Heimkino-Tipp: „Zulu“ (2013)

Dass die Wunden der Apartheid wider besserer Absichten in Südafrika noch immer nicht verheilt sind, wird in diversen künstlerischen Arbeiten immer wieder thematisiert (siehe z.B. HIER). Mit Jérôme Salles „Zulu“, basierend auf einer Romanvorlage von Caryl Férey, gibt es nun einen weiteren Film mit dem Schauplatz Südafrika, der seinen Krimiplot um eine wahre Geschichte konstruiert, die erschütternder nicht sein könnte.

Der schwarze Polizist Ali (Forest Whitaker) und sein Kollege Brian (Orlando Bloom) untersuchen den Tod einer jungen Frau, die der wohlhabenden Schicht des Landes angehörte. Ihre Ermittlungen führen sie ins Drogenmilieu, das offenbar über ein weit verzweigtes Netz an Förderern aus dem ehemaligen Apartheids-Regime verfügt. Die haben erwartungsgemäß nur wenig Interesse daran, auf ihre lukrativen Einnahmen zu verzichten. Das bekommen Ali und Brian alsbald selbst auf schmerzvolle Weise zu spüren. Wohl auch, da die beiden Cops mit ihren Schnüffeleien ein sehr viel größeres Projekt in Gefahr bringen, das seine Ursprünge in der rassistischen Elite der 1980er-Jahre hat.

Gedreht an Originalschauplätzen und unter Mitwirkung von Township-Bewohnern, legt Regisseur Salle mit „Zulu“ einen temporeichen Thriller vor, dessen größte optische Überraschung sicherlich Orlando Bloom ist. Dessen realer Stiefvater engagierte sich gegen die Apartheid-Regierung, dass für Bloom dieser Film somit auch eine sehr persönliche Note besitzt, ist seiner Darstellung in jedem Frame anzusehen: mit beeindruckendem Sixpack und launigem Auftreten gibt er den Frauenhelden, der von Pünktlichkeit und Vatersein nicht viel hält, dafür aber stets einen Flachmann zur Hand hat, der ihn über seine eigene düstere Familiengeschichte hinwegtrösten soll. Klischee olé, ganz klar, von Bloom jedoch sehr glaubhaft und mit fiebriger Präsenz zum Leben erweckt. An seiner Seite präsentiert Whitaker einen sensiblen Detective, der aufgrund seiner Hautfarbe als Kind Schreckliches erfahren musste und trotzdem täglich versucht, die von Mandela propagierte ‚Vergebung für die einstigen Feinde‘ zu leben. Eine Charaktereigenschaft seiner Figur, die im Laufe der Handlung mehrfach auf die Probe gestellt und von Whitaker gewohnt souverän dargestellt wird.

Wie bereits angedeutet, dient die oberflächliche Thriller-Story nur als Aufhänger, um ein sehr viel bedeutenderes Thema aus der jüngeren Geschichte Südafrikas anzuschneiden. Dies gelingt Salle zunächst ganz wunderbar und ohne den befürchteten erhobenen Zeigefinger. Problematisch wird es jedoch immer dann, wenn die mit großem Aufwand inszenierte Action eben jenes Thema zu überdecken droht. Dies setzt sich bei der Gewaltdarstellung fort, die einerseits aufgrund ihrer Intensität und Zeigefreudigkeit verstört, andererseits vielleicht aber eben jene Konsequenz aufzeigen soll, mit der beide Seiten – Polizei und Drogendealer – ihren Zielen nachgehen. Für Zwischentöne bleibt da leider wenig Zeit, zumal die hektische Inszenierung den beiden Protagonisten ebenso kaum eine Verschnaufpause gönnt.

Nichtsdestotrotz zeugt es von Mut, ein derart heikles historisches Thema in einen solch temporeichen Thriller zu verpacken. Das Endergebnis ist unterhaltsam, blutig und für Fans des Genres sicherlich einen Blick wert. Ob es allerdings bei all dem Krach und Schauwerten auch zum Nachdenken anregt, ist fraglich.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englisch/afrikaans-Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Im Bonusmaterial finden sich ein kurzer Making of-Clip sowie ein Interview mit Orlando Bloom und Trailer. „Zulu“ erscheint bei Studio Hamburg Enterprises GmbH und ist seit 31. Oktober erhältlich. (Packshot + stills: © Studio Hamburg)

Heimkino-Tipp: „Spuren“ (2013)

Im Jahr 2014 ist es beinahe Normalität, dass Menschen mit dem Fallschirm aus Stratosphärenhöhe springen und Teenager allein die Welt umsegeln. Da wirkt das Abenteuer, welches Robyn Davidson Ende der 1970er-Jahre in Australien begann, fast schon altbacken: Begleitet nur von vier Kamelen und ihrem Hund Diggity, durchquerte sie per pedes den Kontinent und legte dabei eine Strecke von insgesamt etwa 3200 Kilometer zurück. Ihre Reise durch die Wüste dokumentierte der Fotograf Rick Smolan für den „National Geographic“ und machte Davidson so als „Camel Lady“ weltweit bekannt. Nach mehreren gescheiterten Versuchen anderer Filmemacher in den vergangenen Jahren, den Stoff für die Leinwand zu adaptieren, wagte sich nun John Curran („Stone“) an „Tracks“ und punktet darin dank seiner Hauptdarstellerin und einer wunderbaren Bilderflut.

Robyn (Mia Wasikowska, „Alice im Wunderland“, „Stoker“) ist eine Einzelgängerin. Gelangweilt von der ewig gleichen Routine des Städtelebens, bricht sie ins australische Alice Springs auf, um einen Trip vorzubereiten, den vor ihr noch nie ein Mensch gewagt hat: Sie möchte von dort allein bis zum Indischen Ozean laufen, zu sich selbst finden und dabei auch das Outback und seine Bewohner kennenlernen. Zuvor begibt sie sich jedoch auf eine Kamelfarm, um den Umgang mit den Tieren, die sie als Lastenträger begleiten sollen, zu trainieren. Da die Reise größere finanzielle Mittel voraussetzt, willigt sie ein, ihren Trip fotografisch festhalten zu lassen. Eine Entscheidung, die sie bald nach Beginn ihres Abenteuers bereut, entpuppt sich der Reporter (Adam Driver, „Frances Ha“) doch als Quasselstrippe mit scheinbar wenig Taktgefühl.

Darstellerin Wasikowska porträtiert Robyn Davidson zunächst als zurückhaltende Frau, die jedoch genug Selbstbewusstsein und Menschenkenntnis besitzt, um nicht naiv zu wirken. Zwar werden ihre Beweggründe nur schemenhaft angedeutet, Wasikowska gelingt es aber, Robyns Wunsch nach Stille und ihr Bedürfnis nach dem Alleinsein glaubhaft zu vermitteln. Das macht ihre Figur per se zwar nicht zum Gutmenschen, hilft aber, ihr Verhalten in den kommenden 100 Filmminuten zumindest teilweise nachzuvollziehen.

