„The Dark Knight“ (Kinostart: 21. August 2008)

Über kaum einen anderen Hollywoodblockbuster ist dieses Jahr schon so ausführlich berichtet worden wie „The Dark Knight“, Christopher Nolans zweitem Kapitel über den Menschen hinter der Batman-Maske. Essentiell Neues wird diese Rezension daher nicht mehr enthüllen können. Oder um es in einem Satz zusammenzufassen: Alles Positive, was im Vorfeld über diesen Film zu hören war, stimmt. Deshalb möchte ich die Chance nutzen, einmal mehr dem Regisseur ein paar Worte zu widmen.

Der gebürtige Londoner Christopher Nolan, Jahrgang 1970, hat es mit nur sechs Filmen (inklusive „The Dark Knight“) bis an die Spitze Hollywoods geschafft. Glaubt man den Einspielergebnissen vom 11. August, so ist dieses Werk nach „Titanic“ (1998) und „Star Wars“ (1977) der dritterfolgreichste Film in der Geschichte der Filmfabrik. Natürlich ist dies noch kein Qualitätssiegel, als Fan des Regisseurs freut es mich jedoch ungemein.
Denn Tatsache ist, dass sich Nolan auf seinem Weg vom britischen Independentfilmer zum amerikanischen Blockbusterkoch seinen Stil und seinen Anspruch stets bewahrt hat. Angefangen vom - mit Freunden an Wochenenden gedrehten – s/w-Juwel „Following“ (1998, einer meiner persönlichen all-time-favourites), über das rückwärts erzählte „Memento“ (2000, für das er sich während der Aufführungen von „Following“ beim Festivalpublikum das Geld zusammenschnorrte), das sehenswerte Thriller-Remake „Insomnia“ (2002) und nun schließlich die beiden Batman-Filme („Batman Begins“, 2005 & „The Dark Knight“, 2008). Im Jahr 2006 schob er noch fix „The Prestige“ dazwischen, eine schlicht atemberaubend erzählte Geschichte über zwei konkurrierende Magier, die Anfang des 20. Jahrhunderts mit allerlei Tricks und Ehrgeiz um die Gunst des Publikums zaubern. Optisch, inhaltlich und darstellerisch einer der besten Filme, die ich je sehen durfte.

Nolan hat das Talent (und spätestens nach „The Dark Knight“ wohl auch die unbegrenzten Mittel), großes Blockbusterkino mit Anspruch zu kreieren. Verpackt in einen auf den ersten Blick lauten, knalligen und oberflächlichen Unterhaltungsfilm, präsentiert er Geschichten über gebrochene Charaktere, die weder reine Phantasiegestalten noch einfältige Loser sind. Im Verlauf der Handlung(en) treffen sie auf Situationen, die nachvollziehbar, real und glaubwürdig erscheinen und werden in einen Konflikt verwickelt, der oftmals ihre ganze Existenz bedroht. Nolan nutzt dabei die vorhandenen filmischen und tricktechnischen Mittel Hollywoods, allerdings stets nur in begrenztem Maße, sodass das Menschliche, das Echte, der innere Kampf seiner Figuren stets im Vordergrund bleiben. Dies gelingt ihm immer dann am besten, wenn er ein eigenes Drehbuch, verfasst mit der Hilfe seines Bruders Jonathan Nolan, verfilmt. Letzterer zeichnet übrigens auch für das Skript von „Terminator Salvation“ verantwortlich, einem neuen „Terminator“-Prequel das gerade verfilmt wird und - sieh an sieh an - Christian Bale in der Hauptrolle mitbringt.

