„Soul Kitchen“ (Kinostart: 25. Dezember 2009)

Ablenkung war bitter nötig: Nach den ersten beiden Teilen seiner „Liebe, Tod und Teufel“-Trilogie („Gegen die Wand“, „Auf der anderen Seite“), die ihm neben zahlreichen nationalen und internationalen Auszeichnungen auch einen immensen künstlerischen Druck bescherten, nimmt sich Fatih Akin mit seinem neunen Film „Soul Kitchen“ eine kurze Auszeit von den schweren Themen und schenkt sich laut eigenen Aussagen damit selbst „bestimmt fünf Jahre Lebenskraft“.

Im Mittelpunkt dieser Hamburger Geschichte(-nsammlung) steht Kneipenbesitzer Zinos (Adam Bousdoukos, gleichzeitig Co-Autor und Ideengeber). Der hat „Bandscheibe“, eine Freundin, die ihn für einen Job in Shanghai zurücklässt, und seit neuestem auch noch Ärger mit dem Finanzamt. Bruder Illias (Moritz Bleibtreu) indessen hat Freigang und leider immer noch eine leicht kriminelle Ader, während sein neuer Chefkoch Shayn (Birol Ünel) seine seltsamen Ansichten zur Esskultur gern messerwetzend unterstreicht. Kurz: viel zu viele machen viel zu viel Stress und Zinos verliert zunehmend den Überblick. Bis die ausgefallenen Kreationen seines exzentrischen Küchenmeisters zunehmend Beachtung finden: Plötzlich ist das heruntergekommene „Soul Kitchen“ DER Szeneladen, sind die Gaumen vom Essen verwöhnt, die Ohren von funky music gestreichelt und die Herzen dank neuer Liebschaften erfreut. Bis zum Happy End jedoch muss Zinos noch einiges über sich ergehen lassen – schmerzhafte Rückenbehandlungen inklusive.

Schon lange schob Akin das Projekt „Soul Kitchen“ vor sich her, zweifelte am eigenen komödiantischen Talent und schlug zur Gewissensberuhigung erstmal im Internet nach, „was eine Komödie eigentlich sei. Da stand: `Ein Drama mit positivem Ausgang.´ Hab ich, dachte ich, geht alles gut aus! Und: `Der Held hat ein Leiden, worüber sich der Zuschauer amüsiert.´ Hab ich doch auch! Der Held hat einen Bandscheibenvorfall. Also sagte ich mir: Mensch, ich hab' eine Komödie!“

Tatsächlich waren alle Zweifel unberechtigt: Akins Herangehensweise wirkt im Gegensatz zu früheren Werken unverkrampfter, leichtfüßiger und weniger `verkopft´. Ein toller Soundtrack gespickt mit vielen Soulklassikern unterstützt diese Stimmung kongenial, alles wirkt ehrlich, charmant, lebensnah, etwas schmuddelig, dabei immer unterhaltsam. Okay, hier und da hätte neben der Hauptfigur Zinos auch die restliche Meute etwas mehr Tiefe verdient, doch zeigt sich darin auch die große Kunst eines versierten Filmemachers wie Akin, dem wenige Szenen mit seinen Figuren genügen, um deren Innenleben und Motivation glaubhaft rüberzubringen.

Danke, Fatih, für dieses filmische Geschenk zum Jahresende!

P.S.: Und Dank auch an Monica Bleibtreu, die in „Soul Kitchen“ ihren letzten Kinoauftritt absolviert (obwohl noch vor „Tannöd“ entstanden, der jedoch schon im November im Kino anlief). Die Mutter von Moritz Bleibtreu und mehrfach ausgezeichnete Schauspielerin starb am 13. Mai 2009 nach über zweijähriger Lungenkrebserkrankung in Hamburg.

P.S.2: Ich selbst möchte mich bei allen Lesern dieses Blogs ebenso bedanken: Ein fettes Thank you beaucoup, köszönöm szépen, grazie mille und Dankeschön an alle für´s regelmäßige Vorbeischauen im Jahr 2-0-0-9!

„Fame“ (Kinostart: 24. Dezemeber 2009)

Tanz in den (filmischen) Abgrund
Überflüssig, lächerlich, ein Remake,


Zum Heiligabend ein Experiment: Man nehme eine Szene aus der Filmmitte und füge sie nach dem Abspann wieder ein. Oder streiche gleich zwei Dialoge vom Beginn ersatzlos. Aufgrund fehlender Möglichkeiten für dieses Verfahren ist alternativ auch ein mehrmaliges Verlassen des Kinosaales während der Vorstellung möglich. Bedenken, dadurch inhaltlich den Anschluss zu verlieren, sind nachvollziehbar aber unbegründet. Denn eine Struktur ist in „Fame“ auch bei höchster Konzentration nur schwer auszumachen, Begeisterung für zumindest eine der zahlreichen Karrieregeschichten schon gar nicht.

Was dieses Werk allerdings nahezu perfektioniert, ist die völlige Gleichgültigkeit gegenüber seinen Charakteren, allesamt hübsch anzusehende Jungs (Asher Book, Collins Pennié) und Mädels (Kherington Payne, Kay Panabaker) und hochmotiviert, an der New York School of Performing Arts ihre „Talente“ zu professionalisieren. Die Kamera hetzt von einem Gesicht auf das nächste, hier wird gesungen, da wird getanzt, nirgendwo verweilt. Verkrampfte Unterhaltungen im Schulhaus versuchen erfolglos, familiären Hintergrund, naive Kindheitsträumerei und coole Posen zusammenzukleben und daraus etwas Greifbares, Menschliches zu formen. Rebellion gegenüber den strengen Eltern - ja, aber warum? Traumatische Kindheit – etwa wegen eines verpassten Anrufs? So stapelt „Fame“ traurige Schicksale im Minutentakt, blendet passenderweise im Moment der Erleuchtung jedoch stets ab.

Eine Erklärung mag sein, dass alle Geschehnisse abseits der Bühne erschreckende Wahrheiten zum schauspielerischen Können der dutzend Hauptdarsteller entblößen. Hüpfend und trällernd noch zu ertragen, scheitern sie beim romantischen Geplänkel außerhalb des Le(e)hrraums ebenso wie im Streitgespräch mit uneinsichtigen Vätern.

Doch vielleicht ist das ja auch die Aussage dieser Chose: Sieh gut aus, rede wie ein Soap-Star und glänze mit passablen Leistungen auf der Karaoke-Bühne. Schon darfst du mitspielen in einem der überflüssigsten Neuverfilmungen des Jahres, schnieke Kleidung tragen, sogar eine Soundtrack-CD mit Titeln aufnehmen und damit sowohl das filmische Original (1980, Regie: Alan Parker), als auch die damals zweifach Oscar-prämierte Filmmusik von Michael Gore schänden. FAMos!

Aus der „Sächsischen Zeitung / PluSZ“ vom 23. Dezember 2009.

„Dinosaurier – Gegen uns seht ihr alt aus!“ (Kinostart: 24. Dezember 2009)

Macht das Älterwerden tatsächlich Spaß in diesem Land? Geht es nach Filmemacher Leander Haußmann („Sonnenallee“, „Herr Lehmann“) und seinem Autor Mark Kudlow, erwartet Rentner lediglich ein erbärmliches Pflegeheim, strenge Hausregeln und, wenn es ganz dick kommt, sogar der Verlust des Ersparten. Denn die Banker dieser Welt sind listig, gewissenlos und nur auf Profit bedacht. Leider keine Utopie, wie die vergangenen Monate gezeigt haben.
Doch „Humor ist, wenn man trotzdem lacht!“ und in diesem Sinne wagt „Dinosaurier“ den frechen Aufstand gegen diese Ungerechtigkeit, auch wenn Demenz, Parkinson und Diabetes die Akteure hier und da ein wenig ausbremsen.

Lena (Eva-Maria Hagen) wird vom karrieregeilen Jungbanker Hardmann (Daniel Brühl mit Zahnpastalächeln) um ihr geliebtes Haus gebracht und muss notgedrungen in ein Altenheim umziehen. Ihrer Individualität beraubt, hofft sie auf Rettung, die ihr prompt in Gestalt von Mitbewohner Johann (Ezard Haußmann) begegnet. Dieser gibt zwar vor, ein hilfloser, geistig abwesender Pflegefall zu sein, entpuppt sich aber bald schon als cleverer Gentleman, dem es mühelos gelingt, Heimleitung und ahnungslose Kredithaie zu foppen. Zusammen mit seinen ebenso motivierten wie gelangweilten Freunden aus dem Heim wollen sie Lenas Haus zurückzuerobern.

„Dinosaurier“ macht keinen Hehl daraus, welches Publikum angesprochen werden soll. Der Humor, die Inszenierung, das – manchmal leider etwas platte – Spiel mit Vorurteilen gegenüber der jüngeren Generation mögen für manchen Zuschauer antiquiert wirken. Doch zeigt Regisseur Haußmann andererseits, dass Älterwerden tatsächlich Spaß machen kann. Und weder Hausregeln noch Zäune einen echten „Dinosaurier“ aufhalten können.

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 16. Dezember 2009.


P.S.: Ein Leser fragte nach den Interpreten der Songs im Abspann. Es handelt sich um den Musiker Lothar Hensel, sowie die Band Kitty, Daisy & Lewis. Leider gibt es keine offizielle Filmmusik-CD zu „Dinosaurier“, weshalb ich die genauen Titel der Songs nicht nennen kann.

Lila, Lila (Kinostart: 17. Dezember 2009)


And the winner is: Daniel Brühl! Mit fünf Kinoproduktionen in einem Jahr („John Rabe“, „Die Gräfin“, „Inglourious Basterds“, „Lila, Lila“ und, ab nächster Woche, „Dinosaurier - Gegen uns seht ihr alt aus“) hat der 31jährige Schauspieler und Vielfilmer den Staffelstab von Jürgen Vogel übernommen, der es 2006 ganze sechs Mal auf die große Leinwand schaffte. Ihm dicht auf den Fersen: Katharina Schüttler, in „Lila, Lila“ Auftritt Nummer drei und wie immer ein Guckschatz der besonderen Art (siehe Foto, Copyright: Dominique Ecken).

Doch genug von der trockenen Statistik! Nun zum Film: „Lila, Lila“ wärmt das Herz zum Jahresende noch einmal auf ganz leichtfüßige, etwas melancholische, jedoch vor allem auf sehr amüsante und sarkastische Art und Weise. David Kern (Brühl) heißt der neue Superstar am Autorenhimmel, sein Erstling über eine tragische Liebesgeschichte, angesiedelt in den 1950er Jahren, entzückt Kritiker und Publikum gleichermaßen. Einziges Manko: David hat den Roman gar nicht selbst verfasst, sondern in der Schublade seines neuen, alten Nachttischs vom Trödelmarkt gefunden. Um ein Mädchen (Hannah Herzsprung) zu beeindrucken, das offensichtlich auf sensible, intelligente und talentierte Schreiberlinge steht, gab er das Manuskript frecherweise als das seine aus und wurde von jetzt auf dann zum Liebling der (Kultur)Nation.

Was folgt sind Ruhm, kreischende Fans, Lesereisen, Autogrammstunden. Und die Bekanntschaft mit Jacky (Henry Hübchen). Dieser offensichtlich wenig um sein äußeres Erscheinungsbild bedachte Kerl entpuppt sich dummerweise als der vermeintliche Autor des geklauten Meisterwerks. Doch Jacky denkt gar nicht daran, die Chose auffliegen zu lassen. Stattdessen nistet er sich sukzessive in Davids Leben ein, verhandelt eigenhändig Verträge mit Verlagen für ein Nachfolgewerk aus und kassiert mächtig ab. Und David? Erträgt das Theater, wohlwissend, dass andernfalls sowohl seine Karriere als auch seine Beziehung ganz schnell zu Ende sein könnten.

Es ist eine Paraderolle für Brühl: schusselig, etwas naiv und doch sehr liebenswert taumelt er von einer Notlüge in die nächste, müht sich bei Lesungen mit Fremdwörtern ab und versucht inmitten hochnäsiger „Kulturschaffender“ sein gefährliches Halbwissen zu kaschieren. Bewundernswert, wie Brühl auch diese Rolle wieder bravourös meistert, kurz nachdem er die Hinterhältigkeit eines Nazis in „Inglourious Basterds“ so einprägsam präsentierte.
Quasi seine Trinkerrolle aus „Whisky mit Wodka“ fortsetzend, frotzelt sich Hübchen indessen durch die sogenannte „High Society“ und fährt damit allen Möchtegernintellektuellen polternd vor den Karren. Herrlich!
War der Independentstreifen „Living in Oblivion“ (Regie: Tom DiCillo; USA 1995) einst die ultimative Satire auf das Filmbusiness, so ist „Lila, Lila“ nun das Pendant für die Literaturwelt. Grandios, bissig, urkomisch.

Und Katharina Schüttler? Gibt als etwas verwirrte WG-Bewohnerin diesem Film eben jene besondere Note, die ihn vom Komödien- und Romantikdurchschnitt abhebt. Toll! Neben „Soul Kitchen“ einer der letzten Höhepunkte im Kinojahr 2009.

P.S.: Ich danke Herrn Ecken für die Bereitstellung des Fotos (aufgenommen am 20. März 2009 in Köln). Weitere Motive unter http://fotodom.blog.de/2009/03/30/katharina-schuettler-fan-5861165/.

„12 Meter ohne Kopf“ (Kinostart: 10. Dezember 2009)

Der Zeh von Störtebeker
Sven Taddickens Seeräubersaga bringt „12 Meter ohne Kopf“, dafür Nutella am Fuß

Die Leiden des Matthias Schweighöfer: Der sympathische Jungschauspieler aus Mecklenburg-Vorpommern, der sich und seiner Karriere mit „Kammerflimmern“ (2004) einen großen, mit „Der Rote Baron“ (2008) andererseits überhaupt keinen Gefallen getan hat, muss derzeit schon einiges einstecken – zumindest auf der Leinwand. In Til Schweigers „Zweiohrküken“ zum Hampelmann für peinliche Klogeschichten degradiert, darf er in „12 Meter ohne Kopf“ gleich zu Beginn am großen, behaarten Zeh seines Kollegen Ronald Zehrfeld nuckeln. Klingt nach Klamotte, ist andererseits als Beschreibung der innigen Freundschaft zwischen zwei Kerlen erfreulich direkt.

