Heimkino-Tipp: „Self/Less“ (2015)

Face off

Kurz vor Weihnachten „beschenkte“ der Fußballer Ronaldo die Welt mit einem kleinen Homevideo, auf dem er einen Rundgang durch seinen Protzpala... ähh sein Haus präsentierte. Was ihn dazu veranlasste? Mein Tipp: „Self/Less“, bzw. die ersten 15 Minuten des Science-Fiction-Thrillers. Denn da gibt es Einblicke in das Zuhause eines gewissen Donald Trump, der ja momentan mit einem überaus ekelerregenden Wahlkampf für Furore sorgt. Da wollte sich der Fußballstar offenbar nicht lumpen lassen.

Doch Spaß beiseite, denn „Self/Less“ beginnt zunächst mit ernstem Hintergrund: Der wohlhabende Unternehmer Damian (Sir Ben Kingsley) – für dessen Appartement Trumps eigenes zur Verfügung stand – ist unheilbar an Krebs erkrankt. Kurz vor seinem unausweichlichen Tod besucht er die Klinik des mysteriösen Albright (Matthew Goode), der Damian ein verlockendes Angebot unterbreitet: Warum nicht im Körper eines Anderen weiterleben? Eines jungen Körpers, der künstlich erschaffen wurde, jedoch mit dem Geist von Damian belebt wird? Der verzweifelte Mann lässt sich auf das Experiment ein – und startet kurz darauf als Edward (Ryan Reynolds) einen zweiten Anlauf mit all seinen Vorzügen. Unschöner Nebeneffekt: Seltsame Erinnerungen, Träume und Visionen stören den unbeschwerten Alltag zunehmend. Als Damian/Edward beginnt, der Sache auf den Grund zu gehen, sind Albright und seine Knochenbrecher davon gar nicht begeistert.

Body-Switch mal anders: Statt eines Mannes im Körper einer Frau („Switch – Die Frau im Manne“, 1991) oder einem Bösewicht mit dem Gesicht des guten Helden („Im Körper des Feindes“, 1997) nun also der Alte (Kingsley) hinter der Fassade des durchtrainierten Jünglings (Reynolds). Ja, rein optisch kann man das machen. Auch in Bezug auf das darstellerische Können geht das in Ordnung, denn Reynolds hat sich in den vergangenen Jahren zu einem respektablen Schauspieler entwickelt (siehe u.a. HIER), den ich sehr gern vor der Kamera agieren sehe. Dies gilt ebenso bei „Self/Less“.

Ungewöhnlich jedoch der Name des Mannes auf dem Regiestuhl: Tarsem Singh, vor allem bekannt für sein außergewöhnliches visuelles Schaffen („The Cell“, „The Fall“, Musikvideo „Losing My Religion“ von R.E.M.), hält sich hier stilistisch sehr zurück und inszeniert geradeaus, ohne viele Spielereien und sehr auf die Erzählung konzentriert. Die kommt wendungsreich und trotz der Prämisse angenehm realitätsnah daher, bis sie im letzten Kapitel ein wenig zu schnell in jenen Zielbahnhof einfährt, der die einfachste (Story-)Lösung bereithält. Angesichts ordentlicher Spannungsmomente und Actionsequenzen zuvor fällt das jedoch kaum ins Gewicht.

Ergo: Ein solider Thriller, der aus einer interessanten Grundidee zumindest auf dem Actionlevel einiges rauszuholen vermag, philosophische oder psychologische Aspekte der Prämisse allerdings kaum beachtet. Aber das darf so.

Die Blu-ray/DVD bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel für Hörgeschädigte. Als Extras haben beide Scheiben zwei kurze Hinter-den-Kulissen-Clips sowie Trailer zu bieten. „Self/Less – Der Fremde in mir“ erscheint bei Concorde Home Entertainment und seit 23. Dezember 2015 erhältlich. (Packshot + stills: © Concorde Home Entertainment)

Heimkino-Tipp: „Men & Chicken“ (2015) + Gewinnspiel

Männer unter sich

Zunächst ein kleiner sprachlicher Exkurs: Im Englischen steht das Wort „Chicks“ sinngemäß für „süßes Mädchen“. Anders Thomas Jensen („Adams Äpfel“) nennt seinen aktuellen Streifen nun „Men & Chicken“. Männer & heiße Mädels also. Oder doch Männer & Hühner? Wie auch immer man(n) es interpretieren möchte, Fakt ist: Ja, es geht um Männer und deren Bedürfnis nach weiblichen Körpern. Doch bedauernswerterweise stehen ihnen diese nicht zur Verfügung, weshalb das anwesende Federvieh als Ersatz herhalten muss. Es ist nicht die einzige geschmackliche Grenzüberschreitung, die der Däne Jensen und seine Schauspielertruppe, allen voran Mads Mikkelsen, dem Publikum präsentieren.

Ihr Film erzählt von der Reise zweier ungleicher Brüder (Mikkelsen und David Dencik) zu ihrer Familie, von der sie bisher nichts wussten. Die lebt auf einem verwüsteten Anwesen inmitten einer abgelegenen Insel und kommuniziert bei der Ankunft von Gabriel und Elias vornehmlich mithilfe von Gegenständen, die sie sich gegenseitig auf die Rübe hauen. Aber das ist bei Weitem noch das Normalste, was die beiden Gäste fortan tagtäglich in dem heruntergekommenen und von unzähligen Tieren bevölkerten Haus erleben werden.

Verstörend, abstoßend, überdreht: „Men & Chicken“ präsentiert sich zunächst als ein Potpourri unschöner menschlicher Eigenschaften, die wenig subtil auf die Zuschauer niederprasseln: seltsame Persönlichkeiten treffen dabei auf Zwangsneurosen sowie widerwärtige Verhaltensweisen. Doch die Provokation seitens der Filmemacher hat Tiefgang: So ist „Men & Chicken“ hinter seiner Fassade des amüsanten Horrorkinos ein Familiendrama, das dem Wert des Zusammenhalts trotz aller Unterschiede und Macken huldigt. Ob gewöhnungsbedürftiges Aussehen, geistige Umnachtung, Realitätsverlust oder unbändige Sucht nach Käse: Geschwister sollten immer zusammenhalten, egal ob sie mit dem Nudelholz aufeinander losgehen oder gemeinsam Texte der Heiligen Schrift interpretieren.

Sicherlich, ein wenig ansehnlicher hätten sowohl die Figuren als auch das ganze Szenario sein dürfen. Vielleicht sind einige der Gags auch etwas zu derb ausgefallen. Nichtsdestotrotz bietet „Men & Chicken“ noch eine Fülle von absurden Szenen und Einfällen, die das Filmerlebnis lange – im positiven Sinn – nachwirken lassen.

Aufgepasst, aufgepasst! Zum Heimkinostart liegt eine Blu-ray des Films zur Verlosung bereit. Der/Die erste Mailschreiber/in gewinnt! Einfach eine Nachricht an cinecsaba@gmx.net senden. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen, der Gewinner wird via Mail benachrichtigt. Viel Glück!

Die DVD/Blu-ray präsentiert den Film in deutsch synchronisierter und original dänischer Sprachfassung. Untertitel in Deutsch/Deutsch für Hörgeschädigte sind optional zuschaltbar. Darüberhinaus befindet sich auch eine Hörfilmfassung auf den Discs. Als Extras sind ein Interview mit Mads Mikkelsen sowie Trailer beigefügt. „Men & Chicken“ erscheint bei DCM Filmdistribution GmbH/Universum Film und ist seit 4. Dezember 2015 erhältlich. (Packshot: FilmPressKit online/DCM; stills: Rolf Konow/DCM)

Heimkino-Tipp: „God Loves the Fighter“ (2013)

Sin City

Diesen Film zu schauen ist eine Herausforderung! Dies ist keinesfalls abwertend gemeint, allerdings als Warnung ernst zu nehmen. Von Minute eins an gibt Regiedebütant Damian Marcano mit optischen Spielereien en masse Vollgas und lässt kaum Luft zum Durchatmen. Verschnaufpausen? Fehlanzeige!

Doch es steckt System dahinter: „God Loves the Fighter“ ist ein rasanter Trip durch die Stadt Port of Spain. Die karibische Metropole des Inselstaates Trinidad und Tobago besitzt leider den unschönen Ruf, gern genutzter Drogenumschlagplatz zu sein, von wo aus das Gift Richtung Nordamerika gelangt. Korruption, Gewalt und eine hohe Mordrate sind trauriger Bestandteil des Alltags, was Marcano zum roten Faden seines fiebrig inszenierten Filmes macht.

Mittendrin der junge Charlie (Muhammad Muwakil), der von einem besseren Leben träumt, und die etwa gleichaltrige Prostituierte Dinah (Jamie Lee Phillips), die aufgrund ihres Jobs mit ihrem Gewissen und ihrem Glauben hadert und auf der Suche nach Vergebung den Weg von Charlie kreuzt. Können sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und dem Moloch entfliehen?

Verkünstelt, dokumentarisch, märchenhaft, realistisch: „God Loves the Fighter“ ist eine im wahrsten Sinne des Wortes bunte Mischung mit ständigen Format- und Stilwechseln, die scheinbar ungefiltert auf den Zuschauer hereinbrechen und sicher nicht jedermanns Sache ist. Bei aller Raffinesse, die Marcano damit beweist, so ganz überzeugen kann seine Anklage/sein Loblied auf Port of Spain nicht. Vielleicht habe ich aber auch nur den Kern der Erzählung unter dem Bombast der Bilderflut nicht gefunden? Daher gern selbst einen Versuch wagen! Für mich war es dann doch irgendwann zuviel des Guten.