Doch zurück zu Regisseur Nolan: All die oben genannten Qualitäten fügt er nun in „The Dark Knight“ bis zum Perfektionismus zusammen. Die wenigen Defizite des Vorgängers „Batman Begins“, nämlich die etwas holprige Inszenierung der Action-Sequenzen, sind nun ebenfalls getilgt und Nolan beweist sein eindrucksvolles Können 152 Minuten lang. Keine Minute zu viel, keine Sekunde zu wenig. „The Dark Knight“ gibt von der ersten Szene an Vollgas und fesselt alle Sinne. Ich gehe nicht soweit und nenne dieses Meisterwerk einen „perfekten Film“ (denn den hat Nolan meiner Meinung nach ja schon mit „The Prestige“ abgeliefert), doch gemessen an dem, was Hollywood üblicherweise als „Sommerblockbuster“ verkauft, ist dies ein Fest. Auf intellektueller, visueller und gespielter Ebene.

„Der Sohn von Rambow“ (Kinostart: 21. August 2008)

Wer mir gleich zu Beginn dieser Rezension einen Schreibfehler bei „Rambo(w)“ unterjubeln will, dem sei verraten, dass ich mich selbst zu einem Fan jener Stallone-Ballerfilme zähle, die trotz des noch jungen vierten Teils aus dem Jahr 2008 wohl zu einem DER Markenzeichen der 1980er zählen. Sylvester Stallone als unkaputtbare Killermaschine, die im ersten Teil („First Blood“, 1982) einen Kampf gegen innere Dämonen und überhebliche Polizisten austrägt, im zweiten Teil von 1985 (Drehbuch: Sly & James Cameron!) den Vietnamkrieg nachträglich gewinnt und drei Jahre später Afghanistan gemeinsam mit einheimischen Kameraden (!) von den Russen befreit. „John Rambo“ (2008) zeigte den stummen Kämpfer dann auf einer Rettungsmission in Birma, brutaler und schneller denn je (der Film war - ohne Abspann - gerade mal 76 Minuten lang).

Abgesehen vom ersten Kapitel der Saga, dem sich auch „Der Sohn von Rambow“ widmet, sind die Episoden zwei bis vier sicherlich in erster Linie „Gewaltpornos“, in denen, unter dem Deckmantel einer wirklich großartigen Umsetzung als Actionfilme, zu Unterhaltungszwecken getötet, gefoltert und fragwürdig moralisiert wird. Im Rahmen ihrer Entstehungszeit mag das vor allem bei den ersten beiden Fortsetzungen politisch noch halbwegs legitim gewesen sein, heute bleibt davon nicht mehr als ein lächerlicher Beitrag zum Kalten Krieg zwischen Amerika und der Sowjetunion.
Mit der Verlegung des vierten Teils nach Birma jedoch gelang Autor und Regisseur Stallone ein einmaliger Coup, da es kurz vor der Filmpremiere tatsächlich zu einem Aufbegehren der burmesischen Bevölkerung gegen ihre Despoten kam. Plötzlich hatte die „Rambo“-Serie wieder einen aktuellen weltpolitischen Hintergrund, auch wenn der Film dies inhaltlich natürlich in keinster Weise angemessen thematisieren konnte. Doch auch hier gilt: Als sinnentleerter Actionfilm ist „John Rambo“ eine Wucht.
Sei´s drum, der erste „Rambo“ gilt immer noch als der beste, eine ausgewogene Mischung aus anspruchsvollem Drama und fetziger Action, ergänzt mit durchweg tollen Darstellerleistungen und einem immer noch markerschütterndem Soundtrack des inzwischen verstorbenen Jerry Goldsmith („Chinatown“, „Alien“).