Die Figur zum Zeh nennt sich in diesem Fall Klaus Störtebeker, jener legendäre Seeräuber aus Norddeutschland, der im 14. Jahrhundert die Nord- und Ostsee unsicher machte. Besonders die verhassten „Pfeffersäcke“ von der Hanse sind immer wieder Opfer seiner Beutezüge, was Oberrat von Utrecht (herrlich steif: Devid Striesow) zu neuen, erfolgreichen Mitteln greifen lässt: Kopfgeldjäger, neue Waffentechnik, hartnäckige Verfolgung. Schlimmer noch: Störtebekers Mannschaft wagt den Zwergenaufstand und sein zweiter Kapitän Michels steckt seinen Kopp (erfolglos) in eine Schlinge. Bis ein versehentliches Feuer die wunderlichen Möglichkeiten einer Kanone enthüllt, die sich im Rumpf eines erbeuteten Schiffes versteckt.

Eingebettet im zeithistorisch korrekten Rahmen, in Wort und Gestus jedoch den heutigen Sprach- und Sehgewohnheiten angepasst, präsentiert Regisseur Sven Taddicken („Emmas Glück“) einen fetzigen Mix aus Piratenkomödie, Abenteuerfilm und Kumpelstück. Die für deutsche Verhältnisse überraschend eindrucksvoll inszenierten Kampfszenen auf hoher See sind jedoch nur Beiwerk für die eigentliche Geschichte zwischen Störtebeker und Michels, deren Freundschaft, sowie ihrem oftmals amüsanten Kampf gegen basisdemokratische Tendenzen innerhalb ihrer Mannschaft.

„12 Meter ohne Kopf“ lebt von seinen beiden reizvollen Charakteren, dem Spiel mit Klischees sowie fabelhaft aufgelegten Darstellern, die ihren Ausflug ins Mittelalter sichtlich genießen. Lutschattacken inklusive, wie Schweighöfer gesteht: Der Zeh war nämlich mit Nutella beschmiert.

Aus der „Sächsischen Zeitung / PluSZ“ vom 10. Dezember 2009.

„Unter Strom“ (Kinostart: 10. Dezember 2009)

Mit „Unter Strom“ legt der aus Ungarn stammende Regisseur Zoltan Paul einen ziemlich wilden Mix aus Komödie, Krimi und Satire vor, der in Teilen auch in der sächsischen Landeshauptstadt entstanden ist. Zumindest die ersten 30 Minuten des Films spielen in und um Dresden, bevor das Geschehen in ein abgelegenes Waldstück verlegt wird.

Dort nistet sich Kleinganove Frankie (Hanno Koffler) mit seinen Geiseln ein und hofft so auf eine Neuverhandlung vor Gericht, das ihn soeben – so glaubt er zumindest – zu Unrecht verurteilt hat. Bis dahin jedoch hat er gut zu tun mit einem ewig streitenden, frisch geschiedenen Ehepaar (Catrin Striebeck & Harald Krassnitzer), einem Wirtschaftsminister (Tilo Nest), dessen geheimem Lover (Ralph Herforth), der zu allem Unglück auch noch Polizeikommissar ist, sowie etlichen weiteren großen und kleinen Herausforderungen, die eine Entführung eben so mit sich bringt.

Es ist dem Film in jeder Sekunde anzumerken, wie sehr die Autoren bestrebt waren, unbedingt ein hippes, mit völlig überdrehten Figuren gespicktes, außergewöhnliches Werk zum Leben zu erwecken. Das geht manchmal gut, zu oft jedoch schief. Da retten lediglich die Darsteller die Szenerie, wobei besonders Hanno Koffler gefällt, dessen Filmographie neben „Hallesche Kometen“ (2005) inzwischen viele weitere beeindruckende Titel vorweisen kann (die zudem auch in Robert Stadlobers Œuvre auftauchen, mit dem er hier nach „Sommersturm“ und „Krabat“ bereits zum dritten Mal gemeinsam vor der Kamera steht). „Unter Strom“ ist nahe am Blödsinn, häufig wenig plausibel und zu verkrampft auf gute Laune aus, als dass er als „gelungen“ bezeichnet werden kann. Einmaliges Anschauen jedoch schadet keinesfalls, und sei es lediglich wegen Dresden oder der Darsteller.

Ende vom Fazit, nun noch etwas Beiwerk: Im Frühjahr 2008 hatte ich die Möglichkeit, ein Interview mit der Produzentin des Films zu führen, wo sie mir sehr offen von den anstehenden Dreharbeiten und der Produktion von „Unter Strom“ berichtet hat. Zwar ist es am Ende kein perfekter Hybrid aus „ein bisschen Tarantino, etwas Almodóvar und viel Spaß“ geworden wie anfangs versprochen. Im Vergleich mit dem Endprodukt ist dieser Artikel (erschienen im „Auslöser“, Ausgabe 02/2008), zumindest meiner Meinung nach, allerdings sehr erhellend und interessant zu lesen.

Ein bisschen Tarantino, etwas Almodóvar und viel Spaß
Sachsen und Thüringen als Drehorte für „Unter Strom“


Zwei Jahre Vorbereitung, 24 Drehtage und mehrere Monate Postproduktion. Einen Kinofilm zu inszenieren ist seit jeher eine sehr zeitaufwendige Angelegenheit. Im Falle von „Unter Strom“ jedoch ebenso eine sehr zufriedenstellende, wie ein Gespräch mit Produzentin Clementina Hegewisch verrät.

„Unter Strom“ ist eine Produktion der Next Film Filmproduktion, Cineplus sowie Atoll Film und entstand mit finanzieller Unterstützung der Mitteldeutschen Medienförderung (MDM) und des Deutschen Filmförderfonds (DFFF) im Frühjahr dieses Jahres in Dresden und in Kleineutersdorf, Thüringen. Eine ganz bewußte Entscheidung der Produzenten, deren Beispiel andere Filmemacher in Zukunft hoffentlich folgen werden.

„Es ist doch so“, erklärt Clementina Hegewisch die Standortwahl: „Wenn es nicht gerade eine Produktion über die schreckliche Bombennacht des Jahres 1945 oder ein anderes historisches Ereignis ist, taucht Dresden eher selten als Drehort für Filme auf. Dabei bieten sich hier fantastische Möglichkeiten, wie unsere Anfangssequenz, eine Autoverfolgungsjagd durch die Landeshauptstadt, zeigen wird.“ Der Hauptteil des Filmes entstand in der ruhigen Umgebung eines Thüringer Landhauses, wo die dreiwöchigen Dreharbeiten am 6. März auch ihr Ende fanden.

Große Vorbilder, kleine Gagen

Für Regisseur Zoltan Paul ist „Unter Strom“, für dessen Drehbuch er zusammen mit Uli Brée verantwortlich zeichnet, bereits der zweite Spielfilm, allerdings die erste Kooperation mit Next Film aus Berlin. Für Produzentin Hegewisch ein Glücksgriff, wie sich schon in der Vorproduktion zeigen sollte. Castings und Teamauswahl fanden gemeinsam statt, Budget und Drehzeit sind nicht überzogen worden. Einen großen Anteil daran haben auch die Darsteller, die zum Teil auf ihre üblichen Gagen verzichteten und dafür am Gewinn des Filmes beteiligt werden sollen. Ein Risiko, dass alle Beteiligten ob des „hervorragend geschriebenen, intelligenten und in dieser Form extrem seltenen Drehbuchs“, so Hegewisch, bereit sind einzugehen.

„Unter Strom“ stellt laut Aussage der Filmemacher einen „blitzartigen Kurzschluß all jener Filme dar, die den Kinobesuch der letzten Jahrzehnte zum Ereignis werden ließen.“ Schwarzer Humor á la Tarantino, überdrehte Ereignisse im Stile von „Kops“ und selbst Einflüsse eines Pedro Almodóvar werden da zitiert, was beim Blick auf den Inhalt gar nicht so abwegig zu sein scheint: Ein wegen Mordes unschuldig zu 15 Jahren Haft verurteilter Mann (Hanno Koffler) entführt auf der Flucht ein frisch geschiedenes Ehepaar (Harald Krassnitzer und Catrin Striebeck), nimmt zudem einen Minister (Tilo Nest), den er für sein Unglück verantwortlich macht, als dritte Geisel hinzu und verschanzt sich in einen abgelegenen Landhaus, das rasch von einem Sondereinsatzkommando umstellt ist. Doch fangen hier die Probleme des Geiselnehmers erst richtig an, setzt der besorgte Polizeikommissar (Ralph Herforth) doch alles daran, seinen Liebhaber, Minister Möllerbreit, zu retten und gesteht ihm sein bester Freund (Robert Stadlober) gleichzeitig, seine Frau geschwängert zu haben.

Hilfreiche MDM


Inwieweit es Regisseur Zoltan Paul gelungen ist, diese mit absurden Plotwendungen gespickte Komödie kurzweilig auf die große Leinwand zu übertragen, wird sich Anfang des kommenden Jahres zeigen, wenn „Unter Strom“ im Verleih von Salzgeber bundesweit in den Kinos starten wird. Den Voraussetzungen nach sollte dies aber gelungen sein, wie Produzentin Hegewisch mit Verweis auf die fabelhafte Zusammenarbeit insbesondere mit der MDM betont: „Die MDM stand uns bei der Produktion stets hilfreich zur Seite und hat uns während der Dreharbeiten viele Kontakte vermitteln können.“ Keine Selbstverständlichkeit, wie sie aus ihrer inzwischen langjährigen Tätigkeit als Geschäftsführerin der Firma Next Film, die sie 2000 mit dem inzwischen verstorbenen Laurens Straub begründete, zu berichten weiß. Und vielleicht gerade deshalb erst der Beginn einer auch in Zukunft fruchtbaren Zusammenarbeit.

DVD-Tipp: „Slumdog Millionär“ & „Public Enemy No.1“

Liebe Leser,

statt neuer Kinofilmrezensionen gibt es diese Woche zwei DVD-Tipps zu Filmen, die zwar schon einmal auf diesem Blog besprochen wurden, jedoch eine nochmalige Erwähnung verdienen.

Die Herren Boyle & Richet, oder: Über die Unmöglichkeit, sich selbst zu übertreffen

Da haben sie sich aber ein Ei gelegt: Danny Boyle, seines Zeichens Filmregisseur britischer Abstammung, und sein französischer Kollege Jean-François Richet, präsentierten 2009 nichts weniger als den Höhepunkt ihres bisherigen künstlerischen Schaffens. „Slumdog Millionär“ darf sich rühmen, acht Oscars erhalten zu haben, während sich „Public Enemy No.1“ – nicht zu verwechseln mit Michael Manns „Public Enemies“ mit Johnny Depp in der Titelrolle – dem wohl bekanntesten Verbrecher Frankreichs, Jacques Mesrine (1936-1979), widmet. Unterteilt in zwei separate Filme, „Mordinstinkt“ und „Todestrieb“, ergründet er dabei nicht nur eine historische Figur, sondern ebenso eine Gesellschaft, die solch ein Monster gebar.
Zweifellos wird es sowohl für Boyle als auch Richet nicht leicht, ihre Werke noch einmal zu toppen. Die nahezu perfekte Symbiose von Schauspielführung, Schnitttechnik, Musikuntermalung und Drehbuch werden fortan als ihre eigenen Referenzen herhalten müssen, auch wenn es sich um Großproduktionen handelt, bei denen ein üppiges Budget zur Verfügung stand. Denn trotz allem sind beiden sehr persönliche Filme, Filme mit Seele, Filme mit großem Erinnerungswert gelungen.

„Slumdog Millionär“ (Vertrieb: Prokino Home Entertainment)
Glück? Schicksal? Oder einfach nur ein Gefühl? Jamal (Dev Patel) hat es fast geschafft: Als Kandidat der indischen Ausgabe von Sendung „Wer wird Millionär?“ sitzt er nun vor der alles entscheidenden Frage um den Höchstgewinn. Doch wie ist ihm das gelungen? Durch Zufall, Bestimmung oder schlichte Cleverness? Aufgewachsen in einem Slum von Mumbai, schlägt er sich zunächst mit kleinen Gaunereien durchs Leben und lernt dabei Latika (Freida Pinto) kennen, in die er sich unsterblich verliebt. Auf der Flucht vor Menschenhändlern getrennt, begegnet er ihr Jahre später wieder – an der Seite seines inzwischen zum Gangster aufgestiegenen Bruders Salim (Madhur Mittal).

Es ist kaum in Worte zu fassen, welch ein Feuerwerk an Stimmungen, Bildern und Musik Danny Boyle in „Slumdog Millionär“ entfacht. Es gibt keinen Ruhepol, keine Verschnaufpause und schon gar keine Langeweile in diesem bunten, lauten, unfassbar betörenden Trip, der Indien genau so einfängt, wie es ist: eben bunt, laut, unfassbar betörend.
Die DVD präsentiert in der „Standard Edition“ etwa 25 Minuten an Bonusmaterial, darunter Interviews und ein Mini-Making-Of einer der erinnerungswürdigsten Szenen des Films. Ebenso erfreut eine Hörfilmfassung, ein viel zu selten genutztes Extra des Mediums.


„Public Enemy No.1“ (Vertrieb: Universum Film)
Neun Monate Drehzeit benötigte das filmische Porträt von Mesrine, der von den 1960er bis Ende der 1970er wütete, dabei unzählige Banken ausgeraubt, über 40 Menschen getötet und etliche Ausbrüche aus staatlichen Gefängnissen hinter sich gebracht hat. Ein Medienstar, ein Berserker, ein 1979 schließlich auf offener Straße von der Polizei hingerichteter Mann, dessen Gewalttätigkeit noch heute ihresgleichen sucht.

Regisseur Richet setzt diesem Teufel aus Fleisch und Blut kein Denkmal, sondern entwirft anhand seines Lebenslaufs ein präzises, spannendes und mitreißendes Gemälde eines Staates, der der Ruhm-, Geld-, und Gewaltsucht einer einzelnen Person fast vollständig ausgeliefert war und am Ende selbst zum Täter werden musste, um diesen „Staatsfeind Nummer eins“ zu stoppen.

Während Teil eins den Aufstieg Mesrines in der Unterwelt Frankreichs thematisiert, widmet sich Teil zwei vornehmlich seinem Spiel mit den Medien und der Suche nach dem Sinn seines Handelns. Richet inszeniert beide Teile grundverschieden, nutzt verschiedene stilistische Mittel und überträgt somit das Konzept von Tarantinos „Kill Bill“ auf das europäische Kino.
Vielleicht ist dies auch – trotz inhaltlicher Entfernung – der einzig legitime Vergleich, der die großartige Umsetzung von „Public Enemy No.1“ sinngemäß widerspiegelt: Eine einzigartige Tour de Force, zu Beginn (Teil eins) eine nicht enden wollende Gewalteruption, eingefangen in einer genialen Optik, die alle Stilmittel des Actionkinos zu nutzen weiß, am Ende (Teil zwei) die Besinnung auf klassisches Filmemachen, das die Charaktere in den Vordergrund stellt.

