Neu auf DVD: „Caramel“ von Nadine Labaki


Dass neben traditionellen Produktionsstätten wie Amerika und Indien auch anderswo talentierte Filmemacher ihrer Profession nachgehen, ist hinlänglich bekannt. Doch kleinere Werbebudgets, längere Vertriebswege und nicht zuletzt das Überangebot an gutem Material verhindern - trotz beispielsweise hunderter Programmkinos und Festivals in Deutschland - oftmals das Erreichen grenzüberschreitender Aufmerksamkeit. Umso erfreulicher, wenn es einigen Perlen dann doch gelingt und diese nach ihrem Ausflug auf die Leinwand auch noch eine angemessene DVD-Veröffentlichung erfahren. „Caramel“ zählt zweifellos dazu.

Die Libanesin Nadine Labaki, 34 Jahre jung und in ihrer Heimat bereits als Musikclipregisseurin bekannt, gibt mit dieser warmherzigen, sinnlichen und zum Teil frechen Romantikkomödie ihren Einstand als Darstellerin und Filmemacherin.

Zum Inhalt:
Auch abseits von Operationen ist der Weg zur vollkommenen Schönheit oftmals schmerzlich. Besonders dann, wenn frau sich in den Schönheitssalon von Layale (Nadine Labaki) begibt, deren Spezialität die Entfernung von Beinbehaarung ist – mit süßem Karamell als Hilfsmittel. Doch nicht nur während der Behandlung wird geschrien, ist der Laden inmitten von Beirut doch stets mit laut plappernden, lästernden und über die Liebe philosophierenden Frauen gefüllt. Während Layale auf ein Happy End mit einem verheirateten Mann hofft, bangt ihre demnächst heiratende Kollegin Nisrine (Yasmine Al Masri) um ihr Ansehen, da sie bereits vorehelichen Sex hatte. Freundin Rima (Joanna Moukarzel) indessen verliebt sich in eine Kundin, während Rose (Siham Haddad) zwischen Schneiderarbeit und Pflege ihrer kranken Schwester gar nicht bemerkt, dass sie einen heimlichen Verehrer hat.

Nicht nur in seinem Heimatland Libanon, sondern auch bei den Filmfestspielen in Cannes 2007, erhielt das Regiedebüt von Darstellerin Labaki viel Lob und wurde sogar für den Oscar als „Bester fremdsprachiger Film“ vorgeschlagen. Ein beachtenswerter Erfolg, wenn man bedenkt, wie spitzbübisch die Autoren auf gesellschaftliche Beschränkungen im Libanon hinweisen und damit viel Mut beweisen.
Optisch ist diese Perle nicht nur ob der wunderschönen Darstellerinnen ein Genuss: Den ganzen Film durchschimmert ein leicht brauner, karamellfarbener Braunton, sommerliche Schauplätze vermitteln Wärme und Lebensfreude, arabische Musik untermalt die Szenerie mit den passenden Klängen.
Doch Handlungsort hin oder her, am Ende steht die Einsicht, dass auch im Libanon Liebende leiden, Amor ungenau zielt und Haarentfernungen schmerzhaft sind. Ein tröstender Gedanke!

Zur gelungene DVD sei noch angemerkt: Auf ihr sind sowohl die synchronisierte deutsche, als auch die originale, arabische Sprachfassung (mit optionalen Untertiteln) vorhanden, ein Interview mit Labaki, in dem sie über die Figuren des Films spricht, ein 12minütiges „Making of“, welches hauptsächlich aus Behind-the-scenes-Material besteht, sowie ein kurzes Feature über die Reise von „Caramel“ rund um den Globus zu verschiedenen Festivals. Trailer zum Film und weiteren Titeln aus dem Katalog von Alamode Film, dem deutschen Verleih, runden die Extras (etwa 30 Minuten) ab.

„Caramel“ erschienen bei Alamode Film/Al!ve AG. FSK ohne Altersbeschränkung.

„Die Stadt der Blinden“ (Kinostart: 23. Oktober 2008)

Ist das Verhalten eines Menschen vorhersehbar? Im Alltag, unter äußerer Beeinflussung, in Extremsituationen? Schon viele Philosophen, Autoren und Filmemacher haben sich dieser Frage gewidmet und immer wieder versucht, die Spezies Mensch zu deuten, zu verstehen, zu erklären. Untrennbar damit verbunden ist auch die Frage nach moralischen Grenzen, die man gewillt ist zu überschreiten, um das eigene Überleben zu sichern. Die Antwort auf „Was wäre wenn…?“ bietet dabei so viele Interpretationsmöglichkeiten wie erschreckende Wahrheiten, die je nach Glaubhaftigkeit immer wieder Stoff für spannende und nachdenkliche Geschichten liefern.
Der portugiesische Literaturnobelpreisträger José Saramago nahm sich 1995 dieser Thematik in seinem Roman „Die Stadt der Blinden“ an.