Ähnlich begeistert von Ted Kotcheffs Klassiker ist Lee (Will Poulter), ein Querkopf allererster Güte. Er rebelliert, flucht und hasst es, sich an Vorschriften halten zu müssen, weshalb er ständig aus dem Klassenzimmer fliegt. Die freie Zeit nutzt er, um im Kino „Rambo“ abzufilmen (ja, dies gab es schon in den 80er Jahren, da allerdings noch mit einem sehr unhandlichen, sehr großen Camcorder) und seinem großen Bruder in Sachen Coolness nachzueifern. Der elfjährige Will (Bill Milner) hingegen wächst streng gläubig erzogen in einer Welt auf, in der Filme und Musik verboten sind. Nach einigen Fiesheiten des älteren Lee zu Beginn, werden aus den beiden ungleichen Jungs bald Freunde, die sich, inspiriert durch „Rambo“, daran machen, ihren eigenen Film zu drehen: „Der Sohn von Rambow“, die verfilmte Mission von der Befreiung ihres Helden und fiktiven Papas Rambo.

Glücklicherweise ist es nicht zwingend notwendig, das Original zu kennen um hierbei seinen Spaß zu haben. Wer es dennoch tut, wird sich über einige kleine Zitate freuen, die Garth Jennings (Buch & Regie) hier und da eingeflochten hat. Vornehmlich jedoch ist „Der Sohn von Rambow“ eine herzerwärmende, amüsante Geschichte übers Erwachsenwerden zweier Außenseiter. Indem sie in ihre Traumwelt flüchten, entkommen sie dem oftmals harten und ungerecht wirkenden Alltag ihrer Umgebung und finden in der Freundschaft zueinander neuen Halt.
Ganz großes Lob sei dabei den beiden Helden Will Poulter und Bill Milner ausgesprochen, die beide derart „erwachsen“ und reif spielen, als hätten sie bei Al Pacino und Robert De Niro persönlich Unterricht genossen. Wow!

Fazit: „Der Sohn von Rambow“ ist eine wunderbare britische Komödie mit etlichen verrückten Ideen, sympathischen Charakteren und gleichzeitig eine angemessene Huldigung an einen großartigen Stallone-Film. Supi!

P.S.: Stallone selbst unterstützte das Team bei der Entstehung, konnte aber leider auch nicht verhindern, dass aus dem urheberrechtlich geschützten „Rambo“ nun „Rambow“ wurde.

„Elegy“ (Kinostart: 14. August 2008)

Mir wird oft vorgeworfen, ich hätte Vorurteile. Nun, ob Wahrheit oder nicht, dies kann auch positive Früchte tragen. Beispielsweise bei der Bewertung des Films „Elegy“, der gleich mehrere gute Vorzeichen in petto hat: Regisseurin Isabel Coixet (deren Œuvre solch wunderbare Werke enthält wie „Mein Leben ohne mich“ oder „Das geheime Leben der Worte“), Sir Ben Kingsley in der Hauptrolle, sowie Dennis Hopper als dessen bester Freund.

Fast bin ich versucht zu schreiben, nichts könne bei einer solchen Besetzung schiefgehen. Doch auch ein Ben Kingsley scheint nicht vor Fehltritten gefeit zu sein, wie das demnächst anlaufende Mike-Myers-Vehikel „Der Love Guru“ beweist: Da läuft Kingsley als indischer (!) Guru mit übertriebenem Schielblick und Zottelspitzbart über die Leinwand und pullert vor den Augen eines Dorfes in einen Bottich, dessen Inhalt dann über Mike Myers alias Guru Pitka entleert wird. Warum er sich auf solch ein Niveau begibt, wird mir auf ewig ein Rätsel bleiben.
Nicht anders verhält es sich mit Dennis Hopper. Ikone der ´68er Bewegung (Regisseur und Darsteller von/in „Easy Rider“), Absturz in die Drogenhölle, danach kleine Nebenrollen u.a. in den Klassikern „Apocalypse Now“ und „Blue Velvet“, neuer Höhenflug als Bösewicht in „Speed“. Seither sowohl in wunderbaren Filmen („EdTV“), als auch in absolutem Zelluloid-Müll („Ticker“) stets als Nebenfigur aktiv und nun in „Elegy“ schlicht großartig.

