„The Purge: Anarchy“ (Kinostart: 31. Juli 2014)

Manchmal sind Fortsetzungen doch mehr als ideenloses Recycling des Originals: Als Regisseur James DeMonaco im Sommer 2013 seinen Thriller „The Purge“ vorlegte, präsentierte dieser lediglich eine weichgespülte Version einer wahrlich kreativen, neuen Filmidee. Man stelle sich vor: Was wäre, wenn es einmal im Jahr eine Nacht gäbe, in der Verbrechen erlaubt seien und unbestraft blieben? Ein zwölfstündiger „Freibrief“ sozusagen, um all seine Aggressionen rauszulassen und unliebsamen Mitmenschen einmal kräftig den Arsch zu versohlen? „The Purge“ mit Ethan Hawke und Lena Headey in den Hauptrollen ließ diese interessante Prämisse weitgehend ungenutzt, und entpuppte sich letztendlich nur als ein weiterer Slasher-Streifen, in dem eine Familie das Opfer brutaler Killer wird. Sicherlich auch aus Budgetgründen damals noch auf ein Haus beschränkt, darf DeMonaco dank des Erfolgs vom Erstling nun in „The Purge: Anarchy“ endlich in die Vollen gehen und sein Konzept der „Amok-Nacht“ über eine ganze Stadt hereinbrechen lassen.

Waren es im ersten Teil noch reiche Bürger, die im Mittelpunkt der Jagd standen, ist der Fokus diesmal auf die „normale“ Bevölkerung gerichtet, die außer ein paar Holzlatten keine Möglichkeit hat, um sich vor dem Wahnsinn vor der Haustür zu schützen. Eva (Carmen Ejogo) und ihre Tochter Cali (Zoë Soul) scheitern damit ebenso wie das Paar Liz (Kiele Sanchez) und Shane (Zach Gilford), die mit ihrem Auto liegenbleiben – und somit zu leichter Beute für die durch die Straßen ziehenden „Purge“-Fans werden. Mit einem möglichen Täter an jeder Hausecke, wird die Nacht für sie zu einem lebensgefährlichen Spießrutenlauf.

Konsequent, ohne Hemmschwelle und mit dem für solch eine Thematik nötigen Ernst zelebriert DeMonaco seine Utopie, die er aus gutem Grund auf die USA beschränkt. Immer wieder deutet er Kritik an dem Waffenfetischismus und der „Recht des Stärkeren“-Mentalität seiner Landsleute an, zumal die Oberen, die diesen jährlichen Zirkus erst möglich gemacht haben, offenbar legitim an die Macht gekommen sind. Freilich bleibt diese Kritik oberflächlich und wird im Laufe der Handlung zunehmend den Actionszenen geopfert. Genug „Was würde ich in dieser Situation tun?“-Momente gibt es jedoch bis zum Schluss. Aber auch als spannender Thriller ohne sozialphilosophischen Unterbau funktioniert „The Purge: Anarchy“ wunderbar und kann mit Figuren aufwarten, die zwar wenig Tiefe, aber doch genug Charisma besitzen, um 100 Minuten Laufzeit zu rechtfertigen.

Dass in dieser Geschichte noch viel Potenzial für weitere Sequels liegt und sich der Regisseur dessen auch bewusst ist, deuten einzelne Szenen in diesem zweiten Teil bereits an. Wer profitiert von der „Purge“? Was macht sie mit denen, die sie für persönliche Rachefeldzüge nutzen? Welche politische Agenda verfolgen die „Erfinder“? Fragen, die zweifellos einen weiteren Film der Reihe rechtfertigen würden. Bis dahin darf gern „The Purge: Anarchy“ getestet werden.

(Bild: © Universal Pictures International Germany GmbH).

Heimkino-Tipp: „Dallas Buyers Club“ (2013)

Was für ein Arschloch: Homophob, ständig koksend und hinter jedem Rock her. Nein, Ron Woodroof (Matthew McConaughey) ist kein netter Mensch. Der Cowboy lebt Mitte der 1980er-Jahre den amerikanischen Traum von Freiheit und Selbstbestimmung, ist egoistisch und schert sich wenig um seine Gesundheit. Bis er eines Tages im Krankenhaus landet und erfährt, dass er das HI-Virus trägt. Lediglich 30 Tage geben ihm die Ärzte, was Woodroof zunächst überhaupt nicht ernst nimmt. Erst als sich sein Zustand innerhalb der nächsten Wochen rapide verschlechtert, beginnt er sich zu informieren und muss feststellen, dass er auch als Heterosexueller an Aids erkranken kann.

