Heimkino-Tipp: „Pet“ (2016)

Love Hurts

Das hat dieser Film nicht verdient: Laut der allwissenden Internet Movie Database (imdb, Link) spielte der amerikanische Horrorfilm „Pet“ an seinem Startwochenende lediglich $63 ein. Allerdings wurde er auch nur in einem Kino gezeigt. Am Ende der Spielzeit waren es schließlich traurige $70. Glücklicherweise sagen diese Zahlen jedoch nichts über die Qualität des Streifens aus.

Der zweite Langfilm von Regisseur Carles Torres („Apartment 143“) beginnt recht konventionell: Der Einzelgänger Seth (Dominic Monaghan) trifft im Bus zufällig eine ehemalige Schulkameradin namens Holly (Ksenia Solo) wieder. Die kann sich zwar überhaupt nicht an den jungen Mann erinnern, doch das stört ihn zunächst wenig. Denn dank sozialer Onlinemedien gelingt es ihm problemlos, Hollys Vorlieben und Hobbys zu recherchieren. Mit diesem Wissen im Gepäck versucht er fortan, ihr den Hof zu machen – leider erfolglos. Also zwingt er sie zu ‚ihrem Glück‘: Er lauert ihr auf, entführt sie und sperrt sie im Keller eines Tierheims in einen Käfig, bis sie ‚zur Vernunft‘ kommt.

So weit, so erwartbar. Allerdings halten Regisseur Torres und sein Drehbuchautor Jeremy Slater (TV-Serie „The Exorcist“) nach dieser ersten halben Stunde noch einige Überraschungen parat. Denn Holly ist keineswegs bereit, sich ihrem Schicksal kampflos zu ergeben. So beginnt ein unterhaltsames Psychospiel zwischen Kidnapper und vermeintlichem Opfer, das im weiteren Verlauf in ziemlich abgedrehte Sphären vordringt.

Gedreht in derselben Location wie einst der erste Teil der „Saw“-Reihe, beeindruckt neben der inhaltlichen Konsequenz vor allem die Professionalität der Umsetzung. „Pet“ ist ein mit moderaten finanziellen Mitteln entstandener kleiner Fiesling, der optisch einiges hermacht und zwei Hauptdarsteller präsentiert, die überaus glaubhaft agieren – was dem Streifen aufgrund der ungewöhnlichen Storywendungen bei weniger talentierten Schauspielern sicherlich einiges an Suspense gekostet hätte.

„Pet“ ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie eine neue Generation von Filmemachern mit Kreativität und handwerklichem Können versucht, eingefahrene Wege im Horrorgenre zu verlassen und mehr zu bieten, als den üblichen Schmarrn. Ja, „Pet“ setzt beim Publikum die Bereitschaft voraus, sich auf Ungewöhnliches einzulassen. Wer es tut, hat 94 Minuten viel Spaß.

DVD- & Blu-ray-Infos: Beide Scheiben bieten den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung. Untertitel sind in deutsch und englisch vorhanden. Als Extras gibt es diverse Trailer. „Pet“ erscheint bei Pandastorm Pictures / Edel und ist seit 23. Juni 2017 erhältlich. (Packshot + Filmstills: © Pandastorm Pictures)

Heimkino-Tipp: „Hacksaw Ridge“ (2016)

The Braveheart

Über 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs könnte man meinen, schon alle Heldengeschichten aus jener Zeit gehört/gelesen/gesehen zu haben. Mel Gibsons „Hacksaw Ridge“ jedoch widmet sich einer Person, deren bemerkenswerte Taten erst vor kurzer Zeit einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurden. Nicht aus Desinteresse, sondern wegen der Weigerung des Helden, seine Handlungen selbst als ‚heldenhaft‘ anzusehen. Für Desmond Doss war das, was er tat, schlicht seine Pflicht – als Mensch, als Soldat, als gläubiger Christ.