Die DVD bietet beide Teile mit einer Gesamtlänge von nahezu vier Stunden, ein Interview mit Hauptdarsteller Vincent Cassel, sowie ein informatives Making Of.

„Die Tür“ (Kinostart: 26. November 2009)

Die Frisur geht schon mal gar nicht! Natürlich ist es nicht fair, einen Film nur darauf zu reduzieren, doch ist der Kopfschmuck von Nebendarstellerin Heike Makatsch in diesem düsteren Drama so einprägsam unschön, dass es gleich zu Beginn bemängelt werden muss.

Womit das Kapitel der Negativkritik zu „Die Tür“ bereits abgeschlossen wäre. Denn Anno Saul, bisher vor allem für unbeschwert leichte Unterhaltung zuständig („Wo ist Fred?“, „Kebab Connection“), ist mit der Verfilmung von Akif Pirinçcis Roman „Die Damalstür“ (2001) ein packender, wunderbar doppelbödiger und grandios gespielter Thriller gelungen.

Maler David (Mads Mikkelsen) vergnügt sich gerade mit seiner Nachbarin (Makatsch), als seine kleine Tochter im Hauseigenen Pool ertrinkt. Für seine Frau Maja (Jessica Schwarz) ein Schock in doppelter Hinsicht, die ihm weder den ehelichen Fehltritt und schon gar nicht seine Schuld am Tod des eigenen Kindes verzeihen kann. Von Vorwürfen und Traurigkeit zerfressen, will er seinem Leben ein Ende setzen, findet jedoch nicht weit von seinem Zuhause entfernt zufällig eine Tür. Eine Pforte in die Vergangenheit, in der er all seine Fehler bereinigen kann. Wenn da nur nicht sein anderes, jüngeres Ich wäre, das er zuvor verschwinden lassen muss…

Wieder einmal wagt sich ein Stoff an die endlos diskutierbare Frage „Was wäre wenn?“ und die Möglichkeiten einer zweiten Chance. Doch findet „Die Tür“ durch das geschickte Einweben des „früheren Ichs“ der Personen einen neuen Ansatz, der die Figuren nicht nur ihre eigene Vergangenheit ändern lässt, sondern ihnen zuvor eine schwere Prüfung auferlegt: erst das Töten des Vorgängers ermöglicht ein Eingreifen in den Lauf der Geschichte und verschließt gleichzeitig die Möglichkeit einer Rückkehr in die ursprüngliche (zukünftige) Zeitebene.

Auch wenn dies alles ein wenig verwirrend klingen mag, das Spiel mit doppelten Realitäten ist spannend und fesselnd inszeniert. Regisseur Saul wechselt scheinbar mühelos zwischen Thriller und Beziehungsdrama, dazu hier ein bisschen Horror, dort ein wenig Fantasy. Dazwischen eine fabelhafte Darstellerriege, die mit Valeria Eisenbart (Jahrgang 1998) als Tochter Leonie ein zauberhaftes Talent in ihrer Mitte präsentiert. Ihr Spiel fällt deshalb auch positiv auf, da ihr Charakter, im Gegensatz zur Mehrzahl von Kinderrollen in Kinofilmen, tatsächlich ernst genommen wird und etliche hervorragende, glaubhafte Dialoge fernab des üblichen „Kindertralala“ zugestanden bekommt.

Laut Aussage des Regisseurs richtet sich „Die Tür“ an ein „Mystery-Thriller-Publikum, aber auch Menschen, die stärker am Drama interessiert sind. Der letze Film, der als Mystery-Drama bezeichnet wurde, war „Unbreakable-Unzerbrechlich“ (Regie: M. Night Shyamalan, 2000) – was nicht heißt, dass wir so ähnlich sind, aber es ist kein Genre, das man jeden Tag im Kino sehen kann.“
Wie wahr, wie wahr!

„Helen“ (Kinostart: 26. November 2009)

Manchmal ist sie beängstigend, jene zufällige Treffsicherheit von filmischer Fiktion und Realität. Ursprünglich für einen Kinostart im April diesen Jahres angedacht, verschob der Verleih Sandra Nettelbecks („Bella Martha“) erste Hollywoodproduktion bis zum Herbst. Zu düster schien die Thematik um eine erfolgreiche Musikprofessorin und liebevolle Mutter (stark: Ashley Judd), die plötzlich an einer Depression erkrankt. Inzwischen hat Deutschland einen talentierten Nationaltorwart verloren und womöglich einen anderen Zugang zu solch einem Stoff. Auch weil Autorin Nettelbeck ihre „Helen“ als nach Außen gesunde, im Leben zwischen Job und Familie gefestigte Person einführt, verstehen wir nun die Tücke dieser Krankheit womöglich besser als vor dem 10. November.

„Wir dachten, mit Liebe geht das“, war in den vergangenen Wochen oft zu hören. Helens Gatte (Goran Visnjic) versucht es zunächst auf ebensolche Weise, scheitert, zieht sich zurück, wartet ab. Mathilda (Lauren Lee Smith) hingegen, selbst manisch depressiv, spendet Trost, hört zu, nimmt Helen mit ans Meer. Zusammen kämpfen sie dort für mehr Zeit. Lebenszeit.

Nettelbeck verkneift sich glücklicherweise das zu erwartende Klischee am Ende. Stattdessen gibt es die bittere Erkenntnis, dass Antidepressiva, Kuren und Elektroschocktherapien zwar allesamt nützliche Helfer während des oftmals jahrelang andauernden Verlaufs einer Depression sein können. Ein definitives Heilmittel mit Garantie jedoch gibt es nicht. Doch auch das wissen wir nun schon.

Aus der „Sächsischen Zeitung / PluSZ“ vom 26. November 2009.

„New in Town“ (Kinostart: 26. November 2009)

Muss Massenware immer langweilen? Mitnichten, wie Jonas Elmer mit seiner Gute-Laune-Geschichte „New in Town“ beweist. Zwar präsentiert seine Liebeskomödie kaum Neues, doch so harmlos und so vorhersehbar sie auch sein mag, es macht Spaß Renée Zellweger bei ihrem Trip vom sonnigen Miami ins winterliche Minnesota zu begleiten.

Lucy (Zellweger) ist Karrierefrau, Single und für eine Beförderung sogar bereit, ihr komfortables Leben in der Großstadt für einige Wochen gegen das einfache Dasein im schneeweißen Hinterland einzutauschen. In New Ulm soll sie eine Fabrik wieder auf Gewinnkurs bringen, gern auch mit Entlassungen, unbedingt so schnell wie möglich. Dass die Bewohner und Arbeiter ihrer neuen Umgebung darüber weniger erfreut sind, lässt die Dame zunächst kalt. Doch nach und nach tauen nicht nur die verschrobenen Eigenbrötler auf. Lucy findet Gefallen am simplen Leben und vor allem an „cutie deputy“ Ted (Harry Connick, Jr.), dem Gewerkschaftsvertreter der hiesigen Fabrik.

„New in Town“ bietet, wie eingangs schon erwähnt, kaum Innovation. Selbst die Darsteller spielen zwar lustvoll aber lediglich routiniert ihre Standardrollen runter, nicht ohne jedoch einen gewissen Charme zu verbreiten. „Willkommen bei den Sch´tis“ auf amerikanisch könnte man meinen. Ein typisches Genrefilmchen, seicht, amüsant und ja, auch etwas naiv. Also genau das Richtige für einen romantischen Kinoabend zu dieser Jahreszeit.

„Liebe Mauer“ (Kinostart: 19. November 2009)

Wier Sachsn hams schon ni leichd: Ständig werdn wier wegn unsres Akzents zu Witzfiggurn degradiert und müssen uns meist mit Nebenrollen als Naivlinge präsändiern. Nu, und dann denkt alle Weld, dor ganse Ostn war so.

Naja, abor ich will ma ni so hard sein mit dem Peter, dem Peter Timm, unserm Lieblingsregisseur für Ossikomödien seit „Go, Trabi, Go“, schließlich gommt er ja och ausm Ostn. Ist ausgewiesn wordn 1973, wegn systemkritischen Denkens. Nun hat er mit Felicitas Woll (die aus „Berlin Berlin“), Maxim Mehmet („Männerherzen“, der hat aber auch in dem unsäglichn „66/67 - Fairplay war gestern“ mitgemacht, siehe unten) und Anna Fischer (demnächst in der Komödie „Unter Strom“ zu sehen, u.a. in Dresden gedreht) sowas wie ne Wendekomödie geschriebn und inszeniert und das ganze „Liebe Mauer“ genannt.

Da geht´s um ne Studentin ausm Westn namens Franzi, die kurz vor dem Mauerfall ne Wohnung direkt an einem Grenzübergang in Berlin bezieht und sich in nen ostdeutschen Wachposten verliebt. Da Franzi als Wessi rüber darf, besucht sie ihren Schatz Sascha regelmäßig, bis der von seinen Vorgesetzten den Befehl kriegt, die imperialistische Spionin zu bespitzeln. In der Zwischenzeit hat Franzi mit Saschas Mitbewohnerin Uschi die Rollen getauscht. Das sorgt für allerlei Verwirrungen, viel Situationskomik und natürlich Herzschmerz.

Dor Film „Liebe Mauer“ pendelt so zwischen Klamotte, Romanze und ostdeutschem Erfahrungsbericht kurz vor dor „Wende“. Da weeß man nich, ob man bei den Verhören durch de Stasioffiziere ob ihrer Abstrusität lachen oder erschüttert sein soll. Die Sets sind detailverliebt und gut getroffen, nur eben die völlige Überzeichnung von Uschi als sächselndes Mädel schmerzt ein wenig. Wat soll´s, „Liebe Mauer“ macht wirklich Spaß, ist harmlos und im zwanzigstem Jubeljahr nach dem Mauerfall een passender Beitrag.

„Gesetz der Rache“ (Kinostart: 19. November 2009)

Selbstjustizstreifen gehören seit jeher zum Interieur von Hollywood. In regelmäßiger Unregelmäßigkeit probieren sich sowohl B-Movie-Stars (Steven Seagal, Dolph Lundgren, Vin Diesel, Thomas Jane) als auch Charakterdarsteller (Charles Bronson, Sally Field, Denzel Washington, Jodie Foster, Mark Wahlberg, Kevin Bacon) an solchen Werken aus, nicht selten mit religiös geschwängertem Unterbau á la „wie du mir so ich dir“ oder „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Das ist zwar – zumindest in der westlichen Hemisphäre dieser Welt – gesellschaftlich tabuisiert, für das Gewissen jedoch ausreichend, um die Tat als gerechtfertigt anzusehen.

Nun also gibt Gerard Butler („300“, „Die nackte Wahrheit“) den „Law Abiding Citizen“ (so der Originaltitel, zu deutsch etwa: „Gesetzestreuer Staatsbürger“) und möchte als Clyde Shelton sogar noch einen Schritt weitergehen als seine zahlreichen Vorgänger, indem er den gesamten Staatsapparat zum Einsturz bringen will.

F. Gary Grays („Set It Off“, 1996) Actionthriller startet wie üblich: Familienvater wird Zeuge am Mord seiner Liebsten, Täter kommen mit milder Strafe davon, befinden sich ab diesem Zeitpunkt jedoch auf der Abschussliste des rachsüchtigen Einzelgängers. Dessen einziges Ziel ist das möglich schmerzhafte Ableben seiner einstigen Peiniger, Kollateralschäden inbegriffen. So weit, so bekannt. „Das Gesetz der Rache“ variiert den üblichen Plot mit einem zugegebenermaßen neuen Versatzstück, der Verhaftung des Rächers. Seltsamerweise setzen sich die Morde jedoch fort, sodass Polizei, Staat und vor allem Staatsanwalt Rice (Jamie Foxx) fortan um die Sicherheit ihrer Schäfchen bangen müssen.

Im Gegensatz zu vielen artverwandten Filmen kommt „Das Gesetz der Rache“ mit vielen grundsätzlichen Fragen im Gepäck daher. Bürgerliche Freiheitsrechte stehen dem Wunsch der Staatsmacht nach Sicherheit und Ordnung gegenüber, geltende Gesetze des Rechtsstaates werden hinterfragt und ins Gegenteil verkehrt. Und doch wird schon ziemlich früh deutlich, dass es weder Regisseur Gray noch Autor Kurt Wimmer wagen, sich auf eine Seite zu schlagen – zumindest vorerst nicht. Bezeichnend hierfür ist jene Szene in einem Gerichtssaal, in der Täter Shelton zunächst um eine Kaution bittet, um gleich darauf die Leichtsinnigkeit einer solchen Entscheidung zu kritisieren. Diese Zweideutigkeit durchzieht den gesamten Film, eine wirkliche Stellungnahme, was denn nun gerechter sei (Gesetz oder Selbstjustiz), bleibt aus.

So gelingt es „Gesetz der Rache“ zunächst beide Seiten auszuloten, weist auf Mängel und Vorteile hin und erschreckt in manchen Momenten gar mit seiner Deutlichkeit. Speziell die Gesetzeshüter kommen mit ihrer Forderung, „alles Mögliche“ zu tun, um den brutalen Derwisch zu stoppen, sehr schlecht weg. Mit Philadelphia als Schauplatz, immerhin der Ort, an dem Amerika seine Unabhängigkeitserklärung verkündete und Verfassung beschloss, erhalten solcherlei Aussagen zusätzliches Gewicht.

Letztendlich bricht jene inhaltliche Unentschlossenheit dem Werk jedoch das Genick. Logiklöcher häufen sich zunehmend, eine individuelle Auseinandersetzung der Figuren mit Sinn und Unsinn ihres Handelns wird ausgespart, das Finale hinterlässt ob seiner abermaligen Inkonsequenz und den hier totgeschwiegenen, jedoch diskussionswürdigen Ansätzen der vergangenen 90Minuten einen fahlen Beigeschmack.