P.S.: Kleines Schmankerl bei der Blu-ray-Erstauflage: Die enthält eine Bonus-CD mit dem Soundtrack, der (musikalisch) ähnlich farbenfroh daherkommt wie der Film.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung. Untertitel sind keine vorhanden, was es aufgrund der starken Dialekte der Darsteller für Nicht-Muttersprachler sehr schwer macht, den Dialogen in der Originalversion zu folgen. Leider machen die jedoch auch einen Großteil der Atmosphäre aus. Als Bonusmaterial gibt es Trailer. „God Loves the Fighter“ erscheint bei Mad Dimension/AL!VE AG und ist seit 2. November 2015 erhältlich. (Packshot: © Mad Dimension/AL!VE AG)

Heimkino-Tipp: „Jamie Marks is Dead“ (2014)

Teenage Angst

Mobbing ist eine abscheuliche Sache. Vor allem dann, wenn das Opfer an seiner Schule ein Außenseiter ist, eine Harry-Potter-Gedächtnisbrille trägt und nur wenig Selbstvertrauen besitzt. Jamie Marks (Noah Silver) war so ein Mensch. Nun ist er tot, und niemanden scheint ihn zu vermissen. Außer Adam (Cameron Monaghan) und Gracie (Morgan Saylor), die ihn zwar ebenso wenig kannten wie der große Rest ihrer Mitschüler, jedoch von Gewissensbissen geplagt werden. Hätten sie auf ihn zugehen sollen? Vielleicht die Hänseleien unterbinden können? Im gemeinsamen Zweifeln und Trauern kommen sich die beiden Teenager näher. Der Beginn einer schönen Romanze? Mitnichten, denn Jamies Geist taucht eines Nachts vor Adams Augen auf – und scheint noch etwas unter den Lebenden nachholen zu wollen.

Gothic-Schmonzette, Thriller mit übernatürlichem Plot oder klassischer Horrorfilm? Carter Smiths („Ruinen“, 2008) gemächlich erzähltes und von talentierten Jungdarstellern getragenes Werk ist all das und nichts davon. Denn im Kern der Geschichte handelt „Jamie Marks is Dead“ von den zahlreichen (unüberwindbaren?) Hürden des Erwachsenwerdens. Sei es bezüglich der eigenen Sexualität, dem Verhalten gegenüber dem anderen Geschlecht oder der Umgang mit privaten Schicksalsschlägen wie Unfällen oder der Tod der Eltern. Vieles davon deutet Regisseur Smith an oder „spiegelt“ es in veränderter Form bei mehreren Figuren.

Das ist ambitioniert und mit viel Verständnis für die Eigenheiten von jungen Erwachsenen eingefangen. Geduld sollte der Zuschauer trotzdem mitbringen. Denn wirklich viel geschieht in den 100 Minuten Laufzeit nicht, und am Ende bleiben etliche der Subplots in der Schwebe – ganz so, wie die drei Hauptfiguren im Film, deren Handeln nicht immer einfach nachzuvollziehen ist.

Ein schwieriger, teilweise verkopfter Film, der möglicherweise ein junges Teenagerpublikum mehr anspricht als ältere Semester. Für die gibt es immerhin mit Liv Tyler einen Schwarm aus der eigenen Jugend in einer Nebenrolle zu sehen – als Adams Mutter(!) Linda. Die Zeit, sie rennt.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Bonus sind Trailer beigefügt. „Jamie Marks is Dead“ erscheint bei donau film im Vertrieb von AL!VE AG und ist seit 20. November 2015 erhältlich. (Packshot: © Donau Film e.k./AL!VE AG)

Heimkino-Tipp: „Dirty Trip“ (2015)

Mississippi Grind

Die Geschichte des spielsüchtigen, überschuldeten und bei einem Pokergame auf das letzte Quäntchen Glück hoffenden Verlierers ist schon oft erzählt worden. Dass der neue Film des Regie-Duos Anna Boden & Ryan Fleck („Half Nelson“, 2006) trotz bekannter Story einen Blick lohnt, ist vor allem drei Dingen zu verdanken: den beiden Hauptdarstellern Ben Mendelsohn und Ryan Reynolds sowie der angenehm relaxten und gleichsam atmosphärischen Inszenierung.

Die zwei Protagonisten Gerry (Mendelsohn) und Curtis (Reynolds) lernen sich – wie sollte es anders sein – an einem Pokertisch kennen. Der Abend endet mit einem gemeinsamen Barbesuch und schon am nächsten Morgen ist sich der notorische Spieler Gerry sicher: Curtis ist der Glücksbringer, auf den er so lange gewartet hat. Mit dem Jungspund an seiner Seite könnte er es schaffen, das ‚ganz große Ding‘ zu gewinnen und seine immensen Schulden endlich zu begleichen. Tatsächlich willigt Curtis ein und so begeben sich die neuen Freunde auf einen Road-Trip quer durch Amerika mit Ziel New Orleans. Ihre gemeinsame Reise hält jedoch nicht nur einige familiäre Überraschungen bereit.

Der größte Pluspunkt für „Dirty Trip“: Gerry und Curtis sind durch und durch sympathische Figuren. Klar, jeder hat sein Päckchen zu tragen und tut Dinge, die nicht immer zum Wohle Dritter geschehen. Doch weder dem Einzelgänger Gerry noch dem Frauenhelden Curtis wird eine übermäßig dunkle Charakterseite angedichtet, um unglaubwürdige Konflikte vom Zaun zu brechen. Stattdessen verlassen sich die Regisseure auf ihr fabelhaftes Drehbuch und ihre großartigen Darsteller, die einerseits wunderbar miteinander harmonieren, andererseits die Schwächen und Sehnsüchte ihrer charmanten Figuren quasi nebenbei aus dem Ärmel schütteln, als gäbe es vor der Kamera nichts Leichteres.

Mit Witz, Können und Spielfreude gelingt es Mendelsohn und Ryan bzw. Boden und Fleck so, aus einer vertrauten und an sich wendungsarmen Geschichte einen ganz besonderen Streifen zu machen, der selbst Poker-und Casino-Unkundige wie mich dazu bringt, die Sessellehne zu zerkratzen, wenn Gerry am Spieltisch mal wieder sagt: „All in!“

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Extras befinden sich kurze Hinter-den-Kulissen-Clips und ein Interview mit Ryan Reynolds auf den Discs, die ihren Werbecharakter allerdings nur schwer verbergen können. Eine Trailershow rundet das Paket ab. „Dirty Trip – Mississippi Grind“ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite) und ist seit 1. Dezember 2015 erhältlich. (Packshot + Filmstills: © Ascot Elite)

Heimkino-Tipp: „Gefühlt Mitte Zwanzig“ (2014)

Forever Young

Manche Regisseure/innen arbeiten derart häufig mit einem bestimmten Schauspieler/einer Aktrice zusammen, dass es sofort auffällt, wenn ein Film mit dieser Vertrautheit bricht. So sah man den Wirbelwind Greta Gerwig in den vergangenen Jahren vor allem in Werken von Noah Baumbach („Frances Ha“, ab 10.12. „Misstress America“), dessen „Gefühlt Mitte Zwanzig“, entstanden 2014, muss jedoch ohne sie auskommen. Für adäquaten Ersatz ist allerdings gleich in vierfacher Hinsicht gesorgt: Ben Stiller, Naomi Watts, Amanda Seyfried und Adam Driver sind die Hauptdarsteller in seiner Generationen-Komödie, in der ein junges Paar das geordnete, ereignisarme Leben eines etwas älteren Paares auf den Kopf stellt.

Josh (Stiller) und Cornelia (Watts), knapp über 40, wohnen in Brooklyn und sind in ihrem Freundeskreis die einzigen, die sich gegen Nachwuchs entschieden haben. Auch wenn es nur subtil geschieht: Die Ausgrenzung von all den scheinbar glücklichen Neu-Eltern in ihrem Umfeld macht den beiden doch sehr zu schaffen. Da kommt ihnen die Bekanntschaft mit Jamie (Driver) und Darby (Seyfried) ganz gelegen: das Hipster-Paar ist jung, dynamisch, voller Energie und so herrlich unkompliziert. Schnell entwickelt sich eine angenehme Vertrautheit und „die Alten“ fühlen sich wie befreit. Ihr Leben ist plötzlich wieder spannend, aufregend und unbegrenzt wie lange nicht mehr – bis Josh eines Tages ein unschöner Verdacht kommt.

Alt trifft auf Jung, konservative Moralvorstellungen treffen auf Revoluzzertum – die Prämisse von „Gefühlt Mitte Zwanzig“ weckt Erwartungen, die Regisseur Baumbach mit Absicht nur halbherzig erfüllt. Denn wer etwas mit seiner Arbeit vertraut ist, kann erahnen, dass er dieses Aufeinandertreffen der Generationen statt für billige Kalauer lieber für einige tiefgründige Betrachtungen zum Zustand unserer Gesellschaft nutzt. Das mag manchmal etwas bemüht wirken, in großen Teilen jedoch ist es amüsant und unterhaltsam inszeniert. So auch in „Gefühlt Mitte Zwanzig“: Manche Dialoge wirken zu lang und zu verkopft, um glaubhaft zu sein. Wahrhaftig jedoch sind sie allemal. Baumbach erweist sich einmal mehr als genauer Beobachter menschlicher Eigenschaften und Befindlichkeiten, die er stets respektvoll und doch ironisch thematisiert. Ob Handygebrauch, modische Accessoires oder bevorzugtes Unterhaltungsmedium: Wenn der ältere Josh abends die gängigen Online-Plattformen nach einem Film durchsucht während der jüngere Jamie ganz oldschool eine Videokassette einlegt, ist das eine wunderbare Umkehrung von Vorurteilen, die zum Lachen und zum Nachdenken anregt.