Was allerdings verwundert: Trotz der unbarmherzigen Natur und der vielen Nächte unter freiem Himmel ohne besonderen Schutz wird Robyn mit überraschend wenigen Problemen konfrontiert. Mehr als alles andere scheinen sie lediglich die vorbeiziehenden Touristen zu ängstigen, stehen sie doch mit ihrer meist direkten und rücksichtslosen Art für all das, was Robyn verabscheut. Ob vom Regisseur bewusst inszeniert oder schon in der Buchvorlage so beschrieben: der ‚Mangel‘ an Erlebnissen – abgesehen von Begegnungen mit Aborigines, paarungswilligen Wildkamelen und dem kleinen, unbedeutenden Fakt der Hitze – wirkt sich leider ebenso auf den Erzählfluss von „Spuren“ aus. So bemerkenswert die lange Reise auch ist, überraschende Wendungen oder spannende Momente finden sich hier kaum. Zwar wird die Hauptfigur zunehmend geselliger gegenüber ihren Mitmenschen. Die Frage, ob sie ihr Ziel sicher und körperlich unversehrt erreichen wird, steht allerdings nie zur Debatte. Andererseits bleibt Robyns physische Belastung zu nebulös, um wirklich Neugier an der Person zu wecken. Immerhin, es sieht wahnsinnig schön aus, was da mit der Kameraarbeit von Mandy Walker optisch eingefangen wurde.

So weit, so streitbar. Meine fehlende Empathie gegenüber der Hauptfigur hat aber noch einen anderen Grund, der sicherlich etwas speziell wirkt, mich jedoch über die gesamte Laufzeit beschäftigte: Im Gegensatz zu Robyn haben ihre tierischen Begleiter nämlich keinerlei Wahlmöglichkeit vor dem Antritt der Reise. Ihren Hund (schwarzes Fell, er wird sich bedanken) scheint Robyn vornehmlich als Kuschelersatz zu missbrauchen, während die Kamele ein Junges bei sich haben, das derartige Strapazen nicht gewöhnt ist. Zumal – und das muss man dem Film zugute halten, da er es anfangs ausführlich thematisiert und zeigt – deren Willen zuvor „gebrochen“ werden muss. Ein in meinen Augen sehr egoistischer Zug an Robyn, der sie etliche Sympathiepunkte bei mir gekostet hat.

Letztendlich ist es auch diese fehlende „Chemie“ zwischen der Hauptfigur und mir als Zuschauer, die „Spuren“ mehr wie eine verfilmte Dia-Reise-Show wirken lassen und weniger als einen interessanten Selbstfindungstrip, über den es zu reflektieren lohnt. Zu geradlinig ist die Erzählung, der es an inhaltlichen Höhepunkten mangelt, während die Protagonistin zwischen sonderbar und egoistisch schwankt und teilweise nur sehr schwer zu fassen ist. Eine rätselhafte Person, die „Spuren“ – zumindest mir – nicht entschlüsseln konnte.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Extras sind kurze Making of-Clips, Interviews, Szenen vom Dreh sowie diverse Trailer und eine interaktive Karte der Reiseroute vorhanden. „Spuren“ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite) und ist seit 28. Oktober erhältlich. (Packshot + Filmstills: © Ascot Elite)

Heimkino-Tipp: „Audition“ (1999)

Takashi Miike zählt neben Takeshi „Beat“ Kitano sicherlich zu den bekanntesten japanischen Filmemachern der Gegenwart. Obwohl bereits seit Anfang der 1990er-Jahre im Business aktiv, sollte es noch bis 1999 dauern, bevor er weltweit für Aufmerksamkeit sorgte. Die nach eigener Aussage zufällig an ihn herangetragene Auftragsarbeit „Audition“ wurde so etwas wie seine Visitenkarte und gilt inzwischen als einer der wichtigsten Beiträge im mo(r)dernen Horrorfilmgenre. Das britische EMPIRE-Filmmagazin beispielsweise wählte eine Szene daraus in seiner gerade erschienenen November-Ausgabe unter die 25 „besten cineastischen Schreckmomente“ seit Bestehen der Zeitschrift 1989. Gleichzeitig werden viele andere Regisseure „vom Fach“, unter anderem John Landis, Eli Roth und Rob Zombie, nicht müde, ihre Begeisterung für Miikes Werk kund zu tun.

Ob gerechtfertigt oder übertrieben, zweifellos hebt sich „Audition“ qualitativ von anderen Genrevertretern ab. Auf sehr perfide Weise sogar, denn bei einer Laufzeit von 115 Minuten präsentiert der Film in den ersten 100 eine Art zarte Liebesgeschichte, die zwar einen mysteriösen Unterton nicht ganz verleugnen kann, definitiv aber nicht jenes Ende vermuten lässt, das sich daran anschließt.

Der Witwer Aoyama (Ryo Ishibashi) ist auf der Suche nach einer neuen Ehefrau. Angestachelt von seinem Sohn (Tetsu Sawaki), will er endlich wieder eine Lebensgefährtin finden, die sowohl selbstständig und klug als auch anständig und hübsch ist. Sein guter Freund Yoshikawa (Jun Kunimura), der als Filmproduzent arbeitet, unterbreitet Aoyama daraufhin einen ungewöhnlichen Vorschlag: Warum nicht eines seiner Castings nutzen, um aus den zahlreichen Schauspielerinnen eine geeignete Kandidatin herauszupicken? Mangels Alternativen und besserer Vorschläge willigt Aoyama in das Experiment ein. Und tatsächlich: In der schüchternen Asami (Eihi Shiina) scheint er seine Traumfrau gefunden zu haben. Als auch sie Interesse zeigt, ist das neue Liebesglück perfekt – glaubt er zumindest.

Wer bisher nichts über die Handlung von „Audition“ wusste, soll auch hier keine weiteren verräterischen Infos erhalten. Zwar deutet Regisseur Miike mittels Schnitttechnik, kurzen Szenenschnipseln und farblichen Hinweisen im Hintergrund schon früh an, dass bei dieser Romanze etwas nicht in Ordnung ist. Worum es sich dabei jedoch konkret handelt, sollte jeder Zuschauer selbst entdecken. Bis der Film diesen Punkt erreicht, serviert Miike in beinahe traumwandlerischer Form eine überaus sympathische Vater-Sohn-Geschichte mit zwei (bzw. drei, dank der Figur des Yoshikawa) Protagonisten, die schnell ans Herz wachsen. Die etwas abwegige, aber nie ins Lächerliche abdriftende Gattinnen-Suche via Casting charakterisiert zudem die liebeswerte Verzweiflung des Helden, der keine Möglichkeit sieht, auf andere Weise Frauen kennenzulernen. Ganz nebenbei nutzt Miike dieses Schaulaufen der Eitelkeiten für ein paar wunderbare ironische Seitenhiebe auf seine Branche und die, die davon profitieren wollen.

So verzückt „Audition“ über 90 Minuten mit einer ganz wunderbar erzählten Story, bevor im letzten Kapitel Aoyama und dem Publikum auf sehr innovative Weise das zu erwartende Happy-End verwehrt wird. Oder doch nicht? Miike führt uns Zuschauer gleich mehrmals aufs Glatteis und genießt sein Spiel mit unseren Erwartungen, die angesichts der überraschenden Ereignisse nur wenige Minuten zuvor ohnehin in alle Richtungen rennen.

Ob „Audition“ letztendlich als fieser, ironischer oder kritischer Gesellschaftskommentar gemeint ist, darf jeder selbst entscheiden. Nicht verhandelbar hingegen bleibt sein fester Platz im zeitgenössischen Horrorkino als einer der innovativsten Genrevertreter, der zudem noch sehr lange nachwirkt.