Ohne Zweifel zählt „Gesetz der Rache“ zu den besseren Vertretern seines Genres. Besonders der latent vorhandene kritische Unterton gegen staatliche Willkür und juristische Schlupflöcher weiß zu begeistern. Da hätte es einiger expliziter Gewaltdarstellungen (Gefängniszelle), welche offensichtlich als Zugeständnis an all jene Zuschauer eingefügt wurden, die mit der Sozialkritik im Film wenig anfangen können oder wollen, gar nicht gebraucht. Nichtsdestotrotz ist die optische Inszenierung über jeden Zweifel erhaben, Gray besinnt sich auf klassisches Actionkino, fährt Computergenerierten Firlefanz zurück und lässt es ordentlich krachen.

Zum Schluss noch ein Tipp für Fans solcher Rachefilme: „Death Sentence“ (2007) von James Wan kommt zwar weniger tiefgründig daher, hat sehr wohl jedoch ein konsequenteres Ende zu bieten – und Kevin Bacon mit herrlicher Anarchoglatze.

„Tannöd“ (Kinostart: 19. November 2009)

Der bis heute ungeklärte Mord an einer Oberbayrischen Bauernfamilie im Jahr 1922 gilt als eines der bekanntesten Mysterien der deutschen Kriminalgeschichte. Sechs Menschen, darunter ein siebenjähriges Mädchen und ein zweijähriger Junge, wurden in der Nacht vom 31. März auf den 1. April erschlagen und erst einige Tage später von den Bewohnern eines angrenzenden Dorfes aufgefunden.

Schon etliche Dokumentationen, zuletzt sogar ein Kinofilm unter dem Titel „Hinter Kaifek“ (März 2009), beschäftigten sich mit den Geschehnissen jener Nacht. Die Autorin Andrea Maria Schenkel verarbeitete die Tat 2007 in ihrem Bestseller „Tannöd“, dessen düstere Verfilmung mit Julia Jentsch („Sophie Scholl – Die letzten Tage“) in der Hauptrolle nun auf großer Leinwand zu sehen ist.

Zwei Jahre nach der Tat kommt die junge Kathrin (Jentsch) zur Beerdigung ihrer Mutter in das abgelegene Dorf nahe des Mordhofs. Zwar hat insbesondere die keifende Traudl (Monica Bleibtreu in ihrer letzten Rolle) zahlreiche Theorien zum Tathergang und Täterprofil parat, doch merkt Kathrin schnell, dass scheinbar jeder Bewohner etwas zu verschweigen hat. Misstrauen, Skepsis und Geheimniskrämerei allerorten, wirklich tragisch empfindet die Dorfgemeinschaft den Mehrfachmord zudem ebenso wenig.

Nebel, grummelige Bewohner, düstere Atmosphäre: Regisseurin Bettina Oberli weiß ihre Geschichte spannend und bedrohlich zu erzählen. Zumindest in den ersten 30 Minuten ihres Krimidramas, in dem neben den verschrobenen Figuren auch die Bildübergänge zu begeistern wissen. Mag es am relativ frischen Konkurrenzprodukt „Hinter Kaifek“ von Esther Gronenborn liegen, das mit Benno Fürmann und Alexandra Maria Lara ebenfalls eine prominente Besetzung vorweisen konnte, oder dem über alle Maßen faszinierenden Hanekefilm „Das weiße Band“: Richtig begeistern kann mich „Tannöd“ nicht. Zu wenig Inhalt, zu viele Wiederholungen zur Charakterexposition (man beachte die Häufigkeit von Traudls Verschwörungstheorien) sind augenfällig und lassen die Handlung und die Figuren des Films schnell auf der Stelle treten. Zumal die Tatsache, keinen Täter präsentieren zu können, dem Spannungsbogen zusätzlich nur wenig zuträglich ist.

Die Akribie und strenge die Form von „Das weiße Band“ haben das Leben und Denken, die Überzeugungen und Verhaltensweisen in Dorfgemeinschaften Anfang des 20. Jahrhunderts, seien sie für Stadtmenschen noch so seltsam, sehr viel ergiebiger und nachhaltiger vermittelt als „Tannöd“ es in seinen besten Momenten gelingt. Kein schlechtes Werk, angesichts der viel zu guten Konkurrenz jedoch „nur“ ein halbwegs zufriedenstellender Streifen.

„Das gelbe Segel“ (Kinostart: 19. November 2009)

Das Leben gleicht oftmals einer Reise. Dabei müssen Start- und Endpunkt nicht unbedingt zwei verschiedene Orte sein. Brett (William Hurt) macht diese Erfahrung während seines Trips zusammen mit zwei Teenagern (Kristen Stewart, Eddie Redmayne), die ihn an einer abgelegenen Fährstation aufgegabelt haben.
Was sie (noch) nicht wissen: Ihr älterer Begleiter kommt soeben aus einem Gefängnis, in dem er sechs Jahre seines Lebens verbracht hat. Nun möchte er an den Ort zurück, der ihn einst sein größtes Glück bescherte – und schließlich hinter Gitter brachte.

Mit „Das gelbe Segel“ präsentiert der britische Regisseur Udayan Prasad ein stilles Roadmovie, das mehr einer Odyssee in die Innenwelt von vier Charakteren gleicht. Allen voran ein einmal mehr fantastisch aufspielender William Hurt als verschwiegener Ex-Knacki, hinter dessen Fassade lange Zeit weder seine Weggefährten noch der Zuschauer blicken kann. Bedrohlich, undurchschaubar und doch an späterer Stelle überraschend verletzlich und offen, legt Hurt seine Figur als innerlich zerrissenen, von Schuldgefühlen und Sehnsucht geplagten Mann an, der nicht wirklich weiß, welchen Weg er einschlagen will.

Kristen Stewart, seit dem Teenie-Vampierfilmchen „Twilight“ in aller Munde, zeigt endlich, dass sie mehr kann als blass auszusehen und noch blassere Hänflinge anzuhimmeln. Ihr junger Fahrer, der ebenso exzentrische wie verrückte Gordy (Redmayne), komplettiert das Dreiergespann passend, wenn auch aufgrund seiner seltsamen Verhaltensweisen zunächst sehr gewöhnungsbedürftig.

Die vierte und letzte Figur taucht erst in der zweiten Hälfte dieses wunderbar melancholische Stimmung verbreitenden Dramas auf, Jahrhundertaktrice Maria Bello. Seit Jahren auf Nebenrollen abonniert, ist dank ihrer Schauspielkunst nach wenigen Szenen klar, was Protagonist Brett so einzigartig an dieser Frau fand. Die in Rückblenden erzählte, herrlich unromantische Beziehung zwischen ihm und May (Bello) hat tiefe Wunden hinterlassen und das Leben von Brett für immer verändert. Unschlüssig zwischen Furcht vor und Hoffnung auf ein Wiedersehen hin- und herpendelnd, sind es schließlich seine beiden Mitfahrer, die ihm die Entscheidung über sein weiteres Schicksal abnehmen.

Intensiv, hervorragend gespielt und fernab von jeglichem (Liebesfilm-)Kitsch: „Das gelbe Segel“ empfiehlt sich als einer der späten Kinohöhepunkte des Jahres. Und wer mag, kann darin sogar noch eine Allegorie auf das vorurteilslose Akzeptieren Fremder sowie die Macht des Schicksals und den Sinn von Vergebung entdecken. Schön ist´s allemal.

„66/67 – Fairplay war gestern“ (Kinostart: 19. November 2009)

Verwunderlich, was ein Promotionstext so alles weiß: „`66/67 – Fairplay war gestern´ ist ein Film über eine Generation, die nicht erwachsen werden will: Sechs junge Männer leben in ihrem eigenen Mikrokosmos zwischen Fanclub und Fußballstadion, zwischen Aufbruch ins Leben und dem Festhalten an einem alten Weg, der unweigerlich in eine Sackgasse führt. Dem Regisseurs-Duo Ludwig & Glaser („1. Mai“, „Detroit“) gelingt ein spannendes und mutiges Drama, das den Moment im Leben ausleuchtet, in dem einem bewusst wird, dass Angriff die beste Verteidigung ist und das Spiel des Lebens länger als 90 Minuten dauert.“

Abgesehen davon, dass sich Aussagen wie „ein Film über eine Generation“ und „junge Männer in eigenem Mikrokosmos“ widersprechen (eine ganze Generation vs. eine einzelne Gruppe von Männern), suggeriert diese Zusammenfassung ein Werk, welches sich auf humorvolle, nachdenkliche und ernsthafte Weise mit dem Erwachsenwerden auseinandersetzt. Der Hauptpreis in der Kategorie „Bester deutschsprachiger Film“ beim diesjährigen „Zürich Film Festival“ unterstützt diese Erwartungen umso mehr, die dieser – Verzeihung – Schund in keiner Sekunde erfüllen kann.

Erstens, da unter den entworfenen Figuren, die allesamt in der Fußballer-Fan-Szene anzusiedeln sind, keine auch nur ansatzweise glaubhaft wirkt. Es handelt sich ausschließlich um extreme Charaktere, die ihr Leben rigoros auf „entweder-oder“-Basis zu führen scheinen. Schwarz/weiß-Malerei in Reinform, eindimensionale Marionetten, denen jegliche Tiefe abgeht. Fußballfans auf solche Art und Weise darzustellen, kommt einer Beleidigung gleich.

Mit dem Fokus auf Hooligans, also jenen gewaltbereiten Idioten, die hauptsächlich zum Prügeln das Stadion betreten, scheitert „66/67“ jedoch ebenso. Das liegt vornehmlich am lückenhaften Drehbuch, welches zu keiner Zeit einen Ansatz für das Verhalten dieser Spackos liefert. Warum sind diese Kerle so? Was motiviert sie? Was versprechen sie sich von ihren Taten? So sieht der Zuschauer, welcher im Idealfall keinen Einblick in diese Szene hat, eine Aneinanderreihung sinnentleerter (weil unerklärter) Gebaren, die zudem von grausig-dummen Dialogen kommentiert werden. Zusammen mit etlichen anderen verbalen Geschmacklosigkeiten, die Film/Figuren/Handlung in keinster Weise voranbringen, erträgt man so Geplapper über Intimfrisuren von Familienangehörigen oder das Grimassen schneiden vor Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben. Das ist weder amüsant noch tragisch, sondern schlicht respektlos und in allen Maßen unangebracht.

Sicherlich gibt es nur Wenige, denen es gelingt, den Übergang vom jugendlichen Spaß zum sogenannten „Ernst des Lebens“ problemlos zu meistern. Was die Regisseure jedoch hier als Abbild von Teilen der Gesellschaft präsentieren, ist substanzlos, übertrieben unwahr und so offensichtlich auf Provokation gebürstet, dass es nur noch peinlich und ärgerlich ist.

P.S.: Die Geschmack- und Respektlosigkeit, die hier gezeigt wird, veranlasste mich, die Filmvorstellung etwa 30 Minuten vor dem Ende zu verlassen. Ein Sakrileg unter Filmjournalisten, in dieser Situation jedoch unausweichliche Konsequenz für diesen Dreck!

„Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte“ (Kinostart: 12. November 2009)

Seit vergangener Woche braucht diesen Film in Deutschland wohl keiner mehr. Dank des wenig subtilen Gebarens amerikanischer Unternehmensführer wissen nun nicht nur Mitarbeiter hiesiger Automobilmanufakturen, was Kapitalismus bedeutet. Bewohner von Flint, dem Geburtsort von Dokumentarfilmer Michael Moore, durften diese Erfahrung bereits vor 20 Jahren machen, als deren Fabrik geschlossen wurde - ebenfalls Eigentum von General Motors (GM), filmisch verewigt in Moores Erstling „Roger & Me“.

Doch der streitbare Regisseur hat dazugelernt: Nach zahlreichen Kämpfen im Kleinen, gegen Waffenwahn („Bowling for Columbine“), verhasste Politiker („Fahrenheit 9/11“) und Irrsinn im Gesundheitswesen („Sicko“), versucht er in „Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte“ den scheinbaren Ursprung aller gesellschaftlichen Missstände zu entschlüsseln. Seriös, selbstreferenziell und weniger polemisch als zuvor.

Nun ist Moore professionell genug, um den Zuschauer, vornehmlich das amerikanische Publikum, nicht sogleich mit trockenen Statistiken und unverständlichem Gebrabbel aus der Finanzwelt zu erdrücken. Diese kommen zwar später noch hinzu, allerdings nicht ohne vom Reiseführer selbst hinterfragt und verständlicher formuliert zu werden. Nein, Moore versucht es einmal mehr über die emotionale Ebene und beginnt seine Liebesgeschichte mit der Zwangsräumung eines Hauses. Hilflosigkeit, Verärgerung und Unverständnis nicht nur bei den Betroffenen, die trotz Arbeitsplatz, freiwilligem finanziellen Verzicht und Systemvertrauen plötzlich vor dem Nichts stehen. So ereilt es Menschen wie Leute, am Ende der Nahrungskette passt ein ganzes Leben in einen Möbelwagen.

Mit den positiven Verheißungen des Kapitalismus, wie sie den Amerikanern in den Nachkriegsjahren in herrlich naiven Werbeclips versprochen wurden, hat dies nicht mehr viel zu tun. Ihn deswegen zu verdammen, liegt Moore fern. Stattdessen ist er bemüht, historische Fehlentscheidungen vergangener Regierungen zu entlarven und stellt seinen Landsleuten am Ende gar die Gretchenfrage: Ist Kapitalismus mit der Heiligen Schrift vereinbar?

Oft wurde Moore vorgeworfen, seine offene Sympathie für die politische Linke zu Ungunsten seiner Gegner ausgeschmückt zu haben. Da kommt es schon einer kleinen Sensation gleich, im Moore-Universum plötzlich kritische Töne in beide Richtungen wahrnehmen zu können. Fehler, Verlogenheiten und Profitstreben auf Kosten des „kleinen Mannes“ werden entlarvt, Unverständnis über mühelose Wiederaufnahme all jener Verhaltensweisen, die zur weltweiten Finanzkrise nicht unerheblich beitrugen, verdeutlicht.

„Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte“ zeigt unabhängig vom Inhalt einen gemäßigteren, offeneren Moore, der verständlicherweise kein Allheilmittel präsentieren kann, eigene journalistische Unzulänglichkeiten früherer Werke jedoch weitgehend zurückgefahren hat. Ein Lernprozess mit erfolgreichem Abschluss sozusagen. Schade, dass GM bezüglich angemessener Mitarbeiterführung so etwas in zwanzig Jahren nicht gelungen ist.

Aus der „Sächsischen Zeitung / PluSZ“ vom 12. November 2009.