In der zweiten Hälfte nimmt „Gefühlt Mitte Zwanzig“ dann eine unerwartete Wendung, die dem Film und den Charakteren neue Facetten entlockt und dabei das zuvor Komödiantische zunehmend mit bitterer Ironie ersetzt. Wie oben bereits angedeutet, verläuft dieser Übergang inhaltlich aber nicht ohne Schlaglöcher. Vor allem die Figur der Darby kristallisiert sich immer mehr als für die Handlung überflüssiges schönes Beiwerk heraus, was Baumbach kongenial gleich selbst durch ihre Stimme kundtut: „Es ist wie beim Trampen: Nur Jamie allein würdest du nicht mitnehmen. Wenn ich jedoch daneben stehe, hältst du an.“

Wer derart selbstsicher und -ironisch unterwegs ist, hat echt was drauf. Noah Baumbach ist so ein kleines Regiewunder, das manchmal sehr an Woody Allen erinnert – im Guten wie im Schlechten. „Gefühlt Mitte Zwanzig“ ist dafür ein fabelhaftes Beispiel.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche und englische Untertitel. Unter den Extras finden sich drei kurze Dokus zu unterschiedlichen Aspekten der Produktion sowie Interviews und Trailer. „Gefühlt Mitte Zwanzig“ erscheint bei universum film/SquareOne Entertainment und ist seit 4. Dezember 2015 erhältlich (Packshot + stills: © Universum Film).

... im Nachgang: „Spectre“ (Kinostart: 5. November 2015)

Das 24. Abenteuer des britischen Doppel-Null-Agenten James Bond lässt weltweit die Kassen klingeln. Mein Fazit zum Film findet sich HIER (von mir stammt der Contra-Teil des Textes ).

(Plakat: © 2015 Sony Pictures Releasing GmbH)

Heimkino-Tipp: „The Railway Man“ (2013)

A Single Man

Manchmal verwundert es schon, wie lange qualitativ hochwertige Filme „auf Halde“ liegen, bevor sie unter anderem in Deutschland zu sehen sind. „The Railway Man“ ist so ein Fall: mit Colin Firth, Nicole Kidman sowie Stellan Skarsgård in den Hauptrollen überaus prominent besetzt, kommt das Drama in politisch und gesellschaftlich turbulenten Zeiten wie diesen jedoch nun gerade recht.

Basierend auf den Memoiren des Schotten Eric Lomax, einem Veteranen des Zweiten Weltkriegs, wird die Geschichte eines Mannes erzählt, der dank der späten Liebe zu einer Frau lernt, sich den Dämonen seiner Vergangenheit zu stellen. Konkret jenen Ereignissen, die ihm und seinen Kameraden in jungen Jahren in japanischer Kriegsgefangenschaft widerfahren sind.

Für Eric (Firth) und seinen Freund Finlay (Skarsgård) waren das ‚Wegsperren‘ der Erinnerungen sowie die stille ‚Nicht-darüber-Reden‘-Vereinbarung bisher die besten Wege, die schlimmen Dinge von einst zu verdrängen. Als Eric eines Tages Patti (Kidman) kennenlernt und bald darauf heiratet, funktioniert diese Taktik nicht mehr. Zu oft sieht sie ihren Mann zusammenbrechen, hört ihn schweigen, dem Thema ausweichen. Um ihn und ihre Ehe zu retten, drängt sie Finlay dazu, sich ihr zu öffnen. Allerdings geht er noch einen Schritt weiter: Ihm gelingt es, Erics noch lebenden Folterer ausfindig zu machen. Mit einem Messer im Gepäck begibt sich Eric schließlich zurück nach Thailand, um seinem Peiniger 40 Jahre später gegenüberzutreten.

Rache? Vergebung? Anklage? Wie Eric selbst weiß auch der Zuschauer lange nicht, welchen Weg der gescholtene Ex-Häftling einschlagen wird, wenn er auf seinen einstigen Bewacher trifft. Bis es zu dieser Begegnung kommt, konzentriert sich Regisseur Jonathan Teplitzky auf das Innenleben seines gebrochenen Helden und zeigt nach einer charmanten, aber leider viel zu kurzen Exposition, bei der sich Eric und Patti näherkommen, dessen täglichen Kampf mit nie verheilten seelischen Wunden. Die großartige Kameraarbeit von Garry Phillips (siehe ebenso „Candy – Reise der Engel“, 2006) unterstreicht diese Szenen mit bedeutungsschwangeren Bildausschnitten und Blickwinkeln, während es hinter der meist regungslosen Fassade Firths’ brodelt und kocht. Ganz ganz wunderbar!

Wenn es einen Kritikpunkt gibt, dann ist es die Entscheidung der Filmemacher, einen elementaren Teil der Geschichte, die sich zwischen Eric und seinem alten Gegner (Hiroyuki Sanada) abspielt, auszusparen. Ohne die Storyüberraschung an dieser Stelle preiszugeben: Es gibt für beide ein Leben vor ihrer Begegnung und ein anderes danach. Aber gerade jene Dinge, die dazwischen geschehen, sind das Besondere und waren wahrscheinlich auch der Grund für alle Beteiligten, an „The Railway Man“ mitzuwirken. Gezeigt werden sie nicht. Das frustriert ein wenig, ändert jedoch nichts an der Aussage des Films, die – wie oben bereits erwähnt – gerade in stürmischen Zeiten wie diesen, die von weltweitem Terror, von Kriegen, Flucht, Vertreibung, Gewalt und Vorurteilen geprägt sind, sehr relevant ist.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Bonusmaterial gibt es ein Making of, einen Audiokommentar sowie Trailer. „The Railway Man“ erscheint bei Koch Media und ist seit 26. November 2015 erhältlich. (Packshot + stills: © Koch Films/ Koch Media GmbH)

Heimkino-Tipp: „Hedi Schneider steckt fest“ (2015)

Ausgetanzt

„Ich selbst habe eine Zeit lang unter einer Angst- und Panikstörung gelitten.“ Keine Frage, der neue Film von Sonja Heiss, „Hedi Schneider steckt fest“, ist ein sehr persönliches Werk. Das macht die Regisseurin in einem Begleitwort zu ihrem irgendwo zwischen Tragikomödie und Familiendrama angesiedeltem kleinen Schmuckstück sehr deutlich. Der passende 90-Minüter zur Herbstdepression sozusagen – und doch so leichtfüßig und unaufdringlich wie ein warmer Sommerregen.

Doch genug der sprachlichen Bilder! Was zählt, is’ auf’fer Leinwand. Und das ist bemerkenswert: Laura Tonke („Pigs will fly“, „Im Schwitzkasten“) spielt die lebenslustige Protagonistin Hedi, die ihrem grummeligen Kollegen ebenso ungezwungen und sympathisch-frech begegnet wie der perplexen Stimme vom Notdienst, den sie beim Ausfall des Bürofahrstuhls anruft. Zuhause ist sie gleichsam verspielte Mutter für Finn (Leander Nitsche) wie sexy Ehefrau für Uli (Hans Löw) und mit ihrem Leben so wie es ist eigentlich zufrieden. Bis sie eines Abends eine Panikattacke hat. Die weitet sich in den kommenden Tagen zu einer handfesten Krise aus und schon bald ist an einen ‚normalen‘ Familienalltag nicht mehr zu denken. Als sich Hedis Zustand nach wochenlanger Krankschreibung nicht bessert und Uli daraufhin ein lukratives Jobangebot ausschlagen muss, steht die Beziehung der beiden sowie ihre gesamte gemeinsame Zukunft plötzlich auf der Kippe.

Um der Gefahr des, nennen wir es abwertend „Depri-Kinos“ zu entgehen, wartet Sonja Heiss gleich mit zwei Jokern auf: einer äußerst sympathischen Hauptfigur und einer Darstellerin, die diese Person mit Charme, Mut und bemerkenswert unangestrengt zum Leben erweckt: Laura Tonke. So viele Jahre ist die gebürtige Berlinerin nun schon im Filmbusiness aktiv und hat in unzähligen Rollen ihr Können bewiesen. Diese Hedi Schneider aber könnte nun ihr Meisterstück sein. Tonke gelingt es vorzüglich, diese Frau, deren Leben sukzessive auseinanderfällt, verletzlich und doch würdevoll darzustellen. Ihre Hedi ist speziell und eigensinnig und doch niemals unsympathisch oder egoistisch. Eine außergewöhnliche Leistung, zumal der Film mit der Glaubwürdigkeit dieser Figur steht und fällt.

Ein weiterer Trumpf des Drehbuchs von Heiss ist zudem, dass sie ihrer kleinen, hier präsentierten Familie nichts Überkonstruiertes oder Abenteuerliches vor die Füße wirft. Nein, der äußerliche Alltag der drei ändert sich kaum, währenddessen es im inneren Kreis jedoch immer mehr zu Brodeln beginnt. Die schleichenden Veränderungen geschehen lediglich im Zusammenleben und verdeutlichen sehr präzise die Zerbrechlichkeit einer zuvor scheinbar stabilen und glücklichen Ehe. „Ich wollte von der Fragilität einer großen Liebe erzählen, indem ich sie durch die plötzliche Schwächung einer der Liebenden in ein gefährliches Ungleichgewicht bringe.“, sagt Heiss im Presseheft zum Film. „Immerhin ist der Mensch, den man liebte, respektierte, bewunderte irgendwie weg. Da ist jetzt jemand, der seine Stärke, seinen Mut, seinen Intellekt, seine Neugier, seinen Humor, seine Empathie, seine Körperlichkeit verloren hat.“

Was also tun und wie darauf reagieren? Heiss verweigert sich erfreulicherweise einfachen Lösungsvorschlägen, wie sie beispielsweise Hedis Mann (Selbsttherapie im U-Bahnhof) oder ihre Mutter („kalt duschen, viel essen“) vorschlagen. Stattdessen gibt es die bedrückende Erkenntnis, dass eine psychische Erkrankung, so wie Hedi sie überkommt, jeden jederzeit und überall treffen kann. Egal ob Griesgram oder Gute-Laune-Mensch, der Abgrund, an dem sich unsere optimierten, durchorganisierten und auf ständiges Funktionieren ausgerichteten Leben entlang hangeln, ist nah – und verdammt tief.

