Heimkino-Tipp: „Assassins“ (2020)

Brudermord in Kuala Lumpur

Nordkorea gilt als das am meisten abgeschottete Land der Erde. Die de facto-Diktatur (laut Verfassung ein „sozialistischer Staat“) unter der Herrschaft der Kim-Familie besitzt u.a. eine eigene Uhrzeit, befindet sich gemäß des Juche-Kalenders (gezählt wird ab dem Geburtsjahr des früheren Staatschefs und „ewigen Präsidenten“ Kim Il Sung, 15. April 1912) momentan im Jahr 110, und steht seit vielen Jahren im weltweiten Demokratieindex an letzter Stelle.

Wie es im Inneren der „Volksrepublik“ tatsächlich zugeht, kann nur vermutet werden, da Touristen nur in Begleitung von nordkoreanischen Begleitern durch bestimmte Teile des Landes reisen dürfen (kurioser Fakt: Da Nordkorea gute diplomatische Beziehungen zur DDR besaß, beherrschen diese „Aufseher“ meist auch die deutsche Sprache). Die wenigen ehrlichen Zeugnisse über das Leben dort sorgen derweil oft für Kopfschütteln und – zumindest in meinem Fall – blankes Entsetzen. Wer mehr erfahren möchte, dem seien die beiden Dokumentationen „Camp 14 –Total Control Zone“ (2012, Regie: Marc Wiese) sowie „Im Strahl der Sonne“ (2015, Regie: Vitaliy Manskiy; HIER kostenfrei online verfügbar; bitte auf der Seite etwas runterscrollen) empfohlen.

Doch nun zum Film: Im Februar 2017 ereignete sich auf dem Flughafen im malaysischen Kuala Lumpur ein Mordanschlag, dem Kim Jong-nam, der ältere Bruder des derzeitigen nordkoreanischen Machthabers Kim Jong-un zum Opfer fiel. Ihm wurde der Nervenkampfstoff VX ins Gesicht geschmiert, eine Stunde später war er tot. Schon kurz darauf präsentierte die örtliche Polizei zwei junge Frauen als Täterinnen, als Beweis dienten Aufnahmen der Airport-Überwachungskameras. Fall gelöst, Sache erledigt? Mitnichten! Denn wie sich zeigen sollte, ist die Geschichte drumherum ein politisch-gesellschaftlicher Thriller par excellence, mit zwei unwissenden Mädchen als Kollateralschaden im Zentrum.

Die Dokumentation „Assassins – Brudermord in Kuala Lumpur“ von Ryan White („Im Vorzimmer der Beatles“, „Fragen Sie Dr. Ruth“) versucht, die Hintergründe um diesen ‚Mord in aller Öffentlichkeit‘ zu beleuchten. Erfreulicherweise nicht in einer Form, wie sie (leider) viele Reportagen und Dokus der heutigen Zeit auszeichnet, nämlich schnell geschnitten und mit selbsternannten „Experten“ als Kommentatoren. Nein, White wählt die andere, fast schon klassische Inszenierung in ruhigen Bildern, gefüttert mit Fachinterviews, Originalaufnahmen und Audiomaterial, welches durch dezente Zeichnungen veranschaulicht wird. Hinzu kommen simple Formalien wie Einblendung von Namen der Gesprächspartner, Ortsbezeichnungen und Jahreszahlen. Ich erwähne dies deshalb, da all diese Dinge für viele Dokumentarfilmer scheinbar inzwischen überflüssigen Ballast darstellen, auf den sie häufig verzichten – und damit bereitwillig ihre Glaubhaftigkeit diskreditieren. Bei White ist dies nicht der Fall.

Zwar kann auch er in seiner filmischen Aufarbeitung aus oben genannten Gründen keine ausführliche Stellungnahme Nordkoreas zu den Ereignissen präsentieren. Doch abgesehen davon haben White und sein Team zahlreiche Erkenntnisse zusammengetragen, die erstaunen lassen. Dass die beiden verhafteten Frauen nicht in Eigenregie handelten, ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Oder drastischer formuliert: Man muss es selbst gesehen haben, um diese Aneinanderreihung von (wahren!) Absurditäten zu glauben.

Was neben der qualitativ hochwertigen Umsetzung der Geschichte ebenfalls erfreut: White beginnt seinen Film mit dem Statement eines Journalisten, der zunächst alles Folgende grob einordnet, gleichzeitig jedoch auf rechtliche Beschränkungen seiner Arbeit hinweist. Anschließend erfahren die Zuschauer etwas zur Familiengeschichte auf Opfer- und Täterseite, bevor schließlich die eigentliche Tat, der Prozess und die Arbeit der Anwälte in den Mittelpunkt rücken. White unterstreicht damit erstens, wie wichtig freier Journalismus ist, zweitens wie umfangreich gute Recherche sein muss, und drittens wie spannend faktenbasierte Reportagen sein können.

