... im Nachgang: „mother!“ (Kinostart: 14. September 2017)

Bei Werken von Darren Aronofsky ist eines gewiss: sie spalten ihr Publikum – und die Redaktion des Kinokalender Dresden. Ein Pro und Contra zu „mother!“ findet sich HIER. Von mir stammt der Pro-Teil des Textes.

(Plakat: © 2017 Paramount Pictures)

... im Nachgang: „Dunkirk“ (Kinostart: 27. Juli 2017)

Anspruch, Unterhaltung und visueller Bombast - geht das zusammen? Bei Christopher Nolan schon. Bester Beweis dafür ist sein aktuelles Werk „Dunkirk“. Eine Rezension dazu findet ihr HIER. Von mir stammt der Pro-Teil des Textes.

(Plakat: © 2017 Warner Bros.)

Heimkino-Tipp: Lommbock (2017)

(Kein) Gehirnzellenmassaker

Christian Zübert servierte 2001 mit seinem Werk „Lammbock“ nichts weniger als die Jacobs-Krönung einer gelungenen deutschen Komödie. Kultfilm, Zitatenlexikon, Tarantino-Huldigung, Mehmet Scholl-Liebesbekenntnis: Der ungezwungene Spaß um zwei Berufsjugendliche, die sich mit dem heimlichen Verkauf von Marihuana ihren Pizzaservice und ein unbeschwertes Leben finanzieren, hat sich zu Recht über die Jahre hinweg eine treue Fanbase aufgebaut, die den Anhängern von „Trainspotting“ in nichts nachsteht. Und auch Wiederholungstäter Zübert gelingt wie seinem britischen Regiekollegen Danny Boyle mit „T2 Trainspotting“ (Rezi HIER) das Unerwartete: eine Fortsetzung, die genauso korrekt gebaut ist wie das Original.

Wären beide Filme, „T2“ und „Lommbock“, nicht zur gleichen Zeit entstanden, man könnte meinen, Zübert habe sich von Boyle inspirieren lassen: Selber Regisseur, selbe Darsteller, selber Film? Denkste! Vielmehr eine kongeniale Weitererzählung der Alltagsabenteuer von Kai (Moritz Bleibtreu) und Stefan (Lucas Gregorowicz), die zwar 16 Jahre älter, aber keinesfalls vernünftiger geworden sind was ihre liebste Freizeitbeschäftigung angeht. Was mit einem entspannten Kiffernachmittag beginnt, endet im zwar erwartbaren, aber herrlich amüsanten Chaos, das vor allem aufmerksame Kenner des Erstlings belohnt – sei es der kurze Augenkontakt mit einem ganz besonderen Psychiatrie-Patienten oder eine nebenbei fallengelassene Bemerkung über Stefans behinderten Neffen.

Alter, etwa schon wieder eine Fortsetzung nur für Fans? Das ist ja auch okay, ist ja in Ordnung, aber da muss man doch nicht immer stundenlang drüber reden. Warum behandelt so ein Film nicht mal irgendwas Wichtiges? Probleme des Lebens zum Beispiel?!? Zugegeben, eine Komödie mit tagespolitischer Thematik ist „Lommbock“ nicht geworden. Zübert lässt sein Statement zur Welt von heute vielmehr im Subtext mitschwingen: Da sprechen sämtliche Charaktere plötzlich mitten im Satz polnisch miteinander und verstehen sich prächtig, und die Befürchtung, der Stiefsohn könnte ein Terrorist in spe sein, entpuppt sich als unerwartetes Kompliment für Kai: der Teenager eifert lediglich seinem Ersatzpapa nach und vertickt feinstes Dope. Wie Bleibtreu diesen sympathisch überforderten Erziehungsberechtigten gibt, der quasi sein jüngeres Ich zur Vernunft bringen soll, ist äußerst amüsant anzusehen – und beweist Züberts großes Können als Drehbuchautor.

Um es auf den Punkt zu bringen: „Lommbock“ kickt besser als Mehmet Scholl. Der war übrigens vom ersten Teil, in dem er ja eine ganz besondere Lobhudelei erhält, überaus angetan: „Ich hab den Film im Kino gesehen mit einer Mütze auf dem Kopf und bin immer mehr in meinem Sitz versunken. Rein wegen der Dialoge. Dann ging’s ja drum, dass ich so ein Riesenteil hätte und meine Freundin saß daneben und hat gesagt, das ist ja glatt gelogen. Ja, eine skurrile Erfahrung.“ Und eine, die ihm einen absoluten Gourmet-Moment im zweiten Film beschert hat. „Lommbock“: ein voll korrekter Shootie!