Der Film erscheint auf DVD/Blu-ray in deutscher Sprachfassung mit optionalen deutschen Untertiteln für Hörgeschädigte sowie einer Audiodeskription für Sehbehinderte. Als Extras gibt es gelöschte und verpatzte Szenen sowie Trailer. „Hedi Schneider steckt fest“ erscheint bei Pandora Filmverleih/Alive und ist ab 27. November erhältlich. (Packshot + stills: © Komplizen Film/Pandora Filmverleih)

Heimkino-Tipp: „Trash“ (2014)

Paradise Lost

Die Assoziationen liegen auf der Hand: Wer nach dem achtfachen(!) Oscar-Preisträger „Slumdog Millionär“ einen Film über das abenteuerliche Leben von Kids aus einem Favela präsentiert, muss sich zwangsläufig mit Danny Boyles Meisterwerk messen lassen. Sein britischer Landsmann Stephen Daldry, selbst bereits drei Mal für einen der begehrten Goldjungen nominiert (u.a. für „Der Vorleser“), ging das Wagnis ein, reiste ans andere Ende der Welt und legt mit „Trash“ nun einen Streifen vor, der der fiebrigen Energie von Boyles Werk, dessen Realitätsnähe und dem Spagat zwischen Unterhaltung und Anklage ins nichts nachsteht.

Der 14-jährige Rafael (Rickson Tevez) und seine Freunde Gardo (Eduardo Luis) und Rato (Gabriel Weinstein) leben in der Nähe einer riesigen Müllhalde in Rio de Janeiro, auf der sie als Sammler versuchen, ein wenig Geld zu verdienen. Eines Tages findet er ein Portemonnaie, das der wohlhabende José (Wagner Moura) kurz vor seiner Verhaftung auf einen Mülltransporter geworfen hat. Es dauert nicht lang, und die Polizei erscheint vor Ort, um die kleine Ledertasche an sich zu nehmen – falls sie sie aufspüren. Rafael jedoch ahnt, dass er etwas Außergewöhnliches in den Händen hält und beginnt, den Notizen und Hinweisen, die er im Portemonnaie entdeckt, zu folgen. Ein gefährliches Unterfangen, denn das Leben eines schwarzen Waisen ist in seinem Land offenbar nicht viel wert.

Sonnenschein, starke, kräftige Farben und lebenslustige Jungs, die trotz ihres bescheidenen Daseins nie den Optimismus verlieren: Was wie ein Gute-Laune-Film aussieht, ist unter seiner schön anzusehenden Oberfläche ein brutal-anklagendes Statement gegen Korruption, Machtgier und staatliche Willkür. Ungeschönt, drastisch und in Teilen gar dokumentarisch anmutend begleitet „Trash“ die Odyssee dreier Kinder, die in einer scheinbar erbarmungslosen, unerbittlichen Welt aufwachsen müssen und dabei zufällig ins Visier von Verbrechern im Auftrag des Staates gelangen. Einzig das Zuhause von Pater Juilliard (Martin Sheen) und seiner Assistentin Olivia (Rooney Mara), die ehrenamtlich vor Ort tätig sind, sind für die Jungs kleine Oasen des Friedens, die ihnen wenig später jedoch ebenso unbarmherzig genommen werden sollen.

Bei aller Tragik und Scheußlichkeit gelingt es Daldry aber dennoch, auch einen packenden Thriller zu kreieren, der Sozialkritik mit Spannung und Action zu würzen weiß. Anspruchsvolles Unterhaltungskino also, das einen erhellenden Blick auf eine Welt abseits unserer Vorzüge hier in Europa zeigt und daran erinnert, wie wichtig es ist, die Hoffnung auf ein besseres Leben nie aufzugeben.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter, in englischer und in mehrsprachiger Originalsprachfassung. Untertitel, u.a. deutsch und englisch, sind vorhanden, Bonusmaterial hingegen nicht. „Trash“ erscheint bei Universal Pictures Germany GmbH und ist seit 29. Oktober 2015 erhältlich. (Packshot: © Universal Pictures)

Heimkino-Tipp: „Kiss the Cook“ (2014)

Soul Food

Zu Beginn ein gutgemeinter Rat, um nicht ähnlich unschönes Magenknurren durchstehen zu müssen wie der Autor dieser Zeilen: diesen Film bitte nur nach dem Essen genießen – oder zumindest während des Schauens einen leckeren Snack in Reichweite haben. Andernfalls wird „Kiss the Cook“ eine Geduldsprobe.

Denn was Regisseur/Autor/Hauptdarsteller Jon Favreau hier auftischt, ist Kino für die Seele und – zumindest optisch – für den Gaumen. Zwar scheint zunächst angesichts der unzähligen TV-Shows zum Thema das Anliegen, einen Film über einen Koch und seine Künste zu inszenieren, ziemlich überflüssig. Favreau jedoch macht daraus eine luftig-leichte, amüsante und herzerwärmende Familiengeschichte, in der das Kochen und das gemeinsame Genießen zu sinnlichen, beziehungsstiftenden Erfahrungen werden. Und damit kredenzt er viel mehr, als es jeder Koch-Soap im Fernsehen jemals gelingen wird.

Im Mittelpunkt steht der geschiedene Gourmetkoch Carl (Favreau), der sich ausgerechnet am Tag des Besuchs eines einflussreichen Restaurantkritikers mit seinem Chef überwirft und dem Laden den Rücken kehrt. Nachdem ihm dann auch noch jener Kritiker in Grund und Boden schreibt, braucht Carl eine Auszeit – und verwirklicht sich einen lang gehegten Traum: er eröffnet einen Food-Truck, der ihm erlaubt, endlich nur das aufzutischen, worauf er Lust hat. Zusammen mit seinem Kumpel Martin (John Leguizamo) und seinem kleinen Sohn Percy (Emjay Anthony), der die Sommerferien bei ihm verbringt, fährt das Trio quer durchs Land und hat schon bald in etlichen Städten viele Fans.

Wer Favreau nur als den Mann hinter Blockbustern wie „Iron Man“ oder „Cowboys & Aliens“ kennt, wird sich womöglich wundern: „Kiss the Cook“ (OT: „Chef“) ist nämlich eine waschechte Independent-Filmperle. Ein Schritt zurück sozusagen, denn die Karriere des heute 49-Jährigen nahm im Programmkino einst ihren Anfang. Ob als Autor und Darsteller im großartigen „Swingers“ oder als Gaststar in diversen TV-Serien wie „Chicago Hope“ und „Monk“: Favreau hat quasi ‚ganz unten‘ begonnen und weiß, dass Bombast und Effekte im Kino nicht alles sind. Stattdessen verwöhnt er sein Publikum diesmal mit frechen Wortgefechten und relaxten Auftritten zahlreicher Hollywood-Stars, denen die Ungezwungenheit und der Spaß sichtlich anzumerken ist: Dustin Hoffman, Scarlett Johansson, Robert Downey Jr., Sofia Vergara und Oliver Platt sind nur einige von vielen bekannten Gesichtern, die in mehr oder minder großen Rollen mitwirken.

Das Herzstück jedoch ist die Vater-Sohn-Geschichte zwischen Carl und Percy: Der Alte unerfahren in Erziehungsfragen, der Junge zunächst desinteressiert an der Arbeit seines Vaters, die er für dessen häufiges Fehlen verantwortlich macht. Also tobt sich der Kleine in sozialen Netzwerken aus, während sein Paps ihn am liebsten gleich wieder bei der Mutter abliefern würde. Zuzusehen, wie diese beiden gegensätzlichen Charaktere auf ihrer Reise zusammenwachsen und dabei die Welt des anderen zu schätzen lernen, ist eine wahre Freude.

Wenn dazu noch hier und da ein paar freche Seitenhiebe auf das Filmbiz, rücksichtloses Fan-Verhalten und überhebliche Kritiker (ja, auch ich bin damit gemeint!) eingestreut werden, bekommt diese Komödie neben den ohnehin vielen kulinarischen Tipps und Empfehlungen richtig Pfeffer – und macht aus „Kiss the Cook“ schlicht und einfach einen großartigen, empfehlenswerten Film. Guten Appetit!

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Im Bonusmaterial gibt es einen Audiokommentar von Jon Favreau, geschnittene Szenen, Trailer und ein paar Interviewschnipsel. „Kiss the Cook – So schmeckt das Leben!“ erscheint bei Koch Media und ist seit 22. Oktober 2015 erhältlich. (Packshot + stills: © Koch Media GmbH)

Heimkino-Tipp: „Elser“ (2015)

Unbekannter Held

Nach den ersten Vorführungen des Tom-Cruise-Streifens „Operation Walküre – Das Stauffenberg-Attentat“ (2008) in den USA äußerten sich Besucher verwundert über die Tatsache, dass es im ‚Dritten Reich‘ Widerstand gegen Hitler und seine Politik gab. Offenbar war über dieses Thema zumindest außerhalb Deutschlands nur sehr wenig bekannt. Die Amis! Doch Moment: Auch in unseren Breitengraden scheint es diesbezüglich noch Nachholbedarf zu geben. Anders ist das kollektive Nichtwissen – zumindest außerhalb der Historikerzunft – um die Person Georg Elser wohl kaum zu erklären. Ob ein Film dies ändern kann? Einen Versuch ist es wert.