Nach diversen DVD-Auflagen erscheint „Audition“ nun erstmals auf Blu-ray. Neben Trailern ist im Bonusmaterial noch ein ca. 50minütiges Interview zu finden, in dem der Regisseur über seine Karriere spricht. Der Film selbst liegt in deutsch synchronisierter und japanischer Sprachfassung mit deutschen Untertiteln vor. Darüber hinaus ist dieser Edition ein informatives Booklet mit Aufsätzen und Statements verschiedener Autoren/Kollegen von Takashi Miike beigelegt. „Audition“ erscheint bei Rapid Eye Movies/Al!ve AG und seit 24. Oktober erhältlich.

Heimkino-Tipp: „Joe“ (2013)

Interesse an einer Reise zum Ende der Nahrungskette der amerikanischen Gesellschaft? Dann ist „Joe“ von David Gordon Green genau das Richtige: Ein Porträt von Menschen, die mit harter Arbeit aber wenig Perspektiven fernab der hippen Großstädte ihrem Alltag nachgehen und dabei wortwörtlich ums Überleben kämpfen.

Im US-Independent-Kino gibt es immer wieder cineastische Perlen, die ihre Geschichten in diesem Umfeld erzählen und ein Amerika präsentieren, das von Armut und rauen Charakteren geprägt ist. Kelly Reichardts „Wendy and Lucy“ (2008), das vierfach Oscar-nominierte „Winter’s Bone“ (2010) und in Ansätzen auch der düstere Thriller „Prisoners“ aus dem vergangenen Jahr springen ins Gedächtnis – und erhalten mit „Joe“ nun einen ebenbürtigen Nachfolger.

Im Mittelpunkt steht die Begegnung des titelgebenden Ex-Häftlings Joe (Nicolas Cage), der im tiefsten Texas mit einem kleinen Forstbetrieb ehrliches Geld verdient und von seinen Angestellten respektiert und geschätzt wird. Gary (Tye Sheridan) ist 15, mit seiner Familie gerade in diese Gegend gezogen und auf der Suche nach einem Job. Joe engagiert den Jungen und schon bald darauf ist er fester Bestandteil der Truppe. Garys wiederholte Auseinandersetzungen mit seinem arbeitslosen und gewalttätigen Vater (Gary Poulter) bleiben Joe nicht verborgen. Die eigene kriminelle Vergangenheit hindert ihn aber, einzuschreiten – vorerst.

Regisseur Green und seinem Autor Gary Hawkins liegt wenig daran, Sympathieträger aufzubauen. Sie bilden lediglich Figuren ab, deren Verhalten von ihrer mitleidlosen Umwelt geprägt wurde. Wer sich hier behaupten will, muss sich durchsetzen können und sollte keine Angst vor Konfrontationen haben. Dass dies alles so überaus real und glaubhaft wirkt, ist sicherlich der gleichnamigen literarischen Vorlage von Larry Brown geschuldet. Der aus dem Bundesstaat Mississippi stammende Schreiberling arbeitete jahrelang als Feuerwehrmann, bevor er als Schriftsteller eine zweite, viel beachtete Karriere startete. In seinen Werken verarbeitete der im Jahr 2004 verstorbene Brown oft eigene Erfahrungen und Erlebnisse, was sich auch in der Realitätsnähe von „Joe“ widerspiegelt.

Green wiederum besetzte etliche Rollen mit Laiendarstellern, die er vor Ort castete, um diesen ‚Geist‘ der Vorlage einzufangen. Bei Gary Poulter beispielsweise, hier als der saufende Vater zu sehen, handelte es sich um einen Obdachlosen, der nach dem Ende der Dreharbeiten in sein „altes“ Leben zurückging und nur wenige Monate später verstarb. Wer seine Performance in „Joe“ sieht, kann nur erahnen, welches Talent der Welt da verlorengegangen ist.

Ihm gegenüber steht ein nicht minder beeindruckender Nicolas Cage, der in meinen Augen nie schlechte Arbeit abgeliefert hat, in den vergangenen Jahren jedoch sein Können in etlichen unbedeutenden Filmen verschwenden musste. Hier nun darf er endlich wieder eine komplexe Rolle mit Leben erfüllen und tut dies mit Bravour.

Mag „Joe“, so sagt es Green selbst, das Rad auch nicht neu erfinden. Als Charakterstudie der Menschen, Momentaufnahme eines taumelnden Landes und als Bühne für bemerkenswerte Darstellerleistungen aber überzeugt dieses kleine Werk auf ganzer Linie.

P.S.: Da die Sprache einen wichtigen Teil der Charakterisierung ausmacht, sollte „Joe“ in der Originalversion geschaut werden.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Bonusmaterial gibt es ein kurzes, aber informatives Making of, ein Porträt des Schriftstellers Larry Brown, geschnittene Szenen sowie Trailer. „Joe – Die Rache ist sein“ erscheint bei Koch Media und ist seit 23. Oktober erhältlich. (Packshot: © Koch Media GmbH)

Heimkino-Tipp: „Grace of Monaco“ (2014)

Das diesjährige Filmfestival in Cannes hielt einmal mehr etliche Überraschungen bereit: Neben einer Panzerkolonne(!), mit der Sylvester Stallone und seine Recken für ihren neuesten Actionfilm „The Expendables III“ warben, holte sich Regisseur Olivier Dahan („La vie en rose“, 2007) für seinen Eröffnungsfilm ordentlich Kritikerschelte ab. Sein Drehbuchautor ließ die Premiere an der Côte d’Azur gleich ganz sausen, und der für den US-Verleih zuständige Harvey Weinstein bestand auf eine neue Schnittfassung. So viel negative Publicity verwundert für ein Werk, das dank Thema, Besetzung und Mitwirkenden eigentlich ein Selbstläufer hätte werden müssen. Schlimmer noch: Die Fachpresse reihte sich nach dem weltweiten Kinorelease größtenteils in die Schimpftiraden ein, vom Publikum wurde der Film weitestgehend ignoriert. Aber ist „Grace of Monaco“ tatsächlich jener Totalausfall, wie viele behaupten?

Fakt ist: Der historischen Figur Grace Kelly, einst Hollywood-Superstar und Oscar-Preisträgerin, später dank ihrer Heirat mit Fürst Rainier III. First Lady von Monaco, wird das Drama leider nicht gerecht. Zu eng ist der gewählte Zeitraum, in der die Handlung gepresst wurde, die zudem – das macht der Film mit einem Vorwort deutlich – nicht als Biografie verstanden werden soll. Vielmehr handele es sich um eine fiktive Geschichte, beruhend auf wahren Begebenheiten.

Kelly (Nicole Kidman) hat ihre Filmkarriere 1962 bereits hinter sich gelassen und lebt mit ihrer Familie in Monaco. Der überraschende Besuch von Regisseur Alfred Hitchcock (Roger Ashton-Griffiths), mit dem sie einst einige ihrer größten Erfolge in Hollywood feierte, lässt ihre Leidenschaft für die Schauspielerei erneut entflammen. Zwar überlässt ihr Gatte Rainier (Tim Roth) ihr zunächst die Entscheidung, ob sie noch einmal in einem Film mitwirken will. Für Grace bleibt es trotzdem eine heikle Angelegenheit. Denn das Volk könnte dies als Desinteresse an ihrer Aufgabe als Staatsoberhaupt interpretieren, Frankreichs Präsident De Gaulle (André Penvern) wartet indes nur darauf, das monegassische Fürstenhaus mit schlechter Presse weiter zu schwächen – und womöglich sogar seinem Staat einzuverleiben. Zerrissen zwischen persönlichen Wünschen, der strengen Etikette des Palastes, politischen Intrigen und Zweifeln an ihrer Ehe muss Grace sich entscheiden, welchen Weg sie gehen will.