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutscher Originalsprachfassung, als Hörfilmfassung sowie optionale deutsche Untertitel für Hörgeschädigte (feine Sache!). Als Bonus gibt es einen Audiokommentar von Regisseur Zübert, Making of-Clips, Teaser und Trailer. „Lommbock“ erscheint bei Wild Bunch Germany GmbH/Universum Film und ist seit 29. September 2017 erhältlich. (Packshot + stills: © Wild Bunch/Universum)

Heimkino-Tipp: „Man Down“ (2015)

Der durch die Hölle geht

Sieben Britische Pfund. Ein verkauftes Kinoticket. Dieses Schicksal ereilte Regisseur Dito Montiel und seinen Film „Man Down“ am Eröffnungswochenende in Großbritannien. Das schmerzt schon allein beim Lesen. Denn egal wie durchwachsen das Endprodukt auf der Leinwand sein mag, die Mühe und Arbeit, die ein Film für seine Entstehung fordert, ist definitiv mehr wert als dieses magere Einspiel – auch wenn der Film landesweit in nur einem Kino gezeigt wurde.

Es fällt schwer, diese Info auszublenden, wenn man „Man Down“ anschaut. Einerseits, weil nach jeder geglückten Szene – und davon gibt es etliche – jener Moment erwartet wird, in dem der Film gegen die Wand fährt. Andererseits, weil eben dieser Moment nicht eintritt und man sich fragt, warum das intensive Drama vom Publikum derart ignoriert wurde. Ja, „Man Down“ ist inhaltlich ungewöhnlich konzipiert und zusammengesetzt. Ja, das präsentierte Thema ist nicht neu und bringt auch keine neuen Erkenntnisse zutage. Und dennoch: Weder ist der Film schlecht gespielt noch dilettantisch umgesetzt. Vielmehr eine, nennen wir es ‚andere‘ Herangehensweise an die Themen Krieg und die Folgen für alle Beteiligten.

Im Mittelpunkt steht der US-Marine Drummer (Shia LaBeouf), der zusammen mit seinem besten Freund Roberts (Jai Courtney) nach Afghanistan geschickt wird und dort Schreckliches erlebt. Zurück in seiner Heimat, muss er feststellen, dass diese nicht nur zerstört, sondern ebenso seine Familie (Kate Mara, Charlie Shotwell) spurlos verschwunden ist. Auf der Suche nach ihnen begegnet er einem Kameraden (Clifton Collins Jr.), der scheinbar mehr weiß, als er preisgeben will.

Regisseur Montiel, der u.a. Robin Williams’ wunderbares filmisches Abschiedsgeschenk „Boulevard“ inszenierte, erzählt Drummers Geschichte aus mehreren verschiedenen Zeitebenen heraus: vor seinem Kampfeinsatz, währenddessen, kurz danach bei einem Gespräch mit Militärpsychologe Peyton (Gary Oldman), sowie nach seiner Rückkehr in die USA. Diese vier Kapitel stellt er mehrfach gegenüber und wechselt somit immer wieder zwischen den Gefühlszuständen seiner Hauptfigur. Dass diese trotzdem wie aus einem Guss wirkt, ist der großartigen Leistung LeBeoufs zu verdanken, der einmal mehr beweist, dass er nicht nur im Privatleben für Aufsehen sorgen kann, sondern ebenso vor der Kamera.

Sicherlich wirkt die Form des Films hier und da etwas zu gewollt anspruchsvoll, das Anliegen Montiels bleibt davon aber unbeschädigt: eine schonungslose Abrechnung mit dem Dienst an der Waffe und eine traurige, wenn auch extreme Bebilderung der negativen Folgen, die stets das ganze Umfeld eines Soldaten betreffen.