Vor allem, wenn er derart viel Diskussionsmaterial liefert wie „Elser“. Regisseur Oliver Hirschbiegel („Der Untergang“, „Invasion“) handelt die bekannten(?) Fakten vom misslungenen Attentat gleich zu Beginn ab, um sich dann mit allerlei Fiktion einer Person anzunähern, über deren Handlungsmotive man nur spekulieren kann. Die Dresdner Schauspielhaus-Wundertüte Christian Friedel, der mit seiner Band Woods of Birnam auch musikalisch am Film beteiligt war, verleiht diesem Mann Intelligenz, Lässigkeit, Selbstvertrauen und vor allem Menschlichkeit, während sein Umfeld mehr und mehr der nationalsozialistischen Verführung erliegt. Hirschbiegel benötigt dafür nur wenige Szenen und Schauplätze, macht den um sich greifenden Wahnsinn damit aber durchaus spür- und greifbar.

Dann jedoch begibt sich „Elser“ auf heikles Terrain: Denn wer war diese Person vor dem 8. November 1939, dem Tag der Verhaftung? Während sich Hirschbiegel und seine Autoren für die Zeit nach Elsers Festnahme auf zahlreiche Gesprächs- und Verhörprotokolle stützen konnten, bleibt die Quellenlage für Elsers Jugend lückenhaft. Insofern ist die künstlerische Entscheidung, Elsers Vernehmung und die Ratlosigkeit seiner Richter parallel zu Elsers Vorkriegserfahrungen zu montieren, sicherlich die geeignetste, um Leerstellen im Lebenslauf zu kaschieren. Ebenso tut Hirschbiegel gut daran, seinen Protagonisten nicht mit einer weißen Weste auszustatten, sondern als zweifelnden und ob seiner Schuld am Tod von mehreren Zivilisten innerlich gebrochenen Mann darzustellen.

So gelingt ihm und seinem Hauptdarsteller eine Figur, die dem echten Elser vermutlich sehr nahe kommt. Und doch, ein klein wenig Distanz ist angebracht: Denn viele von Elsers überlieferten Äußerungen – und das zeigt der Film durchaus drastisch – stammen aus brutalen Verhören und geben der Aussage eines seiner Folterer, „die Wahrheit wird von uns festgelegt“, einen blutigen Nachgeschmack.

Doch genug der Haarspalterei: Eine lobende Erwähnung zum Schluss verdient die Filmmusik von David Holmes („Out of Sight“), den Hirschbiegel offenbar noch aus Hollywood-Zeiten kennt. Er verziert seinen klassischen Score hier und da mit sanften elektronischen Tönen, was gleichsam innovativ wie ungewöhnlich erscheint, zum Stil des Films jedoch wunderbar passt. Denn auch Hirschbiegel gönnt sich kurz vor dem Ende einen kleinen stilistischen Ausbruch, der in solcherlei Filmen eher selten zu sehen ist. Ein Querdenker eben, ganz wie sein Filmheld. Gut so!

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutscher Originalsprachfassung, eine Hörfilmfassung sowie deutsche Untertitel für Hörgeschädigte. Das Bonusmaterial (nur Blu-ray und 2-DVD-Edition) ist üppig: Neben einem Audiokommentar von Regisseur und Hauptdarsteller gibt es ein Making of, Interviews, Impressionen von den Erstaufführungen in München und Berlin (mit Bundespräsident Gauck), sowie diverse Trailer und ein Booklet. Zusätzlich auf der blauen Scheibe noch vorhanden: ein Vorwort von Hirschbiegel, gelöschte Szenen und Ausschnitte der Berlinale-Pressekonferenz. „Elser“ erscheint bei NFP marketing & distribution im Vertrieb von EuroVideo und ist seit 22. Oktober 2015 erhältlich. (Packshot+stills: FilmPressKit online/NFP/Lucky Bird Pictures/Bernd Schuller)

Heimkino-Tipp: „Spring“ (2014)

Love is a Monster

Schon einmal das Bedürfnis gehabt, wirklich alles über den Partner erfahren zu wollen? Wo er sich rumtreibt, wenn er nicht erreichbar ist? Was sie macht, wenn sie allein und ungestört Zuhause bleiben will? Nach dem Genuss von „Spring“ könnte dieses Verlangen ein Ende haben – denn was dem verliebten Evan (Lou Taylor Pucci) widerfährt, ist eine ganz und gar außergewöhnliche Romanze, bei der ihm ein wenig mehr Nichtwissen sicherlich gutgetan hätte.

Der junge Amerikaner ist gerade auf einem Selbstfindungstrip in Italien, nachdem er nacheinander seine Eltern, seinen Job und schließlich seine Beherrschung gegenüber einem Kneipengast verloren hat. Dort läuft er der attraktiven Louise (Nadia Hilker) in die Arme, die ihm erst den Kopf verdreht und anschließend nicht mehr aus dem Sinn geht. Könnte sie gar die Liebe seines Lebens sein? Nach einer Woche der Zweisamkeit ist Evan klar, dass er die Schöne nicht mehr missen will. Doch sie zögert – wohlwissend, dass ihr ‚Geheimnis‘ nicht nur Evans Herz zerreißen, sondern ihn ebenso sämtliche anderen Körperteile kosten könnte.

Inszeniert vom überaus talentierten Duo Justin Benson und Aaron Moorhead, die neben dem Skript auch für die Produktion sowie diverse andere Set-Aufgaben verantwortlich zeichnen, ist „Spring“ zunächst erst einmal eines: großartig anzusehen! Gedreht an Original-Locations in Italien, nutzen die beiden Regisseure sämtliche Raffinessen des Filmemachens, um aus dem limitierten Budget das Beste rauszuholen. Die Kameraarbeit ist formidabel, der Schnitt hervorragend und die Darsteller weit über dem Genre-Durchschnitt. Vor allem die gebürtige Münchnerin Hilker weiß mit vielen kleinen Akzenten zu begeistern, die meist in winzig kurzen Momenten zum Vorschein kommen, das Abenteuer, welches ihrem männlichen Gegenüber bevorsteht, aber schon erahnen lassen. Oder besser ‚befürchten lassen‘?

Doch statt des zu erwartenden Monsterhorrors, der in vielen anderen Filmen außer Blut, Gedärm und Jump Cuts meist nicht viel Essenzielles zu bieten hat, gibt es in „Spring“ darüberhinaus noch eine überaus clevere Erklärung für das nicht ganz normale Wesen von Louise. Aber nicht nur das: Ist die Katze erst einmal aus dem Sack, rennt Evan nicht einfach davon, sondern macht deutlich, dass sein anfänglicher Liebesschwur kein reines Lippenbekenntnis war.

Liebe Filmfreude, das ist ein Horrorstreifen mit Substanz, Köpfchen, Qualität – und einer richtig guten (romantischen) Geschichte, die Benson & Moorhead hier erzählen. Mit einem Wort: Klasse!

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Im Bonusmaterial gibt es ein informatives Making of (Titel „Pressematerial“), geschnittene Szenen sowie Trailer und einige witzige Kurzfilme bzw. -featurettes . „Spring“ erscheint bei Koch Media und ist seit 8. Oktober 2015 erhältlich. (Packshot + stills: © Koch Media GmbH)

... im Nachgang: „Ich und Kaminski“ (Kinostart: 17. September 2015)

Regisseur Wolfgang Becker und Schauspieler Daniel Brühl arbeiten nach „Good Bye Lenin!“ erstmalig wieder zusammen. Was ich davon halte, steht HIER (von mir stammt das Semi-Pro).

(Plakat: © 2015 X Verleih)

Heimkino-Tipp: „Wem gehört die Stadt – Bürger in Bewegung“ (2015)

Demonstrieren geh‘n

Wohnraum in deutschen Städten ist knapp, Immobilien sind inzwischen zu einer lohnenswerten Geldanlage geworden. Die Folge sind Mieten jenseits von Gut und Böse sowie so manche Bauprojekte, über dessen Nutzen man vortrefflich streiten kann.

Genau dies dokumentiert Anna Ditges in ihrem Film „Wem gehört die Stadt – Bürger in Bewegung“. Es ist ein unkommentiertes filmisches Tagebuch der Ereignisse in Köln-Ehrenfeld, einem Stadtteil, der nach den Wünschen eines Großinvestors eine neue Shopping Mall erhalten soll. Die wahrscheinliche Folge: Viele kleine Läden müssen schließen, Szenekultur verschwindet, riesige Parkhäuser und verglaste Einkaufsklötzer entstehen. Die Bewohner sind davon wenig begeistert und gehen auf die Barrikaden. Allerdings nicht, um zur Revolution anzustiften, sondern um mit alternativen Vorschlägen die Gestaltung ihres Viertels selbst in die Hand nehmen zu können.

Das, was in Köln-Ehrenfeld geschieht, kann problemlos auf viele andere Städte übertragen werden. „Wem gehört die Stadt“ ist somit von vornherein weit mehr als ein Klagelied für jenen Ort, aus dem auch die Regisseurin selbst stammt. Es ist interessant zu sehen, in welch vielfältiger Weise ihre Nachbarn, egal ob jung oder alt, die Möglichkeit der Bürgerbeteiligung wahrnehmen und konstruktiv versuchen, den Invasionsplänen von Außen entgegenzuwirken.

