„The Grey“ (Kinostart: 12. April 2012)

Einer der Überraschungserfolge des jungen Kinojahres – zumindest in Amerika – ist Joe Carnahans „The Grey“. Alaska, Flugzeugabsturz, eine kleine Gruppe Überlebender, eine sehr viel größere Gruppe Wölfe: Dies sind die wenigen Zutaten, mit denen dieser Survival-Thriller 120 Minuten sein Publikum mit Bravour zu fesseln vermag.

John Ottway (Liam Neeson) ist für ein Ölunternehmen im eisigen Norden tätig, wo er für die Sicherheit der Arbeiter sorgen soll. Mit Präzisionsgewehr, viel Erfahrung und gutem Auge hält er Wölfe und anderes wildes Getier von ihnen fern, dank der Abgeschiedenheit aber auch seine Vergangenheit und den Verlust seiner Frau. Am Ende seiner Schicht steigt er wie gewohnt zusammen mit seinen Kollegen in einen Flieger, der sie ins warme Nachhause bringen soll – diesmal jedoch abstürzt. Ein paar Wenige überleben das Unglück, nur um sich kurz darauf in einer nicht minder lebensgefährlichen Situation wiederzufinden: Mitten im Nirgendwo der arktischen Wildnis, ohne Kommunikationsmittel, ohne Aussicht auf Rettung. Notgedrungen begeben sich die Männer im hüfthohen Schnee zu Fuß auf den Weg, müssen dabei allerdings schnell und schmerzhaft feststellen, dass sie sich im Hoheitsgebiet eines Wolfsrudels befinden. So wird der Marsch durch die Eiswüste nicht nur zu einem Kampf der Egos gegeneinander, sondern ebenso gegen die Natur: den eigenen, erschöpften Körpern, den Temperaturen, den Tieren.

Basierend auf einer Kurzgeschichte von Ian Mackenzie Jeffers reduziert Regisseur Carnahan („Narc“, „Smokin‘ Aces“) das optisch beeindruckende Überlebenstraining erfreulicherweise nicht auf eine blutige Schlachterplatte. Stattdessen präsentiert er ein psychologisch ausgefeiltes, von Neeson mit ungeheurer Präsenz und Menschlichkeit belebtes Drama, welches viel mehr zu bieten hat, als es die Rahmenhandlung vermuten lässt. Klar, auch hier setzt sich die Truppe der (zunächst) Überlebenden aus verschiedenen Extremen zusammen, ist der Schwätzer ebenso Teil der Runde wie der schweigsame Einzelgänger oder der erwartungsgemäß konditionell schwache Übergewichtige. Natürlich stellt sich auch die Frage, wie ein solches Abenteuer in Zeiten von Radar, Mobiltelefonen und Flugschreibern in dieser Weise überhaupt geschehen kann. Andererseits: Warum nicht? Was wäre wenn? Wir real ist es denn, dass immer und überall ein iPhone mit Rat und Tat zur Seite steht?

Akzeptiert man diese Prämisse des Möglichen, erwartet den Zuschauer erstklassiges Spannungskino mit optischen Schauwerten, die gleichzeitig staunen und frösteln lassen. „The Grey“ interessiert sich nämlich nur bedingt für den Kampf Mensch gegen Wolf, als vielmehr dessen Konfrontation mit der gnadenlosen (eigenen) Natur. Wie handelt der Mensch, wenn er auf seine puren Überlebensinstinkte reduziert wird? Was bleibt in so einer Situation von seinem ursprünglichen Charakter, seiner Seelenlast, seiner Empathie für andere? Und was unterscheidet ihn dann noch vom Tier, das ebenso nur seinen Instinkten folgt, wenn es seinen Lebensraum verteidigt?

Fragen, die „The Grey“ zwar nur ungenügend beantworten kann, aber seinen Protagonisten konsequent nüchtern und direkt ins Gesicht wirft. Manchmal mit absehbarem Verlauf, fast immer jedoch zum Nägelkauen spannend aufbereitet. Top!

… und während man auf die Szene nach dem Abspann wartet, am besten gleich den Akkustand des eigenen Smartphones überprüfen!

„Iron Sky“ (Kinostart: 5. April 2012)

Was für ein Spaß: Als der finnische Regisseur Timo Vuorensola erfuhr, dass sein Werk „Iron Sky“ seine Weltpremiere auf der Berlinale 2012 feiern würde, war er nicht mehr zu halten. Strahlend vor Stolz verkündete er die frohe Botschaft via Internet und fieberte dem Ereignis offensichtlich auch ein wenig nervös entgegen.

Was für ein Spaß: Die Einladung zur Berlinale war gleichzeitig ein Geschenk an die Fans des Streifens, die über Jahre hinweg mit finanziellen Spenden die Entstehung des Films erst ermöglicht haben. Sollte „Iron Sky“ erfolgreich sein, könnte das sogenannte „Crowd Funding“ den Filmmarkt radikal verändern.

Was für ein Spaß: Noch nie gab es einen Film, der es mit einer – Verzeihung – derart lustig-bescheuerten Geschichte auf die Berlinale geschafft hat. Denn „Iron Sky“ behauptet, dass es einigen Nazis kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs gelang, mit „Reichsflugscheiben“ heimlich auf den Mond zu fliegen. Dort nutzten sie Zeit und Abgeschiedenheit, um sich auf eine Invasion der Erde vorzubereiten. Die Weltherrschaft fest im Blick, wollen sie nun einen Angriff starten.

Was für ein Spaß: Wer sich auf diese Prämisse einlässt, bekommt nicht nur den obligatorischen, herrlich selbstironischen Udo Kier als Hitler-Nachfolger namens Kortzfleisch geboten, sondern einen wilden Ritt durch Filmzitate, dumm-dämliche Nazi-Weltanschauungs-Logik sowie reichlich politische Seitenhiebe. Vom blonden Mädel mit Gretchenfrisur bis zum Raumschiff in Zeppelinform fährt „Iron Sky“ zudem sämtliche Arier-Klischees auf, nur um sie anschließend zu dekonstruieren und ad absurdum zu führen. Mit – trotz des geringen Budgets – beeindruckenden Effekten gespickt, zeigt der Film darüber hinaus wunderbar, was alles mit Kreativität und Herzblut auf eine Leinwand gezaubert werden kann. Als Zugabe gibt es zum Schluss ein mutig-satirisches Ende spendiert, das dem ganzen Irrsinn noch eine ernste und nachdenkliche Note verleiht. Was für ein Film!

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 4. April 2012.