„Hachiko – Eine wunderbare Freundschaft“ (Kinostart: 12. November 2009)

Hunde gelten als treue Seelen. Da haben sie vor allem uns Menschen etwas voraus, die sich trotz endloser Rückschläge immer wieder neu auf die Suche nach ewiger Liebe begeben. Die Lösung: einen Hund kaufen! Denn schenkt man Lasse Hallströms („Chocolat“) neuem Film Glauben, ist eine Hundeliebe endlos, selbstlos und weder durch eifersüchtige Ehepartner noch Sturm und Regen zerstörbar.

Auch wenn dies alles nach einer zugegebenermaßen sehr verkitschten Hollywoodgeschichte klingen mag, so basiert „Hachiko“ doch auf einer wahren Begebenheit, die sich in den 1920er Jahren in Japan zutrug: Uniprofessor Parker Wilson (Richard Gere) findet eines abends einen Hundewelpen, den er spontan „nur für eine Nacht“ mit nach Hause nimmt. Schnell jedoch gewinnt der niedliche Vierbeiner das Herz seines neuen Herrchens und gehört fortan zur Familie. Völlig vernarrt in seinen kleinen Freund, nimmt Parker auf dem Weg zur Arbeit Hachiko mit bis zum Bahnhof. Als er zurückkehrt, sitzt Hachiko bereits am Ausgang des Gebäudes, um zusammen mit ihm den Heimweg anzutreten. Ein alltägliches Ritual ist geboren – bis Parker eines Tages nicht im Zug sitzt.

Warmherzig, romantisch und mit ganz viel Zucker versetzt: das ist „Hachiko“, das ist die Welt von Hallström. Perfekte Familienverhältnisse, beruflicher Erfolg, kein Schmutz, kein lautes Bellen. Der Film umschifft jeden noch so bedeutungslosen Konflikt zugunsten der Freundschaft zwischen Hund und Geres´ Charakter. Eine schnurgerade Einbahnstraße Richtung Tränen, Schluchzen und Seufzen, ein „Wohlfühlfilm“ á la Hollywood in Reinkultur. Natürlich kann man Hallström hierfür verurteilen. Man kann ihn jedoch ebenso für seine inhaltliche Konsequenz loben.

Wer zu Letzterem neigt, erlebt zweifellos einen wunderbaren Filmabend.

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 5. November 2009.

„Ganz nah bei dir“ (Kinostart: 12. November 2009)

„Gibt’s nicht! Niemals! Viel zu übertrieben!“ So in etwa lässt sich meine Reaktion auf die männliche Hauptfigur in Almut Gettos („Fickende Fische“, 2002) neuer Komödie „Ganz nah bei dir“ zusammenfassen. Zu meinem Erstaunen wurde ich jedoch gleich nach der Vorstellung von den anwesenden Kollegen eines besseren belehrt. Sonderlinge wie Phillip (Bastian Trost) scheint es wie Sand am Meer zu geben. Eigenheiten, Schrulligkeiten und, ja, ein derartig artikuliertes misanthropisches Verhalten gehören offenbar zum Alltag unserer Gesellschaft.

Zusammen mit seiner Schildkröte Paul, die wie er schön gemächlich und nicht zu hektisch, einsam und doch irgendwie selbstzufrieden durch ihr Dasein schleicht, lebt der Bankangestellte zurückgezogen in seiner eigenen Welt. Als er eines Abends auf die blinde Cellistin Lina (*seufz* Katharina Schüttler *seufz*) trifft, oder besser: sie aus einem Versehen heraus seinen Tisch anrempelt, poltert er zunächst wenig charmant verbal zurück. Zu seiner Überraschung bittet sie ihn jedoch als Begleitung für den Nachhauseweg zu dienen, worauf sich in den folgenden Wochen eine mehr als seltsame Beziehung entwickelt.

Der Film lebt ausschließlich von seinen beiden Protagonisten, die so ziemlich jede Erwartungshaltung auf den Kopf stellen. Hier der Sehende mit dem Unwillen, menschliche Nähe aufzubauen oder sich anzupassen, dort die Blinde mit einer unbändigen Lebenslust und der Fähigkeit, das Leben viel intensiver und aufmerksamer wahrzunehmen als jeder Sehende. Hieraus zieht die Komödie ihr Potenzial, ihre Unberechenbarkeit und Spannung. Zwar verwundert einmal mehr die Tatsache, dass ekelhaftes Benehmen scheinbar immer wieder zum (Liebes-)Glück führen kann, doch begeistert neben reichlich Amüsement auch diesmal wieder die wunderbare Schauspielkunst jener Dame, welche vor kurzem erst Iris Berben in „Es kommt der Tag“ darstellerisch anständig Paroli bot.

Katharina Schüttler bleibt – neben Hannah Herzsprung und Jessica Schwarz – weiterhin die aufregendste und talentierteste Jungschaupielerin, die dieses Land momentan zu bieten hat. Es mag naiv und schwärmerisch klingen, die Nuancen ihres Spiels sind jedoch einfach phänomenal. Und wie in „Es kommt der Tag“ allein das Kinoticket wert.

„Looking for Eric“ (Kinostart: 5. November 2009)

Was haben Kung-Fu-Einlagen und Faustschläge mit Fußball zu tun? Nichts! Es sei denn, Eric Cantona, englischer Rasengott französischer Herkunft und laut Manchester-United-Fans gar „Fußballer des Jahrhunderts“, hat mal wieder einen Blackout. Wie 1995, als er einen Zuschauer am Spielfeldrand schlicht wegkickte, indem er seine Zauberfüße über die Absperrung hob. Seinen Anhängern ist´s immer noch egal, das der inzwischen 43jährige Rüpel auch über sich selbst lachen kann, zeigt nun „Looking for Eric“ von Ken Loach.

Eric (Steve Evets) ist Briefträger, Fußballnarr und überforderter Vater in Personalunion. Seine zweite Frau hat ihn verlassen, nun fristet er sein Dasein inmitten eines Hauses im inneren Verfallszustand, resigniert vor seinen beiden Teenagersöhnen – und philosophiert über Fußball. Manchmal scheint es, als ob ihn nur dieses Thema und seine Kollegen/Freunde vor dem Wahnsinn beschützen können. Trotzdem ist Eric am Ende. Kann nicht mehr. Will nicht mehr.
Bis sein Namensvetter plötzlich einem Poster in seinem Schlafzimmer entsteigt: Eric Cantona, sein Held, sein einziger wahrer Zuhörer, steht plötzlich vor ihm und präsentiert sich als ultimativer Aufmunterungs-Coach. Eric & Eric machen sich auf, ein neues Kapitel im Leben des Briefträgers zu beginnen, die Vergangenheit zu entrümpeln und Mittels der „Operation Cantona“ gleich noch Erics erste Frau, Lily (Stephanie Bishop), zurückzugewinnen.

Ganz nah am Leben, dem „kleinen Menschen“, der oftmals unschönen, harten Realität, siedelt Ken Loach seine Werke an. „Just a kiss“ (2003) und „It´s a free world“ (2007) gehören mit ihrer schonungslosen Darstellung des Alltags zu den absoluten Höhepunkten des britischen Kinos seit der Jahrtausendwende. Dabei entwirft Loach niemals irgendwelche halsbrecherischen Szenarien, die nur einem Filmhelden zustoßen können, sondern erzählt stets eine Geschichte echter Figuren, die sich schlicht im Hier und Jetzt bewähren müssen. Das ist in „Looking for Eric“ nicht anders. Hier dient der Kniff des „lebendigen Cantonas“ lediglich der Verbildlichung eines autogenen Trainings, das den psychisch und physisch erschöpften Briefträger wieder auf Vordermann bringt.

So sind die Höhepunkte dieses großartigen Sozialdramas vielmehr jene Szenen, in denen Eric von seinen Kollegen mit dummen Witzen, Therapiesitzungen oder Ratschlägen aus Lebenshilfebüchern aufgemuntert werden soll. Das ist menschlich, herrlich naiv und geht ob seiner Ehrlichkeit zu Herzen. Es ist ein Genuss, den Kerl bei seiner Wiederauferstehung ins gesellschaftliche Leben dank profaner Fußballweisheiten zu beobachten. In der Tat ist dies wohl der erste Film, bei dem ich zwischendrin immer wieder aus dem Kinosessel aufspringen und den Hauptdarsteller laut anfeuern wollte.

Mitreißend, spannend, gespickt mit allerlei Rückschlägen und Erfolgen. Ein Film wie ein Fußballmatch. Ein Film so bitter und schön wie das wahre Leben.

„Weltstadt“ (Kinostart: 5. November 2009)

Ein Film, aktueller denn je. Wenn Jugendliche Passanten auf offener Straße zusammenschlagen, Gewalt zum Verschaffen von Respekt benutzt wird und Handyvideos von Misshandlungen wie Trophäen im Internet präsentiert werden, befindet sich die Gesellschaft in einer Schieflage. Es mag der Eindruck entstehen, erst die vergangenen Monate hätten dieses Problem auf ein neues Level gehoben, doch existiert dieser Zustand schon lang. Viel zu lang. Ein Film zu dieser Thematik wird nichts verändern, doch manchmal genügt schon die Wahrnehmung und schlichte Schilderung solch schlimmer Ereignisse um ein Umdenken zumindest anzustoßen.

„Weltstadt“ von Christian Klandt, Absolvent der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ Potsdam-Babelsberg, sollte eigentlich gar nicht den Weg ins Kino finden. So äußerte sich zumindest der erst 31jährige Regisseur in einem Gespräch, in dem er auch seine Motivation für das Drehbuch, den Titel und den Film verriet: Zwar seien viele von der Tat geschockt gewesen, doch schon wenige Tage später mochte niemand mehr über das Geschehe sprechen. Auch sei die Tat verharmlost worden, da „lediglich“ ein Obdachloser Opfer des Gewaltverbrechens geworden sei. „Ich wollte einen Film über die Stadt (Beeskow, Brandenburg) drehen, aber auch verhindern, dass die Zuschauer denken `Das ist Brandenburg, das ist Osten.´ Denn eigentlich könnte der Film überall spielen, solche Verbrechen passierten und passieren leider überall in Deutschland, im Westen wie im Osten.“

Doch worum geht es in „Weltstadt“? Es ist die Momentaufnahme einer Stadt, von deren Bewohnern und einem erschütternden Ereignis, bei dem zwei Jugendliche einen Obdachlosen überfallen, geschlagen und schließlich angezündet haben. Es ist jedoch ebenso ein Abbild unserer Gesellschaft, in der Arbeitslosigkeit, Wut, Frustration, Perspektivlosigkeit und Langeweile einen seltsam-bedrohlichen Pakt geschlossen haben, der sich in solcherlei Gewaltexzessen entlädt. Klandt, der selbst in Beeskow aufgewachsen ist und beide Täter persönlich kennt, konstruiert dabei kein Lehrstück mit erhobenem Zeigefinger, sondern nutzt einen nahezu dokumentarischen Stil, sowohl bei der Umsetzung als auch den Dialogen, welche die Darstellern teilweise improvisieren. Vorurteile, platte Attitüden und naive Denkweisen sind da zu hören, nichts Unbekanntes, wenn man nur einmal aufmerksam einem Gespräch in den Öffentlichen Verkehrsmitteln lauscht, Zeitung liest, im Wartezimmer einer Behörde sitzt. Es sind Gespräche zwischen Menschen, die lebenslang geschuftet haben und scheitern, Gespräche zwischen Kids, die noch nie etwas zu Stande gebracht haben, Gespräche innerhalb von Familien, die das Kommunikationsproblem in unserer Gesellschaft punktgenau widerspiegeln.

Somit ist das eigentlich Erschreckende der Wiedererkennungseffekt, Situationen, Konflikte und Dialoge, die nicht zum ersten Mal erlebt, gesehen oder gehört werden. Immerhin ereignete sich das hier gezeigte Verbrechen bereits vor fünf Jahren. Inwieweit dieser bedrohlichen Entwicklung seitdem entgegengewirkt wurde, bezeugen die jüngsten Ereignisse in München. Auch dies eine Weltstadt.

„Der Informant!“ (Kinostart: 5. November 2009)

„Unfassbar“ schreit das Plakat zum Film dem Betrachter entgegen. Nicht nur Matt Damons Aussehen als Möchtegern-Geheimagent Mark Whitacre ist damit gemeint, obwohl er damit George Clooneys scheußlichem Oberlippenbart aus „Confessions of a dangerous mind“ ernste Konkurrenz macht (Herr C. fungierte hier übrigens als Produzent). Nein, unfassbar ist vielmehr die – mal wieder – auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte, die präsentiert wird.

Nun gebe ich gern zu, dass es eine ganze Stunde brauchte, um zumindest halbwegs den Sinn dieser Farce zu begreifen. Deshalb an dieser Stelle schon den Inhalt wiederzugeben, werde ich tunlichst vermeiden, schließlich sollen auch andere Zuschauer leiden, rätseln und knobeln. Allein die Prämisse sei kurz skizziert: Whitacre vermutet inoffizielle, illegale Preisabsprachen seines Konzerns mit anderen Unternehmen und wendet sich als aufrechter Bürger an das FBI. Zur Beweisbeschaffung erklärt er sich umgehend bereit, indem er interne Gespräche aufzeichnet, Akten beschafft und dabei seinen normalen Arbeitsalltag weiterführt. Allerdings kommt ihm bei seiner Undercover-Tätigkeit sein Ego etwas in die Quere.

Steven Soderbergh und Matt Damon machen nach den „Ocean´s“-Filmen und „Che-Guerilla“ bereits zum fünften Mal gemeinsame Sache und liefern gewohnt souveränes Handwerk ab. Souverän, jedoch nicht herausragend. Behäbig, wenig lebendig, schlicht und konservativ gestaltet sich die Umsetzung des Stoffes, der zu Beginn konfus und ohne erkennbaren roten Faden auf den Zuschauer einprasselt. Mit Blick auf die Auflösung am Ende des Films sicherlich beabsichtigt, doch fällt es mitunter schwer, all die Informationen und Handlungsorte auseinanderzuhalten, einzuordnen, zu speichern. Hilfreich, dass zumindest hier und da ein Off-Kommentar die Szenerie kommentiert. Blöd nur, wenn diesem nicht wirklich zu trauen ist.

„Der Informant!“ verlangt Geduld, Aufmerksamkeit und Schmerzunempfindlichkeit (nochmal: der Bart ist scheußlich!), entfaltet erst in der zweiten Hälfte seine Stärken und macht in seiner amüsanten Unbekümmertheit deutlich, wie leicht der Mensch (auch wenn er nur vom Kinosessel aus zusieht) manipulierbar ist.

