Heimkino-Tipp: „Crash“ (1996)

Need for Speed

Ein Blick zurück auf das (Hollywood-)Kinojahr 1996 offenbart viel Gutes: „Fargo“, „Scream“, „Mission Impossible“, „The Rock“, „Romeo & Juliet“, „From Dusk Till Dawn“ und „Sleepers“ sind nur einige der Streifen, denen dank ihrer Qualität – so unterschiedlich diese auch sein mag – die Zeit nix anhaben konnte und die noch heute immer wieder gern (zumindest von mir) geschaut werden. Ein weiteres Schmankerl der besonderen Art kredenzte in jenem Jahr David Cronenberg: „Crash“. Eine ungemütliche, provozierende und sowohl Zuschauer als auch Sittenwächter herausfordernde Mischung aus Drama, Thriller und Erotikstreifen. Als neu remasterte Fassung erscheint der Streifen nun erstmals auf 4K UHD und Blu-ray in einer schicken Mediabook-Edition.

Der Regisseur James (James Spader) wird auf der Heimfahrt vom Filmset in einen Unfall verwickelt. Noch am Ort des Geschehens ist er Zeuge, wie eine Frau (Holly Hunter) im Wagen des Unfallgegners ihre Brust entblößt, während sie versucht, dem Wrack zu entkommen. Fasziniert und erregt zugleich sucht James fortan die Nähe jener Dame, die ihm ihrerseits Zugang zu einer seltsam-verstörenden Welt verschafft: Zusammen mit dem Fotografen Vaughan (Elias Koteas) und dessen Freundin Gabrielle (Rosanna Arquette) suchen sie sich nämlich ihren lustvollen Kick bei Autounfällen, die sie mitunter selbst provozieren. Doch nicht nur James fühlt sich hiervon angesprochen – auch seine Frau Catherine (Deborah Kara Unger) ist ganz besessen darauf, neue Wege zur Lustbefriedigung auszuprobieren.

Natürlich lässt sich trefflich darüber philosophieren, wer auf solch eine (perverse?) Prämisse für einen Film kommt und welchen Unterhaltungswert ein solches Werk haben kann, abseits einer zu vermutenden voyeuristischen Komponente. Zunächst sei daher darauf hingewiesen, dass „Crash“ auf dem gleichnamigen Roman von J.G. Ballard basiert, der bereits 1973 veröffentlicht wurde. Andere bekannte Verfilmungen seiner Arbeiten sind u.a. „Das Reich der Sonne“ (Steven Spielberg, 1987) sowie „High-Rise“ (Ben Wheatley, 2015; Rezi HIER). Der psychologische Aspekt, das Verhalten des Menschen in extremen Situationen, nimmt stets eine besondere Rolle in den literarischen Erzählungen Ballards ein. Insofern sollte das Publikum nicht unbedingt auf eine kohärente, nachvollziehbare Handlung hoffen, wenn es „Crash“ eine Chance geben will.

Vielmehr ist der Film von einer Aneinanderreihung einzelner Szenen gekennzeichnet, die verschiedene „Stadien“ der sexuellen Hingabe der Figuren zeigen, die sich (scheinbar) in einem abgeschlossenen Kosmos fernab der restlichen Stadtbevölkerung bewegen. Mehr und mehr verlieren sie den Bezug zum Alltag, scheren sich immer weniger um mögliche Zeugen ihrer Taten oder Quickies und nehmen wachsende Risiken in Kauf, um Erfüllung zu finden.

Das alles inszeniert Cronenberg distanziert und kühl. Mag die Offenherzigkeit der Darsteller anfangs vielleicht noch anregend wirken, so verliert die Erotik dann doch recht schnell ihren Reiz – und Cronenberg hat sein Ziel erreicht. Denn was „Crash“ auf zwar heftige aber äußerst wirkungsvolle Art verdeutlicht, ist die nicht enden wollende Suche der Spezies Mensch nach immer neuen Höhepunkten. Die Angst vor Langeweile frisst die Charaktere förmlich auf, ‚normaler‘ Sex vollzieht sich rein mechanisch und krasse Situationen scheinen die einzige Fluchtmöglichkeit zu sein. Auf einer weiteren Ebene suggeriert die ‚Lust am Stahl‘ eine zunehmende Verschmelzung von Mensch und Maschine, manifestiert in der Figur der Gabrielle, deren Körper nur noch mittels diverser medizinischer Hilfsmittel zusammengehalten wird.

Film als verbildlichte Psychologie. Menschen, die nur noch funktionieren und im Extremen ihre Erfüllung suchen. Darsteller, die furchtlos und ohne Scham vor der Kamera agieren. Ja, „Crash“ ist in vielen Aspekten ein bemerkenswertes Werk. Verstörend zwar, aber für Mutige einen Blick wert.

