Heimkino-Tipp: „The Congress“ (2013)

Als Ari Folman der Welt 2008 seinen Film „Waltz with Bashir“ präsentierte, war dies filmhistorisch gesehen eine kleine Zeitenwende: Eine Dokumentation als Animationsfilm, das hatte es in dieser umfangreichen Form im Kino zuvor noch nicht gegeben. Zahlreichen Auszeichnungen wie ein Golden Globe, ein César und eine Oscar-Nominierung folgten Werke anderer Regisseure, die sich dieses Konzept zunutze machten und nicht minder erfolgreich waren. Doch ist diese kleine künstlerische Revolution nichts gegen das, was Filme wie „Herr der Ringe“ bereits andeuteten und „Avatar“ 2009 schließlich perfektionierte: die Möglichkeit, auf der Basis von Schauspielern völlig neue virtuelle Figuren auf der Leinwand zu kreieren, die als glaubhafte Charaktere agieren und in ihren mimischen Ausdrucksformen ihren Schöpfern in beinahe nichts nachstehen.

Braucht es also bald gar keine Menschen mehr für einen Film? Sind animierte, künstlich erschaffene Figuren, die beliebig verändert und eingesetzt werden können, möglicherweise die Zukunft des Kinos? Ari Folman hat diesen Gedanken auf Basis von Stanislaw Lems Roman „Der futurologische Kongreß – Aus Ijon Tichys Erinnerungen“ von 1971 aufgegriffen und in einen abendfüllenden Spielfilm verwandelt: „The Congress“.

Ähnlich wie Spike Jonze mit seinen Film „Her“, ist „The Congress“ in der nahen Zukunft angesiedelt, die sich von der heutigen Gegenwart nur geringfügig unterscheidet. Vieles, was wir heute bereits kennen und nutzen, ist weiterentwickelt und alltäglich – wie das Körperscannen von Schauspielern zum Beispiel, zu welchem die Aktrice Robin Wright („Forrest Gump“, „House of Cards“) zu Beginn eingeladen wird. Ihre „große“ Zeit sei vorbei, ihre Rollenwahl während der vergangenen Jahre unglücklich und ihr älteres Aussehen Kassengift, macht ihr der Geschäftsführer des Hollywoodriesen „Miramount Studios“, Jeff Green (Danny Huston), deutlich. Er bietet ihr an, für 20 Jahre die Rechte an ihrem gescannten Körper zu kaufen. Mit ihrem digitalen, nicht alterndem Abbild dürfe er dann aber alles machen, was er wolle, egal ob Science-Fiction-, Action- oder Pornofilme. Von ihrem väterlichen Freund und Agenten Al (Harvey Keitel) sowie den immensen Behandlungskosten für ihren kranken Sohn bedrängt, willigt Wright schließlich ein. Als sie 20 Jahre später, inzwischen zum (künstlich erschaffenen) Superstar aufgestiegen, vom Filmstudio zu einem Kongress eingeladen wird, ahnt sie noch nicht, was ihr bevorsteht – die Kündigung ihres Vertrages jedoch ist es nicht.

Philosophisch, kritisch, satirisch, ätzend böse, verspielt, aufregend, einmalig: „The Congress“ ist schwer in wenigen Worten zu beschreiben. Widmet sich Regisseur Folman zunächst sehr real, beinahe dokumentarisch dem aktuellen „System Hollywood“ mit seinen schlimmsten Auswüchsen, so wandelt sich sein Film im Mittelteil in einen bunten, LSD-artigen Animationstrip. Was folgt, ist eine Dystopie, in der sich die Menschheit komplett betäubt hat, um dem ernüchternden Alltag der realen Welt zu entgehen.

Vollgepackt mit popkulturellen Referenzen sowie Anspielungen auf Personen und Ereignisse der Gegenwart, kann „The Congress“ einerseits als Zeitdokument bestehen, andererseits aber auch als Warnung gelten vor dem, was der Menschheit dank der ungebremsten Technisierung – meist vorangetrieben durch einzelne, weltweit agierende Unternehmen – noch bevorstehen könnte. Es ist schlicht beeindruckend, wieviele Themen Folman in „The Congress“ anspricht und ins Geschehen mit einbindet; schlicht zu viele, um sie bei nur einem Durchlauf alle wahrzunehmen.

Blendet man den anspruchsvollen Inhalt aus, bleibt jedoch immer noch Außergewöhnliches übrig: Neben der animierten Wunderwelt agieren – in realen Szenen – fabelhafte Darsteller, die nicht nur bloße Staffage sind, sondern ihr ganzes Können zeigen dürfen. Allen voran Robin Wright, die allein in der Eröffnungsszene schon beweist, dass sie noch immer zu den ganz großen Talenten des Business zählt. Und wer bisher zweifelte, dass Folman auch als Regisseur abseits von Computerwelten bestehen kann, der wird hier eines besseren belehrt.

„The Congress“ ist ein cineastisches Erlebnis der besonderen Art, das Unterhaltung, Kunst und Anspruch kongenial miteinander verknüpft.

Die DVD/Blu-ray enthält den Film in deutscher Synchron- und englischer Originalsprachfassung mit deutschen Untertiteln. Im Bonusteil werden vier Szenen in die verschiedenen Etappen ihrer Entstehung vom realen Film zur fertigen Animationssequenz gezeigt. Ein Audiokommentar des Regisseurs sowie Trailer ergänzen die Extras. „The Congress“ erscheint bei Pandora Film / AL!VE AG und ist seit 13. Juni erhältlich. (Packshot: © Pandora Film Verleih)