Desmond (Andrew Garfield) wächst zusammen mit seinem Bruder im amerikanischen Virginia auf. Obwohl sein Vater (Hugo Weaving) von seinem Einsatz im Ersten Weltkrieg schwere seelische Verletzungen davongetragen hat, meldet sich Desmond aus Gewissensgründen zum Militärdienst. Schon während seiner Grundausbildung macht er jedoch deutlich, dass er keine Waffe in die Hand nehmen will und wird. Das christliche Gebot „Du sollst nicht töten“ verbiete ihm, auf andere Menschen zu schießen und ihnen damit das Leben zu nehmen. Für seine Kameraden und Ausbilder (Vince Vaughn, Sam Worthington) eine Provokation, doch alle Versuche, Desmond zum Aufgeben zu bewegen, scheitern an dessen Sturheit und seinem Wunsch, trotzdem an der Front helfen zu wollen.

Schließlich wird er zusammen mit seiner Truppe auf die japanische Insel Okinawa entsandt, wo sie ein Felsplateau einnehmen sollen, das mit aller Härte von Japanern verteidigt wird. Schon nach einem ersten verheerenden, gescheiterten Angriff ist es Desmond, der im Alleingang und inmitten feindlicher Kräfte beginnt, Verwundete vom Schlachtfeld zu ziehen, um sie anschließend an einer Felswand abzuseilen – ohne Waffe und ohne einen einzigen Schuss abzufeuern.

Die Geschichte des Desmond Doss ist derart unglaublich, dass sie ohne gesicherte historische Fakten als patriotisches Fantasieprodukt Hollywoods abgestempelt werden müsste. Regisseur Mel Gibson und sein Autorenteam vermeiden es glücklicherweise auch, ihren Helden als lupenreinen Patrioten zu inszenieren, der ‚nur für sein Land, für die USA‘ kämpft. Vielmehr stellt Hauptdarsteller Garfield seine Figur als höflichen, aber willensstarken Charakterkopf dar, der sich der Absurdität seines Wunsches, ohne Waffe in den Krieg zu ziehen, durchaus bewusst ist. Aller ihm von seinen Kameraden entgegengebrachten Gewalt zum Trotz, macht er keine Unterschiede, wem er später in einer Notsituation hilft – selbst ein japanischer Soldat wird von ihm medizinisch versorgt.

Bei all dieser präsentierten Menschlichkeit bleibt es aber trotz allem ein Kriegsfilm. Mit Gibson auf dem Regiestuhl und dessen bekannten Œuvre als Filmemacher („Braveheart“, „Die Passion Christi“) sollte jedem klar sein, dass es darin an gezeigter Brutalität nicht mangelt. Es ist ein starker Kontrast, den Gibson damit aufzeigt – und, rein künstlerisch betrachtet, eine Meisterleistung seines Produktionsteams.

Nun könnte man sich darüber echauffieren, dass Gibson am Ende doch noch in eine – zumindest optische – Überhöhung seines Protagonisten abgleitet. Geschenkt. Viel auffälliger ist nämlich die in meinen Augen ungewöhnliche Besetzung mancher Rollen. So scheint der noch etwas kindlich aussehende Andrew Garfield erst im Laufe des Films richtig in seinen Charakter zu schlüpfen, während Vince Vaughn, der meist nur in Komödien zu sehen ist, sich zwar um Authentizität bemüht, mit einem kleinen Doppelkinn neben einem durchtrainierten Sam Worthington auf dem Schlachtfeld jedoch etwas deplatziert wirkt. Eine Glanzleistung hingegen legt Hugo Weaving hin, der die ganze Wut, Traurigkeit, Angst und Hilfslosigkeit eines Vaters, der seine Kinder in den Krieg ziehen lassen muss, sehr intensiv verkörpert.

„Hacksaw Ridge“ war 2017 für sechs Oscars nominiert und erhielt den Goldmann schließlich für den Filmschnitt und den Soundmix. Ob er auch die Auszeichnung „Bester Film“ verdient hätte, liegt im Auge des Betrachters. Einen Blick ist das Werk allein aufgrund seiner ungewöhnlichen Geschichte aber auf jeden Fall wert.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung. Deutsche und englische Untertitel sind optional zuschaltbar. Als Extras gibt es ein informatives, 70minütiges Making of, gelöschte Szenen, diverse Interviews und Trailer. „Hacksaw Ridge“ erscheint bei Universum Film und ist seit 9. Juni 2017 erhältlich. (Packshot + Filmstills: © Universum)

Heimkino-Tipp: „Split“ (2016)