Und doch leistet sich auch diese Dokumentation einen Lapsus, der für mich stets die Lust am Weiterschauen torpediert: Es gibt keine Infos darüber, wer die interviewten Menschen sind, welche Funktionen sie haben, welchen Berufen sie nachgehen und was dafür spricht, ihren Urteilen und Meinungen zu glauben. Natürlich wird im weiteren Verlauf zunehmend deutlich, auf welcher Seite die Porträtierten stehen. Doch nur weil sie entweder in einem Atelier stehen oder Anzug tragend und in einem Büro sitzend befragt werden, gibt dies dem Zuschauer noch keine ausreichende Information darüber, ob diese Personen glaubhaft sind und thematisch versiert genug, um den Sachverhalt zu erläutern.

So ist man von Anfang an der Persönlichkeit, dem Auftreten, der optischen Erscheinung der Personen ‚ausgeliefert‘, was der Manipulationsmöglichkeit seitens der Filmemacherin unendliche Möglichkeiten eröffnet. Bitte nicht missverstehen: Ich unterstelle Regisseurin Anna Ditges nicht, einseitig und parteiisch zu sein. Doch leider vergessen einige Zuschauer hin und wieder gern, dass Film ein Medium ist, das mehr noch als das gesprochene Wort zu falschen Rückschlüssen führen kann. Das Fehlen von zeitlicher Einordnung verstärkt – zumindest bei mir – den Verdacht, dass hier sehr leicht Szenen der Dramatik wegen aneinander gereiht wurden, die möglicherweise gar nicht in Zusammenhang stehen.

Es gab und gibt sogenannte Mockumentaries, also fiktionale Filme, die sich als Dokumentationen tarnen, in großer Anzahl. Ein in er Tat interessantes Genre, das jedoch sehr schnell missbraucht werden kann. Oder anders formuliert: Wer sicher sein will, dass seine echte Dokumentation auch als solche wahrgenommen wird, sollte bestimmte journalistische Standards beachten. „Wem gehört die Stadt“ macht dies leider nicht.

Der Film erscheint nur auf DVD und in der Originalsprachfassung (Deutsch). Optionale Untertitel sind in deutsch und französisch vorhanden. Als Extras enthält die Disc diverse Interviews sowie Trailer. „Wem gehört die Stadt – Bürger in Bewegung“ erscheint bei filmkinotext/good!movies/SchwarzWeiss Filmverleih und ist seit 11. September 2015 erhältlich. (Packshot: filmkinotext)

Heimkino-Tipp: „Rendezvous in Belgrad“ (2011)

Lost in Translation

Huch, da ist aber jemand in seine Stadt verliebt: Bojan Vuletić präsentiert mit „Rendezvous in Belgrad“ einen romantisch-satirischen Episodenstreifen, der Gäste und Bewohner der serbischen Hauptstadt aufeinandertreffen lässt – und seltsame Eigenheiten auf beiden Seiten zutage fördert. Zwischendrin gibt es immer wieder kurze Gesangsdarbietungen einzelner Berufsgruppen, die sowohl das Geschehen der folgenden Kapitel, als auch die „Errungenschaften“ des Landes preisen. Klingt seltsam? Ist es auch!

Die Idee hinter dem ungewöhnlichen Filmprojekt, das ironischerweise unter anderem im Thüringischen Erfurt gedreht wurde, ist an sich sehr kreativ: Wie nehmen Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nach Belgrad reisen, diese Stadt und die dort Lebenden wahr? Welche – neben den sprachlichen – Hürden gilt es für beide Seiten zu überwinden? Was geschieht, wenn sie ins Gespräch kommen und sich näher kennenlernen? Verpackt in vier Kurzgeschichten, schickt Regisseur und Co-Autor Vuletić eine Musikerin, einen Geschäftsmann, einen Koch sowie einen untreuen Bräutigam mitten ins Getümmel, um ihnen seine Heimat näherzubringen. Zu den bekanntesten Gesichtern unter den Darstellern zählen dabei sicherlich Julie Gayet („Mein bester Freund“) und Baki Davrak („Auf der anderen Seite“).

Was per se nach einer interessanten und unterhaltsamen Komödie klingt, entpuppt sich als zwar abwechslungsreiche aber ansonsten wenig überraschende Klischee-Ansammlung, die ihren chauvinistischen Charakter (Patriotismus und Männerphantasie) nicht leugnen kann. Denn in allen vier Episoden sind es die Ausländer, die sich unmöglich, herablassend, verletzend und/oder egoistisch verhalten. Ihnen gegenüber stehen Serben, die von ihnen betrogen, belogen und ausgenutzt werden. Befremdlich, dass den „Opfern“ dies alles nichts auszumachen scheint. Stattdessen akzeptieren sie für ein One-Night-Stand die Kapriolen eines psychisch gestörten Stars (Kapitel eins) oder geben sich trinkfest, um sich anschließend abschleppen zu lassen (Kapitel drei). Erkenntnis: die Belgrader sind offenbar liebeshungrig und leicht rumzukriegen.

Die witzig gemeinten Kapitelübergänge leisten ihr Übriges: Nach der Präsentation eines Volksliedes erklären die Chorteilnehmer, wie toll sich Serbien entwickelt hat und es daher eigentlich überfällig wäre, das Land in die EU aufzunehmen (momentan ist Serbien „Beitrittskandidat“). Viele Grüße an die PR-Abteilung der Regierung!

So sehr ich diesen Film aufgrund seiner Prämisse auch loben möchte, überwiegt doch die Verärgerung über die eindimensionale Charakterzeichnung. Was amüsant sein soll, erweist sich als vorurteilsbehafteter Blick auf Belgrads Bevölkerung und seine Gäste. Und nein, Ironie geht anders.

Der Film erscheint nur auf DVD und in der Originalsprachfassung (Serbisch/Kroatisch/Englisch). Optionale Untertitel sind in deutsch und englisch vorhanden. Als Extras enthält die Disc diverse Trailer. „Rendezvous in Belgrad“ erscheint bei filmkinotext/good!movies/SchwarzWeiss Filmverleih und ist seit 17. Juli 2015 erhältlich. (Packshot: filmkinotext)

Heimkino-Tipp: „Als wir träumten“ (2015)

Made in the GDR

Dass ‚der neue Dresen‘ ein wenig anders werden würde, ließ schon das Plakat zum Film erahnen: „Als wir träu-mten“ steht da in großen Lettern geschrieben, inklusive einer wirklich merkwürdigen Worttrennung. Rebellion? Unwissen? T9-Eingabe? Was auch immer den kreativen Kopf hinter dem Poster zu dieser Schreibweise bewegt haben mag, für das neue Werk des aus Gera stammenden Regisseurs Andreas Dresen passt es wie die Faust aufs Auge.

Womit bereits die von den Protagonisten des Films bevorzugte Art einer Unterhaltung benannt wäre: Gewalt und Aggressivität spielen eine überraschend große Rolle in „Als wir träumten“, der Adaption von Clemens Meyers gleichnamigen Erfolgsroman. Zwar hatten sich Dresens frühere Arbeiten ebenso nie vor körperlicher Härte gescheut (siehe „Die Polizistin“ oder „Willenbrock“), die permanente Auf-die-Fresse-Mentalität der jungen Akteure in seinem jüngsten Film überrascht dann aber doch. Es fällt lange Zeit schwer, diesen ständig unter Strom stehenden Jungs irgendetwas Positives abzugewinnen.

Dass sie im Inneren ihres Herzens gar nicht so böse sind, deutet Dresen ungewohnt halbherzig an: Statt 100 klauen sie einer alten Dame nur 50 Mark, einer einsamen Hausfrau tätschelt Dani (Merlin Rose) mal eben die Brüste, seine Mutter umarmt er an anderer Stelle kurz, nachdem ihn die Polizei mal wieder an der Haustür abgeliefert hat. Im krassen Gegensatz zu dieser holpernden Zärtlichkeit stehen unzählige Saufgelage, geklaute Autos und Sachbeschädigungen aller Art, die das Bild einer irgendwie verlorenen, desillusionierten und überforderten Generation malen sollen, in ihrer Masse aber einfach nur nerven. Denn wer so exzessiv lebt, ist in seinen wenigen ruhigen Momenten charakterlich nicht unbedingt glaubhaft.

Zwar wirken die jungen Darsteller unverbraucht und hungrig, doch gelingt es ihnen kaum, den Figuren Einzigartigkeit zu verleihen – zu ähnlich sind ihre Süchte (Alkohol, Tabak, Drogen, Ungehorsam) und Träume (die Gründung eines Techno-Klubs), zu undifferenziert die Versuche, ihrem Leben eine neue Richtung zu geben. Kommt dann noch das ausgelutschte Klischee vom ‚gemeinsamen Neuanfang mit der Liebsten‘ hinzu, ist’s mit meiner Geduld endgültig vorbei. Überhaupt bleibt die Frage, weshalb unser Held Dani ausgerechnet der/dem schönen Sternchen (Ruby O. Fee) verfällt? Denn wer die Dauerfreundin eines Nazicliquen-Chefs ist, kann so clever nicht sein. Eine Antwort bleibt das Drehbuch vom sonst so versiert arbeitenden Wolfgang Kohlhaase leider schuldig.

An optischer Authentizität mangelt es „Als wir träumten“, dessen Handlung in der Nachwendezeit angesiedelt ist, indes nicht: Die Ausstattung ist bis zum Topflappen hin makellos, die Straßen und Orte haben den alten, zerfallenen DDR-Mief noch nicht abgeschüttelt. Mittendrin bahnt sich die elektronische Musik ihren Weg durch die Körper der Jugendlichen, die in zerfallenen Gebäuden ihr Glück im Endlostanzen suchen. Besser hätte man das Nachtleben Ostberlins Anfang der 1990er-Jahre nicht einfangen können. Wenn nur der Rest des Films ebenso nah an der Wirklichkeit gewesen wäre, wie bei Dresen sonst üblich (siehe HIER)!

