Inside ‚The American‘. Eine Buchrezension.


„Ein Filmprojekt in Angriff zu nehmen, ist eine heikle Angelegenheit. […] Man weiß nicht genau, auf was man sich eingelassen hat“, heißt es im Vorwort zum Foto-Tagebuch „Inside ‚The American‘“ von Anton Corbijn. Erstaunlich, aber wahr: Selbst der Starfotograf, Videokünstler und Filmregisseur Corbijn hat im Alter von 55 Jahren offenbar noch Selbstzweifel an seinen Fähigkeiten. Zurückhaltung könnte man es auch nennen.

Dabei kann der Niederländer auf eine abwechslungsreiche und stilbildende Karriere zurückblicken, die das Image von Einzelkünstlern und Bands, beispielsweise Herbert Grönemeyer, U2 oder Depeche Mode, bedeutsam geformt und etabliert hat. Corbijn startete seine Karriere als Musikfotograf, um wenig später mit seinen -videos („Enjoy the Silence“, Depeche Mode 1990), Coverentwürfen („The Joshua Tree“, U2 1987; „Keep the Faith“, Bon Jovi 1992) und Bühnenkonzepten („Devotional“-Tour, Depeche Mode 1993/94) Aufmerksamkeit zu erregen. Im Jahr 2007 folgte mit dem mehrfach ausgezeichneten und weltweit erfolgreichen „Control“, angelehnt an das Leben des Joy-Division-Sängers Ian Curtis, sein Debüt als Filmregisseur. Schon damals veröffentlichte er parallel zum Kinostart einen Bildband, der die Dreharbeiten dokumentierte. Mit „Inside ‚The American‘“ setzt er diese Tradition nun fort.

In der Hauptrolle mit George Clooney als schweigsamer Killer formidabel besetzt, erzählt „The American“ von dessen einsamer Odyssee in den italienischen Abruzzen. Ganz klassisch dem Aufbau eines Westerns folgend, von denen sich Corbijn nach eigener Aussage auch hat inspirieren lassen, wird sich der Mann hier seiner ausweglosen Situation bewusst und plant, sein Leben zu ändern. Seinem Auftraggeber schmeckt dies freilich wenig.
Unabhängig vom zugegebenermaßen dünnen Gerüst der Filmhandlung, begeistert „The American“ vor allem dank seiner Optik. Denn gleich ob Film oder Foto: Corbijn besitzt das Talent, den ‚besonderen Augenblick‘ einzufangen.

In Buchform offenbart sich die Qualität des Corbijn’schen Könnens noch einmal in all seiner sonderbaren Schönheit: sei es ein Blick an der Seite Clooneys aus dem Fenster, ein Szenenbild vom blutverschmierten Kopfsteinpflaster oder die Reaktion der Crew auf die Späße des Kasperkopps George. Der Moment an sich wird lebendig und Corbijn gelingt es, selbst die dunkelsten Regenwolken bedrohlich, und gleichzeitig wunderschön aussehen zu lassen. Auffällig ist, dass sogar bei spontanen Schnappschüssen (und demnach fehlender technischer Vorbereitungen) die Handschrift des Fotografen zu erkennen ist. Ein Gut, welches die Fähigkeiten Corbijns unterstreicht.

Doch „Inside ‚The American‘“ ist mehr als nur ein Fotoband. Die einzelnen Bilder des 164 Seiten starken Buches sind vom Regisseur handschriftlich kommentiert und verraten dabei auch die Intension hinter einzelnen Szenen und Blickwinkeln. Nicht weniger anschaulich sind die zahlreichen Skizzen und Storyboard-Zeichnungen, auf denen Sets, Kamerabewegungen und Schauspieleranweisungen vermerkt sind. Letzteres mag vielleicht nur die ganz hartgesottenen Filmfans interessieren. Doch verdeutlicht es andererseits die vielen Entscheidungsprozesse, die ein Regisseur während des Filmens treffen muss – und ist somit ehrlicher als jedes nichtssagende „Making of“, das heute auf DVD als Zugabe gepresst wird.

„Inside ‚The American‘“ empfiehlt sich dank seiner Fülle an Bildern, persönlichen Texten und Qualität sowohl als Lese- als auch als Fanbuch. Und für all jene, denen es zeitnah nicht vergönnt ist, einen Abstecher in die Abruzzen zu unternehmen, ist es ebenso als wunderbare Motivsammlung geeignet. Noch dazu mit einem sehr hübschen, meist Oberkörper-freien Reiseführer als Dreingabe.

Anton Corbijn
INSIDE THE AMERICAN
Photographien und handschriftliche Texte von Anton Corbijn
164 Seiten, 116 Tafeln in Farbe, Englische Originalausgabe mit deutscher Übersetzung, 30,5 x 21 cm, gebunden.
ISBN 978-3-8296-0476-5
€ 49.80, € (A) 51.20, sFr. 82.-

Foto: © 2010 Universal Studios Licensing LLLP. The movie The American © Focus Features LLC. All rights reserved. © 2010 Introduction Anton Corbijn / Courtesy Schirmer/Mosel.

... im Nachgang

So, und weil es sich über diesen Film so schön streiten lässt, hier noch einmal etwas zu „Jud Süß – Film ohne Gewissen“:

http://www.kinokalender.com/kolumne.html