Soviel zur (realen) Vorgeschichte. Im Film selbst dürfen sich David (Kingsley) und George (Hopper) damit brüsten, nie eine Affäre ausgelassen zu haben. Zwar sind beide inzwischen nicht mehr die Jüngsten, Chancen bieten sich dem Professor auf der einen und dem Dichter auf der anderen Seite jedoch immer noch zuhauf. Beide genießen dieses Leben, ihr fast schon pubertärer Austausch in Form von „Männergesprächen“ zeigt dies auf sehr humorvolle Weise.
Als die Studentin Consuela (Penélope Cruz) in seiner Vorlesung erscheint, hat David schließlich eine neues „Opfer“ gefunden. Er zieht fortan alle Register seiner Verführungskünste, lässt den wohlhabenden, witzigen, gebildeten, charmanten David raushängen und hat natürlich auch Erfolg. Doch Consuela ist anders: Zum ersten Mal, so scheint es, ist da eine Studentin, die ihm intellektuell gewachsen ist. Sie gibt sich temperamentvoll, emotional und als eine Frau mit klaren Zielen.
David weiß sofort, dass ihm dieses Mädchen nicht so schnell aus dem Kopf entschwinden wird. Ist sie nicht da, wird er unruhig, verfolgt sie bei ihren Unternehmungen und beäugt jeden Mann, der ihr zu nahe kommt, kritisch. Eifersucht kommt auf, die Bereitschaft, sich Consuela gegenüber zu öffnen, verweigert er hingegen weiterhin. Sie verlässt den alten Mann schließlich, für den sie inzwischen die Liebe seines Lebens geworden ist.

Schenkt man den vielen Rezensionen Glauben, so ist die Romanvorlage zu diesem Film, „Das sterbende Tier“ von Philip Roth, eine Altmännerfantasie, vulgär und wenig zurückhaltend in seiner Schilderung des David´schen Sexuallebens. Dass sich nun ausgerechnet eine Autorenfilmerin dieses Stoffes annimmt, verwundert daher schon ein wenig. Die Spanierin Isabel Coixet macht glücklicherweise keinen - man entschuldige mir diesen Ausdruck -„Frauenfilm“ daraus, der gefühlsduselig, romantisch und mit viel Zucker obendrauf eine Liebesgeschichte erzählt. Nein, es bleibt tatsächlich während der gesamten Laufzeit eine ernste Auseinandersetzung mit den Themen Liebe, Verlangen und Eifersucht, kongenial bebildert und berauschend, fesselnd und absolut glaubhaft dargestellt von Kingsley und Cruz. Es zündelt und knistert, es macht Appetit und erschrickt. Coixet und ihr Drehbuchautor Nicholas Meyer (verfasste ebenfalls das Skript zur gelungenen Roth-Verfilmung „Der menschliche Makel“) reduzieren die Geschichte auf das Essenzielle und ermöglichen es ihren Schauspielern, wirklich jede Facette ihres Verlangens, ihrer Gefühle und ihrer Wut an die Oberfläche zu tragen. Ein Fest für die Augen und für die Sinne.

Nach all der Lobhudelei muss aber auch noch etwas kritisiert werden: Nicht am Film selber, nicht an der Umsetzung und schon gar nicht an den Darstellern. Nein, diesmal trifft es das Synchronstudio, das den sehr verführerischen Akzent von Frau Cruz aus der Originalfassung schlicht ignoriert hat und somit den Charakter einer wichtigen Eigenschaft beraubt. Denn ob gewollt oder nicht, Cruz´ Aussprache birgt eine Erotik in sich, die ihrer Figur besondere Würze gibt.
Aufreger Nummer zwei ist der ärgerlich konzipierte Trailer zum Film, der „Elegy“ als eine Liebeskomödie anpreist und den latent traurigen Unterton des Films verschweigt.
Ergo: Wenn möglich, auch hier die Originalversion der deutschen Fassung vorziehen und darauf gefasst sein, mit „Elegy“ (übersetzt: „Klagelied“) keinen amüsanten, sondern einen melancholischen, zutiefst emotionalen Film zu sehen, der die Macher und Darsteller auf dem Höhepunkt ihres Könnens zeigt.