„Endstation der Sehnsüchte“ (Kinostart: 29. Oktober 2009)

Irgendwie passen sie nicht in dieses Dorf: Jene 60.000 Heavy-Metal-Fans, die Regisseurin Sung-Hyung Cho in ihrer Dokumentation „Full Metal Village“ (2007) durch das beschauliche Wacken in Schleswig-Holstein begleitete. Nicht weniger Kurioses präsentiert ihr neuer Heimatfilm „Endstation der Sehnsüchte“, ein Porträt über Menschen, die ihr deutsches Zuhause einfach mitgenommen haben in ihre Heimat, nach Südkorea.

Seit Mitte der 1960er Jahre entsandte das damals von Armut gezeichnete Ostasiatische Land mehrere tausend Arbeiter gen Westen, dort, wo Krankenschwestern und Bergarbeiter dringend benötigt wurden. „Nachts weinen, morgens arbeiten gehen. So war das.“, berichtet Chun-Ja Engelfried, die sich wie viele andere auch in einen Deutschen verliebte, eine Familie gründete und hier ihr zu Hause fand. Dreißig Jahre später kehrt sie zurück und lebt nun zusammen mit ihrem Mann in Dogil Maeul, dem „Deutschen Dorf“, das eigens für Leute wie sie errichtet wurde. Zwischen Gartenzwergen, deutschen Würstchen und neugierigen Blicken vorbeifahrender Touristen beginnt hier ihr neues, fremdes Leben. Denn irgendwie passen sie nicht in dieses Land.

Regisseurin Sung-Hyung Cho, selbst gebürtige Koreanerin, gelingt in ihrer zweiten Kinodokumentation Erstaunliches: Amüsant und melancholisch zugleich entlockt sie ihren drei Rentnerpaaren ehrliche Befindlichkeiten über (un)erfüllte Träume, sprachliche Barrieren, schmerzhafte Rituale. Da entbehrt es nicht einer gewissen Komik, wenn der 82jährige Ludwig auf allen Vieren in eine Sauna klettern muss oder sich mittels Handzeichen über das Angeln mit seinem Schwiegersohn unterhält. Einzig sein Nachbar Willi scheint nahezu vollständig assimiliert zu sein, besucht Tanzwettbewerbe, trinkt abends mit Koreanern, lernt die Sprache. Nur der schiefhängende Briefkasten nebenan entlarvt seinen deutschen Ordnungssinn. Nicht weniger erstaunen die Geständnisse der Ehefrauen, deren Sehnsucht nach Deutschland sich ebenfalls in für den Zuschauer sehr vertrauten Verhaltensweisen äußert, manchmal gar zum Leidwesen ihrer Gatten.

Umfassend, ehrlich und witzig wirft „Endstation der Sehnsüchte“ somit auch einen entlarvenden Blick auf unser Land, unsere Eigenheiten, unser Denken. Und schafft somit vielleicht auch etwas Verständnis für all jene Ausländer in Deutschland, denen trotz Bereitschaft und Anpassungswillen die Integration nach wie vor schwer fällt.

Aus der „Sächsischen Zeitung / PluSZ“ vom 29. Oktober 2009.

„Die Standesbeamtin“ (Kinostart: 29. Oktober 2009)

Im Vergleich mit Deutschland ist die Schweiz ein leicht zu überschauendes Land – zumindest bezogen auf filmische Höhepunkte. Dies ist weniger auf mangelnde Qualität, als vielmehr auf die Quantität von Schweizer Produktionen zurückzuführen, die es bis in unsere Lichtspielhäuser schaffen. Einzig das Drama „Vitus“ (2006) hat in den vergangenen Jahren grenzüberschreitend Aufmerksamkeit erregt und konnte zufriedenstellende Besucherzahlen vorweisen.

Ob es Micha Lewinsky und seiner „Standesbeamtin“ ebenfalls gelingen wird, vermag ich an dieser Stelle nicht vorauszusagen. Verdient hätte es die wunderbar unaufgeregte, mit schweizerischer Gelassenheit umgesetzte Komödie sicherlich, auch wenn deren Halbwertszeit nicht annähernd jener von „Vitus“ nahekommt. Schließlich präsentiert „Die Standesbeamtin“ nur eine weitere Variante des ewigen Liebesfilmkarussells um ein Wiederaufflammen längst vergessener Gefühle, allerlei romantische Momente und die obligatorischen Hürden auf dem Weg ins vermeintliche Glück.

Rahel (Marie Leuenberger) lebt in einem kleinen Schweizer Städtchen und durchlebt sowohl im Privaten als auch im Berufsleben den immer gleichen Alltag. Als Standesbeamtin verhilft sie verliebten Paaren zum Eheglück, ihr eigener Mann jedoch hat schon lange jegliches Interesse an ihr verloren. Da kommt der Kurzurlaub ihres Verflossenen Ben (Dominique Jann) gerade recht: Einst spielten sie gemeinsam in einer Band und nicht nur der örtliche Pfarrer sah in beiden das Traumpaar schlechthin. Zwar ist Ben tatsächlich auch wegen Rahel zurückgekehrt. Allerdings nur, um sich von ihr trauen zu lassen – mit Tinka Panzer (was für ein Rollenname! Oriana Schrage), Schauspielerin, Tussi und zudem sehr hübsch anzusehen.

Was folgt, ist ein sehr amüsantes Wiederentdecken einer eingefrorenen Liebe, gespickt mit viel Gitarrenmusik, Situationskomik und Charme. Zwar verwundert der „Damengeschmack“ des Hauptdarstellers aufgrund der zwei völlig verschiedenen Frauencharaktere ein wenig, auch wirkt das Verhalten von ´it-girl´ Tinka hier und da etwas zu konstruiert. Doch hindert dies keineswegs die Mundwinkel des Zuschauers daran, nach oben zu wandern und dort bis zum Ende zu verweilen. Schön, das!

„Die Bucht – The Cove“ (Kinostart: 22. Oktober 2009)

„No animal was harmed in the making of this film.“ Wer seinen Kinobesuch bis zur letzten Minute auskostet, wird am Ende des Abspanns schon häufiger über diesen lapidar anmutenden Satz gestolpert sein. Damit soll dem Zuschauer versichert werden, dass während der Dreharbeiten kein Tier verletzt oder getötet worden sei. Kontrollieren kann dies freilich niemand, ob ein dressiertes Stuntpferd zudem freiwillig durch eine lärmende Kriegsszene rennt, bleibt uns ebenso verschlossen. Doch ganz ohne tierische Hilfe geht es nun mal nicht, sodass mit der Anwesenheit eines professionellen Trainers und dem Schlusssatz immerhin die naive Vorstellung aufrecht gehalten werden kann, nur „glückliche“ Viecher gesehen zu haben.
Besonders Delfine erwecken aufgrund ihres scheinbaren Lächelns den Eindruck, Spaß und Freude am Umgang mit Menschen zu haben. „Es ist der wohl größte Irrtum der Natur“, bemerkt eine Person in „Die Bucht – The Cove“ ziemlich treffend. Aufgebaut wie ein klassischer Spionagekrimi, setzt dieser außergewöhnliche Dokumentarfilm einen späten Höhepunkt im ausklingenden Kinojahr.

Ric O´Barry hat mit seiner Delfindressur Fernsehgeschichte geschrieben. Als Trainer von „Flipper“ trug er maßgeblich zum Image und der Begeisterung für die Meeressäuger bei. Da „Flipper“ in den 1960er Jahre die erste TV-Show ihrer Art war, bei der ein Delfin quasi als zweiter Hauptdarsteller neben Menschen agierte, gilt O´Barry als Urvater dieser „Kunst“. Fortan sprießen weltweit Delfinarien und Delfin-Shows aus dem Boden, rühmte sich jeder zweite Freizeitpark mit einer eigenen, unterhaltsamen Delfinattraktion. Unabhängig von den zweifelhaften Methoden und Mitteln, die Dresseure seit jenen Tagen anwenden, um die zutraulichen Lebewesen nach ihren Wünschen Tanzen, Springen und Planschen zu lassen, gibt es noch ein weiteres Kapitel, vor dem die Welt bis heute scheinbar die Augen verschlossen hat. Bis heute. Denn ähnlich einer kompletten Umstrukturierung bei McDonalds als Folge des Films „Super Size Me“ (Regie: Morgan Spurlock, 2004), ist nun ein ähnlicher Erfolg dank „Die Bucht“ zu vermelden: Behörden, Politiker und Journalisten sind durch den Film für ein Thema sensibilisiert worden, dessen Verheimlichung jahrelang scheinbar mühelos möglich war. Dazu später mehr.

Doch ist es nicht das Thema an sich, welches „Die Bucht“ aus der Menge an Dokumentationen herausragen lässt. Vielmehr punktet Regisseur Louie Psihoyos mit einem spannend umgesetzten Krimiplot, der zweifellos auch als James-Bond-Abenteuer wunderbar funktioniert hätte. Psihoyos begleitet Ric O´Barry, der sich inzwischen als Aktivist gegen die Delfindressur engagiert, auf dem Weg nach Taiji, einem japanischen Küstenort. Wir erfahren, dass dies jener Ort ist, an dem die weltweit meisten Delfine angelockt und gefangen werden, um sie anschließend nicht nur inländischen Freizeitparks als Unterhaltungsware anzubieten. Jedoch ist diese Behauptung weder belegt noch jemals dokumentiert worden, weshalb O´Barry nun zum wiederholten Male motiviert aber wenig erfolgversprechend vorbeischaut. Allerdings hat er diesmal ein Team von Spezialisten um sich gescharrt, das mit ungewöhnlichen Ideen und Gerätschaften ans Werk geht. Man glaubt es kaum: Auch Techniker von ILM, Industrial Light & Magic, hauptberuflich für die Schaffung von Effekten in Hollywoodfilmen beschäftigt, zählen zum Trupp und bringen genau das Know-how mit, das der Mission letztendlich den Arsch rettet.

Denn kaum aus dem Flugzeug gestiegen, heften sich Fotografen und Detektive, Polizei und stumme Beobachter an die Fersen der Ausländer und beobachten jeden Schritt. Besonders reizbar sind sie in Bezug auf eine Bucht, die – ungewöhnlich streng und deutlich – vom restlichen Teil der Insel abgetrennt wird. O´Barry weiß, dass diese Bucht nicht ohne Grund hermetisch abgeriegelt ist, zusammen mit seinem Team geht er diesem Geheimnis schließlich auf die Spur.

Galgenhumor, Besessenheit und permanente Angst vor willkürlichen Verhaftungen prägen die Stimmung der Protagonisten. Psihoyos wendet sich aber auch der „gegnerischen“ Seite zu und versucht, das aggressive Verhalten der japanischen Fischer und Staatsmacht zu durchleuchten und zu erklären. Kulturelle Riten, Nationalstolz, traditionelle Essgewohnheiten, staatliche Medienkontrolle und schließlich Unfähigkeit, ja sogar Bestechlichkeit internationaler Gremien werden erwähnt, hinterfragt und geben dem Zuschauer somit ein umfassendes Bild von Rahmenbedingungen, die allesamt eine wichtige Rolle bei der Behandlung und dem Umgang mit Delfinen spielen.

„Die Bucht“ ist kein dumpfes Pamphlet, sondern wohldurchdachtes, intelligentes und faires Bildungsprogramm, das gerade durch seine Art, seinen Thrilleranleihen und seiner engagierten Hauptakteure zu begeistern weiß. Die neutrale Darstellung alltäglicher Mechanismen, Denk- und Verhaltensweisen war wohl auch einer der Gründe, weshalb die japanische Regierung die Zustände in Taiji begutachtete und schließlich unterband. Teilweise zumindest, denn statt Delfinen sind nun Pilotwale (Grindwale) die neue Beute der Fischer. Damit umgehen sie zwar – zumindest auf dem Papier – das momentane Delfinfangverbot. Doch aus biologischer Sicht sind Pilotwale ebenso eine Delfinart. Der Teufel hat somit weiterhin viel zu tun.

P.S.: Da es wohl kaum einem Zuschauer gelingen wird, die zahlreichen, im Abspann genannten Adressen von Hilfsorganisationen zu notieren, hier eine kleine Auswahl:

www.delfine.org
www.SaveJapanDolphins.org
www.opsociety.org
www.oceancare.org
www.prowildlife.de
www.peta.de

„Das weiße Band“ (Kinostart: 15. Oktober 2009)

Ein weißes Band, befestigt an den linken Oberarm, soll die Kinder daran erinnern, ihre Taten zu bereuen und „brandmarkt“ sie gut sichtbar für jeden als Sünder. Für den Pfarrer (Burghart Klaußner) eines Dorfes im protestantischen Norden Deutschlands, am Vorabend des Ersten Weltkriegs, hat dieses Ritual nicht nur symbolischen Charakter. Es steht ebenso für Regeln, Ordnungen und traditionelle Verhaltensweisen, über welche er zusammen mit dem Gutsherrn (Ulrich Tukur), dem Verwalter (Josef Bierbichler) und vielen anderen wacht.

Strenge und Sittlichkeit, sowie Gottesfurcht und Bestrafungen bestimmen hier den Alltag. Ein trügerischer Frieden herrscht vor, bis eines Tages seltsame Unfälle geschehen. Menschen verschwinden, Verdächtigungen werden geäußert, weiße Bänder sichtbar. Doch Erklärungen bleiben aus.

Michael Haneke zählt nicht erst seit seinen radikalen Werken „Funny Games“ (1997/2007), „Die Klavierspielerin“ (2001) oder „Caché“ (2005) zu den aufregendsten und unberechenbarsten Filmemachern unserer Zeit. „Es ist ein Haneke-Film, der Rest ist mir egal.“ lautete sein störrischer Kommentar zu „Das weiße Band“, der sicherlich nicht jedem Zuschauer schmecken wird.

Stoisch, fast bewegungslos, beobachtet die Kamera in 145 Minuten das Leben einer Dorfgemeinschaft, die nur auf den ersten Blick in schwarz und weiß – wie die Bilder selbst – zu unterscheiden ist. Unter der strengen Hand einiger weniger brodelt Aggression und Wut, welche sich zunehmend ihre Bahnen an die Oberfläche sucht, während selbst die „Heiligen“ sehr zweifelhafte Verhaltensweisen an den Tag legen.

Ein Film voller Andeutungen, Interpretationsmöglichkeiten und einprägsamer Momente. Ein Film über das Geschöpf Mensch. Ein Film, der zu recht die „Goldene Palme“, den Hauptpreis, bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes erhielt.

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 21. Oktober 2009.