Die (Lebens-)Geschichte von Grace Kelly, jener Frau, die auf dem Zenit ihrer Karriere alles hinter sich ließ, um zur Prinzessin zu werden, ist zweifellos faszinierend und bietet eine Fülle an Möglichkeiten einer filmischen Umsetzung. Regisseur Dohan und sein Autor Arash Amel entschieden sich für einen Weg, der sowohl mutig als auch heikel ist: Statt sich am wechselvollen Leben der Kelly mit persönlichen und beruflichen Höhe- und Tiefpunkten abzuarbeiten, nutzen sie lediglich einzelne biografische Eckdaten für die Konstruktion eines Krimiplots, der zwar durchaus spannend daherkommt, dabei jedoch immer wieder von Soap-haften Momenten unterbrochen wird. Sollte dies der Versuch sein, das Gehabe der stets auf ihre Außenwirkung bedachten „oberen Zehntausend“ ein wenig zu konterkarieren, so ist er nur halbgar und nicht mit letzter Konsequenz zuende geführt.

So schwingt der Film, auch unterstützt durch seine Postkarten-Bilderwelten, ständig zwischen märchenhafter Mädchenfantasie (Ein Prinz! Ein Traumschloss! Schöne Garderobe! Pferde!) und Historienkrimi hin und her, bei dem nie ganz klar ist, was auf realen Fakten beruht und was hinzugedichtet wurde. Ist das für einen Filmemacher erlaubt? Natürlich! Nur ergibt sich daraus formal leider kein einheitliches Ganzes. Einem ähnlichen Problem stand übrigens auch Oskar Roehler gegenüber, der in „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ (2010) ein beinahe identisches Konzept verfolgte.

Auf der anderen Seite hat „Grace of Monaco“ aber ebenso etliche Pluspunkte vorzuweisen: Die Darsteller, allen voran Frau Kidman, spielen ihre Rollen glaubhaft, wirken bei machen jener platten Dialogszenen allerdings arg unterfordert. Mit Freude habe ich zudem die Anspielungen auf andere Filme jener Ära vernommen, sei es mit ganz konkreter Nennung („Marnie“, „James Bond“) oder in der Art der Inszenierung (Autofahrt an Küste), die die Dualität des Films zwischen Fantasiewelt und Realität noch einmal unterstreichen.

Dahans „Grace of Monaco“ ist nicht so schlimm, wie es der mediale Ruf vermuten lässt. Das Können der Filmemacher ist offensichtlich, nur scheint es an Ideen gefehlt zu haben, die vielen Talente richtig zu kanalisieren bzw. einen einheitlichen Ton zu treffen. Vielleicht wäre Drehbuchautor Amel besser gefahren, wenn er ein anderes Kapitel aus Kellys Leben gewählt hätte, das keinen zusätzlichen Krimiplot für den Spannungsaufbau benötigt. So endet das Biopic, das keines ist, mit einer zweifelhaften Wandlung einer Frau, der die gesamte Welt offen stand – die sich aber mit einer 2,02 km² kleinen zufriedengab. Warum sie das tat und wie sie sich mit dieser Entscheidung in ihrem restlichen Leben arrangierte, bleibt ungesagt.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung, deutsche und englische Untertitel für Hörgeschädigte. Als Extras sind lediglich Trailer beigefügt. „Grace of Monaco“ erscheint bei Square One/Universum Film und ist seit 2.Oktober erhältlich (Packshot: © Universum Film).

Heimkino-Tipp: „Lone Survivor“ (2013)

Mit Filmen über amerikanische Kampfeinsätze ist das so eine Sache: Meist auf die Unterstützung des Militärs zur Umsetzung angewiesen, werden Drehbücher oftmals vor Produktionsbeginn von „Beratern“ überprüft, die sich um eine „korrekte“ Darstellung des Soldatenlebens und deren Handlungen bemühen. Erst danach wird entschieden, ob die Macher auf die helfenden Hände des US-Militärs zählen können. Welche ärgerlichen Auswüchse Vereinbarungen dieser Art zwischen Hollywoodstudios und ‚Propagandaabteilung’ haben können, zeigt sich unter anderem im technisch brillanten Ridley Scott-Werk „Black Hawk Down“ aus dem Jahr 2001: Obwohl um Objektivität bemüht, huldigt der zweifach Oscar-gekrönte Streifen unverhohlen die wenigen US-Streitkräfte eines misslungenen Somalia-Einsatzes, während die anwesende (schwarze) Bevölkerung lediglich als schreiende, blutdurstige Masse dargestellt wird und nicht einmal im Abspann ein relativierendes Statement erhält.

Insofern war die Skepsis gegenüber „Lone Survivor“ von Peter Berg („Hancock“) groß, dokumentiert sein mit Mark Wahlberg, Emile Hirsch, Taylor Kitsch, Ben Foster und Eric Bana prominent besetztes Actiondrama doch ein ähnliches Ereignis der jüngeren US-Militärgeschichte. Dass Berg jedoch gleichsam keine Angst vor deutlicher Kritik an der Außenpolitik Amerikas kennt, bewies er eindrucksvoll mit dem Schlusssatz(!) im packenden „Operation: Kingdom“.

Tatsächlich lässt Berg es in „Lone Survivor“ zunächst sehr ruhig angehen. In fast schon durchgestylter Michael-Bay-Optik widmet er sich seinen Hauptakteuren und zeigt sie bei der konzentrierten Vorbereitung eines Einsatzes in Afghanistan. Ein einflussreicher Taliban-Funktionär soll ausgeschaltet werden. Zunächst verläuft die Mission wie geplant, und die vier Soldaten Luttrell, Dietz, Murphy und Axelson beziehen ihre Posten in einer Bergregion mit Blick auf ein Dorf, in dem der Anführer zugegen ist. Das zufällige Auftauchen dreier Schafhirten und ihrer Tiere zwingt die Navy Seals jedoch dazu, ihre Deckung aufzugeben. Ihr Versuch, sich unbemerkt zurückzuziehen, endet in einem blutigen Kampf gegen eine ganze Taliban-Armee.

Ohne Frage: Was „Lone Survivor“ an Feuerkraft, Soundeffekten (doppelt Oscar-nominiert) und Kameraarbeit auffährt, ist herausragend. Weit entfernt von den absurden Ballerorgien in 80er-Jahre-Filmen wie „Rambo II – Der Auftrag“ oder „Phantom Kommando“ steht hier die realistische Darstellung eines Feuergefechts im Vordergrund, bei dem sich beide Seiten nichts schenken. Zwar verweilt der Fokus (und das Kamerateam) stets an der Seite der vier Amis, die Willenskraft ihrer Gegner bleibt allerdings ständig spürbar. Statt unkontrolliertes „Rumrennen und Reinhalten“ orientiert sich der Kampf an Taktik und überlegtem Handeln, zumindest so lange, wie dies den hoffnungslos unterlegenen Seals möglich ist.

Ist dies unterhaltsam? Zumindest für all jene, die auch bei der Eröffnungssequenz von „Der Soldat James Ryan“ abfeiern und sich nur an der „Action“ ergötzen. Regisseur Berg jedoch gelingt es, ähnlich wie Spielberg, zu einem sehr viel essenzielleren Kern vorzustoßen: dem reinen Überlebenskampf, in dem sich nicht mehr zwei unterschiedliche Weltanschauungen gegenüberstehen, sondern lediglich zwei Männer, die unter Zuhilfenahme einfachster Mittel alles versuchen, um nicht durch die Hand des Anderen zu sterben. Bezeichnend ist hierfür eine Szene im letzten Drittel des Films, die sehr an den markerschütternden Messerkampf in Spielbergs „Ryan“ erinnert.