Ausgehend von der Dystopie, dass rund um den Globus Menschen ohne Vorwarnung erblinden, beschreibt „Die Stadt der Blinden“ zum einen das panische Verhalten der „gesunden“, sehenden Gesellschaft, die alle Betroffenen zunächst Hals über Kopf isoliert und anschließend ihrem Schicksal überlässt. Zum anderen skizziert der Roman den nun ausbrechenden Macht- und Existenzkampf der Erkrankten innerhalb ihrer kleinen, begrenzten Welt, frei von Regeln, Gesetzen und Moral. Einzig der Stärkere hat das Sagen – zumindest solange die Unterdrückten nicht den Aufstand wagen. Doch wie wehrt man sich gegen Ungerechtigkeit in einer wertefreien, gewaltsamen und auf Hierarchie beruhenden Welt?

Dies sind nur einige der Fragen, die Saramago in „Die Stadt der Blinden“ stellt und Fernando Meirelles in seiner filmischen Adaption ebenso aufgreift. Wie von seinen beiden abendfüllenden Meisterwerken „City of God“ und „Der ewige Gärtner“ bereits gewöhnt, weiß der brasilianische Regisseur mit der Kamera, mit Stimmungen und vor allem mit seinen Darstellern umzugehen und präsentiert ein optisch über jeden Zweifel erhabenes Werk. Julianne Moore, Mark Ruffalo, Gael García Bernal und noch viele andere spielen fabelhaft auf, die einzelnen Charaktere spiegeln zwar, wie von anderen Filmen mit ähnlicher Thematik bekannt (beispielsweise „Cube“), typische Eckpfeiler der Gesellschaft wider, doch werden diese dank der literarischen Vorlage sehr viel tiefgründiger und nachvollziehbarer präsentiert, als es viele Drehbücher schon aufgrund ihres begrenzten Umfangs und ihrer erzwungenen Oberflächlichkeit sein können.

„Die Stadt der Blinden“ ist nachdenklicher Stoff, filmisch hervorragend umgesetzt und dem Roman durchaus ebenbürtig.

And the winner is…

Etwas überrascht und doch erfreut ob der Tatsache, aus über 160 Filmvorstellungen zufällig den Gewinner auch selbst gesehen zu haben, möchte ich aus der Pressemitteilung zitieren:

„Die drei Preisträger des Internationalen Spiel- und Dokumentarfilmwettbewerbs des 4. Zurich Film Festival stehen fest. […] Als Bester Spielfilm wurde die schweizerische Koproduktion TULPAN von Sergey Dvortsevoy ausgezeichnet, das Flüchtlingsdrama FOR A MOMENT, FREEDOM von Arash T. Riahi erhielt das Goldene Auge für den Besten Debütspielfilm und BLIND LOVES des slowakischen Regisseurs Juraj Lehotský gewann in der Kategorie Bester Dokumentarfilm. Das Publikum wählte THE WORLD IS BIG AND SALVATION LURKS AROUND THE CORNER von Stephan Komanderev zu seinem Lieblingsfilm und das Filmmagazin Variety vergab den Variety-Award an MOSCOW, BELGIUM des belgischen Regisseurs Christophe van Rompaey. […] Das Festival kann in seinem vierten Jahr ein beachtliches Wachstum vorweisen und zog mit 36`000 Besuchern ein Drittel mehr als im Vorjahr an. […]

Unter dem Vorsitz von Peter Fonda als Spielfilm-Jurypräsident wurde im Internationalen Wettbewerb der mit viel Sinn für feinen Humor erzählte Film über kleinere und grössere kasachische Lebenskrisen, TULPAN von Sergey Dvortsevoy (Deutschland/Schweiz/Kasachstan/ Russland/Polen) als ‚Bester Spielfilm‘ ausgezeichnet. Die Jury begründete ihre Auswahl wie folgt: „Wir haben einen einzigartig menschlichen und herzerwärmenden Film über die universelle Suche nach dem Glück als Gewinner gewählt, der in einer spektakulär kahlen und einsamen Umgebung spielt.“ […]“

Einen offiziellen deutschen Starttermin gibt es noch nicht, in Belgien und Frankreich wird der Film jedoch Anfang März 2009 im Kino zu sehen sein. Ein zeitnaher Deutschlandtermin ist daher wahrscheinlich.