lobende Worte: „Der Film ist nicht gut geworden. Dafür habe ich meine zukünftige Frau getroffen. Ein fairer Tausch.“

Auch im Film sind Craig und Rachel Weisz ein Paar: Will und Libby kehren der Großstadt den Rücken und ziehen mit ihren beiden Töchtern in eine ländliche Gegend. Seltsame Dinge geschehen bald darauf in ihrem neuen Heim und nicht nur die Nachbarin Ann (Naomi Watts) blickt auffallend skeptisch über die Straße. Schnell weiß Will auch warum: Die letzten Mieter wurden Opfer eines Killers, der nun scheinbar großes Interesse daran hat, seine Tat zu wiederholen und nachts in der Umgebung herumschleicht. Bei der Suche nach dessen Identität macht Will eine wahrlich beunruhigende Entdeckung.

Atmosphärische Expositionen sind stets ein gutes Mittel, um das Publikum im weiteren Verlauf der Handlung mit oftmals banalen Ereignissen ordentlich aufzuschrecken. „Dream House“ macht da keine Ausnahme und bewandert zunächst ohne große Überraschungen ausgetretene Genre-Pfade. Die Hoffnung, dass das Drehbuch der Besetzung angemessen danach Außergewöhnliches präsentieren wird, zerschlägt sich leider schnell: Denn bis auf den großen inhaltlichen Knall, den „Dream House“ bereits zur Filmmitte offenbart (und der dummerweise auch im Trailer zum Film preisgegeben wird), hat der harmlose Gruselstreifen nämlich leider nichts (mehr) zu bieten. Den Schauspielern (zu denen u.a. auch noch gestandene Charaktermimen wie Elias Koteas oder Jane Alexander zählen) ist das am wenigsten anzulasten – sie haben schlicht nichts zu tun. Richtig ärgerlich wird es jedoch am Ende, wenn die ohnehin zerfahren erzählte Geschichte mit einer „Actionszene“ abgeschlossen wird, die so gar nicht zum vorangegangenen, ruhigen Inszenierungsstil passen will.

Es fällt schwer zu glauben, dass dieses schwache Storygerüst all diese Talente zur Mitwirkung bewegt haben soll. Allerdings gebe ich auch zu, dass Regisseur Sheridan 2005 mit dem lächerlichen „Get Rich or Die Tryin‘“ zumindest bei mir viel von seinem fabelhaften Ruf eingebüßt hat. Insofern ist es für mich kaum vorstellbar, dass „Dream House“ auch ohne die massiven Eingriffe von Seiten des produzierenden Studios besser geworden wäre.

Fazit: Ein enttäuschender Film mit viel ungenutztem Starpotenzial, wenig Ideen und einer misslungenen Marketingkampagne. Immerhin werden sich jedoch mindestens zwei Menschen für immer daran erinnern: die Frischvermählten Daniel Craig und Rachel Weisz. Glückwunsch!

Die DVD/Blu Ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche und englische Untertitel. Als Bonusmaterial gibt es Trailer, kurze Setinterviews mit Cast & Crew und drei Making of-Clips, die einzelne Aspekte der (damals noch friedvollen) Produktion beleuchten. „Dream House“ erscheint bei Universum Film und ist seit 26. Oktober erhältlich. (Packshot: © Universum Film)

Heimkino-Tipp: „Und wenn wir alle zusammenziehen?“ (2011)

Was tun, wenn im Alter die eigene Fitness, sowohl geistig auch als körperlich, nachlässt? Auf die Hilfe der Familie hoffen, sich freiwillig in eine Pflegeinrichtung begeben, oder sich dem Problem allein stellen und auf das Beste hoffen? Während Michael Haneke mit „Liebe“ gerade im Kino seine nüchterne filmische Antwort zu diesen Fragen gab, nähert sich Regisseur Stéphane Robelin dem Thema in der französisch-deutschen Produktion „Und wenn wir alle zusammenziehen?“ auf tragikomische Weise an.

Die befreundeten Paare Annie & Jean und Jeanne & Albert sowie ihr alleinstehender Freund Claude haben alle mit ihren großen und kleinen Gebrechen zu kämpfen. Während Annie unter den spärlichen Besuchen ihrer Enkel leidet und Jean als 68-Aktivist noch immer auf die Straße geht, verheimlicht Jeanne ihrem Albert eine schwere Krankheit, wohlwissend, dass ihr Gatte mit seiner beginnenden Demenz wohl kaum allein zurechtkommen würde. Claude hingegen genießt seine (sexuelle) Freiheit mit Prostituierten – bis sein Kreislauf eines Tages nicht mehr mithalten kann und er von seinem Sohn in ein Pflegeheim gesteckt wird.

Was zunächst als bierselige Idee bei einem gemeinsamen Abend abgetan wird, nimmt nach einem Paarbesuch bei Claude schnell konkrete Formen an: Warum nicht zu fünft in ein Haus ziehen und den Lebensabend gemeinsam verbringen? Und warum nicht auch einen jungen Helfer engagieren, der im Haushalt aushilft, wenn die eigenen Knochen nicht mehr so recht wollen? Allerdings stellen die Eigenheiten der Fünf das WG-Leben bald darauf auf eine erste von vielen Zerreißproben.

Bisher haben es nur wenige Filmemacher gewagt, so offen und unverkrampft mit den Hürden des Älterwerdens und den heimlichen(?) Wünschen der Generation 60+ umzugehen. Statt wie sein deutscher Kollege Leander Haußmann in „Dinosaurier – Gegen uns seht ihr alt aus“ Rentner in peinlichen Klamauksituationen vorzuführen, wählt Robelin die seriöse Variante – schreckt dabei aber auch nicht vor offenherzigen Dialogen zum Sexleben seiner alten Garde zurück. Zwar verkneift er sich Szenen à la „Wolke 9“, prüde geht es deshalb in „Und wenn wir alle zusammenziehen?“ noch lange nicht zu. Sein wunderbarer Film verzichtet zudem auf Überzeichnungen, unnütze Überdramatisierung und unglaubwürdige Plotwendungen. Stattdessen dokumentiert er beinahe beiläufig die Probleme des Alltags, die ein WG-Leben, noch dazu im hohen Alter, so mit sich bringt. Seien es Vergesslichkeiten, verjährte Affären oder der simple Versuch des armen Jean, so etwas wie einen Putzplan aufzustellen. Das ist gleichermaßen amüsant wie dramatisch und gibt seinem Ensemble immer wieder die Möglichkeit zu glänzen.

Apropos: Es ist eine wahre Freude, so viele gestandene Schauspiellegenden zusammen in einem Film zu sehen: Neben den französischen Urgesteinen Claude Rich (Claude) und Guy Bedos (Jean) sind es vor allem Geraldine Chaplin (Annie, „Doktor Schiwago“), Jane Fonda (Jeanne, „Klute“) und Comedy-Altmeister Pierre Richard (Albert, „Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh“), die noch einmal zeigen, warum sie zu den ganz Großen ihres Fachs gehören. Ihnen zur Seite steht ein nicht minder talentierter Daniel Brühl, der als Pfleger mit soziologischem Interesse das Leben der Alten-WG studiert und einmal mehr seine schauspielerische und sprachliche Wandlungsfähigkeit beweist. Vielleicht auch eine Wiedergutmachung für sein Mitwirken an eben jenem unsäglichen, oben genannten „Dinosaurier“-Film?

Stéphane Robelin ist mit „Und wenn wir alle zusammenziehen?“ ein berührend-leichtfüßiger Film gelungen, der sowohl dem Alter als auch seinen Darstellern huldigt und einmal mehr bewusst macht, wie schön das Rentnerdasein trotz einzelner Hürden sein kann. Zwar lässt er dabei Themen wie die Altersarmut vor der Tür. Doch im Kreise guter Freunde ist das ohnehin auch etwas leichter zu ertragen.

Die DVD/BluRay bietet den Film in deutsch synchronisierter und französischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Bonusmaterial gibt es einen Blick hinter die Kulissen während der Dreharbeiten, in dem auch die Hauptdarsteller ein wenig von ihren Erfahrungen und Wünschen erzählen. Ein kurzer Bericht über die Filmpremiere in Locarno sowie Trailer runden das gelungene DVD/BluRay-Paket ab. „ Und wenn wir alle zusammenziehen?“ erscheint bei Pandora Film und ist ab 19. Oktober erhältlich. (Packshot: © Pandora Filmverleih)

Heimkino-Tipp: „Der Gehetzte der Sierra Madre“ (1966) / „Von Angesicht zu Angesicht“ (1967)

Achtung, hier kommen zwei absolute Schmankerl: Tolle Aufmachung, fantastische Qualität und interessantes (!) Bonusmaterial – was das Schweizer Label „explosive media“ mit der Neuveröffentlichung der beiden Sergio Sollima-Klassiker „Der Gehetzte der Sierra Madre“ und „Von Angesicht zu Angesicht“ vorlegt, lässt wohl das Herz jedes (Film-)Sammlers höher schlagen.