Dass „Lone Survivor“ im Nachhinein kein so übles „Geschmäckle“ hinterlässt wie der oben erwähnte „Black Hawk Down“, mag der (wahren) Geschichte selbst geschuldet sein: Nur die Hilfe der einheimischen Bevölkerung ermöglichte es, derart lange gegen die Talibankämpfer anzukommen. Ein Fakt, dem Berg relativ viel Zeit widmet und auch im Abspann sowie im Bonusmaterial der DVD/Blu-ray noch einmal in einem separaten Feature anspricht.

Bitte nicht falsch verstehen: Eine tiefgründige Auseinandersetzung mit den Themen Krieg, menschlicher Leidensfähigkeit, religiösem wie ideologischem Fanatismus (z.B. der befremdliche Ehrenkodex der Seals) oder der Überheblichkeit amerikanischer Soldaten bei der Begegnung mit afghanischen Verbündeten gibt es in „Lone Survivor“ nicht.

Stellt sich somit nur noch die Frage, was die Beteiligten – allen voran Regisseur Berg – dazu bewogen hat, diesen Film auf die Leinwand zu bringen: Um zu beweisen, dass man es (sehr gut) kann? Mission accomplished! Oder um dem amerikanischen Ego etwas Gutes zu tun? Mission leider ebenso accomplished! Ich hoffe auf Ersteres, befürchte jedoch Letzteres.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche und englische Untertitel. Als Extras befinden sich diverse Making of-Dokus, Interviews und Trailer auf den Discs. „Lone Survivor“ erscheint bei Circle Three/Universum Film und ist seit 17. Oktober erhältlich. (Packshot: © Circle Three/Universum Film)

Heimkino-Tipp: „Jimmy P.“ (2013)

Manche Werke tragen ihre Besonderheit bereits im Namen: „Jimmy P. – Psychotherapie eines Indianers“ dürfte einer der wohl sonderbarsten Titel sein, den ein Spielfilm je erhalten hat. Ein Film, der mit Benicio Del Toro und Mathieu Amalric zudem gleich zwei Schauspieler von Weltrang in den Hauptrollen vorweisen kann, die sowohl im Blockbuster- als auch Programmkino zu Hause sind.

„Jimmy P.“ ist, es liegt auf der Hand, der letztgenannten Kategorie zuzuordnen und basiert auf dem gleichnamigen Buch des Psychoanalytikers Georges Devereux, der den hier geschilderten Fall kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs selbst erlebte. Devereux, von Amalric als ein hippeliger, stets gutgelaunter Charakter dargestellt, wird Anfang der 1950er-Jahre als Berater in eine amerikanische Klinik gebeten, die sich auf vom Krieg traumatisierte Soldaten spezialisiert hat. Ein neuer Patient namens Jimmy Picard (Del Toro) klagt über Kopfschmerzen, partielle Erblindung und andere Beschwerden, offenbar ausgelöst durch eine Kopfwunde, die er sich im Krieg zugezogen hat. Allerdings blieben die Untersuchungen der Ärzte bisher erfolglos. Nun soll Devereux es richten und der stürzt sich gleich voller Begeisterung in diese Aufgabe.

Hauptsächlich um die Gespräche von Picard/Devereux kreisend, enthüllt der Film von Arnaud Desplechin mit zunehmender Laufzeit sukzessive verschiedene Traumata, die für die Erkrankung des Indianers verantwortlich sein könnten. Während Amalrics Figur dem Zuschauer mit seiner hyperaktiven Art viel Geduld abverlangt, setzt Del Toro mit seinem zurückhaltenden aber intensiven Spiel viele Akzente. Ein Gegensatz, der zweifellos für Kurzweil sorgen könnte – wenn denn das Drehbuch eine interessante Geschichte zu erzählen hätte. An diesem Punkt jedoch scheitert der Film auf beinahe ganzer Länge.

Denn die „Entdeckungen“, die beide Männer in Jimmys Vergangenheit machen, sind relativ profaner Natur. Das mag Anfang der 1950er-Jahre noch anders gewesen sein. Da Regisseur Desplechin, der auch am Drehbuch mitwirkte, es allerdings versäumt, aktuelle Bezüge einzubauen, bleibt das zu Sehende bzw. zu Hörende seltsam spannungsarm – zumindest für Zuschauer, die wenig bis gar keinen Bezug zur Psychoanalyse haben.

Viel eklatanter als der Unwille, fachfremdes Publikum mit einzubeziehen, sind jedoch zwei andere Punkte, die Nachlässigkeiten der Regie verdeutlichen: Erstens schafft es Desplechin, Dialoge der beiden Protagonisten stets genau dann mit Szenenwechseln zu unterbrechen, wenn sie interessantere Eigenschaften der Figuren freigeben würden. Zweitens verwundert das gewählte Breitwandformat: „Jimmy P.“ ist ein beinahe reiner Dialogfilm, der erwartungsgemäß viele Nahaufnahmen von Gesichtern präsentiert und keine Verwendung für Panoramabilder hat. Ein Breitwandformat schafft bei Unterhaltungen eher eine Distanz – und erschwert somit auch optisch eine Annäherung an die beiden Charaktere.

„Jimmy P.“ ist ein Film, der inhaltlich völlig aus der Zeit gefallen scheint. Leider gelingt es nicht, der an Höhepunkten armen Handlung zumindest inszenatorisch ein paar Glanzpunkte zu bescheren. Von den Hauptdarstellern mit Herzblut und Können präsentiert, ist „Jimmy P.“ lediglich für Psychologie-Studenten und -Erfahrene interessant. Die aber, und da bin ich mir sicher, werden an dieser knapp zweistündigen Therapiesitzung viel Spaß haben.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalfassung. Untertitel sind leider keine vorhanden. Als Extra gibt es den Filmtrailer. „Jimmy P.“ erscheint bei Capitol Film / Edel Company und ist seit 10. Oktober erhältlich. (Packshot: Capitol Film / Edel Company)

Heimkino-Tipp: „Nurse 3D“ (2013)

Hoppla! Da war das Budget für die Kostümabteilung wohl etwas knapp bemessen? Anders lässt sich die Zeigefreudigkeit in Douglas Aarniokoskis „Nurse 3D“ kaum begründen. Es sei denn, sie ist tatsächlich einzig und allein dem Willen der Hauptdarstellerin geschuldet, wie es der Regisseur im Audiokommentar andeutet. Paz de la Huerta („Boardwalk Empire“, „Enter the Void“), so der klangvolle Name der Dame, soll nämlich darauf bestanden haben, etliche Szenen ohne verhüllende Stoffe spielen zu dürfen. Es entspräche dem Charakter der Filmfigur. Na wenn das so ist...

Bezeichnen wir es daher als Schauspielkunst, was Huerta alias Abby da bereitwillig in die Kamera hält. Ihr Alter Ego in „Nurse 3D“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, untreue Männer für ihr außereheliches Handeln zu bestrafen. Ihr angeeignetes Wissen als Krankenschwester ist ihr dabei sehr zuträglich, kann sie doch so kurz aber schmerzvoll ihr Werk verrichten. Ihre neue Kollegin Danni (Katrina Bowden) weckt ihr Interesse allerdings aus ganz anderen Gründen: Jung, blond, etwas naiv und mit einem aus Abbys Sicht einfältigen Freund bestraft, braucht dringend eine neue beste Freundin. Jemanden der zuhören kann, sie in den Arm nimmt und vielleicht auch mal mehr zulässt. Nach einer alkoholgetränkten Nacht verflüchtigt sich dieser Traum von Abby jedoch gleich wieder. Da der männermordende Vamp mit Zurückweisung gar nicht gut umgehen kann, wird Danni alsbald vom Objekt der Begierde zum Objekt, dessen Leben es zu zerstören gilt.