Aus Mangel an brauchbaren Medikamenten besorgt sich Woodroof daraufhin Vitamine und Aufputschmittel aus dem benachbarten Mexiko. Davon ist zwar nichts in den USA zugelassen, doch entgegen aller Voraussagungen gelingt es ihm, sehr viel länger als 30 Tage am Leben zu bleiben. Zusammen mit dem/der Transsexuellen Rayon (Jared Leto), den/die er im Krankenhaus kennenlernt, eröffnet er schließlich den „Dallas Buyers Club“, über den er seine Einkäufe aus Mexiko an andere Betroffene in seiner Heimat vertickt. Dies bleibt den Gesetzeshütern, die mit ihrem Handeln auch die amerikanische Pharmaindustrie schützen wollen, nicht verborgen.

Drei Oscars räumte das Drama von Jean-Marc Vallée („C.R.A.Z.Y. – Verrücktes Leben“, 2005) bei den diesjährigen Academy Awards ab: Für McConaughey als Besten Hauptdarsteller, Leto als Besten Nebendarsteller sowie für das Bestes Make-up/Hairstyling. Zum Glück steht die Qualität des Films den Akteuren in nichts nach: Statt übermäßiger Gefühlsduselei, wie man es bei einem solchen Thema erwarten könnte, gibt es das ehrliche Porträt eines Unsympathen, der nicht nur mit gesundheitlichen und körperlichen Veränderungen zu kämpfen hat, sondern sukzessive auch die Ignoranz und die Vorurteile seiner Umwelt ertragen muss und dadurch erst beginnt, sein eigenes Benehmen zu reflektieren. McConaugheys Aussehen als abgemagerter Oberlippenbartträger ist zwar sehr gewöhnungsbedürftig, lenkt dank seiner glaubhaften Performance aber nicht zu sehr von der Handlung ab. Gleiches gilt für Leto alias Rayon, der mit vielen kleinen Nuancen eine Figur schafft, die trotz ihrer physischen und psychischen Probleme mit Würde und Stolz durch ihr restliches Leben geht.

„Dallas Buyers Club“ ist ein geradliniger und ohne viel Schnickschnack inszenierter Streifen, der vor allem von seinen hervorragenden Darstellern lebt. Die verhaltene, aber doch spürbare Kritik an den Mechanismen der Pharmaindustrie verdeutlicht zudem wunderbar, wie bestimmte Akteure den Kampf gegen Aids für ihre eigene Bereicherung ausnutzen. Kein Meisterwerk, aber ein wichtiger und lohnenswerter Film.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Extras sind ein kurzer Making of-Clip, Interviews, Szenen vom Dreh sowie diverse Trailer vorhanden. Unnötig, aber trotzdem erhellend: Der zweiminütige „Photocall“-Clip mit Hauptdarsteller McConaughey. Zur Info: „Photocalls“ finden meist vor Pressekonferenzen statt und sollen Fotografen die Möglichkeit geben, das Filmteam in Ruhe zu fotografieren. Wie sich die Pressemeute auch hier wieder gibt, ist belustigend und traurig zugleich – und leider der Standard bei Ereignissen wie diesem. „Dallas Buyers Club“ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite) und ist seit 22. Juli erhältlich. (Packshot + Filmstills: © Ascot Elite)

Heimkino-Tipp: „Only Lovers Left Alive“ (2013)

„Warum ein Vampirfilm?“, wurde Jim Jarmusch zur Veröffentlichung seines bisher letzten Werkes gefragt. „Wir hatten gehört, dass man mit solchen Filmen derzeit viel Geld verdienen kann“, gab er grinsend zu Protokoll. Tatsächlich verwirrte es zu Beginn der Dreharbeiten ein wenig, dass nun auch einer von Amerikas wichtigsten Independent-Regisseuren das von Hollywood bereits in all seinen Variationen durchgenudelte Genre aufgreifen wollte. Nun, sieben Jahre nach der ersten Drehbuchversion, liegt mit „Only Lovers Left Alive“ ein wunderbares Werk vor, das den lichtscheuen Blutsaugern endlich gerecht wird.

