Heimkino-Tipp: „Imperium“ (2016)

Die Macht der Worte

Es gibt zweifellos angenehmere Wege einen Film zu eröffnen denn mit einer Aussage von Adolf Hitler. Für sein Langfilmdebüt „Imperium“ hat es Regisseur und Autor Daniel Ragussis trotzdem gewagt – nur um seinem Publikum in den folgenden knapp zwei Stunden eindrucksvoll zu zeigen, dass eine der hilfreichsten und primären Waffen des Hasses immer noch das Wort sein kann. Leider ist dies auch rund um den Globus momentan in erschreckender Weise wieder zu erleben, was diesem Filmdrama zusätzliche, traurige Aktualität verleiht.

Der junge FBI-Agent Nate Foster (Daniel Radcliffe) hat bei seinen erfahrenen Kollegen nicht den besten Stand. Der zurückhaltende Bursche mit einer Vorliebe für klassische Musik ist für seine ältere Kollegin Angela (Toni Collette) daher der ideale Kandidat für einen Undercover-Einsatz, von dem sie sich Beweise für ihre Theorie eines rechten Terrornetzwerks erhofft, das landesweit Anschläge koordiniert und vorbereitet. Nach anfänglichem Zögern lässt sich Foster überreden, mit einer neuen Identität in eben jenes Umfeld einzutauchen. Als „Nathan“ gelingt es ihm dank seines intelligenten Auftretens sehr schnell, zu den Entscheidungsträgern der rechtsradikalen Bewegung vorzudringen. Die Gefahr, aufzufliegen, ist jedoch omnipräsent. Zudem gerät Nathan immer wieder in Situationen, in denen er seine Gesinnung vor den Augen anderer beweisen muss.

Je weiter sich Daniel Radcliffe zeitlich von seinen „Harry Potter“-Auftritten entfernt, umso mehr versetzt er mich ins Staunen. Zwar gab er auch schon den Zauberlehrling sehr überzeugend. Doch Radcliffe hat in Bezug auf seinen Beruf ganz offensichtlich noch lange nicht genug. Hier ist ein Künstler, der darauf brennt, seinen schauspielerischen Horizont konstant zu erweitern. Seine Performance in „Imperium“ beweist dies einmal mehr eindrucksvoll. Obwohl kleiner und weniger Muskelbepackt als seine „Kameraden“, versprüht sein Nathan eine bedrohliche Aura, die keinen Zweifel an seinen Überzeugungen aufkommen lässt. Auf der anderen Seite gelingt es Radcliffe ebenso, die innerliche Zerrissenheit seines Charakters ob der widerlichen Taten und Äußerungen seines Umfelds zu verdeutlichen. Klasse!

Abseits der schauspielerischen Qualität hat der Film aber noch sehr viel mehr zu bieten: Neben einer erschreckend realitätsnahen Dokumentation der rechten Szene, rückt immer wieder das Wort-Motiv in den Mittelpunkt. Als aufgeklärter und seinen Verstand nutzender Zuschauer mögen die präsentierten hohlen Parolen und absurden Verschwörungstheorien der Nazis lächerlich erscheinen. Die Realität lehrt uns gerade etwas anderes. Und der Illusion, es handele sich bei den Anhängern solcher Bewegungen ‚nur‘ um gescheiterte, bildungsarme Schichten, erteilt Regisseur Ragussis ebenso ein Absage. So geht die vielleicht größte Bedrohung in „Imperium“ nicht von den stets gewaltbereiten Schlägerbanden aus, sondern vielmehr von Personen wie Gerry Conway (Sam Trammell), einem wohlhabenden Familienmenschen, hinter dessen bürgerlicher Fassade ein überzeugter Nationalist steckt, der sogar seine Kinder schon auf einen angeblich bevorstehenden „Rassekrieg“ vorbereitet. Seine Waffe: die Sprache. Und er ist nicht die einzige Figur im Film, die mit ihrer Wortwahl zu Misstrauen, Hass und Gewalt anstachelt.

„Imperium“ schafft somit das Kunststück, neben tollen Schauspielerleistungen und einer packenden Thrillerhandlung ebenso zum Nachdenken anzuregen – über den Zustand westlicher Gesellschaften im Jahre 2016, über die Verführungskraft rechter Denkweisen und über die Macht, die eine Behauptung, ein Satz, ein Wort haben können.* Im Guten wie im Schlechten.

* Ein Thema, dem sich – in einem völlig anderen Kontext – übrigens auch der fantastische Film „Arrival“ widmet, der derzeit im Kino zu sehen ist.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie optionale deutsche Untertitel. Als Bonus befindet sich neben Trailern ein Interview mit Daniel Radcliffe auf den Discs, das im Rahmen der Filmpremiere beim Filmfest in Zürich 2016 aufgenommen wurde. „Imperium“ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite) und ist seit 9. Dezember 2016 erhältlich. (Packshot + stills: © Ascot Elite)

... im Nachgang: „Paterson“ (Kinostart: 17. November 2016)

Nach drei Jahren gibt es endlich einen neuen Jim Jarmusch-Film. Warum der einen Kinobesuch lohnt, lest ihr HIER (von mir stammt der Pro-Teil des Textes).

(Plakat: © 2016 Weltkino Filmverleih GmbH)

Heimkino-Tipp: „Maggies Plan“ (2015)

21st Century Woman

Greta Gerwig besitzt die Woody Allen-Eigenheit: Konstant gute Filme, immer ein wenig ähnlich, stets sympathisch und doch sehr speziell. Harscher formuliert: ob „Frances Ha“, „Mistress America“ oder nun „Maggies Plan“: Gerwig spielt was sie am besten kann, eine leicht verwirrte, charmante und mit dem (Liebes-)Alltag überforderte Stadtneurotikerin, die man entweder sehr mag oder abgrundtief hasst. Das mag vielleicht auch an ihrem unkonventionellen Auftreten liegen, bei dem nie ganz klar ist, ob die 33-Jährige eine Rolle spielt oder schlicht sie selbst ist. Auf jeden Fall aber prädestiniert es sie für Komödien wie die von Rebecca Miller („Pippa Lee“).

Darin ist sie als alleinstehende New Yorkerin Maggie zu sehen, die mit Mitte 30 den Entschluss fasst, ein Kind zu bekommen – notfalls ohne Mann. Sie bittet einen Kommilitonen (Travis Fimmel) aus früheren Tagen, als Samenspender zu agieren, allerdings bitte ohne dazugehörigen Sex. Just nachdem er eingewilligt hat und das Projekt Baby Fahrt aufnimmt, lernt sie den Uni-Dozenten John (Ethan Hawke) kennen. Der ist zwar mit einer erfolgreichen Kollegin (Julianne Moore) verheiratet, aber totunglücklich. Drei Jahre später sind die beiden ein Paar, haben ein gemeinsames Kind und alles könnte perfekt sein – wenn John nicht so gleichgültig wäre. Enttäuscht von seinem Desinteresse, fasst Maggie einen ungewöhnlichen (zweiten) Plan, um für alle Beteiligten eine optimale Lösung zu finden.

Optimierung ist auch das Grundthema, dem sich Regisseurin und Autorin Miller in ihrem Low-Budget-Streifen mal satirisch, mal giftige Pfeile schießend annähert: Ihre Protagonistin Maggie ist eines jener Exemplare, die stets auf das Wohlbefinden aller bedacht sind. Konflikte werden selten direkt von Angesicht zu Angesicht diskutiert, stattdessen wird vermittelt, zurückgesteckt, geschwiegen und ‚hintenrum‘ heimlich ein Schlachtplan entworfen. Halt nur ohne blutige Schlacht und auf einen schmerzfreien Ausgang optimiert. Gleiches gilt für ihren Lebensentwurf, zu dessen Optimierung ihrer Meinung nach eben ein Kind gehört – bis die Realität dazwischenfunkt.

Obwohl diesmal nicht von ihrem Lebensgefährten Noah Baumbach („Greenberg“) inszeniert, ist „Maggies Plan“ ein lupenreiner Gerwig-Film. Komplett auf sie und ihre quirlig/scheue Art zugeschnitten, stolpert sie durch eine Geschichte, die an sich nicht so besonders ist und mehr zum Schmunzeln denn zum Schenkelklopfen einlädt. Angesiedelt in der Intellektuellen-Szene, hauen sich die Charaktere nicht plumpe Fäkalienwitze um die Ohren, sondern geben eher verschwurbelte Dialoge von sich, die zwar nicht minder amüsant, aber manchmal doch ein wenig angestrengt wirken. Oder ist dies alles nur Ironie? Allein das Fachgebiet von Uni-Dozent John ist schon ein Aberwitz an sprachlicher Komposition: „Fiktokritische Perspektiven in Familiendynamiken und Masken in der modernen Familie seit den Viktorianern“.

Richtig viel Spaß hingegen scheint Julianne Moore als dänisch-stämmige Ex zu haben, die – zumindest im Original – einen herrlichen Akzent von der Leine lässt und in ihrem Auftreten keinen Hehl daraus macht, dass sie Maggie zwar mag, aber auch für ein wenig doof hält.