Der 1921 in Rom geborene Sollima kann auf eine beeindruckende Filmografie als Drehbuchautor und Regisseur zurückblicken. Von seinen vielen Werken dürfte jedoch die „Cuchillo-Trilogie“ seine bekannteste Arbeit sein: Drei Italo-Western, die in den 1960ern ebenso wie die „Dollar-Trilogie“ seines Namensvetters Sergio Leone weltweit für Aufsehen sorgten und inzwischen zu den absoluten Klassikern des Genres zählen. War bei Leone Clint Eastwood die schauspielerische Konstante, so wählte Sollima den nicht minder charismatischen Tomás Milian und besetzte ihn nach „Sierra Madre“ und „Angesicht“ auch 1968 in „Lauf um dein Leben“. Die ersten beiden Teile ihrer gemeinsamen Western-Zeit erscheinen nun runderneuert in zwei wunderbaren DVD- bzw. BluRay-Editionen.

„Der Gehetzte der Sierra Madre“ zeigt die Jagd des Kopfgeldjägers Corbett (Lee Van Cleef) nach dem jungen Herumtreiber Cuchillo Sanchez (Milian). Der Mexikaner wird beschuldigt, ein Mädchen geschändet und ermordet zu haben. Während seiner langen Suche nach dem Flüchtigen zweifelt Corbett jedoch zunehmend an dessen Schuld. In „Von Angesicht zu Angesicht“ ist Milian abermals in der Rolle eines Gesetzesbrechers zu sehen: Als Anführer der berüchtigten „Wilden Horde“ nimmt er den Geschichtsprofessor Fletcher (Gian Maria Volonté) in seine Bande auf – und verführt den zunächst naiven Mann sukzessive zur Gewalt.

Was die Werke neben ihrer dreckig-heißen Atmosphäre und der sorgfältigen Inszenierung auszeichnet, ist vor allem hörbar: Ennio Morricone steuerte für beide Filme die musikalische Untermalung bei und präsentiert sich wie schon bei Leone als absoluter Meister seines Fachs. Ohne Frage hat der Komponist durch seine Arbeiten in den 1960er-Jahren maßgeblich zum Erfolg des jungen Italo-Western-Genres beigetragen und nicht nur da etliche seiner einprägsamsten Stücke komponiert.

All dem tragen diese Neuveröffentlichungen auf außergewöhnliche Weise Rechnung: Neben einer neuen Bildabtastung im Originalformat haben beide die deutschen und die Originalsprachfassungen, sowie die englischen Versionen an Bord, diverse Untertitelspuren und „Sierra Madre“ sogar die ursprüngliche deutsche Synchronisation, die sich in einigen Teilen von der moderneren unterscheidet. Zu den umfangreichen Extras zählen je ein 24-seitiges, mit seltenen Fotos und Covern bebildertes Booklet („Sierra Madre“ setzt den Schwerpunkt auf die Karriere von Lee Van Cleef, „Angesicht“ widmet sich Ennio Morricone), informative Dokumentationen, sowie diverse Trailer und verschiedene Vorspänne, die sich zur damaligen Zeit oftmals je nach Aufführungsland unterschieden. „Sierra Madre“ kommt gar als BluRay/DVD-Combo daher (d.h. beides in einem Pack), während „Angesicht“ die ebenfalls zeitgenössische Super-8-Fassung des Films enthält – eine tolle Zugabe für Komplettisten. Was beiden Editionen allerdings die goldene Krone aufsetzt, ist die Beigabe der kompletten Morricone-Filmmusiken.

Es sind Veröffentlichungen wie diese, die zeigen, was das Medium DVD/BluRay alles bieten kann. Geben sich große Filmstudios heutzutage oftmals damit zufrieden, ihren überteuerten Heimkinoreleases billig produzierte Figuren, T-Shirts oder sonstigen unnötigen Krams beizufügen, so konzentrieren sich die hier besprochenen Editionen tatsächlich auf das künstlerische Werk und bieten spannende Hintergrundinformationen sowie seltene Ton- und Filmdokumente, die ganz offensichtlich mit viel Liebe und Kenntnis der Materie zusammengetragen wurden.

Ergo: Eine unbedingte Kauf- und Genussempfehlung!

„Der Gehetzte der Sierra Madre“ und „Von Angesicht zu Angesicht“ erscheinen bei explosive media/AL!VE AG und sind ab 12. Oktober erhältlich. (Packshot: © explosive media/AL!VE AG)

Heimkino-Tipp: „Lockout“ (2012)

Haben die nix zu tun? Während Clint Eastwood selbst im hohen Alter von 70+ Jahr für Jahr eine neue Regiearbeit präsentiert und Robert De Niro (69) es inzwischen schafft, innerhalb von 12 Monaten in durchschnittlich drei filmischen Rohrkrepierern mitzuwirken, schmeißt Frankreichs einstiges cineastisches Wunderkind Luc Besson („Léon - Der Profi“, „Das fünfte Element“) beständig Drehbücher auf den Markt, die allesamt unterhaltsam und actionreich, aber leider auch stets nach demselben Prinzip gestrickt sind. Das geht oftmals gut („Taxi“, „The Transporter“, „Taken - 96 Hours“), kann aber auch ermüden („From Paris with Love“, „Colombiana“). Einer seiner diesjährigen Beiträge nennt sich „Lockout“ und ist erfreulicherweise ersterem Fazit zuzuordnen.

Die Regie für den Science-Fiction-Spaß übertrug er James Mather & Stephen St. Leger, die unter dem Pseudonym Saint & Mather eine überdrehte, wahnsinnig temporeiche Weltraum-Version von „Stirb Langsam“ inszenierten, die neben wenig Logik vor allem Zweierlei bietet: Einen überaus coolen Guy Pearce („Memento“) in der Hauptrolle und völlig übertriebene, comichafte Action. Der „Inhalt“ ist schnell erzählt: Präsidententochter Emilie (Maggie Grace) wird auf einem Gefängnis-Schiff im All von bösen Jungs gefangen gehalten, der in Ungnade gefallene Agent Snow (Pearce) soll sie befreien. Quasi durch die Hintertür steigt er in den Hochsicherheitstrakt ein, während die schlechtgelaunten Häftlinge eine Geisel nach der anderen erschießen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Welche das sind, bleibt genauso nebensächlich wie die Zukunftsutopie, in der die Handlung – das Jahr 2079 – verlegt wurde.

Wäre ohnehin nur erzählerischer Ballast für die One-Man-Show, die Guy Pearce hier abzieht. Er gibt den militärischen Alleskönner als eine Mischung aus MacGyver und Misanthrop, der für wirklich jeden Moment einen lockeren Spruch auf den Lippen hat und keinen Hehl aus der Lächerlichkeit des ganzen Szenarios macht. Ob dabei die Figur Snow oder der Schauspieler Pearce spricht, darf der Zuschauer selbst entscheiden. Für maximalen Spaß empfiehlt sich hierbei die englische Originalsprachversion, bietet sie doch einiges mehr an Wortwitz und verbalem Blödsinn. Der Rest der Besetzung (u.a. Peter Stormare, „Fargo“) spult die üblichen Rollenklischees runter, wobei Joseph Gilgun als völlig durchgedrehter Psycho Hydell noch am Einprägsamsten bleibt.

Das alles wäre im Rahmen des Anspruchs, den dieses Werk an sich selbst stellt (nämlich keinen) problemlos konsumierbar, wenn einzelne Szenen nicht so amateurhaft visualisiert worden wären. Das stört vor allem in der Eröffnungsszene, die den Helden auf einem Motorrad flüchtend in einer Zukunftsstadt zeigt, die unübersehbar aus dem Computer stammt – und aussieht, als sei sie einem billigen Onlinespiel entnommen. Andererseits macht diese optisch erschreckende Ouvertüre überdeutlich, welches Niveau in den darauffolgenden 90 Minuten zu erwarten ist. Also doch beabsichtigt?

Sei’s drum, „Lockout“ bleibt trotz dieser kleinen Makel ein unterhaltsamer, lauter, mitunter sehr witziger Actionstreifen, der von seinem gutgelaunten Hauptdarsteller lebt, absurde Momente präsentiert (z.B. ein Sprung aus dem Raumschiff Richtung Erde) und prima Zerstreuung bietet. Kein Film für die Ewigkeit, für Freunde von Luc Bessons amüsanten Krawallkino jedoch einen Blick wert.

Die DVD/Blu Ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Bonusmaterial gibt es Trailer sowie Making of- und Interviewclips (ca. 50 Minuten), die sich einzelnen Schwerpunkten der Filmentstehung widmen. „Lockout“ erscheint bei Universum Film und ist seit 5. Oktober erhältlich. (Packshot: © Universum Film)

... im Nachgang: „Wir wollten aufʼs Meer“ (Kinostart: 13.09.2012)

Die DDR im Film: Immer wieder ein heikles, streitbares Thema. Mein aktueller Beitrag für den „Kinokalender Dresden“ findet sich HIER.

... im Nachgang: „Rum Diary“ (Kinostart: 02.08.2012)

Gibt es etwas Unterhaltsameres, als Johnny Depp beim Torkeln zuzusehen? Nein - behaupte ich zumindest im aktuellen Streitgespräch des „Kinokalender Dresden“. Den kompletten Artikel gibt es HIER.

Heimkino-Tipp: „Our Day Will Come“ (2010)

Meine erste „Begegnung“ mit dem französisch-stämmigen Schauspieler Vincent Cassel fand 1997 mit dem stylishen Gangsterfilm „Doberman“ statt. Da hatte der Berserker bereits seinen kontroversen Durchbruch „Hass“ zwei Jahre hinter sich und war – zumindest in meinen jungen Cineastenaugen – jemand, vor dem man Angst haben sollte. Heute zählt Cassel auch international zu den ganz Großen, ist sowohl in Hollywood („Ocean’s Twelve“, „Black Swan“) als auch Europa („Elizabeth“, „Birthday Girl“) unterwegs und hat von seiner Intensität bei der Darstellung extremer Charaktere nichts eingebüßt. Bisheriger Karrierehöhepunkt dürfte zweifellos „Public Enemy“ (2008) gewesen sein, Cassels Porträt von Jacques Mesrine, des wohl bekanntesten französischen Schwerverbrechers, der von den 1960ern bis Ende der 1970er wütete und dabei unzählige Banken ausgeraubt, über 40 Menschen getötet und etliche Ausbrüche aus staatlichen Gefängnissen hinter sich gebracht hat. Ein Medienstar und 1979 schließlich auf offener Straße von der Polizei hingerichteter Mann, dessen Gewalttätigkeit noch heute ihresgleichen sucht.

Für „Our Day Will Come“ hat sich der Gatte von Monica Bellucci nun mit einem anderen Wüterich für dessen filmischen Erstling zusammengetan: Romain Gavras, griechischer Videokünstler und Sohn von Regielegende Costa-Gavras („Missing“, „Music Box“), der vor allem dank seines umstrittenen Music-Clips „Born Free“ für M.I.A. 2009 weltweit für Furore sorgte, da dieser – basierend auf echten Aufnahmen – einen Massenmord durch Soldaten zeigt. Die Opfer: Rothaarige Menschen. Diesem Thema widmet sich Gavras nun auch in „Our Day Will Come“.

Der von seinen Mitmenschen und Patienten gelangweilte Psychiater Patrick (Cassel) trifft eines Nachts auf den Sonderling Rémy (Olivier Barthelemy). Der rothaarige junge Mann hat häufig Stress mit seiner Familie, ist ständiges Opfer von Streichen Gleichaltriger und wird zudem von seiner anonymen Internetbekanntschaft regelmäßig versetzt. Schuld an der alltäglichen Hölle gibt er seiner Haarfarbe. Patrick, selbst konstant schwankend zwischen Wut und Nachdenklichkeit, nimmt Rémy unter seiner Fittiche – jedoch nicht, um ihm zu helfen, sondern um ihn nach seinen eigenen Überzeugungen zu formen. Der Plan gelingt, bis Rémy seiner aufgestauten Aggression zunehmend freien Lauf lässt. Bald ist nicht mehr klar, wer wen kontrolliert und wie weit Rémy bereit ist zu gehen, um sein Ziel Irland zu erreichen. Denn nur dort, im „Land der Rothaarigen“, glaubt er, Erlösung finden zu können.

Roadmovie, Sozialdrama oder bissige Satire? Romain Gavras und sein Co-Autor Karim Boukercha wechseln im Verlauf der Reise nicht nur immer wieder das Alpha-Männchen in ihrer Erzählung, sondern auch die Art und Weise, wie sie den wachsenden Menschenhass ihrer beiden Protagonisten darstellen: mal erschreckend-brutal, dann wieder amüsant-verrückt. Obwohl sich weder Patrick noch Rémy als Sympathiefiguren für den Zuschauer eignen, bleibt ihr Trip bis zum überraschenden Ende interessant. Der Film taugt dabei ebenso als Parabel für die Ausgrenzung Einzelner aufgrund von Aussehen, Religion oder Herkunft, wie auch als ein Zeugnis der Manipulierbarkeit eines Menschen, der wie Rémy zutiefst verunsichert und sozial inkompetent ist.

Man kann „Our Day Will Come“ leicht Überspitzung und Realitätsferne vorwerfen. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass Regisseur Gavras es eher wie die Filmfigur John Doe in „Sieben“ hält: „Wenn die Leute einem zuhören sollen, reicht es nicht, ihnen auf die Schulter zu tippen. Man muss sie mit einem Vorschlaghammer treffen. Erst dann können Sie sich ihrer Aufmerksamkeit gewiss sein.“ Im Falle von „Our Day Will Come“ hat Gavras dieses Ziel eindrucksvoll erreicht.

Trailer & mehr: HIER klicken!

Die DVD/BluRay bietet den Film in deutsch synchronisierter und französischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Bonusmaterial gibt es ein erhellendes Making of, das zwar weniger die Produktion beleuchtet, dafür aber einige interessante Äußerungen von Setmitgliedern enthält, die auf Themen des Films Bezug nehmen. Ein weiteres Extra ist der hervorragende Trailer, der im Gegensatz zum heute üblichen Vorgehen nicht die gesamte Handlung verrät, sondern die bedrohliche Stimmung des Werks formidabel einfängt. „Our Day Will Come“ erscheint bei Universum Film/FilmFrontal und ist ab 21. September erhältlich. (Packshot: © Universum Film)

Heimkino-Tipp: „Shame“ (2011)

Gleich zu Beginn von „Shame“ macht Regisseur und Drehbuchautor Steve McQueen – übrigens nicht zu verwechseln mit seinem berühmten Namensvetter, dem 1980 verstorbenen Schauspieler aus „Bullitt“ – klar, was er in seinem zweiten Spielfilm zeigen will: Intimität, Intensität und Seelenstriptease. Und obwohl jene erste Szene lediglich Hauptdarsteller Michael Fassbender dabei zeigt, wie er einer jungen Dame in der U-Bahn in die Augen sieht, ist dieser Moment von einer Eindringlichkeit, die im Kino ihresgleichen sucht. Und tatsächlich gelingt es McQueen, diese Eindringlichkeit bis zum Ende beizubehalten.

Großen Anteil daran hat zweifellos der einmal mehr fantastisch aufspielende Fassbender, der sich für diesen Film nicht nur körperlich sondern auch seelisch komplett entblößt. Als sexsüchtiger Yuppie Brandon aus der New Yorker Geschäftswelt streift er durch die Stadt, ständig auf der Suche nach einer neuen Möglichkeit, seinem Trieb nachzugeben. Er onaniert, lässt sich mit One-Night-Stands ein und von Prostituierten verwöhnen. Als eines Tages überraschend seine Schwester Sissy (Carey Mulligan) auftaucht, wirft das nicht nur seinen Tagesablauf, sondern zunehmend auch sein Leben aus der ohnehin fragilen Bahn. Denn Sissy ist gefühlsmäßig ebenso ein Wrack wie ihr Bruder. Einzig ihre Art, es der Außenwelt mitzuteilen, unterscheidet sie vom introvertierten Brandon.