Adam (Tom Hiddleston) fristet als Musiker ein zurückgezogenes Leben in Detroit. Dank seines Assistenten Ian (Anton Yelchin), der nichts von Adams wahrer Vampir-Identität weiß, gelangen einige seiner Kompositionen immer wieder an die Öffentlichkeit, wo sie gefeiert und geschätzt werden. Doch Adam hat genug vom ewigen Dasein, von den Menschen („Zombies“) und deren rücksichtslosem Umgang mit der Natur und ihrer Ressourcen. Seine Frau, Eve (Tilda Swinton), lebt im marokkanischen Tanger und spürt, dass mit ihrem Liebsten etwas nicht in Ordnung ist. Sie reist zu ihm nach Amerika, um ihn aus seiner Lethargie zu reißen. Das Auftauchen von Eves quirliger Schwester Ava (Mia Wasikowska), ebenfalls ein Vampir, stört die romantische Zweisamkeit allerdings empfindlich.

Ein entspannter, die Langsamkeit feiernder Erzählstil, lakonische Dialoge und viel gute Musik abseits des Mainstreams: „Only Lovers Left Alive“ ist ein unverkennbarer Jarmusch. Und allen vorausgehenden Zweifeln zum Trotz scheint gerade das Vampirfilm-Genre genau das Richtige für den elegischen Stil des Cannes-Preisträgers zu sein. So schickt er seine blassen Protagonisten auf nächtliche Streifzüge durch ein ausgestorbenes, von der Wirtschaftskrise gezeichnetes Detroit, beobachtet sie bei ihren unauffälligen Frischblut-„Einkäufen“ in der Blutbank eines Krankenhauses (inklusive herrlichem Auftritt von Jeffrey Wright als „Dr. Watson“), und belauscht sie beim Schwelgen in Erinnerungen an vergangene Zeiten. Letzteres nutzt Jarmusch, um quasi nebenbei seine eigenen Helden zu huldigen, die Adam und Eve entweder persönlich getroffenen oder denen sie zu ihren literarischen und musikalischen Welterfolgen verholfen haben. Ob Shakespeare, Schubert oder Tom Waits: Die Fotowand in Adams Wohnzimmer hält einige Überraschungen bereit.

„Only Lovers Left Alive“ ist kein „typischer“ Film über Vampire und doch die Essenz von all dem, was diese Gestalten ausmacht. Jarmusch hat ganz offensichtlich großen Spaß daran, hier und da bekannte Eigenschaften der Blutsauger zu zitieren, ohne dabei in seichte Gefilde von „Twilight“ & Co. abzudriften. Sein Porträt von Vampiren als kultivierte, intelligente und philosophierende Wesen, die, nach all ihren Jahrhundertelangen Erfahrungen und Erlebnissen, über die „Zombies“ der Gegenwart nur den Kopf schütteln können, macht dieses Liebesdrama zu einem der besten Vertreter des Genres.

Die DVD/Blu-ray enthält den Film in deutscher Synchron- und englischer/französischer/arabischer Originalsprachfassung mit deutschen Untertiteln. Auch eine Hörfilmfassung ist erfreulicherweise mit an Bord. Zu den Extras zählen neben einer Trailershow über 20 Minuten an verlängerten oder gelöschten Szenen sowie ein Musikvideo. „Only Lovers Left Alive“ erscheint bei Pandora Film / AL!VE AG und ist seit 27. Juni erhältlich. (Packshot + Stills: © Pandora Film Verleih)

... im Nachgang: „Boyhood“ (Kinostart: 5. Juni 2014)

Außergewöhnlich von der Idee bis zur Umsetzung: HIER ein paar Zeilen aus dem aktuellen Kinokalender Dresden zu einem ganz besonderen Werk namens „Boyhood“.

(Bild: © 2014 Universal Pictures International Germany GmbH)

Heimkino-Tipp: „Das Grauen kommt um Zehn – When a Stranger Calls“ (1979)

Zu Beginn ein Geständnis: Die erste Begegnung mit Fred Waltons „Das Grauen kommt um Zehn“ im Kindesalter hatte für den Verfasser dieser Zeilen etliche schlaflose Nächte und eine ungesunde Grundnervosität gegenüber leicht geöffneten Schranktüren zur Folge. Nun, über 20 Jahre später und mit den Augen eines Cineasten wiederentdeckt, zeigt sich: Die Schocks zünden immer noch und dem inzwischen erwachsenen Bub von einst läuft es beim Gucken des Films abermals eiskalt den Rücken hinunter. Die Betitelung „Klassiker des Genres“ darf also gern ernst genommen werden, auch wenn „Das Grauen kommt um Zehn“ nicht den legendären Ruf von Filmen wie „Halloween“ oder „Freitag, der 13.“ teilt.

