Heimkino-Tipp: „Call Jane“ (2022)

Girls just want to have funDamental Rights

Es ist schon bemerkenswert, wie wenig manche Menschen aus der Geschichte lernen. So werden beispielsweise Angriffskriege auf Nachbarländer heute ebenso schöngeredet wie vor 100 Jahren, gleichzeitig wird Frauen das hart erkämpfte Selbstbestimmungsrecht über ihre Bildung, ihren Lebensstil oder ihren Körper verwehrt, als hätte es die Emanzipation nie gegeben. Das Ergebnis: Nicht nur in den USA ist es inzwischen (wieder) fast unmöglich, legal eine Abtreibung vorzunehmen. Allein das gibt Phyllis Nagys „Call Jane“, angesiedelt im Amerika des Jahres 1968, eine erschreckende Aktualität.

Fürsorgliche Mutter, treue Gattin, fleißiges Hausweib: Joy (Elizabeth Banks) erfüllt so ziemlich alle Erwartungen, die in jener Zeit an eine weiße Frau mittleren Alters gestellt werden. Als sie zum zweiten Mal schwanger wird, treten jedoch Komplikationen auf – mit womöglich tödlichem Ausgang für Joy, falls sie das Kind zur Welt bringt. Allerdings sieht das (männliche) Klinikgremium, welches jeden möglichen Schwangerschaftsabbruch begutachtet, dies anders und lehnt einen solchen Eingriff ab. Ohne das Wissen ihrer Familie wendet sich Joy daher an eine anonyme feministische Organisation namens „Jane“, die unter der Führung der resoluten Virginia (Sigourney Weaver) betroffenen Frauen wie Joy hilft. Beeindruckt von deren Solidarität, schließt sie sich der Truppe an und wird bald zu einem unersetzlichen Teil davon.

Während europäische Filme wie „Das Ereignis“ (2021, ausgezeichnet mit dem Goldenen Löwen in Venedig) oder Cannes-Gewinner „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ (2007) das Thema illegaler Schwangerschaftsabbruch sehr viel nüchterner und beklemmender erzählen, wählt Regisseurin Nagy einen etwas leichteren Zugang. Stets ernsthaft, doch gleichsam leichtfüßig – manche mögen behaupten etwas zu glatt – führt sie ihr Publikum aus der Sicht einer ‚Durchschnittshausfrau‘ mit Raffinesse an ein komplexes Thema heran, das eben nicht nur sozial Schwache oder unvorsichtige Teenager betrifft, sondern quer durch alle gesellschaftlichen Schichten Frauen zu Handlungen zwingt, die nicht nur gefährlich, sondern ebenso teuer und strafbar sind.

Der Film findet für diese Herabsetzung und Bevormundung der weiblichen Bevölkerung eindrucksvolle Momente. So muss Joy die Diskussion des Klinikgremiums als passive Zuschauerin über sich ergehen lassen, ohne dabei ein einziges Mal selbst befragt zu werden, oder wird an anderer Stelle dafür belächelt, sich eine Zukunft als praktizierende Ärztin vorzustellen. Dass sich die Gesellschaft derweil in einer Umbruchphase befindet, zeigt sich subtil in Graffitis im Hintergrund oder der musikalischen Untermalung einzelner Szenen.

Schauspielerisch kann „Call Jane“ ebenso überzeugen: Kleine Gesten von Hauptdarstellerin Banks zeigen einmal mehr, welch großes darstellerisches Talent in ihr steckt (übrigens auch als Regisseurin, demnächst zu sehen im sehr amüsant klingenden „Cocaine Bear“). Ihre Wandlung von einer etwas naiven, selbstzufriedenen Hausfrau zu einer selbstbewussten Aktivistin wirkt überzeugend und nachvollziehbar. Weaver ist ohnehin stets eine Bank und vermittelt als Virginia auf ruhige Art Kontrolle und Weitsicht in einer konstant angespannten Atmosphäre.

Wie sehr es Menschen wie die hier Porträtierten braucht, macht ein dezenter Hinweis am Ende deutlich: Es ist 1973 – das Jahr, in dem das Urteil „Roe versus Wade“ Abtreibungen in den USA legalisierte. 2022 wurde dieses wieder aufgehoben.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in englischer Original- sowie deutscher Synchronsprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional zuschaltbar. Als Bonus gibt es Trailer. „Call Jane“ erscheint bei DCM Film Distribution GmbH im Vertrieb von Leonine und ist seit 10. März 2023 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © DCM)