„Maggies Plan“ ist weit entfernt von Hollywoods Hochglanzromanzen und begeistert mit einer rauen Inszenierung, die den kantigen Charakteren eine passende Bühne gibt. Nichts für jedermann, aber eine erfrischende Alternative zum üblichen Schmonz.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Extras gibt es ein kurzes Making of und Trailer. „Maggies Plan“ erscheint bei MFA+ Film im Vertrieb von Sony Pictures Home Entertainment und ist seit 5. Dezember 2016 erhältlich. (Packshot + Filmstills: © MFA+ FilmDistribution e.K./Sony Pictures/Lily Harding Pictures, LLC.)

Heimkino-Tipp: „Wiener Dog“ (2016)

*trommelwirbel*

Für besondere Filme braucht es besondere Rezensenten: Dr. Wieland Schwanebeck* von der TU Dresden hat sich dem neuen Werk von Todd Solondz gewidmet und einen wunderbaren Gastkommentar verfasst. Bitteschön:

Alle kommen auf den Hund

Nein, das Universum ist nicht gnädiger geworden – nicht für Dawn Wiener, die dem Zuschauer in Todd Solondz’ „Willkommen im Tollhaus“ (1995) das erste Mal über den Weg gelaufen ist, oder für sonst wen im Universum des Regisseurs, dessen Geschichten mit sturer Übellaunigkeit die schlimmste Wendung zu nehmen pflegen und der noch dem kleinsten Fünkchen Trost einen bitteren Beigeschmack versetzt. Wenn hier ein kleiner Junge mit seinem geliebten Hund zu den Klängen von Debussys „Clair de Lune“ in einer Montage kuschelt, kann man sich darauf verlassen, dass eine tierische Dünnschiss-Katastrophe und die Androhung des Einschläferns nur wenige Filmminuten entfernt liegen; selbst der Versuch einer tröstenden Parabel durch die von Julie Delpy gespielte Mutter endet in einem Gleichnis-Kauderwelsch über vergewaltigte Eichhörnchen.

Zumindest hier kommt das Tier noch einmal mit dem Leben davon – „Wiener Dog“ nennt man den Dackel mit liebevoller Herablassung im Englischen, und er taumelt auf seinen kurzen Beinen großäugig und irgendwie auch jenseits von gut und böse durch Solondz’ Parade der Mängelwesen, denen es immer an etwas fehlt: an Zuwendung, Erfolg oder Hoffnung (meistens alles zusammen). An seinem Titelhelden hat der Regisseur kein großes Interesse – „Wiener Dog“ ist keine Lassie-Parabel über tierische Treue und Zuverlässigkeit, sondern eher eine Hommage an die Ding-Erzählungen des 17. und 18. Jahrhunderts, in denen ein Gegenstand im Kapiteltakt den Besitzer wechselt, wodurch das Publikum einen Querschnitt durch die Gesellschaft kennenlernt. Dabei geben sich als temporäre Begleiter des u.a. auf so appetitliche Namen wie ‚Kacka‘ oder ‚Tumor‘ getauften Tieres Darsteller wie Greta Gerwig (in der Rolle von Solondz’ Dauer-Leidgeprüfter Dawn Wiener), Ellen Burstyn oder Danny De Vito in Kurzauftritten die Klinke in die Hand.

Vor allem De Vito passt natürlich besonders gut in diesen Reigen der zu kurz Gekommenen: Sagt man Hundebesitzern nicht gerade zwangsläufig eine optische Verwandtschaft mit ihren vierbeinigen Begleitern nach? Der Schauspieler jedenfalls präsidiert über die unaufgeregteste und zugleich zornigste Episode des Films, in der Solondz zugleich mit der Creative-Writing-Industrie abrechnet, die jungen Schnöseln in College-Kursen hohle Drehbuch-Formeln beibringt. De Vitos Figur (sinnbildlich Dave Schmerz getauft) ist als impotenter Dozent an so einer Einrichtung klebengeblieben und hat seinem einzigen Film-Hit nichts folgen lassen können – warum Solondz in dieser Figur, deren hundserbärmlicher Tragik der Dackel eigentlich nur noch das optische I-Tüpfelchen verleiht, auch noch mit Woody Allen abrechnet (ein deutlich auf Allens „Bananas“ anspielendes Plakat zu dem von Schmerz stammenden Film „Apricots“ ziert sein Büro), bleibt sein Geheimnis, denn mit den kommerziellen Drehbuch-Gurus à la Syd Field hat Allen nun weiß Gott nichts zu tun.

Von der Industrie könnte Solondz’ Film ohnehin nicht viel weiter weg sein – klassisch herausgespielte Gags kommen kaum vor (eine kurze „Intermission“, die den Dackel zu den Klängen einer Marc-Shaiman-Ballade durch die Prärie traben lässt, dürfte dennoch die unbeschwert-witzigste Szene in Solondz’ Werk sein), und gab es schon in „Storytelling“ (2001) keinen ernsten Versuch, die Episoden miteinander zu verknüpfen, wandert auch der Dackel ohne größere kausale Zusammenhänge von einem dysfunktionalen Besitzer zum nächsten. Stößt er einmal auf Zuwendung (bspw. bei zwei Menschen mit Down-Syndrom, denen Solondz zumindest etwas gönnt, das man ansatzweise als empathische Zuwendung bezeichnen kann), landen wir mit einem harten Schnitt gleich darauf in der nächsten Einöde. Dort, wo es Todd Solondz zu sentimental zu werden droht, schiebt er lieber einen derben, zynischen Witz hinterher, was die Zuschauer verlässlich in Fans und Gegner teilt.

Ob er heimlich hinter verschlossenen Türen gelegentlich mit süßen Hundewelpen kuschelt, wenn gerade keiner guckt?

Wieland Schwanebeck

*Zum Weiterlesen und -entdecken: HIER geht’s zur Internetpräsenz von Dr. Schwanebeck und seinem Publikationsverzeichnis.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter sowie englischer Originalsprachfassung. Untertitel sind in ebendiesen Sprachen vorhanden. Als Bonus sind Trailer beigefügt. „Wiener Dog“ erscheint bei Prokino im Vertrieb von EuroVideo Medien GmbH und ist seit 29. November 2016 erhältlich. (Packshot + stills: © Prokino)

Heimkino-Tipp: „Erlösung“ (2016)

True Detectives

„Alles, woran du glaubst, ist ein schwarzes Loch.“ Bäm! Das war deutlich. Die knappen Worte seines Partners Assad (Fares Fares) bringen den Gefühlszustand des Ermittlers Mørck (Nikolaj Lie Kaas) perfekt auf den Punkt. Der Optimist und der Misanthrop sind zurück und machen sich nach „Erbarmen“ (Rezension siehe HIER) und „Schändung“ (siehe HIER) ein weiteres Mal daran, ein lange ungelöstes Verbrechen aufzuklären. Schwankte die Qualität der Vorgängerfilme zwischen richtig gut (Teil eins) bis passabler Durchschnitt (Teil zwo), so fährt das dritte Kapitel von Anfang an schwerere Geschütze auf – und erweist sich als der psychologisch beste (und heftigste) Streifen der Trilogie.

Gerade erst in den Dienst ins „Sonderdezernat Q“ zurückgekehrt, widmet sich Dauermiesepeter Mørck zusammen mit Assad diesmal einem mysteriösen Entführungsfall: Eine Flaschenpost ist aufgetaucht und legt den Verdacht nahe, dass mehrere Kinder vor Jahren gefangen gehalten wurden. Seltsamerweise existieren jedoch keine Vermisstenanzeigen. Bei ihren anschließenden Nachforschungen in einer ländlichen Region finden die Kommissare heraus, dass einer der einst gekidnappten Jungs den Tod fand – und der andere inzwischen ein Leben als Junkie fristet. In derselben Gegend geschieht nun etwas Ähnliches: Ein Geschwisterpaar verschwindet, seine Eltern allerdings geben keinen Mucks von sich. Zufällig werden Mørck und Assad auf das tief gläubige Ehepaar aufmerksam – und sind plötzlich mittendrin in einem Fall, bei dem sie es mit religiösem Fanatismus, rassistischen Vorurteilen, misstrauischen Eigenbrötlern und verängstigten Kindern zu tun bekommen.

Endlich scheint die Filmreihe, basierend auf Romanen von Jussi Adler-Olsen, ihren Rhythmus gefunden zu haben: den Hauptcharakteren wird Raum und Zeit zum Atmen gegeben, die Recherchen zum aktuellen Fall konfrontieren die beiden mit gesellschaftlichen Abgründen, und der Antagonist (gruselig gut: Pål Sverre Hagen) erweist sich als unberechenbar und schlichtweg teuflisch böse. Tatsächlich wagt „Erlösung“ im finalen Akt sogar einen Tabubruch, was die Darstellung von Gewalt angeht – zumindest im Bereich eines Mainstream-Thrillers. Ohne es an dieser Stelle konkret zu benennen, gab es so etwas meines Wissens nach bisher nur in Extremproduktionen à la „Hostel 2“. Mit dem großen Unterschied: In „Erlösung“ ist es ein Teil der Handlung, die konsequent darauf abzielt, die Figur des Mørck zu beeinflussen. Im genannten Horrorfilm von Eli Roth hingegen war es lediglich ein gewollter Aufreger.

