Heimkino-Tipp: „Lamb“ (2021)

Familienbande

In scheinbar völliger Einsamkeit bewirtschaftet das Paar Maria (Noomi Rapace) und Ingvar (Hilmir Snær Guðnason) einen Bauernhof in der majestätisch-schönen isländischen Berglandschaft. Die Arbeit mit ihren Schafen und auf den Feldern ist ebenso wie ihr Miteinander von Routine geprägt, ihre Gespräche dabei ebenso karg wie die Natur, die ihre Gesichter bereits gezeichnet hat.

Mit dem stillen Alltag ist’s vorbei, als eines ihrer Schafe ein besonderes Kalb gebiert. Etwas ist anders mit dem Tier, das Maria sogleich in ihre Arme schließt und in eine Wolldecke gepackt mit ins Haus nimmt. Auch für Ingvar scheint es selbstverständlich, das Neugeborene – welches für die Zuschauer lange nicht sichtbar wird – fortan in Schlafzimmer, Küche und Wohnzimmer um sich zu haben und wie ein Menschenkind zu behandeln. Eine perfekte kleine Familie? Nicht, solange noch das Muttertier vor einem der Hausfenster täglich und unüberhörbar flehend nach seinem Nachwuchs blökt. Und nur so lange, bis Ingvars Bruder Pétur (Björn Hlynur Haraldsson) unangekündigt auf dem Gut auftaucht und sich für mehrere Wochen einnistet.

„Lamb“ ist einer jener Filme, die mit wenig hörbaren Dialogen, langen Kameraeinstellungen und einer bedächtigen Erzählweise viel Raum und Zeit für Interpretationen beim Publikum lassen. Ähnlich einer märchenhaften Fabel, mit Bildern und Konturen, die der Nebel regelrecht verschluckt, entspinnt sich eine faszinierende Geschichte über Eltern(un)glück, Egoismus und die Rolle des Menschen, der sich die Natur und seinen Lebensraum Untertan gemacht hat – was niemals folgenlos bleiben kann.

Regisseur Valdimar Jóhannsson verbindet in seinem Werk religiöse Motive (siehe Namen und zeitliche Umstände der Geschichte, die an Heiligabend beginnt) mit isländischer Folklore, was auch an der Drehbuch-Beteiligung des Dichters Sjón deutlich wird. Der gebürtige Isländer arbeitete u.a. bereits mit Björk und Lars von Trier zusammen und war zusammen mit beiden für einen Song aus dem Film „Dancer in the Dark“ 2001 für einen Oscar nominiert. Ein künstlerisches Schwergewicht sozusagen, was die nicht ganz einfache Zugänglichkeit von „Lamb“ ein wenig erklären mag.

Persönlich habe ich stets sehr viel Freude an solcherlei Filmen, die interessante Prämissen präsentieren und viel Platz für eigene Deutungen lassen. Ein Film wie ein Buch, das bei jedem Lesen eine andere Wirkung entfaltet und neue Interpretationsmöglichkeiten anbietet. Zusammen mit dem erhabenen Setting inmitten der isländischen Natur, der stets beobachtenden jedoch nie wertenden Kameraführung sowie den tollen Darstellerleistungen ist dadurch wahrlich etwas Beeindruckendes entstanden.

Die DVD/Blu-ray/4K UHD bietet den Film in isländischer Original- und deutsch synchronisierter Sprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional verfügbar. Als Extras gibt es ein Interview und zwei Kurzfilme des Regisseurs, Behind-the-Scenes-Clips, ein Making of zu den Special Effects, gelöschte Szenen, Bildergalerien, Teaser und Trailer. „Lamb“ erscheint bei Koch Films als Einzel-DVD, Einzel-Blu-ray und in zwei verschiedenen Mediabook-Varianten (inkl. 4K UHD-Disc) und ist seit 28. April 2022 (digital bereits ab 14. April) erhältlich (Packshots + stills: © Koch Films).