„Away we go – Auf nach irgendwo“ (Kinostart: 15. Oktober 2009)

Das Leben, eine Reise

Kinder kriegen ist nicht schwer – Eltern sein dagegen sehr. Sam Mendes weiß Abhilfe und schickt ein Paar auf einen witzig-charmanten Trip durch Amerika.

Gigantischer Bauchumfang, wenig Geld, viel Muffensausen. Schwanger zu sein und Verantwortung übernehmen zu müssen, versetzt dem jungen Paar Verona (Maya Rudolph) und Burt (John Krasinski), beide um die 30, einen gehörigen Schreck. Zwar ist die Liebe stark, das gemeinsame Miteinander routiniert und fernab von Langeweile. Gleichwohl: So richtig bereit für ein familiäres Dreiergespann „Mama-Papa-Kind“ fühlen sie sich kaum, ist der eigene Platz, das passende Zuhause noch nicht gefunden. Ebenso wenig hilfreich ist da der zweijährige Urlaub von Burts Eltern im belgischen Antwerpen, der einen Monat vor Veronas Niederkunft beginnen soll und beide allein zurücklässt. Was bleibt, ist die Flucht nach vorn. Ein Trip zu Veronas Geburtshaus soll Erleuchtung, Besuche bei Kollegen, Verwandten und Freunden erste Ideen zum perfekten Familienglück bringen.

Der an die Innentasche einer Jacke getackerte Reiseplan lässt es bereits erahnen: Was folgt, ist ein munteres Roadmovie, das dem planlosen jungen Paar ein Kaleidoskop an Lebensentwürfen präsentiert, von denen etliche furchterregend, einige passabel und nur einer der perfekte sein wird. Witzig ist dies allemal, wirklich neu hingegen nicht. Denn neben einer frustrierten und sich im Sarkasmus wälzenden Ex-Arbeitskollegin, Ehefrau und Mutter (Alison Janney), begegnen sie dabei auch einer Karrierefrau, Veronas Schwester (Carmen Ejogo), einer inzwischen zur New-Age-Prophetin mutierten Freundin aus Kindertagen (Maggie Gyllenhaal) mit einer Abneigung gegen Buggys, sowie zwei Kommilitonen, die ihr Glück mit Adoptivkindern gefunden haben. Das ist schön, unterhaltsam – und doch ein wenig vorhersehbar.

Schön, unterhaltsam, ein wenig vorhersehbar

Regisseur Sam Mendes („Zeiten des Aufruhrs“) und seine beiden Autoren wagen es erst gar nicht, der bunten familiären Vielfalt auf der Leinwand auch ein paar verbale Spitzen in Bezug auf die gesellschaftlichen Zustände im eigenen Land beizugeben. Mendes verweilt viel lieber beim Abbilden von seltsamen Verhaltensweisen oder schlichter Provokation auf „American-Pie“-Niveau. Spätestens beim finalen Besuch von Burts Bruder, dessen Frau ihn soeben mit seiner Tochter zurück gelassen hat, wirken auch die ständigen, auf ewig geltenden Liebesbekundungen beider Protagonisten etwas naiv.

Doch vielleicht braucht man diesen Blick auf die Welt, den „Away we go“ in aller Konsequenz erzählt. Denn rational und mit System ist weder eine Familie noch eine Liebe zu erhalten. Gleich, wie viele gute oder schlechte Beispiele im eigenen Umfeld ihr Dasein fristen, der tägliche Kampf ist der eigene. Keine essenziell neue Erkenntnis, was den Film schlussendlich auch ein wenig ins Leere laufen lässt.

Kein Œuvre ohne Reise

Ähnlich einem Musiker, der scheinbar von Geburt aus verpflichtet ist, irgendwann in seiner Karriere ein Album mit traditionellen Weihnachtsliedern aufzunehmen, siehe aktuell Bob Dylan, kommen Regisseure offenbar nicht umhin, ihrem Œuvre stets ein Roadmovie hinzuzufügen. Nach Jim Jarmusch („Broken Flowers“) und Alexander Payne („About Schmidt“) nun also Sam Mendes. Wobei dessen Werk in vielerlei Hinsicht an die herrlich brachiale Komödie „Ein Ticket für zwei – Planes, Trains & Automobiles“ aus dem Jahr 1987 erinnert. Die beiden Komiker Steve Martin und John Candy gaben hier ein Reiseduo wider Willen, das sich – ebenso wie in „Away we go“ – via Flugzeug, Zug und PKW Richtung Heimat begibt und dabei allerlei Hürden zu überwinden hat. Nur waren es da die Tücken eines viel zu kleinen Hotelzimmers, die Nasenhöhlenentzündung des Partners oder übergroße Unterhosen als Handtuchersatz.

Mag sein, dass auch Sam Mendes ähnliche Erlebnisse während der Schwangerschaft seiner Gattin Kate Winslet durchleben musste und sein Wissen nun an alle Eltern in spe weitergeben will. Ein amüsanter Ratgeber für das erste Kind sozusagen. Ein Film, den man daher nur einmal zu schauen braucht – dann aber aufmerksam, gut gelaunt und nicht zu verkrampft.

Eine gekürzte Fassung des Textes erschien am 15. Oktober in der „Sächsischen Zeitung“.

„Männerherzen“ (Kinostart: 8. Oktober 2009)

Til Schweiger in einer Liebeskomödie. Til Schweiger als charmanter Womanizer, dem keine Frau widerstehen kann. Til Schweiger als Til Schweiger. Doch diesmal heißt das Endprodukt weder „Keinohrhasen“, noch „Barfuss“, entspringt das Drehbuch nicht dem Schweigerkosmos und ist der Regieposten ebenso anderweitig vergeben. In Bezug auf Komik, Umsetzung und Darstellerrekrutierung steht „Männerherzen“ jenen Vorbildern allerdings in nichts nach.

Sechs Kerle zwischen 25 und 45 (darunter Christian Ulmen, Wotan Wilke Möhring, Justus von Dohnányi und Schweiger) stehen im Mittelpunkt dieser betont leichtfüßigen Komödie um das ewige Mysterium „Mann“ und dessen manchmal platte, oftmals seltsame Art und Weise, sich dem weiblichen Geschlecht zu nähern. Vom schüchternen Single über den Macho bis hin zum überforderten Ehegatten in spe ist jede Variante präsent und kämpft, liebt, scheitert.

Einzig der geschiedene U-Bahn-Führer Roland hat nicht nur mit seinem Eheaus, sondern auch mit den Folgen eines verheerenden Unfalls zu hadern, was dem Film zwar etwas Tiefe gibt, zu den anderen, weitaus oberflächlicher angelegten Charakteren aber nicht so recht passen will. Überhaupt begnügt sich Regisseur Simon Verhoeven leider viel zu oft damit, lediglich schon bekannte Vorurteile, Macken und Eigenarten der porträtierten Spezies aneinanderzureihen, ohne daraus einen hintergründigen, oder zumindest satirischen Film zu entwickeln.

Vielleicht war dies auch gar nicht sein Anliegen, was bei der Vielzahl an Gags und „Kenn-ich“-Momenten nicht weiter ins Gewicht fällt und vielmehr den puren Unterhaltungswert fördert. Eben ganz so, wie es sich die Fans von Schweiger wünschen, dessen eigener Beitrag zum alltäglichen Beziehungswahnsinn, „Zweiohrküken“, schon im Dezember folgt. Seine Rolle darin: Til Schweiger.

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 7. Oktober 2009.

„Es kommt der Tag“ (Kinostart: 01. Oktober 2009)

Nicht jedem Film tut es gut, tragende Rollen mit Theaterschauspielern zu besetzen. Auch das Drama „Es kommt der Tag“ von Susanne Schneider wird sich dieses Vorwurfs sicherlich mehr als einmal erwehren müssen. Im schlechtesten Fall spielen Bühnen- und Leinwandakteure, deren Präsenz, Artikulation und vor allem textliche Betonung oftmals variieren, aneinander vorbei. Im besten Fall hingegen - so wie in diesem Film - erlebt der Zuschauer eine schauspielerische Performance der Extraklasse, die keinen Zweifel daran lässt, dass sich hier zwei Künstler nichts schenken, sich seelisch entblößen und genau fühlen, was sie äußern. Für manche mag es übertrieben wirken, für das momentan im darstellerischen Mittelmaß ertrinkende Cineastenauge ist es eine willkommene Abwechslung.

Katharina Schüttler, mehrfach ausgezeichnete Theaterschauspielerin (aufsehenerregend ihre Darstellung von „Hedda Gabler“ 2005 in Berlin) und seit 2000 auch im Kino unterwegs („Sophiiiie!“, „Wahrheit oder Pflicht“) verkörpert Alice, eine zornige junge Frau, die es ins Elsass nahe der deutschen Grenze treibt. Durch einen absichtlich herbeigeführten Unfall kommt sie bei dem Franzosen Jean Marc und dessen Familie unter – nicht zufällig, wie seine distanzierte, deutsche Frau Judith (Iris Berben) bald erkennt. Denn Alice ist ihre eigene Tochter, die sie vor fast 30 Jahren zur Adoption freigegeben hat, als sie vor der Polizei flüchtete, untertauchte und eine neue Identität annahm.

Iris Berben, inzwischen 59 Jahre alt und im TV immer noch omnipräsent, zeigt hier endlich auch auf Großformat, was sie kann. Ähnlich erging es schon Elmar Wepper in „Kirschblüten -Hanami“, Kritikerlob und der Deutsche Filmpreis waren da der gerechte Lohn. Nun also die Berben. Und ja, es ist ein Fest! Sie und Schüttler spielen ehrlich, verletzlich, verletzend, herausfordernd, punktgenau. Regisseurin Schneider steuert dazu messerscharfe Dialoge und Szenenkompositionen bei, welche beispielsweise ein an sich harmloses Mittagessen im Hausgarten zu einem verbal brutalen Katz- und Mausspiel werden lässt, das noch lange nachwirkt.

„Es kommt der Tag“ ist ein herausragend gespieltes und inszeniertes Familiendrama, das die Themen Verantwortung, Schuld und Vergebung im Kontext historischer Ereignisse rund um die „68er“ aufwirft und hinterfragt. Mitreißend, streitbar, sehenswert.

„Pandorum“ (Kinostart: 1. Oktober 2009)

Da ist er wieder, dieser - Verzeihung - Dilettant. Paul W.S. Anderson steht schon seit einigen Filmen auf meiner imaginären „Liste der zu vermeidenden Regisseure“. Ob „Event Horizon“ (1997), „Resident Evil“ (2002), oder „Alien vs. Predator“ (2004), dieser Mann ist ein einziges Ärgernis in Bezug auf Qualität und Halbwertszeit seiner Werke. Ausnahmen bestätigen die Regel, sein letztes B-Movie „Death Race“ (2008) hatte sogar so etwas wie Charme (siehe Rezension vom November 2008).

Doch zurück zur Hasstriade: Auch wenn er „Pandorum“ nur als Produzent beiwohnte, ist sein Einfluss unübersehbar. Christian Alvart, Regisseur dieses SciFi-Actioners, biedert sich hier dermaßen an die Sehgewohnheiten eines gerade von Anderson propagierten Stils an, man mag es nicht für möglich halten. Dies ist umso trauriger, da Alvart vor vier Jahren mit „Antikörper“ einen finsteren, tiefgründigen Thriller vorgelegt hat, der sich zwar auch an amerikanischen Vorbildern orientierte (vor allem „Das Schweigen der Lämmer“), diese aber respektvoll zitierte und sinnvoll mit eigenen, guten Ideen ergänzte.

Anleihen an Klassiker des Genres, wie beispielsweise „Alien“ oder „Blade Runner“, sind auch hier im Übermaß zu entdecken, deren Level erreicht „Pandorum“ jedoch zu keinem Zeitpunkt. Kaum Variation, keinerlei Innovation. Stattdessen das immer gleiche Prinzip des Abzählreims, wonach jede Figur früher oder später das Zeitliche segnet. Dabei klingt die Grundidee gar nicht so blöde: Zwei Besatzungsmitglieder eines Raumschiffs (Dennis Quaid und Ben Foster) wachen nach einer langen Schlafphase auf, können sich allerdings an nichts erinnern. Sie beschließen, sich bis zur Kommandobrücke durchzuschlagen, finden auf dem Weg dorthin weitere Überlebende, müssen sich dabei jedoch auch einigen schauerlichen Gestalten im Blutrausch erwehren.

Womit ein weiteres Problem genannt wäre: Stand das „Stan Winston Studio“ zu Lebzeiten des Masken- und Special-Effects-Meisters* noch für angsteinflößende, unverwechselbare und überaus erinnerungswürdige Monsterkreationen, verkommt die Effekteschmiede zunehmend zum auswechselbaren Wunderladen. Weder die Kreaturen, noch deren Verhalten beeindrucken den vorbelasteten Genrefreund. Wohl auch deshalb entschied sich Alvart - offenbar ganz im Sinne Andersons - viel zu hektische Schnitte, armselig ausgeleuchtete Sets und langweilige Kampfszenen mit einem überaus störenden Score zu unterlegen um zumindest etwas Atmosphäre zu transportieren. Ergebnis: Mission definitiv gescheitert. Schon ein Nichtzeigen der missgebildeten Gegenspieler hätte genügt, dem Film zumindest bis zur Hälfte ein wenig Spannung zu gönnen. Hätte genügt.

Alibifiguren, ein zwar nett anzusehendes, aber von den Dialogen immens ablenkendes Dekolleté der unvermeidlichen weiblichen Kampfamazone (Ellen Ripley ich hör die trapsen), das schlichte inhaltliche und optische Nachäffen amerikanischer Vorbilder, die große Verwunderung über Alvart und die Negierung seiner eigentlichen Fähigkeiten. Alles Faktoren, die „Pandorum“ zu einer der größten Enttäuschungen des laufenden Kinojahres machen.

*Stan Winston (1946-2008) galt als einer der führenden Make-up-Designer und Effektspezialisten der Welt und wurde für seine Arbeit vier Mal mit dem Oscar ausgezeichnet. Zu seinen bekanntesten Kreationen zählen die Effekte in „Terminator“, „Aliens“, „Predator“, „Edward mit den Scherenhänden“, „Jurassic Park“ und „Iron Man“. Als Vorreiter und Revolutionär hat er als Experte für Spezialeffekte das Kino des 20. Jahrhunderts maßgeblich mitgestaltet.

im nachgang: „Sturm“ von Hans-Christian Schmid

Zwar liegt der Bundesstart nun schon einige Wochen zurück (10. September 2009), doch ist es mir ein großes Anliegen, diesem wunderbaren Film ein paar Zeilen zu widmen.

