„Sleep Tight“ (Kinostart: 5. Juli 2012)

Ein guter Gruselfilm funktioniert immer dann am besten, wenn er seine Prämisse aus einer alltäglichen Situation wählt: Der Zuschauer ist mit dem Geschehen vertraut und fürchtet daher kaum Gefahr. Der spanische Regisseur Jaume Balagueró („[Rec]“) weiß das, sein Drehbuchautor Alberto Marini ebenso und der Portier César (gruselig gut: Luis Tosar), Hauptfigur im spannenden Thriller „Sleep Tight“, ganz besonders.

Denn César arbeitet in einem Mietshaus in Barcelona und darf dabei auf ausdrücklichen Wunsch der Bewohner auch in deren Wohnungen werkeln und walten, wenn beispielsweise einmal der Wasserhahn tropft. Mit einer Mieterin pflegt der unscheinbare, stets höfliche Mann sogar eine intime Beziehung – nur weiß sie nichts davon. Denn César bettet sich nachts regelmäßig und heimlich neben die schöne Clara (Marta Etura) und spielt perfekte Familie. Zumindest, bis ihr wirklicher Freund auftaucht und César vom Vorspiel zu seinem eigentlichen Ansinnen übergeht: Er möchte Claras Unbeschwertheit, Fröhlichkeit, ihr ganzes lebensbejahendes Dasein zerstören. Sukzessive setzt er dazu eine Kettenreaktion in Gang, bei der das Verstecken von Ungeziefer in ihren Schränken nur die erste von vielen Etappen ist.

„Sleep Tight“ lebt von zwei für das Genre außergewöhnlichen Dingen: einem fabelhaften Hauptdarsteller, der es schafft, den bösen Mann aus dem Foyer nicht als ekelhaftes Monster erscheinen zu lassen, sondern vielmehr einen intelligenten Mann präsentiert, der seine Misanthropie schlicht bis zur letzten Konsequenz auslebt. Der zweite, noch befremdlichere Pluspunkt des Films ist die konsequente Inszenierung aus der Sicht des Bösewichts. So wird der Zuschauer faktisch zum Mittäter und zittert letztendlich sogar mit, wenn der Böse droht aufzufliegen.

„Sleep Tight“ ist ein packendes Stück Genrekino, ein Kissenkraller par excellence und der filmische Beweis dafür, dass guter Horror nicht immer Zombies braucht – ein höflicher Hausmeister genügt schon.

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 27. Juni 2012.

„Die Wohnung“ (Kinostart: 14. Juni 2012)

Die Quantität an Dokumentationen, die es auf die Kinoleinwand schaffen, hat in den vergangenen Jahren um ein Vielfaches zugenommen. Zwar verdienen etliche Themen, die darin abgehandelt werden, ein großes Publikum. Selten jedoch verfügen die Macher über das notwendige Know-how, um ihre Geschichten in Form und Inhalt angemessen zu erzählen. Auf Arnon Goldfingers sehr persönliche Reportage „Die Wohnung“ trifft dieses zugegebenermaßen harsche Urteil glücklicherweise nicht zu.

Goldfinger begleitet in seinem Film die Räumung der Wohnung seiner verstorbenen Großmutter in Tel Aviv. Gerda Tuchler floh einst aus Hitler-Deutschland, konnte sich aber zeitlebens nie von Erinnerungsstücken aus ihrer Heimat trennen. So ist ihre Wohnung, in der sie 70 Jahre lang lebte, vollgestopft mit Andenken und Staubfängern, Büchern und Briefen. Unzähligen Briefen, die von einer Freundschaft mit einem deutschen Paar erzählen, die vor, während und auch nach dem Krieg Bestand hatte. Das Kuriose: jene Familie von Mildenstein war offenbar eng mit dem Führungszirkel der Nazis verbunden. So begibt sich Enkel Arnon neugierig auf Spurensuche und entdeckt einige Geheimnisse, die die Familiengeschichte in ein ganz anderes Bild rücken.

Was diese Doku so herausragend macht, sind nicht nur die Enthüllungen privater familiärer Verflechtungen, die Goldfinger gewissenhaft nachrecherchiert und spannend präsentiert. Es sind aber vor allem auch die Begegnungen mit den Nachkommen des SS-Offiziers, die eindrucksvoll Verdrängung, Unwissen und Skepsis verdeutlichen, wenn es um dunkle Kapitel der eigenen (Familien-) Biografie geht. Eine Reaktion, die dem einen oder anderen sicherlich nicht unbekannt sein wird.

Goldfinger hat mit „Die Wohnung“ ein überaus mitreißendes, angemessen inszeniertes und erhellendes Zeitdokument geschaffen, das anregt, einmal selbst die Familiengeschichte zu hinterfragen.

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 13. Juni 2012.