Aufsehen erregte der Film schon während der Dreharbeiten, als die Darsteller hinter einem New Yorker Hotelfenster blank zogen und den staunenden Passanten einen ersten Vorgeschmack auf das Drama boten. Später lobte „Prometheus“-Kollegin Charlize Theron zudem öffentlichkeitswirksam Fassbenders Auftritt und Mut mit dem Kommentar „Dein Penis war eine Offenbarung!“. Heißen, erotischen Sex bietet „Shame“ trotzdem nicht. Stattdessen gibt es mechanisch wirkende Akte en masse, die wenig Sinnlichkeit versprühen. Denn nichts anderes durchlebt Brandon in seinem Alltag. So ist diese Gefühlskälte beim Sex auch ein wunderbares Bild für Brandons Umwelt, die abgestumpft ihrem eintönigen Tagesablauf nachgeht, immer auf der Suche nach dem nächsten Kick. Die um Aufmerksamkeit und Nähe bettelnde Sissy bildet dazu einen passenden, aber nicht weniger traurigen Gegenpol.

Optisch weiß McQueen die Kühle der Großstadt New York formidabel einzufangen. In langen, mit ruhiger Hand eingefangenen Kamerafahrten durchkreuzt er zusammen mit seinem Protagonisten die von Versuchungen nahezu überfüllte Stadt, ohne ihm einen Ausweg anzubieten. So wird spätestens beim seltsam distanzierten Rendez-vous Brandons mit einer Kollegin klar, dass Sex mit Gefühlen bei ihm längst nicht mehr möglich ist. Eine emotionale, normale Beziehung allerdings ebenso wenig.

„Shame“ ist eine distanziert inszenierte, unfassbar intensiv gespielte Charakterstudie, die lange nachwirkt. Ein sehr offenherziger Kommentar zur Gesellschaft in fabelhafter Optik, der provoziert und hinter seinen expliziten Szenen eine traurige Geschichte über Vereinsamung erzählt. Meisterlich.

Die DVD/BluRay bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche und englische Untertitel. Leider beschränken sich die Extras lediglich auf einen Trailer und zwei sehr kurze Clips (Gesamtspieldauer acht Minuten), in denen die Darsteller und der Regisseur über die Figuren und ihr Arbeitsverhältnis sprechen. „Shame“ erscheint bei Prokino/EuroVideo und ist ab 13. September erhältlich. (Packshot: © EuroVideo Film)

Heimkino-Tipp: „Machine Gun Preacher“ (2011)

Nein, Sam Childers (Gerard Butler) ist kein angenehmer Zeitgenosse – zumindest, wenn man ihm zu Beginn von Marc Forsters „Machine Gun Preacher“ begegnet. Soeben aus dem Knast entlassen – die Vermutung liegt nahe, dass es nicht sein erster Besuch im Gefängnis war –, gibt er sich aggressiv, launisch und gewalttätig. Seine Frau (Michelle Monaghan) darf zwar hübsch aussehen, aber auf ihre Meinung legt er kaum wert. Stattdessen zieht er lieber mit seinem Kumpel Donnie (Michael Shannon) um die Häuser, konsumiert eifrig Kokain und überfällt schon mal einen Drogenhändler aus der Nachbarschaft, um an Geld zu kommen. Bis er eine Grenze überschreitet und einen Tramper niedersticht, der den Fehler machte, ihn und Donnie zu bedrohen.

Was nun folgt, ist eine der wohl sonderbarsten Verwandlungen, die es für einen Menschen dieses Kalibers geben kann: Childers findet zu Gott, entdeckt seine Nächstenliebe und reist nach Afrika, um dort auf eigene Rechnung ein Waisenhaus für Kriegsopfer, ehemalige Kindersoldaten und Schutzbedürftige zu errichten. Anders als seine bedächtig handelnden Kollegen und Helfer vor Ort weigert er sich jedoch, das Leid seiner Schützlinge tatenlos hinzunehmen. Er greift zur Waffe und beginnt, gegen die Warlords und Entführer im Alleingang zu Felde zu ziehen.

Wahrscheinlich würde jedem Drehbuchautor diese unfassbare Geschichte um die Ohren gehauen werden, wenn sie nicht wie im Fall von Sam Childers wahr wäre. Basierend auf seinem eigenen, autobiografischen Buch „Another Man’s War“, das 2009 in Amerika erschien, nahm sich Marc Forster dieses Stoffes an und verfilmte ihn unter dem bedeutungsschwangeren Titel „Machine Gun Preacher“. Gleich in zweierlei Hinsicht keine leichte Aufgabe: Erstens, da Marc Forster mit seinem letzten Film „James Bond: Ein Quantum Trost“ einerseits auf dem beruflichen Höhe-, andererseits aber auch auf dem künstlerischen Tiefpunkt seiner Karriere angekommen zu sein schien. Zweitens kann eine solche charakterliche Wandlung, wie sie Sam Childers offenbar widerfahren ist, schnell ins Lächerliche und Unglaubhafte abrutschen, wenn Umsetzung und Darsteller ins Stolpern kommen. Und obwohl Forster mit inzwischen insgesamt sieben abendfüllenden Spielfilmen (darunter gefeierte Streifen wie „Monster’s Ball“ oder „Wenn Träume fliegen lernen“) bereits auf eine beeindruckende Filmografie zurückblicken kann, gelingt ihm die Transformation seines Protagonisten nicht ganz ohne inhaltliche Sprünge. Zu schnell wird aus dem gewaltbereiten Bikertyp der fürsorgliche Christ, dem das Wohlergehen Fremder am Herzen liegt.

Aber vielleicht sind diese Zweifel beim Zuschauer auch beabsichtigt, denn Forsters Hauptdarsteller Gerard Butler versteht es angemessen, Childers als unterschwellig stets brodelnden Mann zu präsentieren, der zu allem bereit ist – und das schlussendlich auch eindrucksvoll beweist. Zwar ist „Machine Gun Preacher“ mehr eine etwas oberflächlich gezeichnete Charakterstudie als ein Actionfilm. Doch wenn Childers zur Waffe greift, verzichtet Forster im Gegensatz zu seinem Bond-Abenteuer diesmal glücklicherweise auf ein Schnittstakkato und inszeniert altmodisch, übersichtlich und nicht zimperlich.

Bei aller Bewunderung für diesen mutigen Mann und einiger deutlicher Aussagen zum verachtenswerten Umgang afrikanischer Warlords mit der ansässigen Bevölkerung, gelingt es „Machine Gun Preacher“ jedoch nicht, emotional auf ganzer Filmlänge zu überzeugen. Dafür ist das Drehbuch zu nachlässig mit seinen Nebenfiguren (besonders Childersʼ Familie) und einer Einordnung des Konflikts in die politische, religiöse und ethnische Landkarte Afrikas. Immerhin gesteht es einer kurz auftretenden Ärztin die Bemerkung zu, dass anfangs auch die Warlords ähnliche Gründe für ihr Handeln propagierten, wie sie nun Childers als Rechtfertigung für seine (guten?) Taten nutzt. Leider verpufft diese Kritik jedoch im Nichts und der Film erstarrt in einer seltsamen Nicht-Wertung über die Mittel und Wege, die Childers für die Erreichung seiner Ziele wählt.

Aber auch das sei an dieser Stelle akzeptiert. Denn Sam Childers tut Gutes für die Hilf- und Mittellosen und – man verzeihe die Formulierung – tritt einigen der schlimmsten Zeitgenossen dieser Erde bis heute ordentlich in den Hintern. Ob im Namen des Herrn oder aus persönlichen Gründen weiß er, so suggeriert es zumindest der Film, offenbar selbst nicht genau. Was zählt, sind die Leben, die er ohne Rücksicht auf sein eigenes täglich rettet. Daher: Hut ab!

Die DVD/BluRay bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung, deutsche Untertitel für Hörgeschädigte, ein interessantes Interview mit Marc Forster sowie den Videoclip zum fantastischen, Golden-Globe-nominierten Titelsong „The Keeper“ von Chris Cornell. „Machine Gun Preacher“ erscheint bei universum film und ist ab 24. August erhältlich. (Packshot: © Universum Film)

Heimkino-Tipp: „Halt auf freier Strecke“ (2011)

Sommer, warme Jahreszeit, gute Laune. Nicht unbedingt die passendsten Rahmenbedingungen, um sich einem Film zu widmen, der das Sterben thematisiert. Allerdings gibt es mindestens zwei Gründe, warum „Halt auf freier Strecke“ – der es mit seinem Kinostarttermin im verregneten und kühlen November des vergangenen Jahres sicherlich auch nicht einfach hatte – trotzdem lohnt: Regisseur Andreas Dresen, und die Gewissheit, dass das, was sein stilles Werk zeigt, uns irgendwann allen einmal bevorstehen wird.

Es ist ein Film ohne schmückenden Ballast, ohne Beschönigung, ohne einengendes Drehbuch. So beginnt Dresen sein Drama sogleich mit schmerzhaften Wahrheiten: Frank (Milan Peschel) erfährt, dass er einen inoperablen Gehirntumor im Kopf und wahrscheinlich nur noch wenige Monate zu leben hat. Gerade erst mit seiner Frau Simone (Steffi Kühnert) und seinen beiden Kindern in ein Haus am Stadtrand gezogen, richten sie die Dachetage als Krankenzimmer ein, freier Blick auf Baum, Landschaft und Garten inklusive.

Anders als Filme wie „Mein Leben ohne mich“ oder „Biutiful“ erzählt „Halt auf freier Strecke“ jedoch ab da nicht von noch zu erfüllenden Aufgaben, Träumen und Zielen, sondern schlicht, aber präzise vom Sterben. Franks wachsende Orientierungslosigkeit kontert die Familie noch mit kleinen Merkzetteln an den Wänden, gegen Stimmungsschwankungen, Schmerzen und Sprachverlust jedoch ist sie machtlos.

Dresen gab seinen wenigen professionellen Darstellern kaum Textvorlagen, dafür viel Raum für Improvisation und stellte ihnen reale Ärzte, Pfleger und, mit Talisa Lilli Lemke als Tochter Lili, sogar eine Betroffene zur Seite, die ähnliche Erfahrungen aus der eigenen Familie kennt. Das Ergebnis ist eine filmisch einfach eingefangene, ehrliche und bedrückende Dokumentation, bei der die Grenzen von Realität und Schauspiel verschwimmen. Momente des Glücks und Sarkasmus sind ebenso präsent wie körperlicher Zerfall und die Belastungen, die ein solcher Krankheitsfall für die Angehörigen mit sich bringt. „Halt auf freier Strecke“ verlangt seinen Zuschauern viel ab. Aber – und das ist sein großer Verdienst – sensibilisiert auf ehrliche, pietätvolle Weise für einen Lebensabschnitt, der jedem von uns begegnen wird.

Die fabelhaft umgesetzte DVD/BluRay-Veröffentlichung bietet neben einem Audiokommentar des Regisseurs (Andreas Dresen ist zusammen mit Kollege Tom Tykwer einer der wenigen deutschen Filmemacher, der dabei auch wirklich interessante Fakten und Anekdoten zu erzählen hat) und ausführlichen Interviews mit Dresen und Hauptdarsteller Milan Peschel, zusätzlich entfernte, verlängerte und verpatzte Szenen sowie die drei bewegenden und ebenso gelungenen Kurztrailer zum Film und ein ausführliches Booklet.

Auf DVD/BluRay in deutscher Sprachfassung mit optionalen englischen, französischen, spanischen und deutschen Untertiteln für Hörgeschädigte (großes Lob für Letzteres, ein Feature, das leider viel zu oft vergessen wird). „Halt auf freier Strecke“ erscheint bei Pandora Filmverleih/Alive und ist ab 24. August erhältlich. (Packshot: © Pandora Filmverleih)

... im Nachgang: „Ice Age 4“ (Kinostart: 02.07.2012)

Was Kühles bei der Hitze erwünscht? Dann bitte HIER klicken, um zu meiner frostigen Stellungnahme zum Film "Ice Age 4" zu gelangen.

„Sleep Tight“ (Kinostart: 5. Juli 2012)

Ein guter Gruselfilm funktioniert immer dann am besten, wenn er seine Prämisse aus einer alltäglichen Situation wählt: Der Zuschauer ist mit dem Geschehen vertraut und fürchtet daher kaum Gefahr. Der spanische Regisseur Jaume Balagueró („[Rec]“) weiß das, sein Drehbuchautor Alberto Marini ebenso und der Portier César (gruselig gut: Luis Tosar), Hauptfigur im spannenden Thriller „Sleep Tight“, ganz besonders.

Denn César arbeitet in einem Mietshaus in Barcelona und darf dabei auf ausdrücklichen Wunsch der Bewohner auch in deren Wohnungen werkeln und walten, wenn beispielsweise einmal der Wasserhahn tropft. Mit einer Mieterin pflegt der unscheinbare, stets höfliche Mann sogar eine intime Beziehung – nur weiß sie nichts davon. Denn César bettet sich nachts regelmäßig und heimlich neben die schöne Clara (Marta Etura) und spielt perfekte Familie. Zumindest, bis ihr wirklicher Freund auftaucht und César vom Vorspiel zu seinem eigentlichen Ansinnen übergeht: Er möchte Claras Unbeschwertheit, Fröhlichkeit, ihr ganzes lebensbejahendes Dasein zerstören. Sukzessive setzt er dazu eine Kettenreaktion in Gang, bei der das Verstecken von Ungeziefer in ihren Schränken nur die erste von vielen Etappen ist.

„Sleep Tight“ lebt von zwei für das Genre außergewöhnlichen Dingen: einem fabelhaften Hauptdarsteller, der es schafft, den bösen Mann aus dem Foyer nicht als ekelhaftes Monster erscheinen zu lassen, sondern vielmehr einen intelligenten Mann präsentiert, der seine Misanthropie schlicht bis zur letzten Konsequenz auslebt. Der zweite, noch befremdlichere Pluspunkt des Films ist die konsequente Inszenierung aus der Sicht des Bösewichts. So wird der Zuschauer faktisch zum Mittäter und zittert letztendlich sogar mit, wenn der Böse droht aufzufliegen.

„Sleep Tight“ ist ein packendes Stück Genrekino, ein Kissenkraller par excellence und der filmische Beweis dafür, dass guter Horror nicht immer Zombies braucht – ein höflicher Hausmeister genügt schon.

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 27. Juni 2012.

„Die Wohnung“ (Kinostart: 14. Juni 2012)

Die Quantität an Dokumentationen, die es auf die Kinoleinwand schaffen, hat in den vergangenen Jahren um ein Vielfaches zugenommen. Zwar verdienen etliche Themen, die darin abgehandelt werden, ein großes Publikum. Selten jedoch verfügen die Macher über das notwendige Know-how, um ihre Geschichten in Form und Inhalt angemessen zu erzählen. Auf Arnon Goldfingers sehr persönliche Reportage „Die Wohnung“ trifft dieses zugegebenermaßen harsche Urteil glücklicherweise nicht zu.

Goldfinger begleitet in seinem Film die Räumung der Wohnung seiner verstorbenen Großmutter in Tel Aviv. Gerda Tuchler floh einst aus Hitler-Deutschland, konnte sich aber zeitlebens nie von Erinnerungsstücken aus ihrer Heimat trennen. So ist ihre Wohnung, in der sie 70 Jahre lang lebte, vollgestopft mit Andenken und Staubfängern, Büchern und Briefen. Unzähligen Briefen, die von einer Freundschaft mit einem deutschen Paar erzählen, die vor, während und auch nach dem Krieg Bestand hatte. Das Kuriose: jene Familie von Mildenstein war offenbar eng mit dem Führungszirkel der Nazis verbunden. So begibt sich Enkel Arnon neugierig auf Spurensuche und entdeckt einige Geheimnisse, die die Familiengeschichte in ein ganz anderes Bild rücken.

Was diese Doku so herausragend macht, sind nicht nur die Enthüllungen privater familiärer Verflechtungen, die Goldfinger gewissenhaft nachrecherchiert und spannend präsentiert. Es sind aber vor allem auch die Begegnungen mit den Nachkommen des SS-Offiziers, die eindrucksvoll Verdrängung, Unwissen und Skepsis verdeutlichen, wenn es um dunkle Kapitel der eigenen (Familien-) Biografie geht. Eine Reaktion, die dem einen oder anderen sicherlich nicht unbekannt sein wird.

Goldfinger hat mit „Die Wohnung“ ein überaus mitreißendes, angemessen inszeniertes und erhellendes Zeitdokument geschaffen, das anregt, einmal selbst die Familiengeschichte zu hinterfragen.

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 13. Juni 2012.

„Moonrise Kingdom“ (Kinostart: 24. Mai 2012)

Man ist ja vorsichtig geworden: Viele berühmte Namen auf einer Besetzungsliste sind nicht immer ein Garant für einen gelungenen Film. Wenn es dann aber einmal funktioniert, beispielsweise bei einem Regisseur wie Quentin Tarantino („Pulp Fiction“), ist der Unterhaltungsfaktor umso größer. Selbiges gilt glücklicherweise auch für das neue Werk von Wes Anderson, ebenso ein Autorenfilmer wie Tarantino – und ebenso ein wenig ‚neben der Spur‘, was Form, Inhalt und Umsetzung angeht.

Nach erinnerungswürdigen Ausnahmefilmen wie „Darjeeling Limited“ oder „Der fantastische Mr. Fox“ nun also „Moonrise Kingdom“: ein buntes, herzerwärmendes, absurd-komisches Abenteuer, das den Sehgewohnheiten des modernen Kinos frech die Zunge rausstreckt. Die Charaktere: sonderbar, doch niemals unecht. Die Geschichte: einfallsreich, witzig und so romantisch. Die Dialoge: punktgenau und auf amüsante Weise erschreckend ehrlich. Ein Beispiel gefällig? „Sie beide sind die mit Abstand himmelschreiend inkompetentesten Aufseher, an die ich als Jugendamt in einer 27-jährigen Karriere das Unglück hatte zu geraten!“ Das hat gesessen. Tatsächlich lässt die Dame namens „Jugendamt“ (Tilda Swinton) kein gutes Haar an Polizist Captain Sharp (Bruce Willis) und Pfadfindercampleiter Ward (Edward Norton). Schließlich hat deren ‚Inkompetenz‘ dazu geführt, dass zwei Kinder zum zweiten Mal ausgebüxt sind, ein kleiner Hund namens Snoopy von einem verirrten Pfeil getroffen wurde und überhaupt keiner zu wissen scheint, was vor sich geht. Dabei wollen die frühreife Suzy (Kara Hayward) und der Pfadfinder Sam (Jared Gilman) doch nur zusammen sein. Dummerweise haben sie den Erwachsenen von ihrem Plan, gemeinsam durchzubrennen, nichts erzählt. Die Folge: Eine chaotische Suchaktion voller Fallstricke auf einer kleinen Inselgruppe – und eine miesgelaunte Frau Jugendamt.

„Moonrise Kingdom“ ist das erfrischendste Stück Kino seit langem und auf jeden Fall einen Blick wert – großes Pfadfinderehrenwort!

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 30. Mai 2012.

... im Nachgang: „The Avengers“ (Kinostart: 26.04.2012)

Mein lieber Scholli, was für ein Erfolg! Das neueste Werk aus dem Hause Marvel zählte dank Unmengen an Ticket-Vorbestellungen schon vor dem Kinostart zu einem der erfolgreichsten Filme, die Hollywood je produziert hat. Was ich dazu zu sagen habe, findet sich unter "Contra" HIER.

„The Grey“ (Kinostart: 12. April 2012)

Einer der Überraschungserfolge des jungen Kinojahres – zumindest in Amerika – ist Joe Carnahans „The Grey“. Alaska, Flugzeugabsturz, eine kleine Gruppe Überlebender, eine sehr viel größere Gruppe Wölfe: Dies sind die wenigen Zutaten, mit denen dieser Survival-Thriller 120 Minuten sein Publikum mit Bravour zu fesseln vermag.

John Ottway (Liam Neeson) ist für ein Ölunternehmen im eisigen Norden tätig, wo er für die Sicherheit der Arbeiter sorgen soll. Mit Präzisionsgewehr, viel Erfahrung und gutem Auge hält er Wölfe und anderes wildes Getier von ihnen fern, dank der Abgeschiedenheit aber auch seine Vergangenheit und den Verlust seiner Frau. Am Ende seiner Schicht steigt er wie gewohnt zusammen mit seinen Kollegen in einen Flieger, der sie ins warme Nachhause bringen soll – diesmal jedoch abstürzt. Ein paar Wenige überleben das Unglück, nur um sich kurz darauf in einer nicht minder lebensgefährlichen Situation wiederzufinden: Mitten im Nirgendwo der arktischen Wildnis, ohne Kommunikationsmittel, ohne Aussicht auf Rettung. Notgedrungen begeben sich die Männer im hüfthohen Schnee zu Fuß auf den Weg, müssen dabei allerdings schnell und schmerzhaft feststellen, dass sie sich im Hoheitsgebiet eines Wolfsrudels befinden. So wird der Marsch durch die Eiswüste nicht nur zu einem Kampf der Egos gegeneinander, sondern ebenso gegen die Natur: den eigenen, erschöpften Körpern, den Temperaturen, den Tieren.

Basierend auf einer Kurzgeschichte von Ian Mackenzie Jeffers reduziert Regisseur Carnahan („Narc“, „Smokin‘ Aces“) das optisch beeindruckende Überlebenstraining erfreulicherweise nicht auf eine blutige Schlachterplatte. Stattdessen präsentiert er ein psychologisch ausgefeiltes, von Neeson mit ungeheurer Präsenz und Menschlichkeit belebtes Drama, welches viel mehr zu bieten hat, als es die Rahmenhandlung vermuten lässt. Klar, auch hier setzt sich die Truppe der (zunächst) Überlebenden aus verschiedenen Extremen zusammen, ist der Schwätzer ebenso Teil der Runde wie der schweigsame Einzelgänger oder der erwartungsgemäß konditionell schwache Übergewichtige. Natürlich stellt sich auch die Frage, wie ein solches Abenteuer in Zeiten von Radar, Mobiltelefonen und Flugschreibern in dieser Weise überhaupt geschehen kann. Andererseits: Warum nicht? Was wäre wenn? Wir real ist es denn, dass immer und überall ein iPhone mit Rat und Tat zur Seite steht?

Akzeptiert man diese Prämisse des Möglichen, erwartet den Zuschauer erstklassiges Spannungskino mit optischen Schauwerten, die gleichzeitig staunen und frösteln lassen. „The Grey“ interessiert sich nämlich nur bedingt für den Kampf Mensch gegen Wolf, als vielmehr dessen Konfrontation mit der gnadenlosen (eigenen) Natur. Wie handelt der Mensch, wenn er auf seine puren Überlebensinstinkte reduziert wird? Was bleibt in so einer Situation von seinem ursprünglichen Charakter, seiner Seelenlast, seiner Empathie für andere? Und was unterscheidet ihn dann noch vom Tier, das ebenso nur seinen Instinkten folgt, wenn es seinen Lebensraum verteidigt?

Fragen, die „The Grey“ zwar nur ungenügend beantworten kann, aber seinen Protagonisten konsequent nüchtern und direkt ins Gesicht wirft. Manchmal mit absehbarem Verlauf, fast immer jedoch zum Nägelkauen spannend aufbereitet. Top!

… und während man auf die Szene nach dem Abspann wartet, am besten gleich den Akkustand des eigenen Smartphones überprüfen!

„Iron Sky“ (Kinostart: 5. April 2012)

Was für ein Spaß: Als der finnische Regisseur Timo Vuorensola erfuhr, dass sein Werk „Iron Sky“ seine Weltpremiere auf der Berlinale 2012 feiern würde, war er nicht mehr zu halten. Strahlend vor Stolz verkündete er die frohe Botschaft via Internet und fieberte dem Ereignis offensichtlich auch ein wenig nervös entgegen.

Was für ein Spaß: Die Einladung zur Berlinale war gleichzeitig ein Geschenk an die Fans des Streifens, die über Jahre hinweg mit finanziellen Spenden die Entstehung des Films erst ermöglicht haben. Sollte „Iron Sky“ erfolgreich sein, könnte das sogenannte „Crowd Funding“ den Filmmarkt radikal verändern.

Was für ein Spaß: Noch nie gab es einen Film, der es mit einer – Verzeihung – derart lustig-bescheuerten Geschichte auf die Berlinale geschafft hat. Denn „Iron Sky“ behauptet, dass es einigen Nazis kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs gelang, mit „Reichsflugscheiben“ heimlich auf den Mond zu fliegen. Dort nutzten sie Zeit und Abgeschiedenheit, um sich auf eine Invasion der Erde vorzubereiten. Die Weltherrschaft fest im Blick, wollen sie nun einen Angriff starten.

