Heimkino-Tipp: „Atlas“ (2018)

Einer trage des anderen Last

In der griechischen Mythologie war der Titan Atlas jener bedauernswerte Kerl, der, vereinfacht formuliert, die Himmelskugel auf seinen Schultern tragen musste. Ein ähnliches Schicksal bürdet der gleichnamige Film von David Nawrath nun dem Möbelpacker Walter auf, einem stillen Mann um die 60, dessen einsames Leben durch eine zufällige Begegnung eine unerwartete Wendung widerfährt.

Walter ist für ein Unternehmen tätig, das Gerichtsbeschlüsse vollzieht und Wohnungen von Menschen leerräumt, die ihre Bleibe verlassen müssen. Dabei begegnet er eines Tages seinem Sohn Jan, der sich jedoch weigert zu gehen. Jan weiß nicht, dass Walter sein Erzeuger ist – und ebenso wenig, dass seine Weigerung schmerzhafte Konsequenzen für alle Beteiligten haben wird, sowohl physisch als auch psychisch. Denn das Mehrparteienhaus, in dem er mit seiner Familie (noch) wohnt, wurde von einem arabischen Clan gekauft mit dem Ziel, alle Mieter möglichst schnell zu vertreiben – notfalls mit Gewalt.

Wer Alltagsnachrichten ein wenig verfolgt, weiß von der Gefahr, die von den hier angesprochenen kriminellen Clan-Strukturen in vielen deutschen Städten ausgeht. Umso beeindruckender, mit welcher Professionalität Regisseur Nawrath und sein Co-Autor Paul Salisbury diesem schwierigen Thema in „Atlas“ begegnen. Beeindruckend auch deshalb, da es zunächst eigentlich nur ein erzählerischer Nebenstrang ist, der erst sukzessive in den Fokus der Handlung rückt. Vornehmlich ist Nawraths Spielfilmdebüt nämlich eine Vater-Sohn-Geschichte, die von den beiden Hauptdarstellern Rainer Bock (Walter) und Albrecht Schuch (Jan) getragen wird. So fremd sich beide Charaktere zunächst sind, so ähnlich sind doch ihre Verhaltensweisen: Auf der einen Seite Walter, der inkognito versucht, seinen Sohn zu schützen, indem er auf Konfrontationskurs mit dem gewaltbereiten Clan-Mitglied Moussa (Roman Kanonik) geht. Auf der anderen Seite Jan, der ebenso stoisch sein Zuhause und seine kleine Familie verteidigt, ohne sich der Folgen seines Handelns bewusst zu sein.

Stilistisch erinnert das Drama an die Arbeiten von Hans-Christian Schmid („Sturm“, „Was bleibt“) – realistisch, lebensnah, ernüchternd. Und siehe da: Produziert wurde „Atlas“ von Schmids „23/5 Filmproduktion“, was einmal mehr das gute Händchen Schmids für interessante Stoffe und herausragende Filme bestätigt.

Stichwort herausragend: Viele Jahre schon veredelt Rainer Bock ebenso wie Thorsten Merten, der hier als Walters Kollege Alfred zu sehen ist, diverse nationale und internationale Werke mit seinen Auftritten. Nun endlich darf Bock in einer Hauptrolle sein ganzes Können zeigen – und spielt zum Niederknien toll. Wow! Es sind Typen und Künstler wie er, die mich zum Fan von (deutschen) Filmen machen und beweisen, was für großartige Talente wir vor allem im Programmkinobereich besitzen.

Fazit: Ein spannendes Skript mit aktueller Thematik, wunderbare Schauspielleistungen und eine stilsichere Umsetzung, bei der die Bildsprache die Handlung kongenial unterstützt, machen „Atlas“ zu einem meiner Kandidaten für die Top 5 des Jahres. Eine absolute Empfehlung!

Die DVD enthält den Film in deutscher Originalsprachfassung mit optionalen englischen und deutschen Untertiteln für Hörgeschädigte. Als Bonus gibt es Setfotos und Trailer sowie in der Erstauflage ein Postkartenset. „Atlas“ erscheint bei Pandora Film und ist seit 25. Oktober 2019 erhältlich. (Packshot + stills: © Pandora Film / 235 Film / Tobias von dem Borne)

Heimkino-Tipp: „Mörderspinnen“ (1977)

Es gibt kein Entkommen, wenn die Spinnen kommen

Wer einmal einen Kurzfilm aus der wunderbaren „Minuscule“-Reihe gesehen hat (guckste HIER), wird seine (womöglich negative) Meinung über Insekten und kleines, mehrbeiniges Getier ändern. Zumindest war es beim Autoren dieser Zeilen so, der zuvor Spinnen gegenüber nicht unbedingt wohlgesonnen war. Zugegeben, richtig dicke Freunde werden wir sicherlich nicht mehr. Doch der kindliche Ekel ist inzwischen einer neugierigen Faszination gewichen. Erfreuliche Nebenwirkung: (Horror-)Filme wie „Mörderspinnen“ kann ich nun in einem Rutsch von Anfang bis Ende gucken, ohne alle fünf Minuten aus Angst vor den Tierchen unters Sofa zu schauen.

Das B-Movie von John „Bud“ Cardos ist ein typisches Produkt der 1970er: der Plot präsentiert irgendeine Katastrophe, die Hauptfiguren versuchen sich zu retten, und das Machogehabe des Protagonisten ist amüsant und nervig zugleich. Aber der Reihe nach: Der Tierarzt Rack (William Shatner) kümmert sich nicht nur mit beinahe vollem Körpereinsatz um die hübsche Witwe seines verstorbenen Bruders, sondern mindestens ebenso leidenschaftlich um das Wohlergehen des Nutzviehs in einer amerikanischen Kleinstadt. Der unerklärliche Tod eines Kalbs ruft die Biologin Diane (Tiffany Bolling) auf den Plan, die das Gift einer Vogelspinne als Ursache vermutet. Tatsächlich häufen sich in den kommenden Tagen solcherlei Vorfälle. Schnell ist klar: Die Stadt wird von Spinnen auf der Suche nach Nahrung regelrecht überrannt. Rack und weitere Überlebende versuchen, der Invasion zu entkommen. Doch es scheint zu spät.

Hut ab vor den Schauspielern, die sich in diese Massen von (echten!) Spinnen gewagt haben und beim Zuschauen ein wohliges Gruseln verursachen. Mit einfachen Mitteln und sichtbar geringem Budget gelingt es Regisseur Cardos, ein Schreckensszenario zu entwerfen, das storybezogen zwar in üblichen Bahnen verläuft. Wenn jedoch Shatner mehrere dieser haarigen Tierchen über den Kopf geschüttet bekommt, ist das schon ein wenig furchteinflößend.

Selbiges gilt übrigens für das hier vermittelte Frauenbild: Ja, die Wissenschaftlerin weiß die Avancen des charmanten Cowboys Rack zunächst lächelnd abzuwehren. Warum sie sich dann aber trotzdem ohne Vorwarnung von ihm betatschen lässt, im weiteren Verlauf sämtliche Intelligenz abstellt und sich trotz Fachwissens gänzlich ihrem neuen, sexgeilen Lover unterwirft, lässt das Skript im Verborgenen. Darüber könnte frau sich ärgern – oder sich einfach an diesem Flirt-Nonsens erfreuen, den Schauspieler Shatner ganz offensichtlich vor der Kamera auch sehr genossen hat.

„Mörderspinnen“ punktet mit einigen bemerkenswerten Stunts und oben erwähnter Furchtlosigkeit der Darsteller beim Umgang mit den Achtfüßlern. Zusammen mit dem ungewöhnlichen Finale und einem beinahe schon absurd überhöhten männlichen Chauvinismus wird daraus ein unterhaltsamer kleiner Schocker, den man (und frau) sich gerne mal geben kann.

Der Film erscheint im Rahmen der „Creature Feature“-Reihe auf DVD und Blu-ray. Als Extras gibt es neu produzierte Interviews mit Shatner, dem Drehbuchautor sowie einem Spinnentrainer, der einige informative Dinge über die Tiere im Allgemeinen und ihr Verhalten bei den Dreharbeiten preisgibt. Ein Audiokommentar, eine Bildergalerie, Trailer und ein Booklet runden die gelungene Veröffentlichung ab. „Mörderspinnen“ erscheint bei Koch Films und ist seit 10. Oktober 2019 erhältlich (Packshot + stills: © Koch Films)

Heimkino-Tipp: „John Wick 3: Parabellum“ (2019)

Ballermann

Selbstjustizstreifen haben im Actiongenre eine lange Tradition. Meist ist dabei der gewaltsame Tod eines Familienangehörigen die Initialzündung für einen moralisch zweifelhaften Rachefeldzug des Protagonisten/der Protagonistin. Das einzig Innovative ist dann oftmals lediglich die Art und Weise, wie die vermeintlich Schuldigen aus dem Leben scheiden. Oder, wie bei „John Wick“ aus dem Jahre 2014, die Prämisse für den blutigen Amoklauf: der Tod eines Hundes (ein Geschenk der verstorbenen Frau).

Das Lachen über diese hemdsärmelige Ausgangssituation blieb mir damals allerdings schnell im Halse stecken. Das knallharte Filmchen von David Leitch („Atomic Blonde“, Rezi HIER) und Chad Stahelski, der auch ‚Kapitel 2‘ und nun ‚Kapitel 3‘ inszenierte, bot handgemachte Old School-Action par excellence, eine physisch beeindruckende Performance von Hauptdarsteller Keanu Reeves und war ein wohltuender Gegenentwurf zu den physikalischen Absurditäten, die uns Jahr für Jahr von „Fast & Furious“ und Co. um die Ohren gehauen werden. Der Erfolg überraschte offenbar selbst die Macher, sodass eine Fortsetzung (leider?) unausweichlich war.

Im Gegensatz zu Wicks Gegenspielern habe ich inzwischen aber dazugelernt: Statt wie in der ersten Fortsetzung vergeblich auf eine charakterliche Weiterentwicklung der Ein-Mann-Armee zu hoffen, soll es jetzt in Runde drei bitte nur noch ordentlich knallen – und mein lieber Scholli, das tut es!

Regisseur Stahelski und seinen vier(!) Drehbuchautoren (wozu bitte? Einer für jeden der vier Sätze, die Keanu in 131 Minuten von sich gibt?) liegt nichts daran, eine kohärente Geschichte zu erzählen, sondern lediglich darum, ihren Kampfkunstmeister von einem Kriegsschauplatz zum nächsten zu lotsen. Dass er all diesen nach blutigen Konfrontationen lebend – oder halbtot, je nach Sichtweise – wieder entfliehen kann, steht nicht zu Debatte. Das kann man/frau belächeln und für Nonsens halten – oder schlicht genießen.

„John Wick 3“ ist bezüglich der Kampfchoreografien, Visualisierung und Schnitttechnik bemerkenswert: In langen Einstellungen, sogenannten One Takes, treffen die Kontrahenten aufeinander, beweisen enorme körperliche Fähigkeiten und lassen ihr Publikum ohne störende Zwischenschnitte daran teilhaben. Ähnlich einer frühen Szene im Film, wähnt man sich wie vor einer Theaterbühne sitzend, auf der ein Ballett des Todes kredenzt wird – schmerzhaft und schön zugleich.

Ist diese stilisierte Gewaltdarstellung verwerflich? Sind unzählige Kopfschüsse, Messerangriffe und das Hetzen von Hunden auf Menschen die geeigneten Zutaten für einen unterhaltsamen Filmabend? Zweifel sind gerechtfertigt. Aber ebenso die Überzeugung, dass hier ein Kunstwerk à la „The Raid“ geschaffen wurde, das im Genre des Actionkinos seinesgleichen sucht.

Die DVD/Blu-ray/4K UHD bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie optionale deutsche Untertitel für Hörgeschädigte. Als Extras befinden sich diverse Dokumentationen zur Entstehung des Films und Trailer auf den Discs. „John Wick: Kapitel 3: Parabellum“ erscheint bei Concorde Home Entertainment und ist seit 4. Oktober 2019 erhältlich. (Packshot + stills: © 2017 Concorde)

Heimkino-Tipp: „Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit“ (2018)

The Hunter

Das Leben und Wirken des niederländischen Malers Vincent van Gogh (1853-1890) wurde bereits etliche Male in filmischer Form aufbereitet. Zu den sicherlich bekanntesten Werken zählen dabei „Vincent van Gogh – Eine Leben in Leidenschaft“ mit Kirk Douglas und Anthony Quinn aus dem Jahre 1956 und der außergewöhnliche animierte Spielfilm „Loving Vincent“ (2017), dessen real gedrehte Szenen in Öl nachgemalt wurden(!), um so eine Geschichte ganz im Stil von van Goghs Bildern erzählen zu können.

Nur ein Jahr später drehte der amerikanische Künstler Julian Schnabel („Basquiat“, „Schmetterling und Taucherglocke“) seine eigene Hommage an den Maler, bei der er sich einmal mehr gängigen Erwartungen an ein Porträt widersetzt. In der Hauptrolle brilliert Willem Dafoe, der für seine Performance eine Oscar-Nominierung erhielt und van Gogh als melancholischen, sozial etwas ungeschickt agierenden und ständig suchenden Eigenbrötler zu neuem Leben erweckt.

Angesichts der ständigen Veränderungen, die van Goghs junge Jahre prägten (u.a. versuchte er sich als Verkäufer, Lehrer und Prediger, wechselte dabei häufig auch seinen Wohnort) und der Tatsache, dass Regisseur Schnabel selbst als Maler erfolgreich ist, liegt der Schwerpunkt seines Films auf den letzten Lebensjahren, in denen der Sonderling den Großteil seiner Werke schuf. Schnabel widmet sich dieser Phase zwar mit filmischen Mitteln, nutzt diese jedoch anders als erwartet: Mit überaus seltsamen Perspektiven, mitunter sehr langen Einzelszenen, sich wiederholenden Dialogen und unzähligen Nahaufnahmen von Dingen, der Natur und Gesichtern entsteht der Versuch, van Goghs Gedankenwelt sichtbar zu machen. Die Kamera blickt so durch dessen Augen – z.B. mal aus subjektiver Perspektive, mal mit verschwommenem Bildrand – auf die Umgebung, die ihn ständig inspirierte und unzählige Male zum Pinsel greifen ließ.

Dieser Inszenierungsstil ist gewöhnungsbedürftig und erfordert vom Publikum Offenheit und Geduld. Zudem sollte man/frau vor Filmbeginn bereits ein wenig über van Goghs Leben Bescheid wissen, da viele der Dialoge und Szenen bekannte Tatsachen nur andeuten ohne sie zu vertiefen. Andererseits ist es schon bemerkenswert, wie es Schnabel auf diese Weise gelingt, wichtige Etappen anzusprechen und somit selbst ein sehr persönliches Porträt auf die Leinwand malt.

Des einen Freud, des anderen Leid: Mit dieser sehr speziellen, sehr kunstvollen und verkopften Herangehensweise mag „Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit“ Fans des Malers, Kenner und Intellektuelle ansprechen. Für lediglich Neugierige (wie mich) hingegen, die sich erstmalig an van Goghs Arbeit herantasten möchten und kaum Vorkenntnisse zum Thema mitbringen, ist der Film eine Herausforderung. Ob sich der jeder Unwissende im Publikum tatsächlich stellen will?

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englisch-französischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Bonusmaterial gibt es ein paar kurze Making of-Clips und Trailer. „Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit“ erscheint bei DCM Film Distribution GmbH/Universum Film und ist seit 4. Oktober 2019 erhältlich. (Packshot + stills: © DCM)