„Nanny Diaries“ (Kinostart: 14. August 2008)

Erinnere ich mich richtig an meine Vokabeltests im Englischunterricht, so heißt „Nanny Diaries“ übersetzt in etwa so viel wie „Die Tagebücher eines Kindermädchens“. „Na Hauptsache die Dialoge sind nicht englisch, ob der Titel nun deutsch ist oder net, ist doch egal!“, entfleucht es dem einen oder anderen Leser nun vielleicht. Wobei dem lieben Kinobesucher somit wahrscheinlich einer der süßesten Filmdialoge aller Zeiten verloren geht, die jemals auf Zelluloid gebannt wurden. Glücklicherweise ist jedoch eben jene kurze Szene auch im (englischen) Trailer vorhanden:

Nanny zu ihrem Schützling während einer Party: „Why don´t you shake your booty?“ Antwort des Kleinen, der sich in den Schritt greift: „Because I have to make a duty!“

Okay, wer dies nun überhaupt nicht amüsant findet, darf gleich zur nächsten Rezension übergehen. Allen anderen sei diese auf den ersten Blick brave Komödie um eine College-Absolventin (Scarlett Johansson), die aus Geldnot einen Job als Kindermädchen in einer versnobten Familie annimmt, in höchsten Tönen empfohlen. Das Kind (zunächst) ein Giftzwerg, die Mutter (Laura Linney) mit dem Füllen ihres Kleiderschranks beschäftigt und der Papa (Paul Giamatti) bei „Überstunden“ im Büro mit seiner Kollegin gefangen – die Voraussetzungen für einige typische Katastrophen aus dem Lehrbuch für angehende Drehbuchautoren sind also gegeben.

Zur Freude des Betrachters der ganzen Chose aber ist dies alles schmissig, mit Verve und Unbeschwertheit bebildert, dass es ein einziges Schmunzeln ist. Dazu noch eine Handvoll böse Bemerkungen gegen jene Möchtegern-Eltern der Upper East Side in New York, die glauben, dank ausreichender finanzieller Mittel schon genügend für die Erziehung ihrer Sprösslinge getan zu haben. Herrlich!
Natürlich fehlt die Moralkeule am Ende nicht, gibt es einen sehr süßen Nachbarn zum Verlieben und entpuppt sich die am Anfang nervende Teppichratte als liebenswerter Bub. Jedoch ist Laura Linney als Mutter so dermaßen garstig, Scarlett wie immer eine Bank, Soul-Star Alicia Keys als beste Freundin allerschönstes Eye-Candy und die Anspielungen auf das wohl berühmteste Kindermädchen - Mary Poppins - so charmant, dass „Nanny Diaries“ im Rahmen einer Komödie schlicht alles richtig macht. Fabulous!

„Dr. Alemán“ (Kinostart: 14. August 2008)

„Dr. Alemán“ ist eine Abenteuergeschichte, die von der Gier nach Leben und Erfahrung berichtet, von der Lust alles auszuprobieren und weit weg von der persönlichen Sozialisierung jedes Risiko einzugehen. […] Es ist die Geschichte eines globalen und sehr aktuellen Themas: Das zwanghafte Überstülpen der eigenen Regeln auf fremde Gesellschaften.“ (Tom Schreiber, Regisseur)

Es kommt schon mal vor, dass der Anspruch, den Filmemacher mit ihrem Werk verbinden, überhaupt nicht vorhanden ist. Tom Schreiber jedoch möchte ich attestieren, genau das, was er in seinem Vorwort am Anfang dieser Rezension behauptet, auch umgesetzt zu haben.