Mag das oben zu sehende Filmplakat und der bereits angedeutete Blutzoll einen billigen Splatterfilm mit viel nackter Haut vermuten lassen: „Nurse 3D“ ist sehr viel besser als viele B-Movie-Kollegen – und bedient trotzdem sein (wahrscheinlich bevorzugt) männliches Publikum mit allen Frontcover-Versprechungen. Die Kamera ist vornehmlich in Bauchhöhe unterwegs, die knappen Schwesternuniformen sind eng, und an deftigen Gewalteinlagen getränkt in literweise rotem Lebenssaft mangelt es nicht. Selten aber sah ein Nischenfilm derart gut aus. Und dies ist nicht nur den hübschen Protagonistinnen zu verdanken: Regisseur Aarniokoski ist sein Können bezüglich Optik, Schnitt und Szenenaufbau anzumerken, die jahrelange Assistenz auf Sets von Kollege Robert Rodriguez scheint sich also ausgezahlt zu haben.

Einzig die Hauptdarstellerin verwirrt in dem ansonsten geradlinig erzählten Slasher etwas: Huertas Art zu sprechen (zumindest im O-Ton), ihr Gang, ihr gesamtes Erscheinungsbild im Film heben sich derart von ihrer Umgebung ab, dass es eigentlich nur zwei Erklärungsmöglichkeiten hierfür gibt. Erstens: Huerta ist im Privatleben eine Kunstfigur à la Lady Gaga, die sogar für eine Rolle wie diese nie ihre Fassade fallen lassen würde oder gar nicht erst versucht, jemand anderes zu sein. Dann hat sie in „Nurse 3D“ schlicht sich selbst gespielt und wurde formidabel besetzt. Oder, Möglichkeit zwei: Keiner am Set wagte Huerta darauf hinzuweisen, dass ihr Schauspiel keines ist – gestelzter Vortrag, emotionsloses Äußeres, eine unnahbare Diva auf zwei Beinen, die auch in intimen Szenen keinerlei Emotionen zeigt. Sollte Letzteres zutreffen, wird es für Huerta höchste Zeit, einen Acting-Coach zu konsultieren.

Unabhängig davon ist „Nurse 3D“ aber ebenso in zweidimensionaler Form eine gute Wahl für einen unterhaltsamen Horrorfilmabend: „knackige“ 85 Minuten mit viel nackter Haut, Blut in rauen Mengen und Amüsement ohne Pardon. Ein bisschen Spaß muss ja ab und an auch mal sein…

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel für Hörgeschädigte. Ein kurzes Making of, eine sinnfreie Hinter-den-Kulissen-Doku von zwei der Darsteller, und Trailer sind im Bonusteil zu finden. Während die DVD lediglich die 2D-Fassung beinhaltet, kommt die Blu-ray mit 2- und 3D-Fassung daher und kann auch im limitierten Steelbook erworben werden. „Nurse 3D“ erscheint bei Square One/Universum Film und ist seit 10. Oktober erhältlich (Packshot: © Universum Film).

Heimkino-Tipp: „Lauf Junge Lauf“ (2013)

Nicht erst die aktuellen politischen Konflikte weltweit haben erneut verdeutlicht, wozu die „Bestie Mensch“ fähig ist. Dem gegenüber stehen oftmals Schicksale, die nicht minder mit dem Attribut „unglaublich“ versehen werden können: Überlebensgeschichten, die so unfassbar tragisch und gleichzeitig beeindruckend sind, dass sie mich immer wieder ins Staunen versetzen. Eine solche wahre Überlebensgeschichte ist die von Yoram Fridman, einem polnischen Jungen, der aufgrund seiner jüdischen Herkunft während des Zweiten Weltkriegs mehrere Jahre auf der Flucht war und die nun mit „Lauf Junge Lauf“ verfilmt wurde.

Der neunjährige Srulik (dargestellt von den Zwillingen Andrzej und Kamil Tkacz) flieht aus dem Warschauer Ghetto. Auf sich allein gestellt, irrt er zunächst ziellos durch die Wälder und versucht, mit einfachsten Mitteln in der unbarmherzigen Natur zu überleben. Eine zeitlang findet er Unterschlupf bei einer Bäuerin, doch auch hier ist er nicht sicher. So zieht er weiter durch das Land, lernt andere im Wald lebende Waisenkinder kennen und verdient sich etwas zu Essen, indem er auf Gutshöfen aushilft. Seinen Gastgebern gaukelt er dabei stets vor, ein Katholik zu sein. Doch die Angst, von den deutschen Besatzern entdeckt und enttarnt zu werden, bleibt.

Basierend auf einem im Jahr 2000 erschienenen Roman von Uri Orlev, nahm sich der deutsche Oscar-Preisträger Pepe Danquart (1994 für den wunderbaren Kurzfilm „Schwarzfahrer“) der schwierigen und aufwendigen Verfilmung des Stoffes an. Schwierig vor allem deshalb, da die Hauptfigur auf ihrer langen Odyssee auf viele Menschen, Situationen und Begebenheiten trifft, die alle Auswirkung auf sein Verhalten, sein weiteres Leben und seinen Charakter haben. Endlos viele Episoden, von denen Danquart offenbar keine aussparen wollte. Das Ergebnis: Die filmische Version von „Lauf Junge Lauf“ reiht in sehr kurzen Abständen – zu kurz nach meinem Befinden – Momente aneinander, deren Bedeutung für den Jungen man nur erahnen kann. Zweifellos, diese Art der Umsetzung überträgt einerseits das ständige Gehetzt-Sein und die Ruhelosigkeit des Protagonisten sehr wirkungsvoll auf die Zuschauer. Andererseits jedoch fällt es mitunter schwer, eine emotionale Bindung zu Srulik aufzubauen, da auch der Film auf diese Weise nie zur Ruhe kommt und Sruliks Reise bei aller Tragik – man verzeihe mir diese Formulierung in diesem thematischen Kontext – einer Ansammlung von Abenteuern gleicht, die es zu bestehen gilt.