„Man Down“ ist ein interessantes filmisches Experiment, toll gespielt und mit einer (altbekannten) Message, an die aber heute, in Zeiten dumpfer Kriegspolemik von einflussreichen Politikern weltweit, mehr denn je erinnert werden muss.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional zuschaltbar. Als Extras gibt es eine Bildergalerie sowie Trailer. „Man Down“ erscheint bei New KSM und ist seit 25. September 2017 erhältlich. (Packshot + Filmstills: © KSM GmbH)

„Das Löwenmädchen“ (Kinostart: 14. September 2017)

Zahmes Kätzchen

Geschichten über Außenseiter, die einen psychischen oder physischen Makel tragen, sind im Kino häufig zu finden. Oftmals können sie als Spiegelbild für eine Gesellschaft dienen, die sich mit der Akzeptanz von Andersartigkeit, egal ob äußerlich sichtbar oder nicht, schwer tut. Gerade in Zeiten großer Flüchtlingsströme ist es wichtig, Themen wie diese anzusprechen und gern auch streitbar zu diskutieren. Die Verfilmung des Romans „Löwenmädchen“ von Erik Fosnes Hansen hätte all dies sein und bieten können. Leider ist das finale filmische Werk davon jedoch weit entfernt.

Kurz vor dem Ersten Weltkrieg wird der ältere Bahnhofs-Stationsmeister Gustav (Rolf Lassgård) Vater einer Tochter. Nur schwer kann er verschmerzen, dass ihm die Geburt seine junge Frau nahm. Noch schwerer ist es für ihn jedoch, das Kind zu akzeptieren. Denn die kleine Eva ist am ganzen Körper behaart. Nicht mit einzelnen, feinen Härchen, sondern komplett von Kopf bis Fuß mit einem dicken „Fell“. Nach anfänglicher Weigerung, sich des Mädchens anzunehmen, engagiert er ein Kindermädchen namens Hannah (Kjersti Tveterås), das sich fortan um Eva kümmert. Sie wächst heran, ist neugierig und offenbar sehr gescheit. Doch zur Schule oder vor die Tür gehen darf sie nicht. Erst nach und nach gelingt es Hannah, Gustav vom Gegenteil zu überzeugen. Und so lernt Eva schließlich doch noch die Welt vor dem Fenster kennen – aber leider auch die Menschen, die ihr erwartungsgemäß mit einer Mischung aus Verwunderung und Abscheu begegnen.

Regisseurin Vibeke Idsøe („Karlsson vom Dach“) hat für ihre Adaption einen großen Trumpf: fantastische Schauspieler. Neben den Jungdarstellerinnen Aurora Lindseth-Løkka (Eva mit 7 Jahren), Mathilde Thomine Storm (Eva mit 14) und Ida Ursin Holm (Eva mit 23) ist es vor allem Lassgård („Wallander“, „Ein Mann namens Ove“, Rezi siehe HIER), dessen Auftritt sich einbrennt. Er darf in „Das Löwenmädchen“ auch den mit Abstand interessantesten Charakter geben, schwankt sein Gustav doch über mehrere Jahre zwischen überforderter, misshandelnder und fürsorglicher Vaterfigur. Im Gegensatz dazu kommt beispielsweise Hannah, die lange Zeit bei / mit ihm wohnt, über die Rolle einer Stichwortgeberin nicht hinaus. Ihr Innenleben bleibt dem Zuschauer ebenso verborgen wie das von Eva, die von ihrem Vater unter anderem immer wieder in eine Art Besenkammer gesteckt wird, wenn er ihrer überdrüssig ist. Hier wäre mehr psychologischer Tiefgang wünschenswert gewesen.

Ähnlich verhält es sich mit den Episoden, in denen Eva von anderen Menschen beleidigt, unsittlich berührt oder schlicht wie ein Forschungsobjekt behandelt wird. Nichts scheint sie emotional wirklich zu treffen. Wenn dann völlig unvermittelt mitten im Film ein kurzer Off-Kommentar von ihr zu hören ist, stellt sich die Frage, welche Position die Regisseurin ihren Zuschauern eigentlich zugestehen will: die des stillen Beobachters oder die des Mädchens?

Im krassen Gegensatz zur gemächlichen Darstellung der abgeschotteten Kindheit rauscht der Film im letzten Drittel plötzlich wie ein Zug durch die Stationen von Evas weiterem Leben. Konflikte, denen sie sich als Erwachsene wahrscheinlich sehr viel selbstbewusster stellt als noch als Kind, werden ausgespart, Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz nicht gestellt. Das sind inhaltlich schmerzvoll verpasste Chancen, die den Eindruck verstärken, dass Idsøe eher einen Wohlfühlfilm drehen wollte, als sich ernsthaft mit dem Thema Ausgrenzung und Andersartigkeit auseinanderzusetzen. Das ist legitim, ohne Frage, aber im Falle von „Das Löwenmädchen“ völlig verschenkt.

(Plakat + stills: © 2017 NFP marketing und distribution/Christine Schröder)