Was für ein Spaß: Wer sich auf diese Prämisse einlässt, bekommt nicht nur den obligatorischen, herrlich selbstironischen Udo Kier als Hitler-Nachfolger namens Kortzfleisch geboten, sondern einen wilden Ritt durch Filmzitate, dumm-dämliche Nazi-Weltanschauungs-Logik sowie reichlich politische Seitenhiebe. Vom blonden Mädel mit Gretchenfrisur bis zum Raumschiff in Zeppelinform fährt „Iron Sky“ zudem sämtliche Arier-Klischees auf, nur um sie anschließend zu dekonstruieren und ad absurdum zu führen. Mit – trotz des geringen Budgets – beeindruckenden Effekten gespickt, zeigt der Film darüber hinaus wunderbar, was alles mit Kreativität und Herzblut auf eine Leinwand gezaubert werden kann. Als Zugabe gibt es zum Schluss ein mutig-satirisches Ende spendiert, das dem ganzen Irrsinn noch eine ernste und nachdenkliche Note verleiht. Was für ein Film!

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 4. April 2012.

... im Nachgang: „The Artist“ (Kinostart: 26.01.2012)

Der Oscar-Abräumer 2012 bekommt natürlich auch noch einen Nachschlag spendiert. Ein Pro und Contra zu „The Artist“ findet sich HIER.

Heimkino-Tipp: „Elite Squad“ (2010)


Erinnere mich noch gut an den Kinobesuch von „City of God“ vor nunmehr neun Jahren: Die Energie, die Virtuosität und die ungeschönte Härte, mit der darin über das (Über-)Leben in einer brasilianischen Favela berichtet wurde, hinterließ offenbar nicht nur bei mir bleibenden Eindruck und zog zahlreiche Filme mit ähnlicher Thematik nach sich. „Tropa de Elite“ aus dem Jahr 2007 zählt mit zu den gelungensten Vertretern und holte 2008 den „Goldenen Bären“ auf der Berlinale. Nun präsentiert Regisseur José Padilha zusammen mit seinem Hauptdarsteller Wagner Moura die Fortsetzung „Elite Squad“ – und setzt qualitativ sogar noch einen drauf.

Anknüpfend an das Ende des Vorgängers, ist der Polizist Nascimento (Moura) inzwischen zum Leiter des umstrittenen Sondereinsatzkommandos BOPE in Rio de Janeiro aufgestiegen und bietet der Drogenmafia weiterhin mutig die Stirn. Trotz vereinzelter Erfolge bleibt das große Ziel, das organisierte Verbrechen endgültig zum Erliegen zu bringen, allerdings unerreicht. Es dauert nicht lang, bis Nascimento die Ursache hierfür entdeckt: Hochrangige Politiker und korrupte Kollegen versorgen die Gangsterbosse mit Informationen oder sind zum Teil selbst derart tief in deren Machenschaften verwickelt, dass jeder Versuch, dem ein Ende zu bereiten, ins Leere läuft. Erst die Kandidatur eines linken Senators (Irandhir Santos), der trotz aller Drohungen und Mordversuche an seinen Idealen eines unbestechlichen Volksvertreters festhält, beschert Nascimento die nötigen Mittel und Handlungsspielräume, das Übel bei der Wurzel zu packen – zumindest glaubt er (und das Publikum) das.

Auch ohne den Vorgänger zu kennen, kann man „Elite Squad“ problemlos folgen. Zwar wirkt das Handeln der Hauptfigur stellenweise etwas sprunghaft, für eine Fortsetzung ist dies allerdings akzeptierbar, zumal der Charakter in Teil eins ausreichend vorgestellt wurde. Ohnehin konzentriert sich Teil zwei viel mehr für politische Zusammenhänge und kriminelle Seilschaften, die zwischen den einflussreichen Gesetzeshütern und deren ‚Geschäftspartnern‘ gesponnen werden bzw. existieren. Das Drehbuch ist dabei derart detailliert und genau in seinen Ausführungen, dass schnell der Eindruck entsteht, die Autoren hätten persönliche Audienzen bei den bösen Buben gehalten. Will sagen: Realismus wird in „Elite Squad“ sowohl bei den Dialogen als auch den zahlreichen Gewaltausbrüchen groß geschrieben.

Daher fällt es mir schwer, „Elite Squad“ lediglich das Siegel „Actionfilm“ aufzudrücken. Zu komplex, zu ernst und zu bitter in seiner Aussage kommt dieses hervorragend umgesetzte Werk daher, als ‚nur’ Unterhaltung zu sein. Nein, vielmehr handelt es sich um einen anklagenden Politthriller, verpackt in handwerklich solide umgesetzte, brutale Bilderwelten, die Wut und Frust eines Regisseurs/Autors erkennen lassen, der ebenso wie sein Protagonist ohne Rücksicht auf Verluste Tacheles redet. Kein Film für schwache Mägen, empfehlenswert jedoch für jeden, der die Kombination Anspruch, Tempo und Action nicht scheut. Hut ab vor diesem mutigen Glanzstück!

Die DVD/BluRay bietet den Film in deutsch synchronisierter und portugiesischer Sprachfassung, deutsche Untertitel, ein 60minütiges Making of sowie Trailer. „Elite Squad – Im Sumpf der Korruption“ erscheint bei universum film und ist ab 16. März erhältlich. (Packshot: © Universum Film)

„Barbara“ (Kinostart: 8. März 2012)

Christian Petzolds neues Werk ist bereits die fünfte Zusammenarbeit des Regisseurs mit der Darstellerin Nina Hoss. Ein Team, das mir persönlich u.a. mit „Yella“ und „Jerichow“ außergewöhnliche Filmerlebnisse beschert hat, die stets lange nachwirkten. Auch „Barbara“ macht da keine Ausnahme.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht eine Ärztin, die im Jahr 1980 in die ostdeutsche Provinz strafversetzt wird. Barbaras (Nina Hoss) „Vergehen“: Sie hatte einen Ausreiseantrag gestellt, wurde inhaftiert und steht seitdem unter ständiger Beobachtung der Staatssicherheit. Im kleinen Krankenhaus, weit weg von der innerdeutschen Grenze, soll sie „dem Land, das sie ausgebildet hat, etwas von ihrem Können und Wissen zurückgeben“, wie es ihr Kollege Andre (Ronald Zehrfeld) später formuliert. Andre ist gleichzeitig ihr neuer Chef und leitet die Kinderchirurgie des örtlichen Krankenhauses. Er ist dankbar für die neue Teamhilfe aus der angesehenen Berliner Charité, andererseits auch entzückt von der verschlossenen, schönen Kollegin.

Barbara allerdings kennt nur einen Gedanken: Flucht. Raus aus diesem Land, dieser Enge, diesem System. Sie trifft Vorbereitungen, verhält sich unauffällig und wartet. Trifft ihren Freund aus dem Westen heimlich im Wald, im Inter-Hotel, und meidet nähere Kontakte zu ihren Nachbarn und Kollegen. Besonders gegenüber Andre, der charmant um sie wirbt, zarte Bande knüpfen will und jede ihrer kühlen Zurückweisungen geduldig erträgt. Von ihren Plänen indes ahnt er nichts.

„Barbara“ reiht sich weder in Form noch Inhalt in die bereits schon oft gesehenen DDR-Kinogeschichten ein. Petzolds Film folgt weder dem umstrittenen Oscar-Gewinner „Das Leben der Anderen“, noch den Albernheiten à la „Sonnenallee“ und Co.. Fast ausschließlich den Blickwinkel der Hauptfigur folgend, beobachtet die Kamera kühl und wertungsfrei den Alltag einer Frau, die von tiefem Misstrauen geprägt ist und jegliche emotionale Nähe zu ihrem Heimatland und den Menschen in ihrer Umgebung weit hinter sich gelassen hat. Die ständigen, unangekündigten Wohnungsdurchsuchungen verbunden mit entwürdigenden Leibesvisitationen, die neugierige Hausmeisterin oder die (gespielten?) Annäherungsversuche ihres Chefs: Barbara findet tausend Gründe, der DDR den Rücken zu kehren.

Aber: Mag diese Aufzählung negativer Erfahrungen ihre Beweggründe auch rechtfertigen, so sind sie doch nicht das Hauptthema des Films. Denn Petzold geht es nach eigenen Angaben darum, das zu filmen, „was zwischen den Menschen ist, sich aufgetürmt hat, was sie misstrauen lässt oder vertrauen, abwehren und annehmen.“ Oder anders formuliert: Wie begegnet ein Mensch, für den nichts in seinem Umfeld mehr von Bedeutung ist, seiner Umgebung? Wie handelt ein Mensch in dem Wissen, alle anderen belügen zu müssen und nie mehr wiederzusehen?