Andererseits, das Plakat/Cover hatte mich ja gewarnt: irgendetwas stimmt hier nicht.

Die DVD enthält den Film in deutscher Originalsprachfassung mit optionalen deutschen und englischen Untertiteln sowie eine Audiodeskription für Sehbehinderte. Als Extras finden sich ein Making of, entfernte Szenen, Trailer sowie ein Audiokommentar von Andreas Dresen und Wolfgang Kohlhaase auf den Discs. Eine umfangreiche Trailersammlung ergänzt die gelungene Umsetzung. „Als wir träumten“ erscheint bei Pandora Film Home und ist ab 19. September 2015 erhältlich. (Packshot + stills: © Rommel Film / Pandora Film / Peter Hartwig)

Heimkino-Tipp: „Nachtgestalten“ (1998) / „Halbe Treppe“ (2002)

Damals war’s …
Kleines Cineasten-Quiz: Welchen Schauspieler hat Regisseur Andreas Dresen in vielen seiner Filme immer wieder auftreten lassen? Heute ist er im Team Münster des „Tatort“ unterwegs und einer der beliebtesten Darsteller der Republik …

Ja, Axel Prahl und Andreas Dresen gehören irgendwie zusammen: Ob als Musiker auf der Bühne (sie sind immer mal wieder gemeinsam auf Tour) oder als perfektes Duo beim Filmemachen. Bevor Prahl spätestens mit „Halbe Treppe“ und „Willenbrock“ (2005) einem breiten Publikum bekannt wurde, besetzte ihn Dresen zweimal als Polizist. Eine Rolle, die Prahl wie kaum ein anderer perfektionierte, sei es dank seines ruppigen, aber stets respektvollen Auftretens gegenüber anderen Figuren oder seiner durchsetzungsstarken Stimme, die jeden Gesprächspartner sofort stramm stehen ließ. Nachdem vor einigen Jahren Dresens hervorragender „Die Polizistin“ (siehe HIER) den Weg auf DVD fand, kommt mit „Nachtgestalten“ nun endlich eines seiner lang vergriffenen Frühwerke in einer ‚neu gemasterten‘ Veröffentlichung wieder auf den Markt. Mit im Schlepptau: „Halbe Treppe“, der ebenfalls qualitativ ein wenig aufgefrischt wurde.

Beide Filme zählen mit zum Besten, was das deutsche Kino in den vergangenen 15 Jahren zu bieten hatte. Ungekünstelt, realitätsnah und teilweise improvisiert, zeigen sie einen talentierten Filmemacher auf dem Weg zu seinem eigenen, markanten Stil. Zurückgenommen und doch punktgenau inszeniert, wirken die Werke spontan und wie aus dem Leben gegriffen, lassen ihre Darsteller strahlen und ausprobieren, und sind doch aus einem Guss. Während „Nachtgestalten“ der Ende der 1990er-Jahre beliebten Form der Episodenerzählung folgt und verschiedene Personen durch eine Berliner Nacht begleitet, konzentriert sich „Halbe Treppe“ auf zwei Paare, die mit einem (un-)gewollten „Bäumchen-wechsle-dich“-Spiel wieder etwas Feuer in ihre festgefahrenen Beziehungen bringen wollen.

Schon hier wird Dresens Talent deutlich, alltägliche Dramen mit sanftem Humor zu würzen, die Probleme ‚des kleinen Mannes/der kleinen Frau‘ ohne Wertung einzufangen und mit leiser Melancholie dabei zuzusehen, wie sie versuchen, anschließend wieder zum aufrechten Gang zurückzukehren. Ein Satz, den ich so ebenso seinem britischen Kollegen Ken Loach zuschreiben könnte. Aber ist es nicht schön, ein solches Talent auch im eigenen Land zu haben?

„Nachtgestalten“: Die DVD bietet den Film in original deutscher Sprachfassung mit optionalen englischen Untertiteln. Als Extras sind ein Audiokommentar von Andreas Dresen sowie ein Making of und Trailer beigefügt.

„Halbe Treppe“: Die DVD bietet den Film in original deutscher Sprachfassung mit optionalen englischen, französischen und spanischen Untertiteln. Auch eine Audiodeskription für Sehbehinderte und deutsche Untertitel für Gehörlose sind vorhanden. Als Extras sind ein Audiokommentar von Andreas Dresen, zwei Dokumentationen, gelöschte Szenen sowie Trailer beigefügt.

„Nachtgestalten“ und „Halbe Treppe“ erscheinen bei Pandora Film Home und sind seit 19. September 2015 wieder erhältlich. (Packshots: © Rommel Film / Pandora Film / Foto: Peter Hartwig)

Heimkino-Tipp: „Love Exposure“ (2008)

Maximum Overdrive

Victor Fleming („Vom Winde verweht“, 1939), Michael Cimino („Heaven’s Gate“, 1980), Sergio Leone („Es war einmal in Amerika“, 1984), Wim Wenders („Bis ans Ende der Welt“, 1991), Kevin Costner („Der mit dem Wolf tanzt“, 1991) oder Olivier Assayas („Carlos – Der Schakal“, 2010): Die Liste jener Regisseure, die Filme mit einer Laufzeit jenseits der 215 Minuten-Marke (sprich: über 3,5 Stunden) vorweisen können, ließe sich beliebig fortführen. Allerdings sind solche Mammutwerke aus rein wirtschaftlichen Gründen (Kinos könnten in dieser Zeit an zwei Aufführungen von 120-Minuten-Filmen besser verdienen) leider eine Seltenheit geworden. Und das, obwohl allein die aufgeführten Beispiele, zu denen es größtenteils ebenso kürzere Versionen gibt, zeigen, dass künstlerisch betrachtet ‚mehr‘ oftmals auch ‚besser‘ bedeutet.

Im Jahr 2008 reihte sich der japanische Filmemacher S(h)ion Sono („Strange Circus“, „Suicide Circle“) in diesen exklusiven Klub ein und legte mit „Love Exposure“ ein 236-minütiges Potpourri sondergleichen vor. Was es ist, Komödie, Drama, Liebesfilm, Psychothriller oder Sexklamotte, lässt sich schwer beurteilen. Vielleicht, weil „Love Exposure“ schlicht alles auf einmal ist. Ein Fakt, den Sono zu nutzen weiß. Denn diese Unvorhersehbarkeit, dieser ständige Genre- und Stilwechsel lassen beim Schauen die einschüchternde Laufzeit schnell vergessen.

Im Zentrum der Handlung steht der Teenager Yu (Takahiro Nishijima), dessen Vater sich nach dem Tod seiner Frau Gott zuwendet und zum Priester wird. Im Laufe der Jahre kommt der Kirchenmann zu der Überzeugung, dass jeder ständig und auch ohne aktives Zutun im Alltag sündige. Leidtragender ist Yu, der fortan täglich beichten soll, selbst wenn nichts vorgefallen ist. Um dieser Psychohölle zu entgehen, beginnt Yu tatsächlich, Sünden zu begehen – indem er sich zum „Perversen“ erklärt und „Upskirt“-Fotograf wird. Mit ausgefeilten Techniken und beachtenswerter Akrobatik knipst er nun unzählige Bilder unter Röcken von Frauen, stets auf der Suche nach „der Besonderen“.

Die begegnet ihm in Gestalt von Yoko (Hikari Mitsushima). Dank einer unglücklichen Verkettung von Zufällen lernt sie ihn jedoch zunächst nur als Frau namens Sasori kennen – und verliebt sich in sie. Als ihre Stiefmutter kurz darauf mit seinem Vater zusammenzieht, werden Yu und Yoko Geschwister. Während sie ihn ignoriert, hat er nun jeden Tag mit Erektionen zu kämpfen, die sich beim Anblick von Yoko ohne Vorwarnung einstellen. Doch dies ist noch nicht einmal die halbe Geschichte, die den beiden noch bevorsteht.

Eines macht Regisseur Sono schon zu Beginn klar: Berührungsängste, Hemmungen oder moralische Grenzen kennt er nicht. So mixt er Dramatisches mit Slapstick, Missbrauch mit sexueller Anzüglichkeit, Gewalt mit Überspitzungen. Ebenso sprunghaft wie der inhaltliche Ton ist die Verwendung filmischer Mittel, klassische Inszenierung wechselt sich ab mit nervöser Handkamera, Schnittmassaker folgen auf minutenlange Standeinstellungen. Kurz: Eine unglaubliche Herausforderung für sein Publikum.

Akzeptiert man diese Inszenierungsformen, eröffnet sich dem Zuschauer eine Geschichte, die von Liebe geprägt ist – im positiven wie negativen Sinne. „Love Exposure“ präsentiert die extremen Auswüchse, die Liebe bewirken kann. Sei es die Hingabe zu Gott, zur eigenen Familie, zu einem anderen Menschen oder zur Kunst. Ein bemerkenswerter Rundumschlag, der jedoch nicht frei von Mängeln ist.

So irritiert wie oben bereits erwähnt der oft spontane Wechsel zwischen Spaß und Ernsthaftigkeit, Spiel und Gewalt. Zudem gelingt es Sono nicht, die Sogwirkung und das Tempo der ersten drei Stunden (was klingt das absurd!) bis zum Ende durchzuhalten. Besonders in den finalen Kapiteln agieren die Figuren zunehmend hysterischer und machen es schwer, ihnen in ihren Handlungen noch folgen zu können. Der in meinen Augen größte Schwachpunkt jedoch, so er denn von Sono nicht beabsichtigt war, ist die fehlende Distanz zu seinen angesprochenen Themen: Er macht sein Publikum mit expliziten Nahaufnahmen weiblicher Reize und durchweg sexualisierten Einstellungen quasi zum Voyeur und Mittäter der gezeigten „Sünden“. Aussagen über Aufrichtigkeit und Würde folgen erigierte Penisse und Höschenfotos, überhaupt spielt die Provokation mit anzüglichen Posen und Szenen eine große Rolle. Eine zu große, da sie dem eigentlichen Anliegen des Films, die Flucht vor der reizüberfluteten Gesellschaft mittels Religion darzustellen, zuwiderläuft.

