„Australia“ (Kinostart: 25. Dezember 2008)

„Kino – dafür werden Filme gemacht!“ lautet der Leitspruch einer aktuellen Werbekampagne, die momentan vor jeder Vorstellung in den hiesigen Lichtspielhäusern zu sehen ist. Geht es den Auftraggebern dieses feschen Slogans wohl vornehmlich um einen Appell an das Gewissen jedes potentiellen Raubkopierers, so kann diese „Warnung“ auch anders aufgefasst werden.
Beispiel „Australia“: Da wird der Zuschauer in 166 Minuten mit schönsten Weitwinkel- und Panoramabildern des Kontinents „Down Under“ geblendet und gefügig gemacht, wie es jeder noch so gigantischer Heimkinoanlage niemals gelingen würde. Hier ist schon nach fünf Minuten klar: Sowas wirkt nur im Kino! Auch ist die Hemmschwelle, bei Nichtgefallen den Saal zu verlassen, ungleich höher als vor dem heimischen TV. Und in 166 Minuten kann dieser Gedanke schneller kommen als gedacht…

Um diese Gefahr zu umgehen, hat Autor und Regisseur Baz Luhrmann, übrigens selbst gebürtiger Australier, sein erstes Werk nach sieben Jahren in drei große Kapitel unterteilt. Während die ersten 30 Minuten in bester Screwball-Komödien-Manier unterhalten, präsentiert der Film in der darauffolgenden Stunde sämtliche Versatzstücke eines großen Melodrams, bevor am Ende der Schrecken des Zweiten Weltkriegs auch die Protagonisten einholt und allen Beteiligten noch einmal auf hochdramatische Weise alles abverlangt – sowohl körperlich als auch seelisch.
Nun klingen diese Zeilen womöglich ironisch-spöttisch, doch weit gefehlt: Wer sich wieder einmal einem richtigen Schmachtfetzen hingeben will, in der die Männer noch kantig, die Frauen verzickt aber zum Verlieben schön und die Ausstattung üppig ist, der ist hier genau richtig!

Die Engländerin Lady Sarah Ashley (Nicole Kidman) macht sich, vollgepackt mit Vorurteilen über das außereheliche Verhalten ihres Mannes, auf nach Australien, um zusammen mit ihrem Gatten über die weitere Handhabung ihres Besitzes, einer Farm inmitten des Outbacks, zu beraten. Ihr Reiseführer für den Trip vom Bahnhof zum Anwesen ist der raubeinige Drover (= Viehtreiber, Hugh Jackman), mit dem sie ob ihrer unterschiedlichen Lebensauffassungen prompt aneinandergerät.
Als sie schließlich das Anwesen erreichen, muss Lady Sarah entsetzt feststellen, dass ihr Mann verstorben ist und zu allem Unglück derweil ein reicher Viehbaron alles daran setzt, diese Farm und das Land worauf sie steht für sich zu gewinnen. Nur der Verkauf ihrer Rinderherde kann die Engländerin vor dem drohenden Bankrott retten. Dazu müssen die Viecher jedoch einmal quer über den Kontinent getrieben werden. Und wer könnte da besser helfen als ihre neue Bekanntschaft?

Regisseur Luhrmann weiß nur zu gut, dass mit Humor jedes Publikum zu knacken ist (siehe „Moulin Rouge!“, 2001). So nutzt er Episode eins zur genüsslichen Balgerei seiner beiden Protagonisten, die sich mit sichtlichem Spaß nur allzu gern den zwar vorhersehbaren, aber ebenso deutlich überspitzten Szenen hingeben. Luhrmann gibt den Zuschauern somit genau das zu Erwartende, weiß es aber konsequent auch zu überzeichnen. Dies zeigt sich unter anderem in den sarkastischen Kommentaren des Drovers, wenn die Lady mal wieder theatralische Gesten und Sätze von sich gibt, oder in der überaus entzückenden, überlangen und einfach zu gut ausgeleuchteten „Duschszene“ im Freien des über alle Maßen muskulösen Hugh Jackman („Sexiest man alive“? Na klar!).
Diese seichte, aber witzige Einführung ist es dann auch, die über den Tränenreichen Mittelteil des Films hinweghilft, in dem selbst harte Kerle wie Drover gern mal Schluchzen. Hier und da ein paar abenteuerliche Gefahren eingebaut (eine durchdrehende Viehherde, Feuerwände, Dürre), dazu etwas Mystik in Form eines Aborigines, gefühlvolle Musikuntermalung und immer wieder die Schönheit des weiten Landes.