Ähnliches unterstellte ich übrigens auch „Schändung“, dem Vorgängerfilm von „Erlösung“. Regisseur Hans Petter Moland („Einer nach dem anderen“), der das Zepter von Mikkel Nørgaard übernahm, fährt die Quantität an Gewaltszenen erfreulicherweise etwas zurück und vertraut wie schon der erste Teil mehr auf Atmosphäre und Spannungsaufbau. Kommt es dann jedoch zu Gewaltausbrüchen, sind diese von einer beinahe schmerzvollen Intensität.

Intensität ist ebenfalls das Stichwort für die Hauptdarsteller: Nikolaj Lie Kaas darf endlich mehr tun als böse gucken, kann nun auch mittels Sprache seinen enttäuschten Blick auf die Welt kundtun und liefert sich mit seinem treuen Freund Wortgefechte, die witzig und tiefgründig zugleich sind. Die unterschiedlichen Sichtweisen der beiden Männer treten immer wieder zutage, egal ob bei den Themen Religion, Gleichberechtigung oder Partnerschaften. Wie Fares Fares alias Assad der Melancholie seines Partners dabei konsequent Paroli bietet, ist herzerwärmend und beeindruckend zugleich.

Fazit: Der dritte Teil der sogenannten Q-Trilogie liefert den lange vermissten psychologischen Background für Mørck und Assad und lässt sie als gleichberechtigte Charaktere agieren. Eingefangen in einer tollen Bildsprache, die der gezeigten (psychischen und physischen) Grausamkeit wunderschöne Landschaftsaufnahmen entgegensetzt, zieht „Erlösung“ mit zunehmender Laufzeit die Spannungsschraube ordentlich an, bietet ein grandioses Finale – und lässt auf eine baldige Fortsetzung hoffen. Denn diese zwei Kerle haben noch viel zu offenbaren.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und in dänischer Originalsprachfassung mit deutschen Untertiteln. Eine Hörfilmfassung ist ebenfalls enthalten. Im Bonusmaterial finden sich Interviews und Trailer. „Erlösung“ erscheint bei NFP marketing & distribution im Vertrieb von Warner Bros. und ist seit 24. November 2016 erhältlich. (Packshot + stills: FilmPressKit online/NFP/Henrik Ohsten)

Heimkino-Tipp: „High-Rise“ (2015)

Sex and Paranoia

Beim Betrachten des hier zu sehenden Filmplakats werden unweigerlich Erinnerungen an Stanley Kubricks „Uhrwerk Orange“ geweckt. Auch dieser Klassiker aus dem Jahre 1971 hatte ein solch dreieckiges Postermotiv. Ebenso handelte es sich dabei um eine Romanverfilmung über eine semi-futuristische Gesellschaft, die aus den Fugen zu geraten scheint. Und dann das: In der ersten Szene von „High-Rise“ ist einer jener seltenen Plattenspieler zu sehen, die Alex, die Hauptfigur in Kubricks verstörendem Meisterwerk, während seiner „Ludwig van“-Exzesse nutzt. Zufall? Sicher nicht.

Tatsächlich fühlt sich „High-Rise“ sehr nach einem Kubrick-Film an. Normalerweise bin ich mit solchen Vergleichen vorsichtig, zumal es sich bei dem leider bereits verstorbenen Kultregisseur um einen weltweit anerkannten und verehrten, außergewöhnlichen Filmemacher handelte. Nichtsdestotrotz scheint Ben Wheatley eben jenen ‚Spirit‘ eingefangen zu haben, den auch „Uhrwerk Orange“ in sich trägt. Und noch eine Gemeinsamkeit ist unbestreitbar: Kubrick und „High-Rise“-Regisseur Wheatley verlangen ihrem Publikum einiges ab.

„High-Rise“, basierend auf dem gleichnamigen Roman von J.G. Balland von 1975, folgt dem charismatischen Dr. Robert Laing (Tom Hiddleston) beim Einleben in seine neue Umgebung: ein Hochhaus irgendwo in England, das seine Bewohner streng nach sozialen Klassen trennt – unten die weniger gut situierten, oben die im Reichtum und Luxus schwelgenden. Laing bezieht zunächst in der unteren Hälfte ein Appartement und lernt vor allem beim Feiern seine Nachbarn kennen: die aufreizende Charlotte (Sienna Miller), ihren zügellosen Verehrer Wilder (Luke Evans) und dessen schwangere Gattin Helen (Elisabeth Moss). Anders als sie alle hat Laing jedoch ebenfalls Kontakt zum Mann ganz oben im Gebäude. Royal (Jeremy Irons) ist der Architekt der gesamten Anlage und stets bestrebt, die ‚kleinen Kinderkrankheiten‘ auszumerzen, um ein friedvolles Zusammenleben zu garantieren. Er lässt Laing an seinen Gedankenspielen teilhaben, der wiederum als stiller Beobachter alle Vorgänge im Haus aufmerksam verfolgt.

Satire, Endzeitvision, Gesellschaftsporträt: „High-Rise“ funktioniert auf vielen Ebenen – jedoch nicht als leichte Unterhaltungskost. Die explizite, meist übertriebene Darstellung der einzelnen Personengruppen entlarvt den Film schnell als Gedankenexperiment, das seinem Publikum schonungs- und vor allem hemmungslos den Spiegel vorhält. Hier geht es nicht um eine stringent erzählte Geschichte, sondern vielmehr um einzelne Etappen des Verfalls einer Gesellschaft, die ihre Werte sukzessive ignoriert, zunehmend dem Egoismus frönt und letztendlich in ihre primitiven Einzelheiten zerfällt. Dabei spielt es keine Rolle, welchem sozialen Stand man und frau zuvor angehört haben – geht es ums nackte Überleben, sind alle gleich.

Wheatley und seine Co-Autorin/Ehefrau Amy Jump verpacken das Ganze in ein hochstilisiertes Szenario, das absurd und beängstigend real zugleich erscheint. Die zeitliche Einordung bleibt verschwommen, angesichts fehlender, moderner Kommunikationsmittel, dem Look einzelner Charaktere sowie sporadisch eingestreuter Radiomitschnitte lässt sich die Handlung aber auf Ende der 1970er-Jahre einordnen. Aktuell ist sie in jeder einzelnen Szene trotzdem.

Faszinierend an diesem cineastischen Experiment sind die vielen kleinen Hinweise und Andeutungen auf die Gegenwart und die Motivation der einzelnen Charaktere, die sich – zumindest mir – erst beim zweiten Anschauen erschlossen haben. Kennt man den Verlauf des Films, so ist es eine große Freude, beim wiederholten Gucken all diese dann eindeutigen Verweise zu entdecken – sowohl in den Dialogen als auch in den einzelnen Handlungen der Figuren.

Und Laing, immerhin ein Dr. der Psychologie? Sein größtenteils passives Auftreten, seine wenigen und doch vieldeutigen Aussagen während des gesamten Films, sowie sein Faible fürs Neubemalen der Wände lassen diese Figur in einem besonderen Licht erscheinen. Interpretationen herzlich willkommen!

„High-Rise“ ist ein forderndes Werk, das alle Aspekte des Filmemachens (Sprache, Bilder, Sets, Kostüme etc.) nutzt, um ein zwar überzeichnetes, aber sehr wahrhaftes Bild der Spezies Mensch im 20./21. Jahrhundert zu zeichnen. Große Klasse!

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und original englischer Sprachfassung. Optionale deutsche Untertitel sind ebenso vorhanden. Als Extras gibt es Interviews, Trailer sowie ein sehr kurzes Feature zur Buchadaption. „High-Rise“ erscheint bei DCM Film Distribution GmbH/Universum Film und ist seit 18. November 2016 erhältlich. (Packshot + stills: © DCM)

Heimkino-Tipp: „Free State of Jones“ (2016)

Newton Knight Unchained

Es ist gleichsam faszinierend und beunruhigend zugleich, wie schnell sich Geschichte im Allgemeinen verändert – oder wiederholt. Angesichts der momentan weltweiten politischen Entwicklungen, die den Wunsch Vieler nach konservativen Werten(?) widerspiegeln, entsteht der Eindruck, dass der Mensch zur Wiederholung bereits überwundener Fehler neigt. Oder sind manche Sachen vielleicht nie wirklich überwunden worden?

Ein treffendes (und trauriges) Beispiel für diese These ist der momentan wieder verstärkt auftretende Rassismus – nicht nur in den USA, aber dort sicherlich besonders. Bedenkt man zudem, dass die Rassentrennung in Amerika erst Mitte der 1960er-Jahre in allen zivilen Bereichen gesetzlich abgeschafft wurde, wirkt Geschichte plötzlich greifbar und sehr nahe. Ähnliches gilt für den Film „Free State of Jones“ von Gary Ross („Die Tribute von Panem“), der Ereignisse des Amerikanischen Bürgerkriegs (1861 - 1865) mit einem Gerichtsurteil rund 80 Jahre später verbindet – und so zeigt, dass manche Kämpfe sehr sehr lange andauern können.

„Free State of Jones“ erzählt von dem Farmer Newton Knight (Matthew McConaughey), der im Sezessionskrieg auf der Seite der Südstaatler kämpfen muss. Dort ist er als Sanitätssoldat eingeteilt und erlebt hautnah die Gräuel des Krieges mit. Als zudem sein junger Neffe an der Front fällt, entschließt er sich zu desertieren. Um den überall im Land rigoros handelnden Standgerichten zu entgehen, versteckt er sich mit Gleichgesinnten in der Sumpfregion Mississippis. Dort lernt er auch geflüchtete Sklaven wie Moses (Mahershala Ali) und Rachel (Gugu Mbatha-Raw) kennen und fasst schließlich den Plan, etwas gegen die Ausbeutung der Bevölkerung durch die Militärs, die Ungleichbehandlung der Menschen und die Sklaverei-Gesetze zu unternehmen. Zunächst als kleine Gruppe, später mit mehr Unterstützern, gelingt es Knight, eine Rebellion zu starten, die immer weitere Kreise zieht.

Betrachtet man den Verlauf der Knight’schen Erhebung, so werden unweigerlich Erinnerungen an den Kampf des William Wallace im Schottland des 13. Jahrhunderts geweckt, dem Mel Gibson in seinem Oscar-prämierten Schlachtenepos „Braveheart“ 1995 ein filmisches Denkmal setzte. Aber auch die Bielski-Brüder, polnische Juden, erhoben sich während des Zweiten Weltkrieges mit Waffengewalt gegen ihre Unterdrücker und erhielten 2008 mit „Defiance – Unbeugsam“ mit Daniel Craig in der Hauptrolle ein angemessenes Filmporträt von Edward Zwick. Also doch: Geschichte wiederholt sich.

Regisseur Gary Ross erzählt die Geschichte seines mutigen Helden geradlinig und ohne Nebenschauplätze. Nur die vereinzelten, kurzen Episoden von Knights Nachfahren, die viele Jahre später noch immer um Gleichberechtigung kämpfen müssen, unterbrechen die eigentliche Handlung. Keine Frage, Ross’ Anliegen mit dieser Form der Inszenierung ist überdeutlich. Und doch wirken die Einschübe ein wenig deplatziert, obgleich thematisch nachvollziehbar. Abgesehen davon trägt McConaughey trotz fantastischer Kollegen den Film gänzlich allein auf seinen Schultern. Seine Figur ist die charismatischste, vielleicht auch streitbarste von allen, auf jeden Fall die interessanteste.

Worauf der Zuschauer aber ebenso vorbereitet sein sollte: Ross hat kein Problem damit, die kriegerischen Handlungen in all ihrer Brutalität zu zeigen. Zudem setzt „Free State of Jones“ ein wenig Hintergrundwissen über die Geschichte der USA voraus, vor allem bezüglich der beiden politischen Strömungen im Land, den Demokraten und den Republikanern. Deren Ziele unterschieden sich nämlich im 19. Jahrhundert noch fundamental von denen im Jahre 2016. Ross erwähnt dies nicht und hat damit – zumindest bei mir – zunächst für viel Verwirrung gesorgt.

„Free State of Jones“ ist ein klassisch umgesetzter, teilweise sehr brutaler Historienstreifen mit Anspruch und tollen Darstellern, der ernst und engagiert auf einen außergewöhnlichen Mann zurückblickt.

Die DVD/Blu-ray bieten den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche und englische Untertitel für Hörgeschädigte. Als Bonusmaterial gibt es diverse Interviews sowie Trailer. „Free State of Jones“ erscheint bei EuroVideo Medien und ist seit 10. November 2016 erhältlich. (Packshot + stills: © EuroVideo)

Heimkino-Tipp: „Oasis: Supersonic“ (2016)

Don’t Look Back in Anger

Erst vor wenigen Wochen erinnerte die wunderbare Ron Howard-Dokumentation „Eight Days a Week – The Touring Years“ an die sogenannte Beatlemania, die Anfang der 1960er-Jahre scheinbar die ganze Welt ergriff. 30 Jahre später wiederholte sich dieser Wahnsinn dank der Gebrüder Gallagher aus Manchester – und ihrer Band Oasis. Ihre Musik prägte die 1990er maßgeblich, bis heute hat die 2009 aufgelöste Rockcombo etwa 80 Millionen Tonträger verkauft. Und wer zu jener Zeit nicht komplett abgeschirmt in einer Höhle gelebt hat, kennt mindestens einen ihrer zahlreichen Hits: „Live Forever“, „Wonderwall“, „Lyla“ und „Don‘t Look Back in Anger“ sind nur einige von vielen.

Was Oasis neben ihrem Sound auszeichnete, war die offen zur Schau gestellte ‚Fuck you!‘-Attitüde der beiden Frontmänner, die der Regenbogenpresse in schöner Regelmäßigkeit neues Futter lieferten. Sei es eine Prügelei auf einer Fähre, das unverblümte Bekenntnis zum Drogenkonsum, die Unlust von Liam Gallagher, ein Konzert zu Ende zu singen, oder die auch von Noel Gallagher immer wieder in Mikrofone geschriene, bescheidene Behauptung: „Wir sind die beste Band der Welt!“

Regisseur Mat Whitecross („The Road to Guantanamo“, 2006), nach eigener Aussage selbst Fan von Oasis, hat sich nun der Mammutaufgabe gestellt, diesen beiden talentierten Angebern und ihrer Band ein filmisches Denkmal zu setzen. Oder zumindest ihren phänomenalen Aufstieg in nur zweieinhalb Jahren zu dokumentieren. Als Schlusspunkt setzt er dabei Oasis’ Auftritt im englischen Knebworth Park vor 250.000(!) Zuschauern im August 1996. Zwei legendäre Konzerte, die in der Rückschau wohl so etwas wie den Zenit von Oasis’ Popularität darstellen.

Mit einer Fülle von Archivmaterial, das zum Teil lange vor dem Durchbruch der Jungs entstanden ist, erzählt „Supersonic“ von der Kindheit, dem Erwachsenwerden und dem unerwartet schnellen Erfolg der Bandmitglieder. Frühe Konzertmitschnitte, selten zu hörende Demo-Aufnahmen bekannter Songs und die unzähligen Exzesse während ihrer globalen Touren sind dabei virtuos zusammengefügt und werden nicht nur von den Gallagher-Brüdern, sondern ebenso von nahezu allen(!) ehemaligen Wegbegleitern aus dem Off kommentiert. Ohne Scham, ehrlich und in jeder Hinsicht informativ kommen hier Ex-Bandmitglieder, Förderer, Tourmanager und Familienmitglieder zu Wort und formen so ein Zeitdokument, das – zusammen mit der famosen optischen Umsetzung – den Wahnsinn vor und hinter der Bühne noch einmal zum Leben erweckt.

Klar, „Supersonic“ ist vor allem ein Geschenk an die Fans. Hauptsächlich zusammengestellt mit Material aus einer Zeit, in der die digitale Revolution noch bevorstand, ist diese Doku aber auch künstlerisch ein herausragend komponiertes Werk. Oder, um es gewohnt zurückhaltend mit Liams Worten zu sagen, nach dem er die Rohfassung des Films gesehen hat: „Biblical“.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie optionale deutsche Untertitel. Als Bonus befinden sich Interviews und Trailer auf den Discs. „Oasis: Supersonic““ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite) und ist seit 11. November 2016 erhältlich. (Packshot: © Ascot Elite)

... im Nachgang: „Tschick“ (Kinostart: 15. September 2016)

Die Dreharbeiten für seinen neuen Streifen, „Aus dem Nichts“, haben gerade in Hamburg begonnen, das von ihm gefilmte Unplugged-Konzert von Westernhagen wurde vergangene Woche erst veröffentlicht, und im Kino begeistert er immer noch mit der Literaturverfilmung „Tschick“: Fatih Akin ist omnipräsent - und das ist gut so! Finde zumindest ich im Pro-Teil der „Tschick“-Rezension, nachzulesen HIER

(Plakat: © 2016 Studiocanal GmbH Filmverleih)

Heimkino-Tipp: „Bates Motel: Staffel 4“ (2016)

We all go a little mad sometimes

Es hätte so viel schief gehen können: Als die Serie „Bates Motel“ 2013 zum Leben erweckt wurde, war (zumindest meinerseits) die Skepsis groß. Der Ansatz der Macher, die Vorgeschichte zu einem der bekanntesten Thriller der Filmgeschichte, „Psycho“ (1960) von Alfred Hitchcock, in modernem Gewand zu erzählen, klang ebenso mutig wie zum Scheitern verurteilt. Doch Carlton Cuse, Kerry Ehrin und Anthony Cipriano, die drei Verantwortlichen hinter dem Projekt, haben genau den richtigen Ton getroffen. Mehr noch: Sie haben mit Vera Farmiga („Up in the Air“) als Mama Norma und Freddie Highmore („Charlie und die Schokoladenfabrik“) als Sohnemann Norman eine Besetzung gefunden, die nun schon vier Staffeln lang eine schauspielerische Qualität abliefert, die nur wenige aktuelle Serien vorweisen können. Oder, um es deutlicher zu formulieren: DAS ist absolutes Gourmet-Material!

Bevor an dieser Stelle eine Besprechung der vierten Staffel der Serie folgt, noch eine Bitte: Wer die vorangegangenen drei Staffeln nicht kennt, diese aber noch schauen möchte, sollte besser nicht weiterlesen – Spoilerwarnung!

Das Ende von Staffel Drei war für die Hauptfiguren zweifellos ein einschneidendes Kapitel: Norma hatte sich mit dem einflussreichen Gangster Bob einen neuen Feind zugelegt, während Normans Alter Ego der plötzlich wieder aufgetauchten Bradley (Nicola Peltz, „Transformers 4 – Ära des Untergangs“) zum Verhängnis wurde. Sein älterer Bruder Dylan (Max Thieriot, „House at the End of the Street“) hingegen fand sein Glück an der Seite von Emma (Olivia Cooke, „Ich und Earl und das Mädchen“), der wiederum eine nicht ungefährliche Lungentransplantation bevorstand. Spätestens mit der grandiosen finalen Kameraeinstellung der letzten Folge, die dem Schluss aus „Psycho“ gleicht, war klar: fortan wird es richtig böse. Denn der erzählerische Kreis zum großen, cineastischen Vorbild war – zumindest was die charakterliche Entwicklung des Protagonisten angeht – nun geschlossen.

Häufiger und heftiger als zuvor zeigen die zehn neuen Episoden die dunkle Seite Normans, der immer häufiger an Blackouts leidet und während dieser Phasen Dinge tut, die sich kaum noch unbemerkt unter den Tisch kehren lassen. Seine besorgte Mutter Norma lässt ihn daraufhin in eine Privatklinik einweisen, in der er psychologisch betreut werden soll. Um dies bezahlen zu können, geht sie einen ungewöhnlichen „Deal“ mit Sheriff Romero (Nestor Carbonell, „The Dark Knight“) ein. Dylan und Emma beobachten diese Entwicklungen mit Sorge, planen parallel dazu jedoch ihre eigene Zukunft fernab vom Bates Motel. Wären da nur nicht diese beunruhigenden Hinweise, die Dylan in Normans Zimmer entdeckt: Hat der labile Junge möglicherweise etwas mit dem Verschwinden von Emmas Mutter zu tun?

Oftmals wirkt das Auftauchen neuer Charaktere in etablierten Serien wie der verzweifelte Versuch, eine bereits auserzählte Geschichte irgendwie am Leben zu erhalten. Nicht so bei „Bates Motel“: Schon länger ist bekannt, dass die Macher die Serie auf fünf Staffeln angelegt haben. Jede neue Plotwendung mag da anfangs vielleicht etwas konstruiert wirken, mit zunehmender Folgenanzahl ergeben sich daraus allerdings überaus spannende, weitreichende Konflikte, die allesamt ihren Anteil an der sich weiter entwickelnden Psychose unseres Lieblings-Hoteliers Norman haben. Insofern überrascht auch das Ende dieser Staffel: Es ist weniger ein „Cliffhanger“, als vielmehr das Versprechen der Autoren, mit den finalen, leider erst 2017 erscheinenden Folgen, abermals etwas ganz Besonderes zu präsentieren.

Inszenatorisch bleibt Season Four dem bewährten, optisch reizvollen Konzept treu, Moderne mit altem Chic zu kombinieren. Daraus entsteht eine etwas entrückte Realität, die angenehm und gleichsam bedrohlich wirkt.

Ergo: Qualitativ und inhaltlich spielt „Bates Motel“ auch im vierten Jahr noch in der oberen Liga und begeistert mit tollem Cast, verstörenden Momenten und einer packenden Storyline. Bravo!

Die DVDs/Blu-rays bieten die vierte Staffel in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche und englische Untertitel. Als Bonus sind gelöschte Szenen beigefügt. „Bates Motel: Season 4“ erscheint bei Universal Pictures Germany GmbH und ist seit 3. November 2016 erhältlich. (Packshot + stills: © Universal Pictures)

Heimkino-Tipp: „Schrotten!“ (2016)

Lieber tot als Sklave!

Der wunderbare Frederick Lau scheint ein Faible für erinnerungswürdige Rollennamen zu haben. Anders ist es nicht zu erklären, dass er wahlweise als ‚Sonne‘ („Victoria“, 2015), ‚Martini‘ („Wie Männer über Frauen reden“, 2016) oder, wie hier im Film „Schrotten!“, als ‚Letscho‘ auftritt. Mit gerade einmal 27 Jahren kann der gebürtige Berliner bereits auf eine beeindruckende Filmografie zurückblicken, der er mit „Das kalte Herz“, momentan im Kino zu sehen, gerade wieder ein neues Kapitel hinzufügt.

Doch zurück zu Letscho. Der wird aufgrund des überraschenden Todes seines Vaters Chef der Schrottplatz-Dynastie Talhammer mit eigenem Anwesen. Auf das ist schon seit langem Konkurrent Kercher (Jan-Gregor Kremp) scharf, der rundherum bereits sämtliche Schrottplätze aufgekauft hat und von den knappen Kassen der Talhammers weiß. Aber Letscho wäre „lieber tot als Sklave“ und denkt gar nicht daran, das Familienunternehmen aufzugeben. Dummerweise entscheidet er das nicht allein. Denn Papa Talhammer hat die Hälfte seines Besitzes Sohn Nr. 2 vermacht: Mirko (Lukas Gregorowicz). Der hat sich schon vor Jahren vom Provinz- und Schrottsammel-Leben losgesagt und als Anzugträger in Hamburg Karriere gemacht – oder es zumindest versucht. Das Geld aus dem Verkauf des Anwesens käme ihm daher sehr gelegen. Es dauert nicht lange und die beiden grundverschiedenen Brüder geraten aneinander. Die Lösung: Letscho und seine Sippe zahlen Mirko aus und das Thema ist vom Tisch. Als Mirko jedoch erfährt, wovon er ausgezahlt werden soll, wird es abenteuerlich. Denn um an Geld zu kommen, soll Kercher mal eben ein Zugwaggon voll Kupfer stibitzt werden.

Nein, so clever wie die Truppe von Danny Ocean sind die Talhammers nicht. Aber sie haben ihr Herz am rechten Fleck, was es ungemein einfach macht, diese Kerle und Mädels zu mögen. Mittendrin Lau und Gregorowicz als Geschwisterpaar mit herrlich gegensätzlichen Ansichten von der Welt, der Karriere und der Art, sein Frühstück zu genießen.

Regisseur und Autor Max Zähle (Oscar-nominiert für den Kurzfilm „Raju“, 2011) hat mit „Schrotten“ einen wunderbar sympathischen, rotzfrechen Film geschaffen, der zwar nicht viel Neues über Familienbanden erzählt, dies jedoch mit Witz, coolen Typen und einem kleinen Stinkefinger Richtung Establishment sehr professionell überspielt. Die unschönen Seiten des nahenden Bankrotts auf der einen und den Zwängen der Anpassung auf der anderen Seite lässt er dabei fast gänzlich außen vor, sodass dem Film bei aller Realitätsnähe stets ein leichter Ton erhalten bleibt.

Und vielleicht ist das ja auch die richtige Herangehensweise an viele Herausforderungen des Lebens: Nimm’ es mit Humor, denn der Alltag ist grau genug.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in original deutscher Sprachfassung und als Hörfilmfassung. Untertitel in deutsch für Hörgeschädigte sowie in englisch sind ebenso vorhanden (sehr vorbildlich!). Als Extras sind ein Musikvideo, gelöschte Szenen und Trailer mit dabei. „Schrotten!“ erscheint bei Port au Prince Pictures GmbH/Lighthouse und ist seit 21. Oktober 2016 erhältlich. (Packshot + stills: © Port au Prince Pictures)

Heimkino-Tipp: Desierto (2015)

Land of the Dead

Ein bewaffneter Amerikaner macht an der Grenze zu Mexiko Jagd auf illegal eingereiste Flüchtlinge. Aus dieser einfachen, aber politisch aufgeladenen Prämisse kreiert Jonás Cuarón sein Filmdebüt „Desierto – Tödliche Hetzjagd“. Entstanden ist ein grimmiger 90-Minüter, der bis auf zwei charismatische Hauptdarsteller ebenso öde ist wie die Wüstenlandschaft, in der die Figuren aufeinandertreffen.

Mitten im Nirgendwo streikt der Laster eines mexikanischen Schleusers und die Insassen sind gezwungen, ihre Reise per pedes fortzusetzen. Unter ihnen befindet sich auch Moises (Gael García Bernal), der, wie wir später erfahren, schon einmal in den USA gelebt hat und aufgrund einer nicht näher erläuterten Meinungsverschiedenheit mit einem Polizisten ausgewiesen wurde. Nun möchte er zu seiner in Nordamerika lebenden Familie zurück und wählt dafür den riskanten Weg über die natürliche, aber illegale Grenze. Als er während des langen und kräftezehrenden Marschs mit Anderen aus der Truppe zurückfällt, rettet ihnen das das Leben – zumindest vorerst. Denn sie werden Zeugen, wie ein Scharfschütze (Jeffrey Dean Morgan) von einem Hügel aus Alle niedermäht, die ihm vor die Flinte kommen. Seinem treuen Jagdhund bleiben die fünf verschreckten Flüchtlinge, zu denen auch Moises zählt, jedoch nicht verborgen. Ohne zu wissen, wo sie sich befinden, rennen sie fortan um ihr Leben, erbarmungslos verfolgt von Sam, dessen Gewehr und einem überaus cleveren Vierbeiner.

Es ist nicht die karge Geschichte, die „Desierto“ mit zunehmender Laufzeit so zäh macht. Denn obgleich sich bis auf eine kurze Episode im Mittelteil das Kräfteverhältnis zwischen Täter und Opfer kaum verändert, gelingt es Regisseur und Co-Autor Cuarón, die Wüste beeindruckend in Szene zu setzen. Sie spiegelt mit ihrer schroffen Felsenlandschaft, den Kakteenfeldern sowie der unbarmherzig brennenden Sonne sehr deutlich die Ausweglosigkeit und Gefühlskälte wieder, mit der die Einwanderer von dem selbsternannten Grenzsheriff ‚empfangen‘ werden.

Allerdings versäumt es das Drehbuch komplett, den handelnden Personen zumindest einen Hauch von Tiefe zu geben. Stattdessen gestalten sich die wenigen erhellenden Momente zur Charakterisierung derart widersprüchlich, dass es nur noch ärgerlich ist. Beispiele gefällig? (1) Moises wird anfangs als nachsichtiger, aufmerksamer und helfender Charakter eingeführt, der einen Grabscher in die Schranken weist und einem weniger fitten Flüchtling zuliebe den Gruppenanschluss sausen lässt. Später im Film ist ihm jedoch eine verletzte Frau völlig egal und er sucht das Weite, wohlwissend, dass sie in den nächsten fünf Minuten von Sam gefunden werden wird. (2) Jener Sam grummelt beim Lagerfeuer etwas über seinen Hass auf „dieses Land“, das er früher einmal geliebt habe. Seltsamerweise steht das aber nicht im Widerspruch zu seinen brutalen Taten – der „Verteidigung“ eben jener ungeliebten USA. (3) Ohne zu wissen, wo sich sein Verfolger befindet, ruht sich Moises zwischendurch auf(!) einem Hügel aus und präsentiert sich damit quasi auf dem Silbertablett. (4) Dass er in diesem Moment nicht erschossen wird, ist der irrationalen Entscheidung von Sam geschuldet, seine Jagd spontan zu unterbrechen, obwohl sich die noch übrig gebliebenen Flüchtlinge in Hörweite befinden.

Unabhängig von den hier aufgezählten Drehbuchentscheidungen, die scheinbar einzig dazu dienen, die Filmlaufzeit zu strecken, riskiert Cuarón zusätzlich noch etwas sehr Beunruhigendes: Da den Flüchtlingen im Film keinerlei Background zugestanden wird – außer Moises, dessen angedeuteter Streit mit einem Cop die Fantasie anregt – und Sam eiskalt und präzise wie ein Soldat im Kriegseinsatz handelt, hält sich die Empathie beim Zuschauen in Grenzen. Polemisch formuliert könnten (Konjunktiv!) die Mexikaner allesamt böse Buben mit finsterer Agenda sein. Ihr Gegner hingegen nuckelt zwar hier und da an einer Whiskyflasche, verurteilt wird sein Handeln aber in keiner Szene. Selbst der offizielle Grenzposten, dem er zu Beginn begegnet, nennt ihn ein Arschloch, nachdem er Sam auf sein Waffenarsenal in seinem Jeep angesprochen hat. Soll heißen: Obwohl er von Anfang an suspekt auftritt, kommt er mit seinen Taten durch. Ich will mir nicht vorstellen, wie dieser Charakter in konservativen oder gar rechtsradikalen Kreisen möglicherweise abgefeiert wird.

Das sind klare Versäumnisse eines versierten Filmemachers (Cuaróns Vater ist Oscar-Preisträger Alfonso C.; zusammen inszenierten sie „Gravity“). Sie machen „Desierto“ nicht zu einem „ehrlichen Zeitdokument über aktuelle Geschehnisse“, sondern vielmehr zu einem unreflektierten Blutfest, das sich jeder Erklärung verweigert und die Angst der Flüchtlinge letztendlich nur dazu nutzt, Spannung für den im bequemen Kinosessel sitzenden, Popcorn futternden Zuschauer zu erzeugen. Ein Film, der möglicherweise aufrütteln soll, aufgrund von inhaltlichen Nachlässigkeiten und zu offensichtlichen Wendungen allerdings eher Gefahr läuft, aus völlig falschen Gründen bejubelt zu werden.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englisch/spanischer Originalsprachfassung sowie optionale deutsche Untertitel. Als Bonus befinden sich lediglich Trailer auf den Discs. „Desierto – Tödliche Hetzjagd“ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite) und ist seit 21. Oktober 2016 erhältlich. (Packshot + stills: © Ascot Elite)

Heimkino-Tipp: „Der Moment der Wahrheit“ (2015)

Die Journalistin

Der angesehene amerikanische Nachrichtensprecher Dan Rather sagte einmal: „Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung. Aber niemand hat das Recht auf eigene Fakten.“ Ein bemerkenswerter Satz, besonders in einer Zeit, in der Demonstranten lautstark Formulierungen wie „Lügenpresse“ skandieren und im Internet im Minutentakt unzählige Behauptungen und Verdächtigungen ohne nachprüfbare Beweise getätigt werden. Leider jedoch auch ein Satz, der vielen jener „besorgten Bürger“ herzlich egal sein wird.

Dan Rather hat in seiner langen Laufbahn beim US-TV-Sender CBS viele historisch wichtige Ereignisse erlebt, kommentiert, in die Welt getragen. Nach 44 Jahren als Redakteur und Moderator wurde sein Vertrag 2006 nicht mehr verlängert. Einer der Gründe für diese Entscheidung dürfte seine Beteiligung an einem Bericht gewesen sein, der kurz zuvor von seiner Kollegin Mary Mapes für das Nachrichtenmagazin „60 Minutes“ produziert wurde. Darin wurde behauptet, dass der damals amtierende US-Präsident George W. Bush seinen Militärdienst nicht wie ursprünglich angegeben abgeleistet habe und dank privater Verbindungen beispielsweise vom Einsatz im Vietnamkrieg befreit worden sei. Nach der Ausstrahlung der Sendung wurde die Echtheit der genutzten Quellen bezweifelt. CBS sah sich letztendlich gezwungen, sich öffentlich zu entschuldigen – und ließ daraufhin intern etliche Köpfe rollen. Der Film „Der Moment der Wahrheit“ erzählt diese spannende Episode der neueren amerikanischen Geschichte auf einfache, aber sehr effektive Weise.

Basierend auf dem Buch „Truth and Duty: The Press, the President, and the Privilege of Power“, in dem Mary Mapes die Ereignisse aus ihrer Sicht schildert, blickt das Regiedebüt von James Vanderbilt im ersten Drittel auf die umfangreichen Recherchearbeiten, die Mapes (Cate Blanchett) und ihr Team (u.a. Topher Grace, Elisabeth Moss, Dennis Quaid) tätigen, nachdem ihnen die Dokumente mit dem brisanten Inhalt zugespielt wurden. Diese einführenden 45 Minuten des Films sind eine zwar hastig bebilderte, aber doch akkurate Darstellung eines Redaktionsalltags, der von Zeitdruck und zwingenden spontanen Entscheidungen geprägt ist.

Die Folge: Schon während der Präsentation im TV werden Stimmen laut, die den Wahrheitsgehalt der Geschichte in Frage stellen. Rather (Robert Redford), der im Gegensatz zur Chefetage hinter Mapes steht, wird daraufhin aufgefordert, ein Interview mit Bill Burkett (Stacy Keach) nachzuliefern, der die Story ursprünglich an Mapes herantrug. Doch zu diesem Zeitpunkt ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen: Egal, welche Argumente die „60 Minutes“-Redaktion zur Unterstreichung der Fakten in den folgenden Tagen hervorbringt, die CBS-Oberen und konkurrierende Redaktionen scheinen nur ein Ende zu akzeptieren: das Eingeständnis, einen Fehler gemacht zu haben.

„Der Moment der Wahrheit“ bringt das ganze Dilemma des Journalismus im 21. Jahrhundert auf den Punkt: Recherchezeit ist knapp, der politische Druck bei unliebsamen Enthüllungen immens und die Gegner sind scheinbar immer in der Überzahl. Besonders jene Trolle, die in ihrem Hass auf die verantwortlichen Redakteure jegliche Grenzen des Anstands ignorieren und via Internet Journalisten auf schändliche Weise beschimpfen, beleidigen, bedrohen und per se als Lügner bezeichnen. Ist die Redaktion zudem in einen Konzern integriert, der Profit über Integrität stellt, ist mit rationalen Argumenten nicht mehr viel zu gewinnen. Zumal, um am Beispiel des Films zu bleiben, mit jedem neuen Angriff auf Mapes und Kollegen immer deutlicher wird, dass der eigentliche Grund für all die Häme – der Vorwurf, Bush hätte bewusst gelogen – für die Kritiker kaum mehr von Interesse ist.

Eine entlarvende, angenehm unaufgeregt inszenierte Bestandsaufnahme des modernen Journalismus und dessen Rezeption in der Öffentlichkeit.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung. Deutsche und englische Untertitel für Hörgeschädigte sowie eine englische Hörfilmfassung sind ebenso vorhanden. Als Extras gibt es zwei Making of-Dokus, ausführliche Interviews (auch vor Publikum), einen Audiokommentar und Trailer. „Der Moment der Wahrheit“ erscheint bei Square One/Universum Film und ist seit 7. Oktober 2016 erhältlich. (Packshot + Filmstills: © Square One/Universum)

Heimkino-Tipp: „The Nice Guys“ (2016)

Zwei stahlharte Profis

Im inzwischen zum Klassiker avancierten „Predator“ (1987) von John McTiernan tauchte ein Charakter namens Hawkins auf, der ein ziemlich unschönes Ende fand. Dargestellt wurde der arme Kerl von einem Mann namens Shane Black, der im Film zwar ziemlich unauffällig blieb, in der Geschichte Hollywoods jedoch eine große Rolle spielt: Aus seiner Feder stammen die Drehbücher der ersten beiden Lethal Weapon-Filme, der Blaupause des in den 80er-Jahren so erfolgreichen Buddy-Movies. 2005 legte er mit „Kiss Kiss Bang Bang“ sein vielbeachtetes und hochgelobtes Regiedebüt vor, mit Hauptdarsteller Robert Downey Jr. folgte 2013 noch „Iron Man 3“. Bevor Black nun 2018 den „Predator“ wiederbelebt, beweist er mit „The Nice Guys“ noch einmal sein Händchen für Actionkomödien, in denen ein ungleiches Ermittler-Duo Jagd auf böse Buben macht.

Natürlich hat zunächst keiner der beiden Eigenbrötler Interesse daran, mit einem Partner zusammenzuarbeiten. Der schlagkräftige Jackson Healy (Russell Crowe) erhält von dem Mädchen Amelia den Auftrag, ihr einen Verfolger vom Hals zu halten: den schmächtigen und vorlauten Detektiv Holland March (Ryan Gosling). Also stattet Healy ihm einen Besuch ab und bricht ihm zur Begrüßung erst einmal den Arm. Kaum wieder zu Hause, wird Healy selbst überfallen – von Typen, die ebenso nach Amelia suchen. Wie sich herausstellt, ist die junge Dame die Tochter der Bezirksrichterin Judith Kuttner (Kim Basinger) und plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Scheinbar hat Amelias Verschwinden etwas mit dem Tod eines Pornosternchens zu tun. Von der Bezahlung der Richterin verführt, raufen sich Healy und March zusammen und machen sich auf, das Rätsel zu lösen.

Vor dem Hintergrund der späten 1970er-Jahre lässt Regisseur/Autor Black seine beiden ungleichen Helden auf die High Society von Los Angeles los, in der sie erwartungsgemäß auf allerlei skurrile Typen treffen, die nichts Gutes im Schilde führen. Mit den Tipps von Hollands neunmalkluger Tochter Holly (Angourie Rice), die sich ungefragt dazugesellt, gelingt es den Schnüfflern schnell, sich etliche einflussreiche Feinde zu machen. Dass diese Begegnungen nicht zimperlich, aber stets sehr amüsant verlaufen, ist bei Black selbstverständlich.

Damit ein Buddy-Movie funktioniert, ist vor allem die Besetzung entscheidend: Mit Crowe und Gosling hat Black einen Volltreffer gelandet. Während Crowe sein Tough Guy-Image persifliert, liefert sein Kollege mit dem fürchterlichen Schnauzer eine Slapstick-Performance ab, die Peter Sellers alias Inspektor Clouseau alle Ehre machen würde. Diese szenischen Einlagen sind auch nötig, da die Handlung einige Haken schlägt und trotz des vordergründigen Humors volle Konzentration erfordert, um den Verstrickungen der einzelnen Charaktere folgen zu können. So bietet „The Nice Guys“ neben reichlich Spaß ebenso einen kniffligen Krimiplot, was das Vergnügen beim Anschauen nochmals erhöht.

Ach ja, getanzt und mitgewippt darf auch werden: Passend zum Setting gibt es einen fetten Soundtrack voll wunderbarer Disco-Klassiker. Und wem das nicht reicht, der darf die unzähligen Anspielungen auf andere Filme, Figuren und Hollywood suchen, mit denen Black seine unterhaltsame Actionkomödie wahrlich zugekleistert hat. Viel Spaß!

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel für Hörgeschädigte. Als Extras befinden sich zwei kurze Featurettes, Interviews sowie Trailer auf den Discs. „The Nice Guys“ erscheint bei Concorde Home Entertainment und ist seit 13. Oktober 2016 erhältlich. (Packshot + stills: © Concorde)

Heimkino-Tipp: „The Gift“ (2015)

Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft

Wer kennt ihn nicht: Jenen peinlichen Moment einer Begegnung mit einem Menschen, der behauptet, ein ehemaliger Schulkamerad/Kommilitone/Arbeitskollege zu sein, aber seinen Namen nicht nennt. Die Kunst ist, die eigene Unwissenheit zu überspielen und so zu tun, als freue man sich über das unverhoffte Wiedersehen.

Simon (Jason Bateman) passiert das beim Einkaufen mit seiner Frau Robyn (Rebecca Hall) in einer Shoppingmall. Da steht plötzlich Gordo (Joel Edgerton) vor ihnen und freut sich, ein Gesicht aus früheren Tagen wiederzuerkennen. Nach einem kurzen Plausch und dem Austausch der Kontaktdaten flüchtet das Paar in sein neues Zuhause am Stadtrand, das sie nach einem Jobwechsel von Simon gerade bezogen haben. In den folgenden Tagen schaut der alte Bekannte immer mal wieder überraschend vorbei, erweist sich als helfende Hand beim Einrichten und steht besonders der im Homeoffice arbeitenden Robyn mit Rat und Tat zur Seite.

Schnell wird jedoch deutlich, dass Gordo „sozial ein wenig ungeschickt“ ist. Offenbar empfindet er schon nach kurzer Zeit eine enge freundschaftliche Verbundenheit, die vor allem Simon unangenehm ist. Nach einem missglückten Abendessen macht er deshalb reinen Tisch und bittet Gordo, auf Abstand zu gehen. Robyn hingegen hat ein schlechtes Gewissen – und wird in den kommenden Wochen das Gefühl nicht los, dass der Sonderling ihr nachstellt.

Klingt vertraut? Denkste! Was Autor/Schauspieler Joel Edgerton („The Great Gatsby“, „Exodus“) mit seinem Regie-Debüt „The Gift“ vorlegt, könnte origineller nicht sein. Denn nachdem die oben beschriebene Vorgeschichte erzählt ist, erwartet das Publikum eine ganze Reihe an Überraschungen. Nach und nach enthüllt die Geschichte neue Facetten der Charaktere, die Handlung treibt in völlig unerwartete Richtungen, die Spannungskurve geht stetig nach oben. Geschickt nutzt Edgerton Genre-typische Momente, um auf falsche Fährten zu führen. So werden die Geschehnisse ausschließlich aus der Sicht von Robyn erzählt, die zudem psychisch ein klein wenig angeschlagen ist, was ihre – und damit die Wahrnehmung des Zuschauers – trübt.

Edgerton gibt an, vom Stil seines Kollegen David Fincher („Panic Room“, „Gone Girl“) inspiriert worden zu sein. Tatsächlich ist der Look des Films ein ähnlicher, vom erinnerungswürdigen Schluss ganz zu schweigen.

„The Gift“ ist ein Schmankerl, das sehr viel mehr Aufmerksamkeit verdient hätte, als es bisher der Fall ist. Ein Thriller der Spitzenklasse, makellos in Szene gesetzt, großartig gespielt und mit einem Ende garniert, das auch als bitterböse Warnung verstanden werden kann: Seid lieb zueinander!