August Diehl nimmt uns als Medizinstudent Marc mit auf seine Reise nach Kolumbien, wo er sein praktisches Jahr absolvieren will. Es ist heiß, es ist schwül, es ist hektisch als er aus dem Flugzeug in Cali steigt (zweitgrößte Stadt Kolumbiens, besitzt mit Siloé eines der gefährlichsten Slums der Welt) und im Krankenhaus sofort ins „kalte Wasser“ geschmissen wird: Schusswunden, Blut, Operationen. Eine Unterkunft findet er bei einer Gastfamilie, die ihn schon früh vor dem gefährlichen Alltag warnt, der ihn hier erwarten könnte sobald er eine falsche Abzweigung auf dem Weg zum Arbeitsplatz nimmt.
Eher ungewollt geschieht es dann auch, dass Marc an einem Kiosk beim Kaffeekauf von ein paar Jugendlichen angepöbelt wird. Dank der etwas unscheinbar wirkenden Verkäuferin Wanda (Marleyda Soto, eine kolumbianische Theaterschauspielerin) lassen sie jedoch von ihm ab. Fortan treibt es den jungen Romantiker immer häufiger zu seiner hübschen Retterin, während seine Leistungen als Arzt nicht nur von seinen Kollegen, sondern ebenso von Bandenchef El Juez (Victor Villegas, ein Laiendarsteller aus Cali) wohlwollend registriert werden. Das soll nicht ohne Folgen bleiben.

Es ist stets ein schmaler Grad, auf dem westliche Filmemacher wandeln, wenn sie sich im Porträt einer fremden, weniger geordneten Welt ausprobieren. Man neigt dazu, Leid und Chaos hervorzuheben und die dort lebenden Menschen als Opfer einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft darzustellen. Sicherlich nutzt auch „Dr. Alemán“ das Unvorhersehbare für sein Drehbuch, was man einem Film über ein deutsches Dorf nie abnehmen würde. Doch behält Schreiber stets seinen Protagonisten im Auge und konzentriert sich auf dessen Charakterentwicklung inmitten dieses extremen Umfelds. Durch dieses strenge Festhalten an seiner Hauptfigur gelingt es ihm, den Zuschauer diese fremde Welt ebenso wie Marc erst entdecken zu lassen. Man ist beteiligt an seinen Entscheidungen, kann selbst abwägen, weiß ebensowenig wie er, was als nächstes geschehen wird. Von der Nachvollziehbarkeit seiner Handlungen ganz zu schweigen, was gerade am Ende essentiell für das Verständnis des Filmes/des Protagonisten sein soll.

„Dr. Alemán“ ist glücklicherweise kein belehrender, kein „Oh Gott, wie schrecklich ist es dort!“- Film. Vielmehr ist Schreiber in der Tat eine Abenteuergeschichte gelungen, die spannend, glaubhaft und filmisch einwandfrei umgesetzt wurde. Fabuloso!

„Factory Girl“ & „Zurück im Sommer“ (Kinostart: 6./7. August 2008)

Nicht nur aus Zeitgründen an dieser Stelle mal wieder eine „Doppel-Rezension“ zweier Filme, die zwar inhaltlich nichts miteinander zu tun haben, aus meinem persönlichen Möchtegern-Cineastenblick jedoch beide an den selben Hürden scheitern: einem schwachen Drehbuch und zu guten Schauspielern.

Deshalb gleich zu Beginn etwas name dropping: Sienna Miller, Guy Pearce, Hayden Christensen (in „Factory Girl“), Julia Roberts, Willem Dafoe, Ryan Reynolds, Emily Watson, Carrie-Anne Moss (in „Zurück im Sommer“). Liest sich tatsächlich sehr beeindruckend. Viele Egos, viel Können – da braucht es zwei ebenso selbstsichere Regisseure.