Die einzige „Spannungsschraube“, die Danquart immer wieder effektiv nutzt, ist jene der Begegnungen mit anderen Menschen: Kann Srulik ihnen vertrauen? Oder werden sie ihn verraten? Helfen sie aus purer Menschlichkeit oder aus Eigennutz, um ihn später möglicherweise im Tausch für eine Belohnung an die Besatzer zu verkaufen? Wie unsicher ein solches Leben voller Furcht und ständiger Todesangst sein muss, ist für jemanden, der es nie erleben musste, nicht vorstellbar. Vielleicht spart Danquart diese Szenen daher absichtlich aus, da sie kaum darstellbar sind …

… oder zumindest nicht in seinem Werk. Es liegt mir fern, die Leistung des Geschwisterpaares Tkacz, die sich die Hauptrolle teilten, mit harschen Worten zu kritisieren. Nichtsdestotrotz – und dies ist möglicherweise auch ein Grund für meine fehlende emotionale Bindung zur Hauptfigur – sind die limitierten Fähigkeiten der Jungdarsteller offensichtlich: Sie „spielen“ hervorragend. Dass sie die Rolle wirklich verinnerlicht haben, wage ich zu bezweifeln. Nun kann, sollte und darf man selbstverständlich von einem Kind nicht verlangen, sich mental in eine derart erschütternde Situation zu begeben, wie es Yoram Fridman einst tun musste. Allerdings kann ich den Gedanken daran nicht abschütteln, was wohl ein Haley Joel Osment („The Sixth Sense“) oder eine Dakota Fanning („I am Sam“) aus einer solchen Rolle gemacht hätten. Ein anderes Beispiel, in dem gleich zwei Kinder in einem thematisch ähnlichen Film Außergewöhnliches zeigen, ist die Literaturverfilmung „Der Junge im gestreiften Pyjama“ (2008, Regie: Mark Herman). Hier aber, bei „Lauf Junge Lauf“, bleibt die Darstellung seltsam oberflächlich.

„Lauf Junge Lauf“ ist weit entfernt davon, ein schlechter Film zu sein. Es ist ein Werk, das ganz unverblümt auf das – berechtigte – Mitleid der Zuschauer zielt und vornehmlich wegen des Fakts, dass es sich hierbei um eine wahre Geschichte handelt, beeindruckt. Abseits vom Inhalt bleibt Danquarts Adaption jedoch in vielen Aspekten mittelmäßig. Bedauerlich.

Die DVD bietet den Film in deutsch synchronisierter und original polnisch/jiddischer Sprachfassung mit deutschen Untertiteln. Als Bonus gibt es ein 60-minütiges Making of, Bildergalerien und Trailer. „Lauf Junge Lauf“ erscheint bei NFP marketing & filmdistribution GmbH/EuroVideo und ist seit 25. September erhältlich. (Packshot: NFP/EuroVideo)

Heimkino-Tipp: „Finding Vivian Maier“ (2013)

Wie oft haben wir uns schon Sachen entledigt, die wir für unwichtig hielten? Nicht nur eigene Fotos, Briefe und Unterlagen, sondern auch Hinterlassenschaften von anderen, beispielsweise bei der Wohnungsauflösung der Großeltern? Meist bleibt wenig Zeit für eine genauere Betrachtung der Dinge, die da vor uns liegen. Vielleicht ist es aber auch nur die Furcht davor auf etwas zu stoßen, was das eigene Familienbild infrage stellt.

Der Filmemacher Arnon Goldfinger ist diesen dunklen Weg in seiner herausragenden Dokumentation „Die Wohnung“ (Rezension siehe HIER) gegangen und hat so etwas über seine Großeltern herausgefunden, was sonst möglicherweise für immer verloren gegangen wäre. Goldfingers Kollege John Maloof ist etwas Ähnliches widerfahren – jedoch mit der Folge, dass seine Entdeckung im Bereich der Kunstfotografie weltweit für Aufsehen sorgte. Der Film „Finding Vivian Maier“ dokumentiert dies auf angenehm unverkrampfte, zugängliche und unterhaltsame Weise.

Ursprünglich war Maloof auf der Suche nach alten Stadtfotografien für ein eigenes Projekt. Bei einer Versteigerung erhielt er den Zuschlag für einen Koffer aus dem Nachlass einer Frau, die Zeit ihres Lebens als Kindermädchen in Chicago und New York tätig war und offenbar nebenbei Fotografien machte. Viele davon waren noch nicht einmal entwickelt, doch Maloof fand Gefallen an den Bildern und wollte mehr über jene Vivian Maier erfahren, deren Arbeiten weniger Schnappschüsse als viel mehr kleine Kunstwerke sind, die berührend, vielsagend und äußerst professionell wirken. Er kaufte weitere Koffer, Schachteln und Papierberge der ihm unbekannten Frau auf und begab sich auf die Suche nach ihrer Identität.

Wie sich zeigt, war Vivian Maier tatsächlich nie mehr als eine Nanny. Zwar erinnern sich einige, die sie kannten, an ihr pausenloses Fotografieren und Filmen. Eine Ausstellung jedoch, eine Veröffentlichung, oder eine Sammlung mit ihren Arbeiten existieren nicht. Je tiefer Maloof gräbt und recherchiert, umso deutlicher wird: Vor ihm liegt das gesamte, unveröffentlichte Werk einer Frau, die ihre Kunst nie publik machte und offenbar kein Interesse daran hatte, dies irgendwann zu ändern. Maloof ist erstaunt und entscheidet sich – erst vereinzelt und lediglich online, später in größeren, weltweiten Ausstellungen – Vivian Maiers Fotokunst der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das Ergebnis: Heute, nur wenige Jahre nach ihrem Tod, gilt sie als eine der wichtigsten und besten Street-Photographer des 20. Jahrhunderts.

Mit solch einer beinahe unglaublichen Geschichte im Gepäck ist jede Dokumentation eigentlich ein Selbstläufer. Glücklicherweise haben sich Maloof und sein Co-Regisseur Charlie Siskel jedoch nicht dazu hinreißen lassen, damit das „schnelle Geld“ zu machen. Vielmehr haben sie mit Sorgfalt und einem gut ausgearbeiteten Spannungsbogen eine Doku kredenzt, die nicht nur die Arbeit sondern ebenso das Leben der Porträtierten huldigt, ihr Schaffen hinterfragt und versucht, ein ehrliches Bild der Person zu zeichnen – mit all ihren sonderbaren Verhaltensweisen. Mit hohem Tempo, optisch ansprechenden Bildkompositionen und passend eingefügten Fotos aus dem Maier-Fundus entstand so eine Detektivgeschichte, die staunen und lächeln lässt. Zwar enthält auch „Finding Vivian Maier“ einige Szenen, die zweifellos für den Film noch einmal nachgestellt wurden (z.B. die Auktion, die Maloof zu Beginn besucht). Der Qualität des Films und der Glaubhaftigkeit der Geschichte schadet dies aber nicht.

Fazit: „Finding Vivian Maier“ hat alles, was eine gute Doku haben muss: eine spannende Prämisse, eine angemessene Präsentation und eine Begeisterung des Filmemachers für sein Thema, die sich nahtlos auf seine Zuschauer überträgt.

Die DVD bietet den Film in deutsch synchronisierter und original englischer Sprachfassung mit deutschen Untertiteln. Als Bonus sind Filmaufnahmen von Vivian Maier und Trailer vorhanden. „Finding Vivian Maier“ erscheint bei NFP marketing & filmdistribution GmbH/EuroVideo und ist seit 9. Oktober erhältlich. (Packshot: NFP/EuroVideo)

... im Nachgang: „A Most Wanted Man“ (Kinostart: 11. September 2014)

Philip Seymour Hoffman in einer seiner letzten Hauptrollen. In meinen Augen ein würdiger Abschluss einer bemerkenswerten Schauspielkarriere. Aber lest selbst: HIER!