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter sowie englischer Originalsprachfassung. Untertitel sind in ebendiesen Sprachen vorhanden. Als Bonus gibt es einen Audiokommentar des Regisseurs mit Cutter Luke Doolan, zwei Mini-Featurettes sowie entfallene Szenen mit einer sympathischen Einleitung von Edgerton. „The Gift“ erscheint bei Paramount/Universal Pictures und ist seit 14. Oktober 2016 erhältlich. (Packshot + stills: © Paramount Pictures)

Heimkino-Tipp: „The VVitch“ (2015)

A New-England Folktale

Schon mal wissen wollen, was die „Blair Witch“, die derzeit wieder durch das Kino geistert, in ihrer Jugend so getrieben hat? Auch wenn es inhaltlich natürlich keinerlei Zusammenhänge gibt, könnte Robert Eggers’ Regiedebüt so etwas wie die Vorgeschichte sein. Ohne Wackelkamera, dafür mit einer klassischen Umsetzung, die allein durch Licht, Setting und zeitlicher Einordnung für ausreichend Gruselatmosphäre sorgt.

Basierend auf Aufzeichnungen aus dem 17. Jahrhundert, erzählt Eggers vom entbehrungsreichen Leben einer Farmers-Familie, die um 1630 mit merkwürdigen Geschehnissen konfrontiert wird. Nachdem Vater William (Ralph Ineson), seine Frau Katherine (Kate Dickie) und ihre fünf gemeinsamen Kinder aus ihrer Gemeinde ausgeschlossen wurden, wagen sie in einem Haus am Rande eines Waldes einen Neuanfang. Doch der Alltag ist hart: der angebaute Mais ist verdorben, aufgestellte Tierfallen bleiben wirkungslos und der nahende Winter setzt den armen Bauern zusätzlich zu. Einzig im Gebet findet die Familie halt und Zuversicht.

Eines Tages verschwindet jedoch der jüngste Spross, das Baby Samuel spurlos. Die älteste Tochter, Thomasin (Anya Taylor-Joy), die auf ihn aufpassen sollte, kann sich das nicht erklären und soll kurz darauf auch aufgrund der prekären Lage auf dem Hof als Arbeitskraft fortgeschickt werden. Stattdessen begibt sie sich heimlich mit ihrem jüngeren Bruder Caleb (Harvey Scrimshaw) auf die Jagd im angrenzenden Wald – und kehrt später ohne ihn zurück. Vor allem die Mutter ist sich zunehmend sicher, dass Thomasin eine Hexe oder zumindest verflucht und für all das Unglück verantwortlich ist. Der anfangs zweifelnde Vater, ratlos ob der vielen Rückschläge und von Thomasins Geschwistern weiter angestachelt, muss sich schließlich entscheiden, auf wessen Seite er steht – und welchen Weg er beschreiten will, um das Überleben seiner Familie zu sichern.

Gedreht mit vornehmlich natürlichen Lichtquellen und nur wenigen Farbtupfern am Set oder an der Kleidung der Darsteller, gelingt es „The VVitch“ mühelos, das Publikum in diese trostlose Welt fernab der Zivilisation und des Komforts hineinzuziehen. Der Reif am Morgen, die harte Feldarbeit, der undurchsichtige Wald sind förmlich greifbar, das Alltagsporträt der Familie beinahe dokumentarisch. Da braucht es gar keine Special Effects oder besondere Soundeffekte, um ein mulmiges Gefühl bei den Zuschauern hervorzurufen.

Dass Autor/Regisseur Eggers seinem Publikum trotzdem schon früh mehr verrät als den Protagonisten, erweist sich als cleverer Schachzug, um den Fokus seiner Erzählung auf eine nicht minder furchteinflößende Thematik zu lenken: der völligen Hingabe zu einer Religion. Jedes negative Ereignis wird von den gottesfürchtigen Eltern als eine Prüfung ihres Herren interpretiert, jede nicht erklärbare Situation zum Werk des Teufels verklärt. Selten wurde der schmale Grat zwischen tiefer Religiosität und purem Wahn derart drastisch und deutlich in Szene gesetzt wie hier.

Neben der mehrdeutigen inhaltlichen Komponente hat „The VVitch“ noch einen weiteren Trumpf: Anya Taylor-Joy alias Thomasin und ihr Schauspielkollege Harvey Scrimshaw (Caleb) liefern hier Leistungen ab, die sprachlos machen. Keine Ahnung wie es gelang, aus diesen Jungdarstellern solche Performances rauszukitzeln. Sollten beide weiterhin vor der Kamera tätig sein, dürfen wir uns auf zwei grandiose neue Talente freuen!

„The VVitch“ ist ein Mystery-Horror-Historienfilm, der lange nachwirkt und einen schönen Gegenentwurf zu modernen Genrevertretern präsentiert, die außer sogenannten Jump-Scares und kreischender musikalischer Untermalung selten etwas zu bieten haben.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche, englische und diverse weitere Untertitel. Bonusmaterial ist keines vorhanden. „The VVitch“ erscheint bei Universal Pictures Germany GmbH und ist seit 29. September 2016 erhältlich. (Packshot + stills: © Universal Pictures)

Heimkino-Tipp: „Green Room“ (2015)

Fury in the Slaughterhouse

Roh, konsequent, voll auf die Zwölf: Wenn Hardcore-Punker auf eine Horde gewaltbereite Nazis treffen, wäre ein anderes Ergebnis wohl realitätsfern. Der amerikanische Regisseur Jeremy Saulnier, der 2013 mit „Blue Ruin“ bereits einen äußerst erinnerungswürdigen Film geschaffen hat, legt nun mit seinem dritten Werk „Green Room“ einen Thriller vor, der psychologisch und psychisch mitten ins Mark trifft – besetzt mit zwei Schauspielern, die vor allem für ihre friedensstiftenden Auftritte im „Star Trek“-Universum bekannt sind: Patrick Stewart (alias Jean-Luc Picard) und Anton Yelchin (alias Pavel Chekov). Traurige Fußnote: „Green Room“ ist der letzte Film, der zu Lebzeiten Yelchins fertig gestellt wurde. Er verstarb am 19. Juni 2016 nach einem Autounfall mit nur 27 Jahren.

Yelchin spielt den Musiker Pat, der mit seiner erfolglosen Punkgruppe durchs Land zieht und über drei Ecken einen spontanen Gig in einer abgelegenen Gegend des amerikanischen Hinterlands angeboten bekommt. Zwar ist ihnen vorher schon bewusst, dass dort auch ein paar Rechte im Publikum auf sie warten würden, doch die kann man ja mit einer vollen Breitseite linker Punkmusik zusammenschreien. Der Auftritt verläuft den Umständen entsprechend provokativ, doch es bleibt bei Pöbeleien und ein paar fliegenden Biergläsern, die auf der Bühne landen. Bis Pat beim Verlassen des Etablissements noch einmal kurz in die Garderobe zurückhuscht, um ein vergessenes Handy zu holen: Dort scheint sich soeben ein Verbrechen abgespielt zu haben, da eine junge Frau mit einem Messer im Kopf bewegungslos auf dem Boden liegt. Wenige Sekunden später sind Pat, seine Bandmates sowie die ihnen unbekannte Amber (Imogen Poots) in dem Raum eingeschlossen und werden unter Androhung von Gewalt „gebeten“, vor Ort zu bleiben. Derweil wird dem Club-Inhaber und Ober-Nazi Darcy (Stewart) klar, dass er die Bande lebend nicht gehen lassen kann.

Was zunächst als Psycho-Spielchen hinter verschlossenen Türen beginnt, entwickelt sich für die festgesetzten Punks schon bald zu einem blutigen Überlebenskampf, bei der beißwütige Köter, Schusswaffen und diverse Stichwerkzeuge mehr oder minder ihrer Bestimmung zugeführt werden. Großes Highlight dabei ist zweifellos Glatzkopf Stewart, dessen Figur Darcy lediglich mit Stimme und Präsenz die größte Bedrohung entfaltet. Selten hat man den inzwischen 76-jährigen Schauspieler derart angsteinflößend vor der Kamera gesehen.

Regisseur und Autor Saulnier gelingt es, die Spannung konstant am oberen Anschlag zu halten. Zudem hat er einige ziemlich perfide Arten des Ablebens entworfen, die er hier in all ihrer blutigen Brutalität präsentiert. Der beschränkte Handlungsort sowie das generell farbarme Setting schaffen darüber hinaus eine Atmosphäre, die beängstigend und düster zugleich erscheint. Nein, dies ist kein Ort, an den man sich freiwillig begeben will.

Nun will ich gar nicht erst versuchen, diesem strikt ‚geradeaus‘ erzählten, beklemmenden Thriller eine zweite, tiefere Ebene anzudichten. Aber angesichts der derzeit auch in Deutschland immer häufiger erlebbaren Gewalt von Rechts könnte „Green Room“ ebenso als eine sehr deutlich formulierte Warnung verstanden werden. Denn dort, wo dumpfe Parolen immer aggressiver werden, sind Taten nicht mehr weit.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional zuschaltbar. Als Extras gibt es diverse kurze, werbelastige Featurettes sowie Trailer. „Green Room“ erscheint bei Universum Film und ist seit 7. Oktober 2016 erhältlich. (Packshot + Filmstills: © Universum)