Ich, sie und der Andere

Um die Jahrtausendwende, so schien es, konnte der Filmemacher M. Night Shyamalan nichts falsch machen: „The Sixth Sense“, „Unbreakable“, „Signs“ und „The Village“ begeisterten Millionen Kinozuschauer und der obligatorische Schluss-Twist, der die vorangegangene Handlung meist komplett auf den Kopf stellte, wurde zu einer Art Markenzeichen für die Filme des gebürtigen Inders. Damit baute er sich zwar eine treue Fanschar auf, steckte gleichzeitig aber auch ein einer künstlerischen Sackgasse. Seine halbherzigen Befreiungsversuche („Das Mädchen aus dem Wasser“, „Die Legende von Aang“, „After Earth“) und die damit einhergehenden vernichtenden Kritiken ließen nicht viel Hoffnung auf eine Rückkehr zu alter Stärke.

Und nun das: „Split“. Kreativ, ungewöhnlich, spannend, ein Volltreffer. Zudem keine bloße Kopie seiner frühen Erfolgswerke, sondern etwas wirklich Neues, das erst am Schluss eine Brücke schlägt zu einem bekannten Filmuniversum, das Shyamalan in den folgenden Jahren weiter ausbauen möchte. Viel hätte dabei schiefgehen können, doch schon beim Schreiben des Drehbuchs scheint sich der inzwischen 46-Jährige bewusst dafür entschieden zu haben, wieder richtig gute Ware abzuliefern. So sind Inhalt, Stil und Form wie aus einem Guss und weit weg von den holprigen Storyverläufen à la „The Happening“, mit denen er krampfhaft versuchte, an seine frühe Erfolgsformel anzuknüpfen.

In „Split“, dessen Plakat nicht zufällig an einen anderen Shyamalan-Film erinnert, darf das Publikum in die seltsame, verstörende und bedrohliche Gedankenwelt eines schizophrenen Mannes (James McAvoy) eintauchen, der drei Teenager-Mädchen entführt. Diese merken erst nach und nach, dass ihnen je nach Tagesform ein anderer Kidnapper gegenübersteht, der ihnen das Essen in ihr Verlies bringt. Mal ist es ein autoritär auftretender Brillenträger, mal ein Neunjähriger, ein anderes Mal eine Frau. Während ihre beiden Mitgefangenen zunehmend in Panik geraten, ist für die schüchterne Casey (Anya Taylor-Joy, bekannt aus „The VVitch“, Rezi siehe HIER) bald klar, dass sie sich mit einer dieser Persönlichkeiten anfreunden muss, um aus der Gefangenschaft entkommen zu können. Denn je länger sie wartet, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, ‚der Bestie‘ zu begegnen, einem weiteren imaginären Charakter des Entführers, der scheinbar sehr sehr schlimme Dinge plant.

Es ist beeindruckend zu sehen, mit welcher Leichtigkeit es Hauptdarsteller McAvoy gelingt, zwischen den verschiedenen Figuren hin- und herzupendeln. Dabei verlässt er sich nicht nur auf einen sich verändernden Kleidungsstil, sondern dichtet jedem Charakter eine andere ‚Macke‘ an (einen Sprachfehler, eine Eigenheit, ein Talent), die er dann überaus überzeugend auslebt. Eine Meisterleistung und der nächste Beweis dafür, dass der britische Schauspieler einer der Besten seines Fachs ist.

Wie kann frau da als Gegenpart bestehen? Shyamalan lässt gleich zwei starke Damen auf ihn los: Neben Taylor-Joy, deren cleverer Charakter Casey sukzessive seine Geheimnisse preisgibt, ist Betty Buckley alias Dr. Fletcher die psychologische Hürde, die dem Antihelden contra gibt. Es ist bemerkenswert, wie glaubhaft Drehbuchautor Shyamalan dabei wissenschaftliche Fakten zur Schizophrenie mit eigenen Ideen vermischt und so den Film im letzten Drittel in eine völlig unerwartete Richtung lenkt.

Ja, mit „Split“ ist dem Regisseur und Autor tatsächlich ein fulminantes künstlerisches Comeback gelungen. Anspruch, Spannung und Form sind nun wieder Eins. Und ebenso wie nach „The Sixth Sense“ oder „Unbreakable“ kann ich endlich wieder stolz sagen: Ich freue mich auf den nächsten Shyamalan-Streifen!