Das Ende der Reise ist gleichzeitig der Beginn eines neuen Kapitels im Leben des nun vereinten Paares, denn nicht nur der Alltag im Zusammenleben, sondern auch die Gefahr einer Invasion durch die Japaner bestimmen nun das Geschehen. Natürlich geschieht dies inszenatorisch alles im Rahmen des Ertragbaren, unterlässt Luhrmann glücklicherweise eine explizierte Darstellung des Kriegsgeschehens. Stattdessen weist er auf eine Thematik hin, die in den Stunden zuvor schon anklang und nun noch einmal aufgegriffen wird: Bis in die 1970er Jahre war es üblich, Mischlingskinder (Nachfahren von Weißen + Aborigines) von ihren Eltern zu trennen und in kirchliche Obhut zu geben, wo ihnen das „Wilde“ auserzogen werden sollte. Ein dunkles Kapitel der jüngeren australischen Geschichte, das Luhrmann am Ende – in Form eines jener Heime – als erstes von den Japanern wegbomben lässt. Feinfühligkeit ist etwas anderes…
Humor wie zu Beginn findet man in diesem letzten Teil des Films keinen mehr, hier regiert schließlich nur noch das Drama. Passend garniert mit Tränen, orchestralen Klängen, Tränen, großen (Film-)Gesten, Tränen, platten Dialogen und Tränen.

Wie oben bereits erwähnt, ist „Australia“ tatsächlich (nur) etwas für die große Leinwand. Denn auf heimischem Fernseher, womöglich noch auf Vollbild zurechtgeschnitten, könnte dieser Film schnell das Rennen gegen jeden hauseigenen Schmachtfetzen der öffentlich-rechtlichen Sender verlieren. Luhrmann ist das integrieren der Mischlingsthematik hoch anzurechnen, doch auch die Schauwerte und natürlich die wunderbaren Hauptdarsteller können nicht darüber hinwegtäuschen, dass „Romeo & Juliet“ sowie „Moulin Rouge!“ eine Qualität besitzen, die er als Filmemacher wohl nie wieder erreichen wird.

Es war einmal nach einer wahren Begebenheit …

Passend zur Jahreszeit an dieser Stelle heute ein kleiner Exkurs zu Märchenfilmen. Gewollte und unbeabsichtigte. Dazu wählen wir zwei aktuelle Leinwandwerke, zum einen die Romanverfilmung von Cornelia Funkes „Tintenherz“, zum anderen „Geliebte Clara“ von Helma Sanders-Brahms.
Eine auf den ersten Blick ungewöhnliche Wahl, die bei genauerer Betrachtung jedoch durchaus Berechtigung besitzt. Denn was der Kinogänger in beiden Fällen erlebt, ist die cineastische Umsetzung einer Phantasiewelt, die sich hier und da realen Ereignissen und Figuren bedient, es mit der Wahrheit jedoch nicht immer so genau nimmt.
Dies ist an sich noch kein Grund zur Kritik, doch wenn es insbesondere im Fall von „Geliebte Clara“ im Austausch für eine wirklich spannende und mitreißende Lebensgeschichte geschieht, ist dies schlicht ärgerlich.

Doch der Reihe nach: „Tintenherz“ von Iain Softley nimmt uns in wunderbare Bilder geschmückt mit auf eine Reise, in der es Menschen möglich ist, Figuren und Wesen aus Büchern während des Vorlesens real werden zu lassen. Ihrer vertrauten (Roman)Umgebung beraubt, begeben sie sich zusammen mit einem Mädchen auf die Suche nach einem Exemplar jenes Buches, das all dies wieder rückgängig machen und die Pläne eines nun lebendigen Bösewichts aus der Märchenwelt vereiteln kann.
Obwohl es sich bei „Tintenherz“ um eine Phantasiegeschichte handelt, bei der selbst die „realen“ Personen samt ihrer Eigenheiten nur dem Geiste der Autorin entsprungen sind, ist es schön zu sehen, mit welcher Sorgfalt jeder einzelne Charakter durch die Szenerie geführt wird. Sie reagieren, entscheiden und handeln glaubhaft und natürlich, eben auch weil sich der Zuschauer ihrer Motivation stets bewusst ist.

Bei einer Künstlerin wie Clara Schumann fällt dies indes nicht so leicht. Zwar war sie ein „echter“ Mensch, der gelebt, gefühlt, geliebt, getrauert hat. Warum sie jedoch jenes in einem bestimmten Augenblick wie entschied, kann man nur vermuten oder anhand vorhandener Quellen versuchen zu ergründen. Helma Sanders-Brahms, selbst eine Nachfahrin von Johannes Brahms, hat sich in „Geliebte Clara“ dieser Aufgabe nicht gestellt und stattdessen ein zwar leidenschaftliches aber historisch sehr zweifelhaftes Drama geschaffen, in der eine Frau zwischen zwei Männern versucht, ihren Weg zu gehen. Sicherlich verdeutlicht der Film das Talent Clara Schumanns und ihren Kampf um Anerkennung in einer von Männern dominierten (Musik)Welt, die Schwärmerei des jungen Brahms für die begnadete Klaviermeisterin und das langsame, schmerzhafte Sterben ihrer Liebe Robert. Doch eine Begründung für all das sucht man vergebens.
Kein Wort über den Ehrgeiz des Vaters, der sie schon mit neun Jahren im Leipziger Gewandhaus auftreten ließ und mit zwölf auf Europatournee schickte. Keine Szene, welche die frühe Bindung an Robert Schumann thematisiert, der bereits mit der 13jährigen Clara in engem Briefkontakt stand und sich bald darauf von seiner Verlobten trennte, um bei ihr zu sein. Ihr Zerwürfnis mit dem Vater und der Tod ihres Erstgeborenen wird ebenso ausgeblendet wie des Ehemanns stilles Leiden aufgrund ihres Erfolges.
Clara Schumann führte ein ungewöhnliches, bemerkenswertes und von vielen Kämpfen geprägtes Leben, das „Geliebte Clara“ kaum zu fassen weiß. Warum nicht eine dieser überlangen Konzertszenen weniger zugunsten eines kurzen Abriss´ in ihre Kindheit, die ihre bedingungslose Ergebenheit zur Musik und Robert Schuhmann begründet? Wieso kein Mut, im Anschluss an das Besäufnis des Gatten im Hauseigenen Weinkeller auch die schwierigen Jahre der Ehe zu thematisieren?
Sanders-Brahms hat sich in „Geliebte Clara“ eine Wunschfigur geschaffen, die zwar von Respekt und Bewunderung für die Schumann zeugt, aber es nicht wagt, ihr Handeln zu hinterfragen. Dabei war sie doch ein echter Mensch!

Für den kleinen Hunger zwischendurch…

Mit „Ein Geheimnis“ (Regie: Claude Miller) und „O´Horten“ (Regie: Bent Hamer) starten am 18. Dezember 2008 zwei Filme, die es beide wert sind, gesehen zu werden. Ersterer ergreifend, dramatisch, spannend, der andere nordisch kühl, humorvoll und auf seine stille Art melancholisch.
Doch warum dieser ungewöhnliche Einstieg statt einer gewohnten separaten Filmbesprechung? Obwohl es keineswegs beabsichtigt ist, den Werken Durchschnittlichkeit im negativen Sinne zu unterstellen, so fehlt beiden doch das „gewisse Etwas“, das oft vermisste i- Tüpfelchen, das „aus der Masse Herausstechen“. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Sowohl „Ein Geheimnis“ als auch „O´Horten“ sind wunderbare Filmkunst, allerdings ohne langanhaltenden Erinnerungswert.

„Ein Geheimnis“ ist angesiedelt im Frankreich der 1950er Jahre und entblößt vor den staunenden, schockierten Augen eines sieben Jahre alten Jungen (und somit des Zuschauers) die dunkle Vergangenheit einer Familie, deren Glück auf einem Ereignis beruht, welches sich zur Zeit der deutschen Besatzung zugetragen hat. An dieser Stelle mehr zu verraten, käme einem Sakrileg gleich, weshalb ich dazu keine weiteren Worte verlieren möchte. Schauspielerisch vor allem dank Hauptdarstellerin Cécile de France (vielen sicherlich bekannt aus „L´auberge espagnole“, Horrorfans indessen aus dem Über-Schocker „High Tension“) auf höchstem Niveau, ist es trotz aller Qualität „nur“ wieder ein Film über Geschehnisse, Entscheidungen und Opfer, die aufgrund außergewöhnlicher Umstände während des II. Weltkriegs stattgefunden haben resp. erduldet werden mussten. Natürlich ist es legitim und auch wichtig, diese schlimme Zeit niemals zu vergessen, doch hat man – zumindest bei durchschnittlich häufigem Filmgenuss – viele dieser Geschichten einfach schon zu oft gehört und gesehen.

Bei „O´Horten“, Bent Hamers zweitem Film nach seinem internationalen Durchbruch, dem warmherzigen „Kitchen Stories“, ist es indessen das herausragende Œuvre des Regisseurs selbst, das ihm meine grenzenlose Begeisterung verwehrt. Denn wer nach „Kitchen Stories“ nach Amerika geht, um dort mit meinen Helden Matt Dillon und Marisa Tomei einen Film wie „Factotum“ zu drehen, kann danach eigentlich nur scheitern.
Odd Horten (Bård Owe) ist ein Zugführer in Norwegen, der seine letzte Arbeitswoche vor dem Ruhestand antritt. Ein ruhiger, gewissenhaft arbeitender Zeitgenosse, der von seinen Kollegen respektiert und den wenigen Freunden, die er hat, geschätzt wird. Durch eine Verkettung zufälliger Umstände passiert ihm jedoch ausgerechnet am letzten Tag ein Missgeschick: Er kommt das erste Mal nach fast vierzig Jahren zu spät auf Arbeit! Doch damit nicht genug. Plötzlich scheint sich nicht nur sein Berufsleben, sondern ebenso sein einsames Dasein im Ganzen zu ändern. Horten entdeckt sich und das Leben neu…

Ganz auf seinen Hauptcharakter konzentriert, folgt die Kamera stets und ausschließlich dem alten Mann auf seiner Odyssee. Geschmückt mit atemlos schönen Bildern der winterlichen Landschaft verströmt der Film eine Ruhe und Nachdenklichkeit, die es mühelos ermöglicht, sich mit Horten und seinen Eigenarten anzufreunden.
Doch wie bereits weiter oben erwähnt, hat Bent Hamer seine Qualitäten als Filmemacher mit Hang zu seltsamen Charakteren bereits mehr als herausragend bewiesen. „O´Horten“ wirkt wie eine „Stagnation auf hohem Niveau“. Dies sei dem Regisseur auch vergönnt, zumal er damit Fans genau das gibt, was sie von einem Bent-Hamer-Film erwarten. Insofern kein Grund zu Kritik, nur ein kleiner Anflug von Enttäuschung. Aber wirklich nur ein ganz ganz kleiner!

„The Women“ (Kinostart: 11. Dezember 2008)

Ein Spielfilm ganz ohne männliche Darsteller? Eine solch cineastische Unverfrorenheit kann nicht unkommentiert bleiben.

Diane English heißt die Dame, die als Autorin und Regisseurin dieses Wagnis mit „The Women – Von großen und kleinen Affären“ eingegangen ist. Basierend auf einer Komödie aus dem Jahr 1939, versucht sie die Geschichte um vier befreundete Damen mit den Darstellerinnen Meg Ryan, Annette Bening, Debra Messing, sowie Jada Pinkett Smith in das New York von heute zu transportieren. Untreue Ehemänner, Schwangerschaften, Shoppen, Lifting, Nagelpflege – dies sind nur einige der vielen Themen, mit denen sich die Freundinnen täglich beschäftigen.

Das mag für Zuschauerinnen aus der sogenannten amerikanischen „Upper-Class“ interessant und spannend sein, für ein Publikum mit dem Bedürfnis nach leichter, amüsanter und halbwegs intelligenter Unterhaltung ist „The Women“ jedoch definitiv der falsche Film. War „Sex and the City“ sogar noch für die männliche Begleitung im Kino erträglich und auch vollkommen in Ordnung, so muss sich Regisseurin English die Frage gefallen lassen, wofür sie die angeblichen 15 Jahren Vorbereitung eigentlich genutzt hat? Es fehlt an Humor, Spritzigkeit, Tempo, einer Geschichte, einem Sinn. Stattdessen gibt es zähe Dialoge in uninteressanten Szenen, deren Verlogenheit kaum zu fassen ist, beispielsweise wenn eine - offensichtlich geliftete - 50jährige Annette Bening mehr weibliches Selbstvertrauen auch im Alter fordert und gleichzeitig nur 20jährige Mager-Models für das Cover ihrer Zeitschrift akzeptiert.

Da „The Women“ weder als Komödie noch Satire funktioniert, kann es nur einen Grund für dessen Existenz geben: zu zeigen, wie weltfremd und dumm die amerikanische Upper-Class scheinbar ist.