Neu abgetastet vom originalen Kamera-Negativ, erscheint „Crash“ in zwei verschiedenen Mediabook-Varianten entweder als 4K UHD/Blu-ray- oder Blu-ray/DVD-Combo. Alle Varianten bieten den Film in original englischer und deutsch synchronisierter Sprachfassung sowie optionale deutsche und englische Untertitel. Als Extras gibt es diverse Interviews (u.a. ein ausführliches Gespräch zwischen Cronenberg und Schauspielfreund Viggo Mortensen), drei Kurzfilme, Trailer und ein ausführliches, wunderbar gestaltetes und sehr informatives 40-seitiges Booklet. „Crash“ erscheint bei Turbine Medien und ist seit 22. Mai 2020 erhältlich. (Packshot + Filmstills: © Turbine Medien)

Heimkino-Tipp: „Knives Out“ (2019)

Hasch mich, ich bin der Mörder

Hut ab, Mr. Rian Johnson! Nach ihrem mutigen Ausflug ins „Star Wars“-Universum („Die letzten Jedi“), der nicht jedem eingefleischten Skywalker-Fan geschmeckt hat (Mark Hamill eingeschlossen), haben Sie nun wieder ein kreatives Drehbuch in Eigenregie verfasst und daraus einen Film kreiert, der sich sogleich zu einem beachtlichen Kassenschlager entwickelt hat. Kein Wunder bei der Besetzung! Ex-Bond in spe Daniel Craig, Jamie Lee Curtis, Don Johnson, Toni Collette, Chris Evans, Michael Shannon, Christopher Plummer und Guckschatz Ana de Armas sind nur einige der Stars, die in der wendungsreichen Krimifarce „Knives Out“ mit sichtlich Spaß mitwirken.

Die Freude an der Übertreibung überträgt sich sogleich auch mühelos aufs Publikum, das herzlich eingeladen ist mitzurätseln, um den überraschenden Tod des Hausherrn und Familienpatriarchen (Plummer), der am Morgen nach seinem 85. Geburtstag mit aufgeschlitzter Kehle in seinem Bett liegt, aufzuklären. Aber wie handhabte es schon Suspense-Meister Hitchcock? Die Zuschauer sehen nur das, was der Regisseur ihnen erlaubt zu sehen. Alles andere bleibt den Zeugen vor der Leinwand verborgen – und damit zunächst ebenso die eine oder andere falsche Fährte.

Das geht so lange gut, wie alle Figuren gleichberechtigt in die Geschichte integriert sind. Fällt eine Person mit seinem Verhalten jedoch komplett aus dem Rahmen, droht die zuvor sorgfältig konstruierte Charade durchschaubar zu werden. Auftritt Chris „Captain America“ Evans alias Sohnemann Ransom: Wenn ein Charakter so offensichtlich sein eigenes Ding macht, auf Familienbeziehungen keinen Wert legt und Freude daran hat, allen verbal und optisch den Stinkefinger entgegenzustrecken, könnte es sein, dass diesem Burschen eine Schlüsselrolle zufällt. Doch Vorsicht! Regisseur/Autor Johnson weiß, wie er mit den Erwartungen seiner Zuschauer spielen kann, denn ein ‚Avenger‘ kann ja wohl kein Böser sein – oder doch? Je nachdem, wie viel Genre-und Knobelerfahrung das Publikum mitbringt, ist die finale Auflösung entweder gelungen oder enttäuschend weil dann doch etwas überraschungsarm.

Ohne dem Film damit seine Qualität abzusprechen, würde ich dann aber noch gerne erfahren, was die vielen Hollywood-Größen dazu bewogen, in diesem Krimi mitzuwirken? Mein Verdacht: Es sind all jene Stars, für die in der 2017er-Neuverfilmung von „Mord im Orient Express“ kein Platz mehr war. Machen sie halt ihren eigenen ‚Whodunit‘-Streifen mit nahezu identischer Prämisse, anderer Location und einem Detektiv, der statt mit französischem nun mit Südstaaten-Akzent seine Verdächtigen nervt (zumindest in der Originalsprachversion).

Stellt sich anschließend nur noch die Frage, ob „Knives Out“ auch ohne Craig, Curtis, Evans & Co. so dermaßen erfolgreich wäre? Oder provozierender formuliert: Wer von euch will denn diesen Film sehen, weil die Geschichte (nicht die Besetzung!) so außergewöhnlich klingt? Siehste!

