... im Nachgang: „Aus dem Nichts“ (Kinostart: 23. November 2017)

Fatih Akin widmet sich in seinem neuen Film den Folgen der „NSU“-Anschläge. Top oder Flop? Die Redaktion des Kinokalender Dresden ist sich uneins. Nachzulesen HIER. Von mir stammt der Pro-Teil des Textes.

(Plakat: © 2017 Warner Bros. Entertainment GmbH)

Heimkino-Tipp: „Atomic Blonde“ (2017)

The Coldest City

Es hat immer wieder einen besonderen Reiz, wenn ein Stück DDR-Alltag in modernen Filmen auftaucht. Als Ostdeutscher bewertet man solche Szenen natürlich aus einem anderen Blickwinkel und ist gern bereit, einige „künstlerische Freiheiten“ des Filmemachers zu akzeptieren, auch wenn sie wenig mit der damaligen Realität zu tun haben. Das kann amüsant sein wie in Bonds „Octopussy“ (1983) oder einfach nur ärgerlich wie in „Sonnenallee“ (1999) oder Spielbergs „Bridge of Spies“ (2015). Ob es Regisseur David Leitch mit seinem Actionfilm „Atomic Blonde“ besser gelingt?

Basierend auf einer Graphic Novel von Antony Johnston und Sam Hart, erzählt der in kühles Blau getauchte Film noir von der gefährlichen Mission der britischen Geheimagentin Lorraine Broughton (Charlize Theron), die kurz vor dem Mauerfall eine entwendete Liste an sich bringen soll, die brisante Informationen enthält. Hinter der sind erwartungsgemäß auch Spione anderer Regierungen her (u.a. James McAvoy), die in der Wahl ihrer Mittel ebenso wenig zimperlich sind wie die kampferprobte Schöne. So wird die geteilte Stadt schnell zur Kriegszone, in der Misstrauen die einzige Konstante ist.

Es ist „Atomic Blonde“ anzumerken, wo Regisseur Leitch seine Qualitäten als Filmemacher hat: Als langjähriger Stuntkoordinator und Stuntman inszeniert er bemerkenswerte Actionszenen, hangelt sich dazwischen aber relativ ideenlos durch ein ohnehin nicht sehr tiefgründiges Skript. Die Sets sind optische Schmankerl, voller Graffitis, feierwütiger Menschenmassen und heftig abgeranzt, aber mit Leben sind sie nicht befüllt. Das trifft leider ebenso auf die harten Konfrontationen der Agenten zu, die zwar top choreografiert sind, aber eher nach einstudierten Bewegungen denn ‚echten‘ Kämpfen aussehen.

Einzige Ausnahme: Eine fast zehnminütige Prügelsequenz in einem Treppenhaus, die den Schmerz, die Anstrengung und die konstante Lebensgefahr der Protagonistin spürbar macht. Zudem ist die Szene derart raffiniert zusammengesetzt, dass der Eindruck entsteht, sie sei ohne Schnitt in einem Take entstanden. Großes Kino mit einer bemerkenswerten Leistung aller Beteiligten.

Und der DDR-Realismus? Der ist ohnehin nur Fassade für diesen stylischen Actionfilm, der statt Herz nur Faustschläge bereithält. Aber immerhin, die sitzen wenigstens.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film u.a. in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie diverse Untertitel. Als Extras gibt es gelöschte Szenen, kurze Dokumentationen zur Entstehung des Films, einen Audiokommentar sowie Trailer. „Atomic Blonde“ erscheint bei Universal Pictures Germany GmbH und ist seit 22. Dezember 2017 erhältlich. (Packshot + stills: © Universal Pictures)

... im Nachgang: „The Big Sick“ (Kinostart: 16. November 2017)

Festivalhit. Kritikerliebling. Meisterwerk? Die Redaktion des Kinokalender Dresden ist sich uneins. Nachzulesen HIER. Von mir stammt der Contra-Teil des Textes.

(Plakat: © 2017 Weltkino Filmverleih)

Heimkino-Tipp: „Colossal“ (2016)

Big Friendly Giant

Hurra, es gibt sie noch! Kreative FilmemacherInnen, die vermeintlich bekannte Storyelemente nutzen, um daraus etwas Neues, Abgefahrenes und sehr Unterhaltsames zu kreieren. Zum Beispiel der Grieche Yorgos Lanthimos, der in „The Lobster“ (2015) Stars wie Colin Farrell, Rachel Weisz und John C. Reilly in ein Sanatorium einziehen ließ, in dem sie als Singles neue Partner finden sollten – oder nach 45 Tagen in ein Tier verwandelt werden. Was als melancholische Dystopie beginnt, entwickelt sich dabei schnell zu einem bitteren Gesellschaftskommentar mit romantischen Zügen. Auch der spanische Regisseur Nacho Vigalondo hat keine Angst davor, mehrere Genres und deren typische Versatzstücke rigoros miteinander zu vermischen. Das Ergebnis: ein Monsterfilm der besonderen Art. Oder doch ein Indie-Movie mit schrägem Twist? Egal, denn eines ist fakt: „Colossal“ macht richtig Spaß!

Herz des Films ist eine großartige Anne Hathaway alias Partygirl Gloria, die von ihrem genervten Freund (Dan Stevens) verlassen wird. Job- und planlos entschließt sie sich, vorübergehend ins leer stehende Haus ihrer Eltern außerhalb der Großstadt zu ziehen. In ihrem Heimatort trifft sie auf ihren ehemaligen Schulkameraden Oscar (Jason Sudeikis), der ihr anbietet, in seiner Bar mit auszuhelfen. So weit, so unspektakulär. Wären da nicht die Meldungen über ein riesiges, Godzilla-artiges Monster, das in unregelmäßigen Abständen in Seoul auftaucht und durch die Stadt stapft. Als Gloria Aufnahmen davon im TV sieht, stellt sie fest, dass das Biest sich ständig am Kopf kratzt – ganz so, wie Gloria es immer mal wieder tut. Bald wird ihr auch klar, warum das so ist.

Stehen in Monsterfilmen meist die Zerstörungswut und der Überlebenskampf der Menschen im Mittelpunkt, so dreht Regisseur Vigalondo dieses vertraute Konzept einfach um: „Colossal“ wirkt in großen Teilen wie eine Tragikomödie über eine junge Frau in der Midlife-Crisis, während im Hintergrund ‚zufällig‘ eine Zerstörungsorgie geschieht. Das kann mensch natürlich wunderbar als Metapher für Glorias chaotisches Leben interpretieren – oder schlicht als verrücktes Genre-Mashup.

Doch „Colossal“ begnügt sich nicht mit einer witzigen Grundidee, die dann auf Spielfilmlänge ausgedehnt wird. Vielmehr berührt der Film mit zunehmender Laufzeit immer wieder psychologisch dunkle Territorien, die etwas über Einsamkeit, unerfüllte Liebe, Versagensängste und Machtgier aussagen. Verpackt ist das ganze jedoch in einen vordergründig witzigen und filmisch sowie technisch klasse umgesetzten Streifen mit hohem Unterhaltungswert.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie optionale deutsche und englische Untertitel für Hörgeschädigte. Im Bonusmaterial gibt es ein Making of sowie Trailer. „Colossal“ erscheint bei Universum Film und ist seit 1. Dezember 2017 erhältlich. (Packshot + stills: © Universum Film)