Wie so oft bei Petzold spielen Blicke und Gesten eine wichtige Rolle beim Erzählen. Mit Nina Hoss und Ronald Zehrfeld als Hauptdarsteller gelingen ihm dabei beeindruckende Szenen, die zusammen mit der bemerkenswerten Ausstattung und Bildkomposition immer wieder für Gänsehaut sorgen. Da haben bestimmte Bildausschnitte eine ebensolche Bedeutung wie Wohnungseinrichtungen und Kleidungsstücke. Stets dezent und unaufdringlich ergänzen sie Handlungen und Worte der einzelnen Figuren kongenial und erschaffen damit eine Atmosphäre, wie ich sie bisher selten in Filmen über diese Zeit erleben durfte. Dazu passt auch die Anmerkung von Darsteller Zehrfeld, der, selbst ein Kind des Ostens, während der Dreharbeiten reale Krankenakten aus einem Klinikum in Dresden am Set vorfand, die eben nicht nachgebildet wurden, sondern tatsächlich in Umlauf waren. Natürlich ist dies nicht auf der Leinwand zu erkennen. Doch zweifellos an der Intensität und Glaubhaftigkeit, mit der die Schauspieler vor der Kamera agieren.

Ein herausragender Film, der viel mehr erzählt, als auf den ersten Blick ersichtlich ist.

... im Nachgang: „Ziemlich beste Freunde“ (Kinostart: 05.01.2012)

Gibt es noch jemanden, der diesen Film nicht gesehen hat? Möglicherweise noch unsicher ist, ob der Gang ins Filmtheater lohnt? Hilfe zur Entscheidungsfindung gibt es HIER: ein Pro-Contra-Gespräch zum französischen Komödienhit.

... im Nachgang: „Und dann der Regen“ (Kinostart: 29.12.2011)

Ist schon ein paar Tage her, dass dieser Film deutschlandweit in die Spielpläne der Kinos aufgenommen wurde. Aber er beweist Durchhaltevermögen und ist hier und da noch im Programm. Daher AN DIESER STELLE ein Pro/Contra aus der Redaktion des Kinokalender Dresden. „Pro 1“ stammt aus meiner Feder.

„The Artist“ (Kinostart: 26. Januar 2012)

„Dieser Film dürfte eigentlich gar nicht existieren“, beschreibt Jean Dujardin diese unmögliche Situation, in der er sich gerade befindet. Dujardin ist Schauspieler, in Frankreich schon seit langem ein Superstar, laut Cannes der „Beste Darsteller“ im Jahr 2011 und wohl selbst überrascht von dem, was ihm und seinem Regisseur, Michel Hazanavicius, da gerade widerfährt. Denn ihr gemeinsames Werk dürfte tatsächlich nicht existieren – immerhin ist „The Artist“ ein Stummfilm. In schwarz-weiß. Im Jahr 2012.

In Zeiten von 3D-, Animations- und Dogmafilmen wahrlich eine Seltenheit, um die Hazanavicius nach eigenen Angaben lange kämpfen musste: „Mein Produzent fragte mich etwa 800 Mal, ob ich ein Remake der beliebten „Fantômas“-Reihe machen wöllte. Ich antwortete ihm 800 Mal mit ‚Nein!‘ – außer, er würde mir erlauben, die Neuverfilmung als Stummfilm zu inszenieren.“ Zwar sagte ihm der Produzent ab, doch was blieb, war die Idee – und die setzten beide nun trotz des immensen finanziellen Risikos in „The Artist“ um.

Erzählt wird die tragische Geschichte des Stummfilmstars George Valentin (Dujardin), der einer Zufallsbekanntschaft (Bérénice Bejo) hilft, im Filmbusiness Fuß zu fassen. Als der aufkommende Tonfilm ihre Karriere beflügelt, driftet Valentin immer mehr ins Abseits, unwillig und unfähig, sich mit der neuen Technik zu arrangieren.

Kann so ein Film heute noch funktionieren? Genügen Gesten, Musik und Vorstellungskraft, um beim Zuschauer Begeisterung und Emotionen auszulösen? Diesen Versuch muss jeder Kinobesucher selbst wagen. Wer sich darauf einlässt, erlebt ein witzig-melancholisches Kleinod voller filmischer Poesie, das die Magie des klassischen Kinos der 1920er-Jahre preist, und zudem eines der charmantesten Leinwandpaare der vergangenen Jahre präsentiert. Dujardin und Bejo sind das Herzstück von „The Artist“, voller Leidenschaft, Grazie und auch ohne Dialoge so präzise in ihrer Art zu spielen, dass es einem die Tränen in die Augen treibt.

Ja, so ein Film dürfte tatsächlich nicht (mehr) existieren. Aber im Kino ist bekanntlich alles möglich. Selbst so ein stummes Wunder wie „The Artist“.

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 25. Januar 2012.

„Mordsklänge“. Eine CD-Rezension.


Der skandinavische Kriminalfilm hat sich in den vergangenen Jahren eine beachtliche Anzahl von Fans erarbeitet. Während Adaptionen von Werken aus der Feder von Mankell oder Nesser im TV für wohliges Gruseln sorgen, schaffte es die „Millenniums-Trilogie“ von Larsson sogar auf die Kinoleinwand und erhält dank Regisseur David Fincher („Der seltsame Fall des Benjamin Button“) nun sogar eine zweite Verfilmung.

Einen großen Anteil am Erfolg der nordischen Thriller haben sicherlich auch die Schauplätze (im Buch) und die musikalischen Untermalungen (im Film). Letztere gibt es nun auch auf einer CD-Kompilation unter dem passenden Titel „Mordsklänge – Die Musik zum Skandinavien-Krimi“ in komprimierter Form zu erleben. Dabei handelt es sich jedoch nicht ausschließlich um Soundtrack-Titel, die den zahlreichen Verfilmungen entnommen sind. Vielmehr ist die Zusammenstellung laut Eigenwerbung als „stilvolle, atmosphärische Lesebegleitung“ zu verstehen, die dank der Künstlerauswahl auch einen kleinen Einblick in die Vielfältigkeit der skandinavischen Musikerkultur ermöglicht. Mal klassisch („Zwei nordische Melodien“ von Edvard Grieg), mal poppig („Winter Killing“ von Stina Nordenstam), elektronisch („Miss You“ von Trentemøeller) und jazzig-rockig („Daylight Is Short In Fall“ von Rebekka Bakken): das Spektrum ist immens und schafft besonders bei den instrumentalen Titeln eines Filmscores („Millennium“ von Jacob Groth; „Wallander“ von Fleshquartet) eine wohlig-kühle, bedrohliche Atmosphäre.

Die Befürchtung, ein kompletter Hördurchgang könnte aufgrund der Melancholie und Düsternis zum Suizid führen, ist jedoch unbegründet. Denn weder ist Skandinavien ganzjährig vom Schnee bedeckt, unter dem sich Leichen verbergen, noch sind die Künstler allesamt Pessimisten. Ergo: Auch ohne einen der vielen Erfolgsromane, denen hier musikalisch gehuldigt wird, zu kennen, kann man diese CD hören und genießen – im Winter ebenso wie im Sommer. Und ob einzelne Titel tatsächlich das ‚skandinavische Gefühl‘– so denn Derartiges überhaupt existiert – passend widerspiegeln, liegt schlussendlich stets in der Interpretation des Komponisten und des Hörers. Aus meiner persönlichen Sicht ist es hier in jedem Track formidabel eingefangen.

Trotzdem sei an dieser Stelle noch auf die Filmmusik zur amerikanischen Verfilmung von „Verblendung“ (Kinostart: 12.01.2012) hingewiesen, für die Trent Reznor und Atticus Ross (Oscar für „The Social Network“) verantwortlich zeichnen. Sie zeigen einen völlig anderen Ansatz als ihn ihre skandinavischen Kollegen auf „Mordsklänge“ präsentieren. Einen ersten Höreindruck kann man sich HIER verschaffen. Der Link ermöglicht einen kostenlosen (offiziellen) Download von sechs Musikstücken aus dem David-Fincher-Film.

„Mordsklänge – Die Musik zum Skandinavien-Krimi“ ist erschienen bei Universal Music Group und seit Dezember 2011 im Handel erhältlich. Die CD enthält 18 Musiktitel mit einer Gesamtlaufzeit von ca. 73 Minuten.

... im Nachgang: „Rubbeldiekatz“ (Kinostart: 15.12.2011)

Das letzte Streitgespräch 2011 gehörte dem neuen Film von Detlev Buck. Nachzulesen auf der Seite des Kinokalender Dresden, und zwar HIER.