DVD-, Blu-ray- und 4K Ultra HD-Disc-Infos: Alle drei Scheiben bieten den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung. Deutsche Untertitel sind zuschaltbar. Die Extras unterscheiden sich je nach Medium, allen gemein sind ein Audiokommentar des Regisseurs, gelöschte Szenen, Featurettes und Trailer. Blu-ray und 4K UHD bieten zudem noch weitere Zugaben, u.a. einen zweiten Audiokommentar, den Rian Johnson bereits für den Kinobesuch erstellt hat, sowie ein 2-stündiges Making of. „Knives Out – Mord ist Familiensache“ erscheint bei Leonine und ist seit 8. Mai 2020 auch digital erhältlich. (Packshot + Filmstills: © Leonine)

Heimkino-Tipp: „Die schönste Zeit unseres Lebens“ (2019)

La Belle Époque

Wie schön es doch wäre, könnte man die Zeit hin und wieder zurückdrehen und besondere Momente des eigenen Lebens noch einmal genießen. Oder Fehler nachträglich korrigieren. In der Tragikomödie „Die schönste Zeit unseres Lebens“ macht Regisseur/Autor Nicolas Bedos seinen Protagonisten genau das möglich.

Das Ehepaar Victor (Daniel Auteuil) und Marianne (Fanny Ardant) hat – beziehungstechnisch – seine besten Jahre bereits hinter sich. Während seine Frau optimistisch und neugierig durch den Alltag geht, ist Victor mit den unendlich vielen technischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts überfordert. Er trauert nicht nur seinem einstigen Job als Karikaturist einer Zeitung hinterher, sondern ebenso einer Vergangenheit, in der Menschen einander zuhörten und anschauten, statt pausenlos auf ihre Handys oder PC-Bildschirme zu glotzen. Schließlich hat Marianne die Faxen dicke und schmeißt ihren Gatten raus. Der nutzt die neugewonnene Freiheit für eine ungewöhnliche Erlebnisreise: Mittels Schauspielern, naturgetreuen Sets und den Angaben ihrer Kunden bietet die Firma von Antoine (Guillaume Canet) einen Trip in die Vergangenheit an. Victor entscheidet sich für einen Tag im Jahre 1974 – denn da begegnete er Marianne zum ersten Mal. „Gespielt“ wird der junge Feger von Margot (Doria Tillier), die momentan allerdings auch selbst mit Beziehungsproblemen zu kämpfen hat. Grund dafür: Antoine.

Ohren gespitzt und ein wenig Konzentration bitte! Denn „Die schönste Zeit unseres Lebens“ legt hinsichtlich der Dialoge von Beginn an ein ordentliches Tempo vor. Mit Verve und Spielfreude fauchen sich Auteuil und Ardant in bester Screwball-Manier an, sie genervt vom tranigen Benehmen ihres Mannes, er angepisst von der Technikhörigkeit seiner Umgebung. Es ist ein Fest, vor allem Auteuil dabei zu beobachten, wie er seinem Victor erst melancholisch durch die hektische Neuzeit stolpern und später mit freudig-glitzernden Augen durch „seine“ 70er-Jahre schlendern lässt.

Ungewöhnlich aber konsequent versucht Regisseur Bedos gar nicht erst, die Künstlichkeit der ganzen Vergangenheitsreise zu kaschieren. So blickt Victor beim Spazieren durch die Kulissen immer mal wieder auf abblätternde Tapeten, Bühnenbeleuchtungen und falsche Gebäudeteile, der Zuschauer zudem auf das Team um Antoine, das hinter falschen Spiegeln sitzt und u.a. mit Textaussetzern seiner Mannschaft und schief singenden Darstellern zu kämpfen hat. Ein großer Spaß!

Bei allem Humor schimmert jedoch immer wieder eine Ernsthaftigkeit durch, die von verpassten Chancen, verlorengegangenen Gefühlen und Selbsttäuschung erzählt. Bemerkenswert auch, dass keine der vier Hauptfiguren ohne Makel daherkommt und sie folglich immer wieder aufs neue Sympathiepunkte beim Zuschauer sammeln müssen. Ergo: Eine sehenswerte Zeitreise mit Anspruch, die den Wert von Beziehungen auf unterhaltsame Weise huldigt.

Die DVD bietet den Film in französischer Original- und deutsch synchronisierter Fassung. Optionale deutsche Untertitel für Hörgeschädigte sind verfügbar. „Die schönste Zeit unseres Lebens“ erscheint bei Constantin Film Verleih GmbH und ist ab 7. Mai digital sowie ab 4. Juni 2020 auf DVD erhältlich. (Packshot + stills: © Constantin Film)