Tatsächlich ist es dem Erfolg von John Carpenters „Halloween“ zu verdanken, dass Regisseur Walton 1979 die Chance bekam, seinen eigenen Kurzfilm „The Sitter“ auf Spielfilmlänge neu zu inszenieren. Denn erst nachdem sich ‚Michael Myers‘ so überaus kostengünstig in die Herzen der Zuschauer gemordet hatte, wagten sich Produzenten vermehrt an Horrorfilme mit verrückten Killern und gaben grünes Licht für ähnliche Projekte. Dabei ist „Das Grauen kommt um Zehn“ weit weniger dem „Slasher“-Genre zuzuordnen, als es sein Titel vermuten lässt. Vielmehr entpuppt sich der Streifen als ein Gruselfilm mit überraschend viel psychologischem Unterbau für den „Bösewicht“, der zwar Schreckliches tut, dies aber wohl weniger aus Freude denn aus Zwanghaftigkeit. Diese Unberechenbarkeit in der Figur ist es dann auch, die „Das Grauen ...“ zu einem derart einprägsamen und gruselig daherkommenden Erlebnis macht.

Die Babysitterin Jill (Carol Kane) wird eines Abends von einem unbekannten Anrufer belästigt, der sie stets nur einen Satz fragt: „Haben Sie schon nach den Kindern gesehen?“. Verängstigt kontaktiert sie die Polizei, die ihr anbietet, den Anruf zurückzuverfolgen. Keine gute Idee: Denn laut den Cops befindet sich der Anrufer in ihrem Haus! Kurz darauf wird Jill klar, dass die Aufforderung des Anrufers einen blutigen Grund hatte.

Etliche Jahre später gelingt es dem Täter Curt Duncan (Tony Beckley), aus einer geschlossenen Anstalt zu fliehen. Der pensionierte Polizist Clifford (Charles Durning) setzt fortan alles daran, Duncan zu finden – und endgültig aus dem Verkehr zu ziehen.

Ähnlich wie in „Maniac“, der ein Jahr später entstand, widmet sich „Das Grauen ...“ ausführlich der Seite des Täters, ohne ihn plump nur als Wahnsinnigen mit einer Vorliebe fürs Morden zu zeigen. Seine inneren Konflikte, sein Ringen um ein „normales Leben“, stehen im Mittelpunkt der Handlung, während der Gesetzeshüter Clifford auf der anderen Seite nur ein Ziel kennt und dies auch klar artikuliert: Duncan zu töten, egal zu welchem (moralischen) Preis.

Solcherlei Gedankenspiele sind in aktuellen Genrefilmen leider viel zu oft absent, machen es Drehbuchautoren andererseits aber stets leichter, fragwürdige Handlungen ihrer „guten“ Protagonisten, die sich eines Verfolgers erwehren müssen, zu rechtfertigen. Zwar wirft auch „Das Grauen ...“ zugunsten eines spannenden finalen Aktes sämtliche zuvor angedeuteten Themen über Bord. Allein der Mut, dem Killer eine menschliche Seite zuzugestehen, verdient jedoch Lob – und erinnert ein wenig an die Figur des Hans Beckert, den Kindermörder in Fritz Langs Krimimeilenstein „M“ (1931).

Fazit: „Das Grauen kommt um Zehn“ ist ein hervorragender Kissenkraller mit toller Atmosphäre, passendem Soundtrack und gemächlichem Tempo, der seine Qualität vor allem einem starken Drehbuch und einem hervorragend aufspielenden Antihelden (Tony Beckley) verdankt.

Noch ein Hinweis zur deutschen Tonspur der DVD: Diese ist leider von minderer Qualität und zerstört mit ihrem hallenden Klang sehr viel von der oben erwähnten Atmosphäre. Die englische Originaltonspur ist davon nicht betroffen. Das Bild hingegen ist für einen Film dieses Alters sehr gut.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung. Untertitel sind leider keine vorhanden. Als Bonusmaterial gibt es einen zweiseitigen Aufsatz in Bookletform sowie eine Bildergalerie. „Das Grauen kommt um Zehn – When a Stranger Calls“ erscheint bei explosive media (AL!VE AG) und ist seit 20. Juni 2014 erhältlich. (Packshot: © explosive media/AL!VE AG)