Gewöhnlich begegne ich Dokumentationen über reale Begebenheiten mit großer Skepsis, da mittels technischer Möglichkeiten und bewusster Auslassung bzw. Umdeutung von Bildern und Aussagen schnell eine gewünschte Beurteilung/Meinung beim Publikum hervorgerufen werden kann. Auch „Assassins“ wage ich nicht hundertprozentig von einem solchen Verdacht freizusprechen. Doch gibt es mindestens ein stichhaltiges Argument, das für den Wahrheitsgehalt dieser sehenswerten Doku spricht: Etwas so Verrücktes kann sich mensch unmöglich ausdenken!

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und mehrsprachiger Originalversion mit optionalen deutschen Untertiteln. Als Extras gibt es Trailer. „Assassins – Brudermord in Kuala Lumpur“ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite Entertainment) und ist seit 26. Februar 2021 auch digital erhältlich. (Packshot + Filmstills: © Ascot Elite)

Wieland Schwanebeck: „James Bond – 100 Seiten“ (2021)

Buch-Tipp

Ich versuche gar nicht erst, objektiv zu sein. Einerseits, da der Autor des hier vorgestellten Werks ein lieber Freund ist. Andererseits bin ich ohnehin schon lange ein Fan seiner nonchalanten, aber stets wissenschaftlich fundierten und sehr amüsant formulierten Herangehensweise an Themen aller Art.

Nun könnte man meinen, zu der Figur James Bond sei inzwischen alles gesagt und geschrieben worden, sowohl aus popkultureller als auch filmhistorischer Sicht. Zumal das Konzept „100 Seiten“, in deren Reihe dieses Buch erscheint, von Natur aus Reduzierung aufs Wesentliche verlangt und vermuten lässt, dass hier nur fix bekannte Fakten und etwas Gossip zusammengetragen wurden. Das Gegenteil ist der Fall.

Wieland nutzt das Format optimal, um in „007 Kapiteln“ nicht nur prägnant auf die literarische Vorlage von Ian Fleming und die ersten Versuche der filmischen Adaption einzugehen, sondern ebenso als erfrischend ehrliche und charmante Entblößung sämtlicher Versatzstücke und Rollenbilder, die die Reihe seit nunmehr fast 60 (Film-)Jahren ohne Scham immer wieder neu verpackt und erfolgreich sein lässt. Dabei nicht überheblich zu klingen und gleichzeitig Respekt für das erschaffene Bond-Universum zu zeigen, ist die große Kunst seiner Ausführungen. Ergänzt wird dies mit witzigen Infografiken (Bonds Waffenarsenal), tabellarischen Aufstellungen (sportliche Duelle mit Bösewichtern, Bau deinen eigenen Bond-Titel!) sowie allerhand Fotos und Vielem mehr.

Hinzu kommen interessante, z.T. neue Interpretationsansätze bezüglich des von Bond (bzw. dessen Schöpfern) verkörperten Gesellschaftsbilds, das sich vor allem hinter dem großen Bombast der Filme versteckt und – zumindest mich – ob der historischen Konnotation teilweise sehr erschüttert. Das alles unterlegt der Autor mit zahlreichen nachweis- und nachschaubaren Belegen aus Literatur und Filmszenen, was dieses Buch zu Recht von anderen, eher oberflächlichen ‚Bond Best of‘-Veröffentlichungen abhebt, die zweifellos auch dieses(?) Jahr wieder, mit dem geplanten Kinostart des neuesten 007-Abenteuers, die Buchregale füllen werden.

Apropos: Der derzeit festgelegte Termin für den voraussichtlich letzten Einsatz von Daniel Craig als britischer Agent, „Keine Zeit zu sterben“, ist der 7. Oktober 2021. Genug Zeit also, um vorher „James Bond. 100 Seiten“ zu genießen und vielleicht sogar einiges Neues über die berühmte Doppel Null zu erfahren.

Ein Inhaltsverzeichnis und eine Leseprobe finden sich HIER.

Wieland Schwanebeck: „James Bond. 100 Seiten“ (broschiert, Format 11,4 x 17 cm, 100 Seiten inkl. 15 Abb. und Infografiken) erscheint bei Reclam und ist voraussichtlich ab 12. Februar 2021 auch als E-Book erhältlich. ISBN: 978-3-15-020577-8 (Buchcover: © 2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH)