Heimkino-Tipp: „Criminal Squad“ (2018)

The Heat is on

Woran sind Filmklassiker zu erkennen? Unter anderem an der Häufigkeit, mit der sie in anderen Werken zitiert werden. Im Genre des Thrillers, insbesondere wenn die Handlung clever agierende Bankräuber auf der einen und deren verbissene, gesetzestreue(?) Jäger auf der anderen Seite beinhaltet, ist Michael Manns „Heat“ (1995) zweifellos das Nonplusultra. Sowohl technisch als auch inhaltlich und vor allem darstellerisch legte dieses fast dreistündige Epos die Messlatte derart hoch, dass es bisher keinem (zumindest mir bekannten) Film gelang, qualitativ daran anzuknüpfen. Ben Affleck versuchte es 2010 mit „The Town“, kratzte aber in weiten Teilen ebenso nur an der (Figuren-) Oberfläche, wie es nun auch in „Criminal Squad“ (im Original „Den of Thieves“) von Christian Gudegast zu sehen ist. Das ist keinesfalls als Kritik gemeint, denn genauso wie „The Town“ ist „Criminal Squad“ für Genre-Fans eine absolute Empfehlung.

Einmal mehr geht es um eine Diebesbande, die nicht dem schnellen Erfolg nachjagt, sondern längerfristige Pläne verfolgt, um ganz groß abzukassieren. Ihnen gegenüber steht ein Cop-Team, das in der Wahl seiner Mittel ebenso wenig zimperlich ist und geltendes Recht auf seine Art interpretiert, um die ‚bösen‘ Buben dingfest zu machen. Soweit das Grundgerüst. Doch wer mit „Heat“ mithalten will, muss schon mehr bieten – besonders Tiefgang. Und dies gelingt Regiedebütant Gudegast, der zuvor u.a. die Drehbücher zu „Extreme Rage“ und „London Has Fallen“ verfasste, ganz gut – wenn auch nur bei der von Gerard Butler verkörperten Hauptfigur, dem Polizisten ‚Big‘ Nick O’Brian. Dessen meist zeitaufwendige berufliche Einsätze zerstören zunächst seine Familie, sein provokantes Auftreten später auch noch seinen Freundeskreis. Ja, wirklich neu sind solche Charakterzeichnungen nicht, aber hier passen sie ganz gut ins Gesamtkonzept.
O’Brians Gegenspieler ist Ray Merrimen (Pablo Schreiber), der zusammen mit anderen Ex-Soldaten äußerst raffinierte Überfälle plant und umsetzt, und dabei auch vor exzessivem Waffengebrauch nicht zurückschreckt. Bei Ermittlungen zu einem scheinbar misslungenen Raub setzen O’Brian und seine Gang schließlich Merrimens rechte Hand Donnie (O’Shea Jackson Jr.) fest – und ziehen mit dessen Informationen die Schlinge um die schießwütigen Gangster immer enger.

Schießwütig ist das Schlüsselwort: Bei aller Konzentration auf die ruhigen Szenen, die einen Großteil der Handlung einnehmen und detailliert das Zusammenspiel der Crewmitglieder auf beiden Seiten zwischen Training, Planung und Posen zeigen, sind die beiden großen Actionszenen, die den Film einrahmen, das Herzstück von Gudegasts Werk: Umfang, Kameraperspektiven, Sound und Härte können ihre Inspiration, „Heat“, nicht verbergen und zeigen, dass der Regisseur seine Hausaufgaben gemacht hat. Respekt, so etwas auf die Beine zu stellen!

Was letztlich fehlt, sind sympathische Figuren. „Criminal Squad“ stellt zwei Banden vor, die sich in Auftreten, Handeln und Einsatz von Gewalt nichts nehmen und trotz familiärer Szenen hier und da nicht wirklich ‚gute‘ Menschen sind. Akzeptiert man dies jedoch, kann man mit den aufgepumpten, testosterongesteuerten und verbal ständig Gift und Galle spuckenden Großmäulern eine Menge Spaß haben.

Noch eine Anmerkung zu den verschiedenen Fassungen: In Deutschland existieren drei Versionen des Films: (dt.) Kinofassung, US-Kinofassung und US-Unrated-Fassung. Die erstgenannte wurde vom hiesigen Verleih erstellt, der eigenständig inhaltliche Kürzungen von etwa 20 Minuten vornahm (nicht zu empfehlen, da sie viele Szenen vermissen lässt, die den Figuren zumindest teilweise Tiefe geben). Die US-Fassung ist die offizielle Version mit einer Länge von ca. 141 Minuten, die Unrated hingegen eine exklusiv für den Heimkinomarkt noch einmal verlängerte Version (ca. 149 Minuten). Diese Rezension basiert auf der Unrated-Fassung.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie optionale deutsche Untertitel für Hörgeschädigte. Die Single-DVD enthält lediglich die dt. Kinofassung, die Doppel-DVD/Single-Blu-ray die dt. und US-Kinofassung. Lediglich die Doppel-Blu-ray hat zudem noch die verlängerte Unrated-Fassung mit an Bord (nur OmU). Als Extras befinden sich Kurzdokumentationen, ein alternatives Ende sowie Trailer auf den Discs. „Criminal Squad“ erscheint bei Concorde Home Entertainment und ist seit 7. Juni 2018 erhältlich. (Packshot + stills: © Concorde)

Heimkino-Tipp: „Brimstone“ (2016)

Erbarmungslos

Ein Western aus den Niederlanden? Das gibt es nicht so oft. Kann sogar sein, dass Martin Koolhovens „Brimstone“ der erste seiner Art ist. Erinnert ein wenig an „The Salvation – Spur der Vergeltung“ aus dem Jahr 2014 – ebenso ein Western und ebenso entstanden in einem Land, das solcherlei Genrefilme eher selten produziert: Dänemark. Qualitativ ist das aber (in beiden Fällen) kein Manko, sondern eher Pluspunkt. Denn so konsequent wie in „Brimstone“ geht es in US-Werken eher selten zu.

Dies hat dem Film, der u.a. 2016 im Rennen um den Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig lief, durchwachsene Kritiken eingebracht: Gelobt für Schauspiel und Geschichte, stießen sich viele an der expliziten Darstellung von Gewalt, die im Film vor allem von männlichen Figuren ausgeht und fast ausschließlich Frauen trifft. Doch Moment! Sie deswegen als Opfer zu bezeichnen, greift zu kurz. Denn im Kern ist „Brimstone“ die Geschichte eines Emanzipationsversuchs einer jungen Frau, deren männliche Nemesis immer wieder aufs Neue vor ihr steht. Gespielt wird diese starke, weil kämpferische Dame von Dakota Fanning („Mann unter Feuer“, „Krieg der Welten“), der älteren Schwester von Elle Fanning („Super 8“, „The Neon Demon“), die seit einigen Jahren ebenso als Schauspielerin unterwegs ist. Ihr Gegenpart: der nicht minder herausragende Guy Pearce („Memento“, „The King’s Speech“). Ergo: Ring frei für ein Darsteller-Duell der Extraklasse!

Die stumme Liz lebt zur Zeit des sogenannten Wilden Westens zusammen mit ihrem Mann und zwei Kindern nahe einer kleinen Stadt. Als Hebamme ist sie gut in die Gesellschaft integriert, ihr kleines ‚Manko‘, das Nicht-Sprechen-Können, kein Thema. Bis ein neuer Reverend im Ort erscheint, der Liz sogleich erzittern lässt. Warum, ist zunächst unklar. Als es kurz darauf unter Liz’ Aufsicht eine Totgeburt gibt, ändert sich die Meinung der Bevölkerung ihr gegenüber merklich. Angefeindet und als Hexe beschimpft, bittet sie ihren Gatten schließlich, gemeinsam wegzuziehen. Doch bevor sie die Reise antreten können, stirbt ihr Mann. Fortan versucht Liz alles, um dem Reverend, den sie für all die schlimmen Dinge in ihrem Umfeld verantwortlich macht, zu entkommen.

Regisseur und Autor Koolhoven unterteilt sein episch anmutendes Werk in mehrere Kapitel, deren Titel (z.B. Offenbarung) nicht zufällig einen religiösen Ursprung haben. Zudem erzählt er die Geschichte, bis auf den finalen Teil, nicht chronologisch, sondern in umgekehrter Reihenfolge. Auf diese Weise erfährt sein Publikum erst sukzessive von den Geschehnissen, die in der Vergangenheit zwischen Liz und dem Reverend vorgefallen sind. Eine clevere künstlerische Entscheidung, die nach und nach immer mehr Facetten der Charaktere freilegt, sodass diese immer wieder in einem anderen Licht erscheinen.

Dass es dabei nicht zu verwirrend wird, liegt u.a. auch daran, dass jedes dieser Kapitel quasi eine abgeschlossene Episode aus dem Leben von Liz erzählt – und von einem Martyrium sondergleichen. Dies alles fügt sich erst vor den letzten 30 Minuten zu einem großen Ganzen zusammen. Was darauf folgt, ist eine Konfrontation, die sich gewaschen hat.

Getragen wird diese fesselnde Geschichte von zwei Darstellern, deren intensives Spiel den Film noch einmal auf ein höheres Level hebt. Ohne deren Qualitäten würden etliche Anspielungen und Deutungshinweise der Handlung wahrscheinlich ungesehen vorbeiziehen. „Brimstone“ kann nämlich nicht nur als Rache- und Fluchtgeschichte im Gewand eines Westerns gelesen werden, sondern ebenso als Metapher, beispielsweise für die Rolle der Frau im 19. Jahrhundert, oder als Kommentar zu religiösem Fanatismus. Oder geht es hier etwa um den Kampf zwischen Himmel und Hölle? Dann wäre es ein Western ganz in der Tradition von Clint Eastwoods „Ein Fremder ohne Namen“ (OT: „High Plains Drifter“, 1973), der sich einst ebenso zwischen alle Genrestühle setzte und inzwischen als Klassiker gilt. Das würde ich mir auch für „Brimstone“ wünschen.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Bonusmaterial gibt es Interviews und Trailer. „Brimstone“ erscheint bei Koch Media und ist seit 7. Juni 2018 erhältlich. (Packshot: © Koch Media GmbH)