Die DVD/Blu-ray bietet den Film u.a. in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie diverse Untertitel. Als Extras gibt es gelöschte Szenen, ein alternatives Ende, sowie drei informative Making of-Kurzdokus. „Split“ erscheint bei Universal Pictures Germany GmbH und ist seit 9. Juni 2017 erhältlich. (Packshot + stills: © Universal Pictures)

Heimkino-Tipp: „Paterson“ (2016)

Permanent Creation

Unterstellen will ich nix, aber kann es sein, dass der Schauspieler Adam Driver, der zuletzt als „Star Wars“-Bösewicht Han Solo und Konsorten ordentlich den Hintern versohlte, nur aufgrund seines Namens die Hauptrolle im Jim Jarmusch-Film erhalten hat? Der Driver spielt darin nämlich einen Busfahrer. Nomen est omen quasi. Und um der Doppeldeutigkeit noch einen draufzusetzen, nennt Jarmusch seinen Protagonisten Paterson – ebenso wie die Stadt, in der die Geschichte spielt.

Herrlich absurd das Ganze, und doch typisch für den inzwischen 64-jährigen Regisseur. Der hat – einmal mehr – in seinem Film vordergründig nicht viel zu erzählen und findet doch unendlich viel Zauberhaftes im monotonen Alltag seiner Hauptfigur. „The same precedure as every week“ lautet das Credo und so geht Paterson jeden Tag zur Arbeit, fährt jeden Tag dieselbe Route, lauscht jeden Tag den Gesprächen seiner Fahrgäste und besucht jeden Abend seine Lieblingskneipe. Doch Moment, was ist das? Sahen die Vorhänge im Wohnzimmer gestern nicht anders aus? Denn während Paterson der Routine folgt, sucht seine Freundin Laura (wie immer wunderbar: Golshifteh Farahani) die Abwechslung. Ständig. Jederzeit. Pausenlos. Ein ungewöhnliches Paar. Aber Gegensätze ziehen sich ja bekanntlich an.

Soweit das Offensichtliche. Denn der maximale Minimalismus, den Jarmusch hier gewohnt lakonisch auf die Leinwand zaubert, ist gleichsam eine Verneigung vor der Poesie und dem Dichter William Carlos Williams. Der verfasste 1926 ein 85 Zeilen langes Gedicht über den Ort Paterson und inspirierte Jarmusch zu seinem Film. Ebenso wie Williams feiert der Regisseur die kleinen Details und die Dinge des täglichen Lebens. Entstanden ist eine wunderschöne, entspannte und unaufgeregte Hommage an den Ort, dessen Bewohner und die Kreativität, die jedem einzelnen Menschen innewohnt: Sei es das extrovertierte Auftreten von Laura, die Wände, Kleider und Möbel bemalt, Cupackes bäckt und als Musikerin anderen Freude bringen will, oder das introvertierte Schaffen von ihrem Freund, der seine Gedichte nur für sich selbst schreibt.

Sogar für Selbstreflexion nimmt sich Jarmusch Zeit: Lauras Vorliebe für schwarz-weiße Muster und die interessant-witzigen Unterhaltungen der Busfahrgäste erinnern an seine Kurzfilmsammlung „Coffee and Cigarettes“, ein Gastauftritt von Rapper Method Man an Jarmuschs Freundschaft zum Wu-Tang Clan, und die kurze Erwähnung von Iggy Pop ist nichts weiter als freche Eigenwerbung für seine Stooges/Iggy Pop-Doku „Gimme Danger“, die erst im April 2017 im Kino zu sehen war und in der es erwartungsgemäß etwas lauter zuging als in „Paterson“. Wenn diese dann auch fürs Heimkino erscheint, empfehle ich ein Double-Feature mit dem Titel: „Die zwei Seiten des Jim Jarmusch“. Denn egal ob leise oder laut: die Filme dieses Mannes sind immer ein wunderbares cineastisches Erlebnis.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Bonusmaterial gibt es Trailer. „Paterson“ erscheint bei weltkino/universum film und ist seit 9. Juni 2017 erhältlich. (Packshot + stills: © Weltkino Filmverleih GmbH)