Talent haben sie auf jeden Fall, George Hickenlooper (u.a. Regisseur der Dokumentation „Hearts of Darkness“, die den unglaublichen Entstehungsprozess von Coppolas „Apocalypse Now“ schildert) und Dennis Lee (produzierte einige Episoden der Serie „Desperate Housewives“). Beide sind bemüht, stilistisch nicht auf der Stelle zu treten und fangen die Atmosphären, in denen ihre Geschichten geschehen, auch sehr passend ein. Mit etwas Geduld und einem Faible für das Optische hat man somit als Zuschauer durchaus seine Freude, für 90 Minuten genügt dies aber nicht.

„Factory Girl“ porträtiert mit Edie Sedgwick (gespielt von Sienna Miller) das 60er-Jahre-Exemplar von Paris Hilton. Ein Mädchen, das aus einem wohlhabenden Elternhaus stammt, hübsch anzusehen ist (okay, hier möchte ich festhalten, dass ich der Hilton diese Eigenschaft abspreche) und über ein gewisses Talent der Selbstinszenierung verfügt. Als Künstler-Ikone Andy Warhol (ein unglaublich guter Guy Pearce) auf sie aufmerksam wird, beginnt ihr Aufstieg zum Superstar. Sie ist Muse, Freundin und Model für den exzentrischen Warhol, dessen Interesse an Sedgwick bald schon nachlässt. Selbst die Romanze mit einem „Rockstar“ (Hayden Christensen im Bob-Dylan-Look) kann sie schlussendlich nicht davor bewahren, im Teufelskreis von Drogen, Einsamkeit und verblassendem Ruhm unterzugehen.

„Zurück im Sommer“ nimmt sich statt dessen gleich einer ganzen Familie an, die sich zunächst nur zu einem lauschigen Gartenfest zusammenfinden will, aufgrund eines Autounfalls direkt vor dem Haus (uhhh, etwas sehr konstruiert) dann aber zur Beerdigung der Mutter (Julia Roberts) schreitet. Prompt brechen alte Familienkonflikte wieder auf, werden beim Sohnemann (Ryan Reynolds) Erinnerungen an die Demütigungen des Vaters (Willem Dafoe) und lange Abende mit seiner Tante (Emily Watson) wach.

Wie weiter oben bereits erwähnt, versäumen es beide Filmemacher, ihre Figuren durch ein halbwegs unterhaltsames, spannendes Szenario zu führen. So drehen sich die fabelhaft agierenden Schauspieler buchstäblich im Kreis ihrer eigenen Probleme, bleiben Konflikte ungelöst und Motivationen im Dunkeln. Oder wie es die Rocker der Smashing Pumpkins einst in einem Song treffend formulierten: „The end is the beginning is the end“.

„Die Girls von St. Trinian“ (Kinostart: 7. August 2008)

Ein Film über ein Mädchen-Internat? Nun ja, es gibt zweifellos interessantere Themen, die man als Filmemacher beackern kann. Zumal mir sofort deutsche Komödienversuche mit ähnlichem Inhalt ins Gedächtnis kommen, deren Existenz ich lieber ungeschehen machen wöllte.

Aber genug der Vorurteile! Immerhin spielen mit Rupert Everett („Die Hochzeit meines besten Freundes“) und Colin Firth („Mamma Mia!“) gleich zwei gestandene Herren des britischen Kinos mit, was auf ein halbwegs brauchbares inhaltliches Konzept hoffen lässt.

St. Trinian ist wahrlich kein braver Ort: Ordnung gibt es hier keine, Benehmen ebensowenig und von einem straffen Lehrplan haben die verrückten und mitunter sehr durchgeknallten Mädels scheinbar noch nie etwas gehört. Dies mag auch an der schrulligen Direktorin Camilla (Rupert Everett mit wunderbarem Überbiss und Schminke) liegen, die zwar nach Außen stets Contenance wahrt, sich ansonsten aber herzlich wenig um Bürokratie kümmert. Dies hat zur Folge, dass die Schule Besuch von Camillas Ex-Flamme Geoffrey (Firth) bekommt, der als neuer Bürgermeister das verschuldete Internat schließen will.
Das lassen sich die Mädchen natürlich nicht gefallen und starten eine Guerilla-Aktion zum Retten ihrer Schule. Dabei spielt das weltberühmte Gemälde von Vermeer „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ eine nicht unwichtige Rolle…