So bleibt am Ende ein nicht ganz – Achtung, Wortspiel! – befriedigendes Filmerlebnis, trotz vierstündiger cineastischer Achterbahnfahrt. Wer sich jedoch darauf einlässt, sollte auf alles gefasst sein.

Nach diversen DVD-Auflagen erscheint „Love Exposure“ nun erstmals auf Blu-ray. Neben gelöschten Szenen und Trailern ist im Bonusmaterial noch ein ca. 30minütiges Making of zu finden, das jedoch vornehmlich aus Filmszenen besteht. Der Film selbst liegt nur in original japanischer Sprachfassung mit deutschen Untertiteln vor. Darüber hinaus ist dieser Edition ein Booklet beigelegt. „Love Exposure“ erscheint bei Rapid Eye Movies/Al!ve AG und seit 21. August 2015 erhältlich. (Packshot + stills: © Rapid Eye Movies)

Heimkino-Tipp: „In meinem Kopf ein Universum“ (2013)

A Beautiful Mind

Für seinen Auftritt in „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ erhielt der britische Schauspieler Eddie Redmayne alias Stephen Hawking in diesem Frühjahr einen Oscar. Seine Darstellung des an ALS erkrankten Wissenschaftlers ist zweifellos eine Sternstunde des Kinos. Aber so außergewöhnlich seine Leistung auch war, sie ist nicht die einzige dieses Kalibers. Denn der Pole Dawid Ogrodnik, der die Hauptrolle in „In meinem Kopf ein Universum“ übernahm, hätte dafür mindestens die gleiche Anerkennung verdient.

Er spielt den jungen Mann Mateus, der seit seiner Kindheit an einer zerebralen Bewegungsstörung leidet und nicht im Stande ist, seinen Körper zu kontrollieren. Um sich fortzubewegen, robbt er meist auf dem Rücken den Boden entlang, die Greiffunktion seiner Hände funktioniert nur sehr eingeschränkt, Kommunikation über Sprache gar nicht. Er wächst im Polen der späten 1980er-Jahre auf und wird, trotz aller Herausforderungen, von seinen fürsorglichen Eltern liebevoll gepflegt und so normal wie möglich behandelt. Nach dem Unfalltod seines Vaters (Arkadiusz Jakubik) und dem Auszug seiner Geschwister kümmert sich seine Mutter (Dorota Kolak) aufopferungsvoll um ihn, muss jedoch nach einem Sturz einsehen, dass sie Mateus nicht mehr allein betreuen kann. Er kommt in ein Heim für geistig behinderte Menschen – obwohl er genau das nicht ist. Denn hinter seinem steifen Körper wacht ein lebendiger Geist, der seine Umwelt mit allen Facetten wahrnimmt – und nur darauf wartet, dies der Welt auch irgendwann zu zeigen.

Ähnlich wie Julian Schnabels „Schmetterling und Taucherglocke“ (2007) erzählt Regisseur Maciej Pieprzyca seine Tragikomödie aus dem Blickwinkel des Protagonisten. Zwar nicht in dieser Konsequenz wie Kollege Schnabel (mit einer Kamera, die stets den Blick des Erkrankten wiederspiegelt), dafür aber mit einem sarkastischen Off-Monolog, der das Geschehen ohne falsche Scham kommentiert. So weiß das Publikum von Beginn, was Mateus’ Umfeld erst sehr spät bewusst wird: dass er trotz seiner eingeschränkten motorischen Fähigkeiten ein intelligenter junger Mann ist, der zumindest geistig aktiv am Leben teilnimmt. Mit einer angemessenen Mischung aus Tragik und Humor folgt der Film Mateus’ Odyssee zum erwachsenen Mann und seinen Erlebnissen mit anderen Menschen, zu denen unter anderem zwei Frauen gehören, die in verschiedenen Phasen seines Lebens sein Herz erobern.

Berührt die wahre Geschichte des lebensfrohen Mateus schon sehr, so bleibt vor allem die herausragende Performance des Hauptdarstellers im Gedächtnis. Es ist mir persönlich ein Rätsel, wie es Dawid Ogrodnik gelang, derart präzise und perfekt diese schwierige Rolle (rein physisch betrachtet) zu spielen. Nicht nur, aber vor allem dafür lohnt es sich, „In meinem Kopf ein Universum“ zu sehen.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und polnischer Originalsprachfassung sowie optionale deutsche Untertitel. Als Bonusmaterial gibt es lediglich ein paar Trailer. „In meinem Kopf ein Universum“ erscheint bei MFA+ Film im Vertrieb von Ascot Elite und ist seit 8. September 2015 erhältlich. (Packshot: © MFA+ FilmDistribution e.K.)

Heimkino-Tipp: „Die Gärtnerin von Versailles“ (2014)

A Little Chaos

Eines der vielen zauberhaften Dinge, die das Kino seinem Publikum ermöglicht, ist die ‚Flucht‘ in völlig andere Welten. Sei es eine Reise auf fremde Planeten, in die Zukunft oder zurück in die Vergangenheit. Aber nicht nur das: Wer Filme inszeniert, darf sich auch erlauben, reale Geschichte zu verändern, um daraus fantasievolle neue Handlungen zu kreieren. Mr. Tarantino gelang dies beispielsweise mit Bravour in „Inglourious Basterds“. Einer völlig anderen Epoche, aber ebenso gelungen, widmet sich Schauspieler und Teilzeit-Regisseur Alan Rickman in seinem Werk „Die Gärtnerin von Versailles“.

Ja, Puristen mögen bereits an dieser Stelle anmerken, dass eine Frau und das historische Versailles nicht zusammengehen. Denn wie sollte eine Dame am Hofe des Königs die Möglichkeit erhalten, den Schlossgarten in Eigenregie zu entwerfen? In Rickmans leichtfüßigem Historienfilm, angesiedelt im Frankreich des 17. Jahrhunderts, ist dies jedoch möglich: Die verwitwete Landschaftsgärtnerin Sabine De Barra (Kate Winslet) erhält die Chance, dem angesehenen Gartenarchitekten André Le Nôtre (Matthias Schoenaerts) beim Bau eines Barockgartens zu assistieren. Der Auftraggeber, kein Geringerer als der „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. (Alan Rickman) persönlich, hat dabei ziemlich genaue Vorstellungen vom Endprodukt: etwas nie Dagewesenes soll entstehen – wenn nicht, sind Konsequenzen für seinen Untertan André unvermeidlich. So machen sich Sabine und André allen gesellschaftlichen und physikalischen Widerständen zum Trotz ans Werk, müssen fiese Intrigen und zerstörerische Gewitterstürme über sich und ihren Garten ergehen lassen und finden, vergraben unter dicken (Schutz-)Schichten aus Schlamm und Schweigen, schließlich den Weg ins Herz des Anderen.

Es mag melodramatisch und handlungsarm klingen – „Die Gärtnerin von Versailles“ ist all dies jedoch nicht. Mit Verve, ungeheurer Spielfreude und wunderbar anzusehenden Sets macht Rickman, der auch am Drehbuch mitwirkte, daraus einen fluffig schönen, kurzweiligen und romantischen Film, der unter seinen herrlichen Kostümen eine moderne Story trägt. An der Oberfläche ein durchaus von Sarkasmus durchzogenes Sittengemälde, erzählt der Streifen vom Aufbegehren gegen Stur- und Borniertheit, überkommene gesellschaftliche Zwänge und Vorurteile. Oder, etwas Abstrakter, von der Schwierigkeit, eigene Pläne und Vorhaben trotz etlicher Rückschläge in die Realität umzusetzen. Einen Filmdreh zum Beispiel. Dabei gelingt es Rickman, nicht nur Sabine, sondern ebenso den anderen Hauptcharakteren Tiefe und Widersprüchlichkeit zu geben, was vor allem der Figur des Sonnenkönigs zugute kommt.

Überhaupt ist „Die Gärtnerin von Versailles“ ein Fest für Fans großartiger Schauspielkunst. Während Rickman und Stanley Tucci, der den Bruder Ludwigs spielt, die Gesten und Eigenheiten ihrer Herrscherfiguren wunderbar theatralisch wiedergeben, wirkt Schoenaerts’ André wie ein Tiger im Käfig, der mit aller Kraft versucht, seine Gefühle hinter einer steifen Fassade zu verbergen. Sabine ist sein Gegenstück, die Winslet mit kleinen Gesten und viel Herzenswärme zum Leben erweckt.

Ein Film mit Seele, dem man die Liebe seiner Macher (vor und hinter der Kamera) für ihren Beruf ansieht.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Extras befinden sich gelöschte Szenen, Interviews sowie ein kurzer Making of-Clip auf den Discs. Darüberhinaus Impressionen von der Deutschlandpremiere und eine Vorstellung von Ulrike Stürzbecher, der deutschen Stimme von Kate Winslet. Trailer, eine Bildergalerie und unkommentierte Aufnahmen vom Dreh runden das üppige Paket ab. „Die Gärtnerin von Versailles“ erscheint bei Tobis Home Entertainment im Vertrieb von Universal Pictures Germany und ist seit 3. September 2015 erhältlich. (Packshot + stills: © Tobis)