Es gibt bisher nur wenige Filme, die sich mit den Verbrechen und Folgen des sogenannten „Jugoslawienkonflikts“ befasst haben. Besonders außereuropäische Filmemacher wagen es selten bis nie, sich dieses komplexen Themas anzunehmen, was passenderweise dem gesellschaftlichen Bewusstsein diesbezüglich entgegen zu kommen scheint. Zwei sehenswerte Ausnahmen boten Richard Shepards Poltisatire „Hunting Party“ von 2007 mit Richard Gere und Terrence Howard in den Hauptrollen, eine spannend-ironische Abrechnung mit der UN, CIA und deren „Engagement“ in Mitteleuropa, sowie Michael Winterbottoms radikal-authentisches „Welcome to Sarajevo“ (1997), unter anderem mit Kerry Fox.

Sie ist es auch, die uns nun in „Sturm“ von Hans-Christian Schmid wieder zurück in das vom Krieg Mitte der 1990er Jahre immer noch gezeichnete Sarajevo nimmt. Spuren an den Häuserwänden, jedoch vor allem in den Erinnerungen der Menschen sind überall präsent, Misstrauen, Skepsis und Angst ebenso. „Sturm“ weiß diese Atmosphäre in all ihrer Bedrohlichkeit und Verzweiflung fabelhaft einzufangen, dank kluger Dramaturgie, interessanten Figuren und wertungsfreier Abbildung politischer Gegebenheiten. Letzteres vor allem im niederländischen Den Haag, einem Ort, wo Gerechtigkeit zur Verhandlungssache werden kann.

Denn Hannah Maynard (Kerry Fox) arbeitet hier am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien. Als Juristin und Anklägerin ist es ihre Aufgabe, einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher hinter Gitter zu bringen. Zu Recherchezwecken reist sie nach Sarajevo und findet in Mira (Anamaria Marinca, bekannt aus „4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage“) eine Zeugin, die möglicherweise zu einer Aussage bereit wäre. Dass bosnisch-serbische Nationalisten, die eine Verurteilung verhindern wollen, daraufhin mit ihren Säbeln rasseln, überrascht Hannah zunächst kaum. Doch auch in Den Haag bauen sich plötzlich neue Hürden auf, werden Absprachen mit Anwälten getroffen, Maulkörbe verteilt und internationale Interessen über das Schicksal von Mira gestellt, deren persönliche Geschichte beispielhaft für so viele andere Opfer steht. Gerechtigkeit ist halt Verhandlungssache.

Oftmals verwundert das scheinbar langsame und nur in seltenen Fällen fruchtbare Arbeiten der ICTY (International Criminal Tribunal For The Former Yugoslavia) in Den Haag. Doch Schmid gelingt das Kunststück, genau hier präzise und verständlich die Komplexität jedes einzelnen Falles zu verdeutlichen. Auch wenn seine Hauptfigur Hannah überzeugt, engagiert und moralisch gerecht vorgeht, weiß sie von den Hindernissen und Gräben, die es zu überwinden gilt, bevor ein zweifelsfrei schuldiger Kriegsverbrecher in einem fairen und trotzdem von eindeutigen Indizien getragenen Prozess angeklagt werden kann. Denn, so Michael Karnavas, ein in Den Haag tätiger Verteidiger: „Alle Urteilssprüche wären ohne eine gute Verteidigung wertlos. Und der bloße Umstand, dass wir Menschen vertreten, die vielleicht etwas Schlimmes getan haben könnten, heißt nicht, dass wir gutheißen, was sie getan haben.“ Das bringt die Crux der Chose treffend auf den Punkt: Werde Täter und nutze die Rechte eines Angeklagten. Werde Opfer und fürchte die Rechte eines Angeklagten. Denn Gerechtigkeit bleibt Verhandlungssache.

In einem Interview gab Schmid an, einen Stoff gesucht zu haben, mit dem er einen Film im Sinne des „New Hollywood“ hätte machen können. Eine Eigenschaft dieses Genres war es immer, reale Geschichten der Gegenwart kritisch und spannend zu präsentieren. Dies ist ihm mit „Sturm“ auf großartige Weise gelungen. Ein wichtiger, wütender und zutiefst menschlicher Film.

P.S.: Interessante Einblicke, historische Fakten zum Krieg im ehemaligen Jugoslawien, sowie aktuelle Prozessberichte und Internet-Liveübertragungen zu laufenden Verhandlungen bietet die offizielle Webseite des ICTY: www.icty.org.

Aus dem „Kinokalender Dresden“, Ausgabe Oktober 2009.

„Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen“ (Kinostart: 24. September 2009)

„Ein bewegendes Porträt der faszinierendsten Frauenfigur des Mittelalters“ soll es sein, jener neue Film von Margarethe von Trotta, den die vielfach ausgezeichnete Regisseurin, Autorin und Fassbinder-Aktrice drei Jahre nach „Ich bin die Andere“ nun präsentiert. Da sind große Erwartungen tatsächlich gerechtfertigt, zumal die Biographie der Bingen (1098-1179) genug Potenzial für interessante Einblicke zur Rolle der Frau im Mittelalter hergibt.

Mit acht zur religiösen Erziehung in ein Kloster gegeben, entscheidet sie sich für ein Leben als Nonne, wird Äbtissin eines Frauenklosters, entdeckt die Heilkraft von Kräutern, komponiert eigene Musikstücke und bringt göttliche Visionen zu Papier. Ein Novum im 12. Jahrhundert, was heftige Widerstände innerhalb der Klostermauern bedingt. Nach päpstlicher Anerkennung ihrer Gabe gründet sie ein Frauenkloster bei Bingen, das fortan als Wallfahrtsort landesweit Aufmerksamkeit erlangt.

Was womöglich als Rebellenstück gegen kirchliche Engstirnigkeit gedacht war, entpuppt sich im Fall von „Vision“ als spannungsarmes Kammerspiel, dessen kühle, eindimensional aufspielende Hauptdarstellerin (Barbara Sukowa) enttäuscht, während das Drehbuch von Bingens soziale und gesellschaftliche Bedeutung völlig außer Acht lässt. Formal verärgern fehlende Untertitel für lateinische Phrasen, inhaltlich bleibt die naive Ergebenheit ihrer Schülerin (Hannah Herzsprung) wie so vieles unerklärt. „Vision“ hat kein Interesse, diese historische Figur einem Publikum abseits ihrer Verehrer nahezubringen und gleicht eher einer filmischen Heiligsprechung. Verschenkt.

Aus der „Sächsischen Zeitung“ (PluSZ) vom 24. September 2009.

„Oben“ (Kinostart: 17. September 2009)

Schon wieder ein Jahr vergangen? Stets Mitte September schenkt uns die Animationsschmiede Pixar einen neuen Leinwandspaß, oder treffender: einen abendfüllenden Trick- („Oben“) mitsamt amüsantem Vorfilm („Teilweise wolkig“).

Auch „Oben“-Hauptfigur Carl, ein grantiger alter Mann, der sein Haus tapfer und beinahe hoffnungslos gegen fiese Bauunternehmer verteidigt, wundert sich über den Verbleib seiner Lebenszeit. Schon immer hatte er den Traum, zusammen mit seiner großen Jugendliebe Elli einmal nach Südamerika zu reisen. Nun ist Elli fort, Carl verwitwet und sogar ein Treppenlift zur Etagenbezwingung nötig. Irgendwann hat Carl genug und wagt ein letztes großes Abenteuer: Er befestigt tausende Luftballons an seinem Dach und fliegt der Langeweile einfach davon. Mit an Bord: Pfadfinder Russell, der soeben die Veranda betrat.

Die Erfolgsbilanz von Pixar ist erstaunlich: neun Oscars, unzählige Nominierungen und weltweiter Erfolg bei Jung und Alt. Das kalifornische Unternehmen zählt zweifellos zu den Wegbereitern animierter Filmkunst und schafft es auch mit seinem zehnten Abenteuer wieder zu begeistern. Wobei der Einfluss des ehemaligen Konkurrenten und neuen Kooperationspartners Disney jedoch diesmal stärker hervortritt, als noch in früheren, frecheren Werken („Monster AG“, „Wall•E“): Nach einer sehr emotionalen und ernsten Einleitung, die Carls Leben und Verluste beleuchtet, wandelt sich „Oben“ mit zunehmender Laufzeit in ein actionreiches, vor allem Kinder ansprechendes Feuerwerk, das zwar gewohnt fabelhafte Animationen und gelungene Seitenhiebe auf’s Älterwerden bietet, mit sprechenden Hunden, die Flugzeuge steuern können allerdings auch ein wenig inhaltliches Potenzial verschenkt.

Doch Kritik beiseite, „Oben“ macht Spaß, unterhält prächtig und hat mit dem Duo Carl/Russell ein unschlagbares Team zu bieten!

„Antichrist“ (Kinostart: 10. September 2009)

Lars von Trier nennt ihn den „wichtigsten Film meiner ganzen Karriere“. Schon auf dem Filmfestival von Cannes, wo er seinen neuen 100Minüter dieses Jahr vorstellte, nutzte der umstrittene Däne das Podium, um auf die physische und psychische Grenzüberschreitung hinzuweisen, die er mit „Antichrist“ vollzogen habe.

In der Tat ist das in Nordrhein-Westfalen entstandene Werk eine Herausforderung für den Zuschauer. Visuell als auch erzählerisch lässt von Trier seine Dämonen von der Leine und auf sein Publikum los, das es im besten Fall gar nicht erst wagt, den Saal zu verlassen.
Grundlage für das schemenhafte Skript bildete eine Depression von Triers, die ihn vor zwei Jahren zur Tatenlosigkeit verdammte: „Alles, egal was, schien unwichtig, trivial. Ich konnte nicht arbeiten. Das Drehbuch wurde ohne großen Enthusiasmus beendet und verfilmt, da dabei nur die Hälfte meiner körperlichen und intellektuellen Kapazität genutzt wurde.“

Die einzigen Figuren des Films werden verkörpert von Charlotte Gainsbourg und Willem Dafoe, beides Darsteller, die schon öfter Charaktere jenseits von Gut und Böse gaben. Beide durchwandeln einen alptraumhaften Weg inmitten eines dunklen Waldes, wo „er“, ausgebildeter Psychologe, „sie“ therapieren und von Schuldgefühlen befreien will, die sie nach dem Unfalltod ihres gemeinsamen Kindes hat.
„Antichrist“ exerziert das Seeelenleben und die Ehe der beiden und gleicht in seiner spartanischen Umsetzung eher einem Theaterstück, das im letzten Drittel die psychologische Ebene hinter sich lässt, um fortan in aller optischen Deutlichkeit die Folgen körperlicher Gewalt zu präsentieren. Sexualität und Verderben gehen Hand in Hand, isoliert von der Außenwelt kommt es zum Kampf Frau gegen Mann, möglicherweise Bestie gegen Mensch.

Doch ist diese Konstellation keinesfalls Zufall. Das Bild, welches von Trier hier (einmal mehr) vom Geschöpf „Frau“ entwirft, könnte angsteinflößender, verletzlicher und stärker nicht sein. Ein Blick zurück auf „Dogville“ unterstreicht die Vermutung, von Trier sehe den weiblichen Organismus nicht zum ersten Mal als Ursache und Triebfeder des Bösen. Dass diese Sichtweise dem Film mitnichten eine angenehme Auflösung beschert, dürfte bereits früh klar sein.

Unabhängig von allen inhaltlichen Aspekten, über die es nach dem Film zu diskutieren lohnt, bleibt „Antichrist“ allerdings auch wegen eines anderen Merkmals in Erinnerung: Selten zuvor gelang es einem Filmemacher, eigene dunkle Erfahrungen so überwältigend groß, bedrohlich und konsequent auf Leinwand zu bannen. Nochmal von Trier: „Ich würde Sie gerne zu einem kleinen Blick hinter die Kulissen einladen, einen Blick in die dunkle Welt meiner Fantasie. In die Natur meiner Ängste, in die Natur von `Antichrist´.“

Na dann: wer traut sich?

„Fighting“ (Kinostart: 10. September 2009)

Wenn Kunst immer auch ein Zeugnis jener Zeit ist, in der sie entsteht, dann leben wir momentan in einer sehr schlimmen und traurigen Epoche. Schlimm, weil solch Blödsinn wie „Fighting“ überhaupt erdacht, finanziert und realisiert wird. Traurig, da es genug Menschen geben wird, die sich daran erfreuen, es akzeptieren und nachäffen werden.

Shawn (Channing Tatum) kommt nach New York, übt sich als Straßenverkäufer und wird bei der Verfolgung eines Diebes (!) von Harvey Boarden (Terrence Howard) „entdeckt“. Boarden verdient sein Geld mit illegalen Faustkämpfen, bei denen sich grenzdebile Muskelpakete die Körper zu Brei schlagen. Shawn steigt ein, wird zum neuen Helden der Szene und verliebt sich dank/trotz herrlich naivem Dackelblicks in eine alleinerziehende Kellnerin (Zulay Henao), die zusammen mit ihrem Sohnemann bei Oma wohnt.

Es fällt mir schwer, diesen Film zu kritisieren, ohne dabei dem Zielpublikum ein paar Worte zu widmen. Offensichtlich ist „Fighting“ nämlich nicht so weit von der Realität entfernt, wie ich es gern glauben möchte. Angesichts wachsender gewalttätiger Übergriffe, übermäßigem Alkoholkonsum und dem Verlust verbaler Ausdrucksfähigkeit, scheint das hier dargestellte Verhalten, Denken und Leben junger Menschen keine Drehbuchfantasie zu sein. Umso erschütternder, wie wenig gehaltvoll dieser Quatsch daherkommt. Eine Endlosschleife von Klischees, eingefangen in einer hippen Bildästhetik, untermalt mit den neuesten Klingeltonanwärtern, gekrönt mit einer drastischen und ärgerlichen finalen Aussage. In der Summe also all das, was genau jenes Publikum anspricht.

Vor einigen Jahren noch, am Anfang meiner Tätigkeit als Kinofilmrezensent, hätte ich mich über solchen Unsinn noch amüsiert, ihn als anspruchslosen, harmlosen Partyfilm bezeichnet und für den „Genuss am Freitagabend“ in Anwesenheit von männlichen Freunden und eines Kasten Bier empfohlen. Inzwischen beängstigt es mich jedoch vielmehr, in welcher Fülle solche Inhalte via Film und vor allem auch via Musik verbreitet, heroisiert und finanziell belohnt werden.