Moment mal! Vermeer? Perlenohrring? Da war doch was?! Scarlett Johansson spielte eben jenes Mädchen in der fiktiven Verfilmung von Peter Webber im Jahre 2003 – an der Seite von Colin Firth als Vermeer! Ein wunderbarer Seitenhieb, der „Die Girls von St. Trinian“ (warum eigentlich nicht „Die Mädchen von St. Trinian“?) problemlos zu einer Top-Komödie hätte machen können. Doch stimmen – außer in besagter Szene – Packung und Inhalt selten überein. Statt böser Mädchen mit bissigen Kommentaren zum braven Alltag, den sie mit allen Mitteln in ihrer Festung bekämpfen, gibt es lediglich viel Fassade ( = Schminke) und harmlose Witzchen, zugeschnitten auf ein Publikum kleiner als 14. Zwar liefert Everett als Direktorin und deren Bruder Carnaby eine superbe Doppel-Show ab, bleibt dabei aber alleiniger (humoristischer) Höhepunkt. Schlimmer noch: Die Drehbuchautoren freuten sich anscheinend so sehr über ihre gelungene „Perlenohrring“-Parodie, dass sie diesen Witz gleich mehrmals im Film platzieren, bis es wirklich jeder kapiert hat.

Ein wenig enttäuscht und doch amüsiert über einige gute Gags (und dem/der herrlichen Rupert Everett) stelle ich fest: Für einen Filmnachmittag in Begleitung junger Familienmitglieder lohnt „Die Girls von St. Trinian“ allemal, etwas mehr Mut und Bosheit hätten es aber durchaus sein dürfen.

„Küss mich bitte!“ (Kinostart: 7. August 2008)

Nach längerer Abstinenz möchte ich meinen Blog endlich mit Neuem füllen. Den Anfang macht die Romanze „Küss mich bitte!“, was im französischen Original ungleich verführerischer klingt: „Un baiser, s´il vous plâit“.

Regie führte Emmanuel Mouret, der gleichzeitig die Rolle des Nicolas übernahm und eben jenen Bittsteller spielt, der seine beste Freundin Julie (Virginie Ledoyen, „The Beach“) um diesen Gefallen anfleht. Hach, wie aufregend muss das Casting für diese Rolle gewesen sein!

Nicolas und Julie sind jedoch nur ein Paar, dem sich der leichtfüßig inszenierte Film widmet. Denn eigentlich geht es vielmehr um Emilie (Julie Gayet) und Gabriel (Michaël Cohen), beide glücklich in ihren Beziehungen, die sich zufällig begegnen und sofort zueinander hingezogen fühlen. Sie flirten, besuchen eine Bar und landen schließlich im Emilies Hotelzimmer – zum Reden. Emilie erzählt Gabriel eine Geschichte über zwei gute Freunde (Nicolas & Julie) und wie nur ein Kuss beider Leben vollständig verändert hat. Eine Geschichte, die Emilie vor einer weiteren Annäherung an ihre neue Bekanntschaft zögern lässt und Gabriel warnen soll.

Um nicht zu viel zu verraten, soll diese kurze Inhaltsangabe an dieser Stelle reichen. Doch eines sei noch erwähnt: „Küss mich bitte!“ ist vielleicht nicht das kreativste französische Kinoprodukt 2008, romantisch, amüsant und unterhaltsam ist der Film jedoch allemal. Daran haben sowohl die durchweg sympathischen Figuren, als auch der immer wieder durchschimmernde - manchmal naive, manchmal ernste - Umgang mit der Bedeutung des Wortes „Liebe“ einen gewichtigen Anteil. Fabuleux!