(Bild: © 2014 Senator/Central)

Heimkino-Tipp: „Nächster Halt: Fruitvale Station“ (2013)

Anfang der 1990er-Jahre entstanden mit „Boyz n the Hood“ (Regie: John Singleton, 1991) und „Menace II Society“ (Regie: Allen & Albert Hughes, 1993) zwei Filme, die deutlich und unverklärt wie selten zuvor das Leben afroamerikanischer Jugendlicher in US-Großstädten abbildeten: (Polizei-)Gewalt, Rassismus und Vorurteile sind omnipräsent, die Möglichkeiten, unabhängig vom Bildungsstand den oftmals tristen Lebensumständen zu entkommen, beschränkt. Zwanzig Jahre später scheint sich daran kaum etwas geändert zu haben, wie die Erschießung des 17jährigen Trayvon Martin (2012, in Florida, vom Mitglied einer „Bürgerwehr“) oder der Tod des 18jährigen Michael Brown (2014, in Ferguson, durch die Hand eines Polizisten) zeigen – beide Männer waren unbewaffnet, beide Täter sind weiß.

Das Spielfilmdebüt von Ryan Coogler „Nächster Halt: Fruitvale Station“ widmet sich einem weiteren Fall dieser Art, der sich in der Neujahrsnacht zum 1. Januar 2009 in San Francisco zugetragen hat. Das Opfer: der 22jährige Oscar Grant, während seiner Verhaftung erschossen von einem weißen Polizisten. Allerdings gab es hierbei Dutzende Zeugen und mit Handys aufgezeichnete Videomitschnitte, die den gesamten Vorfall, der sich an einer Hochbahnstation zutrug, dokumentierten. Coogler setzt diese Amateur-Aufnahmen an den Beginn seines Films – und blickt anschließend auf die letzten 24 Stunden im Leben des Familienvaters zurück.

Entstanden ist ein fabelhaftes und mit großem Können inszeniertes Porträt nicht nur eines Afroamerikaners im Amerika von heute, sondern ebenso eine bedrückende Studie, die eines der größten Probleme des Landes, den latenten Rassismus, mit vielen kleinen Verweisen verdeutlicht. Das vor allem in der Hauptrolle von Michael B. Jordan herausragend gespielte Drama schafft es zudem, den Tod von Oscar Grant nicht nur als weitere traurige Zahl in einer langen, anonymen Statistik erscheinen zu lassen, sondern die Tragweite dieser laut Gericht „fahrlässigen Tötung“ zu verdeutlichen.

Bewusst möchte ich an dieser Stelle weitere Details der Handlung aussparen, die rational betrachtet keine außergewöhnlichen Dinge präsentiert, aufgrund der Ereignisse am Ende des Tages jedoch eine bemerkenswerte Intensität entwickelt, die es leider nur noch selten im Kino zu erleben gibt.

Ein traurig und wütend machender, wichtiger und lange nachwirkender Film, der sich ob seiner Qualität und Thematik nahtlos in die Reihe der oben genannten „Klassiker“ des New Black Cinema einreihen darf. Anschauen!

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und original englischer Sprachfassung. Untertitel in deutsch sind optional zuschaltbar. Das Bonusmaterial beinhaltet ein Q&A mit den Filmemachern, ein informatives Making of sowie Trailer. „Nächster Halt: Fruitvale Station“ erscheint bei DCM Filmdistribution GmbH/universum film und ist seit 2. Oktober erhältlich. (Packshot: DCM)

Heimkino-Tipp: „Blood Ties“ (2013)

Mein lieber Scholli, das nenn’ ich mal ’ne Besetzung: Clive Owen, Billy Crudup, Marion Cotillard, Mila Kunis, Zoe Saldana, Matthias Schoenaerts, James Caan, Noah Emmerich und Lily Taylor. Eine solche Stardichte findet man sonst nur in Tarantino-Werken. Der Mann hinter „Blood Ties“ jedoch heißt Guillaume Canet, ist im Privatleben mit Cotillard liiert, hauptberuflich Regisseur, und ganz nebenbei Darsteller in „Rivals“, der 2008 erschienenen französischen Vorlage seines nun hier vorliegenden US-Debüts. International bekannt wurde Canet vor der Kamera neben Leonardo DiCaprio in „The Beach“ und beeindruckte später mit hochgelobten Filmen wie „Kleine wahre Lügen“ auch auf dem Regiestuhl.

Weshalb er sich für „Rivals“ als Remake-Projekt entschied, lässt sich schnell erahnen: packende Familiengeschichte, spannendes Crime-Drama, atmosphärisches 70er-Jahre-Setting. „Blood Ties“ bietet eine große, abwechslungsreiche Spielwiese für einen Regisseur, starke Charaktere und – mit einer derartigen Besetzung – natürlich viel Potenzial für einen Film, der aus der Masse heraussticht. Tatsächlich weiß Canet fast alle diese Erwartungen zu erfüllen.

Chris (Owen) hat eine Haftstrafe verbüßt und will nun einen Neuanfang wagen. Sein Bruder Frank (Crudup), ein Polizist, unterstützt ihn dabei nach Kräften, hat aber auch sein eigenes Päckchen zu tragen – er will seine einstige Liebe Vanessa (Saldana), deren Mann er gerade ins Gefängnis gebracht hat, zurückgewinnen. Als sein Versuch scheitert, ein ehrliches Geschäft aufzubauen, fällt Chris in alte, gesetzeswidrige Gewohnheiten zurück. Der ohnehin fragile Familienfrieden zerfällt zunehmend und bald darauf stehen sich die Brüder während eines Überfalls mit Waffen im Anschlag gegenüber.

Unterstützt vom Genrespezialisten James Gray („The Yards“, „Helden der Nacht“), der am Drehbuch mitwirkte, gelingt es Regisseur Canet in „Blood Ties“, das französische Gangsterdrama mühelos ins dreckige New York der 70er zu übertragen. Vor allem was die Ausstattung und den Soundtrack angeht, weiß der Film zu begeistern, auch wenn der unvermeidliche Oberlippenbart von einem der Protagonisten es schwer macht zu glauben, dass Ladies à la Zoe Saldana einem solchen Typen verfallen. Doch Spaß beiseite, denn zum Lachen gibt es in „Blood Ties“ nicht allzu viel. Das ist keineswegs mangelnder Qualität geschuldet – denn hier weiß Canet zu überzeugen –, sondern vielmehr der nüchternen, kompromisslosen Abbildung von Gewalt sowie der förmlich spürbar anwachsenden Frustration des Chris-Charakters, der nach diversen Rückschlägen einsieht, dass es ein ehrlicher Mann in dieser Welt nicht weit bringen wird. Eine glänzende Performance von Owen, dessen präsentierte Kaltschnäuzigkeit überrascht und nachwirkt.

Ein weiteres Qualitätsmerkmal ist zweifellos die Tatsache, dass keine der zahlreichen Nebenfiguren bloßes Beistellwerk bleibt. Mögen es teilweise auch nur wenige Momente sein, in denen Schauspielerschwergewichte wie James Caan auftauchen: Ihre kurzen, aber prägnanten Szenen lassen erahnen, was derart viele Stars zum Mitwirken in „Blood Ties“ bewegt hat.

Dass es letztlich nicht zum Meisterwerk reicht, ist daher nur der etwas zu vorhersehbar verlaufenden Handlung zuzuschreiben. Sie dient zwar lediglich als Hintergrund für die familiären Konflikte des Brudergespanns, hätte aber einige überraschende Wendungen mehr vertragen können. Nichtsdestotrotz empfiehlt sich „Blood Ties“ für einen unterhaltsamen Filmabend für Genrefans – und all jene, die sich an buschigen Oberlippenbärtchen, Koteletten und hochgestellten Hemdkragen nicht satt sehen können.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Bonusmaterial gibt es ein Making of, geschnittene Szenen sowie Trailer. „BloodTies“ erscheint bei Koch Media und ist seit 25. September erhältlich. (Packshot: © Koch Media GmbH)