„Insidious“ (Kinostart: 21. Juli 2011)

Lust, sich im Kino mal wieder richtig schön zu gruseln? Die Sitzlehne zu zerkratzen, nach Luft zu schnappen, die Augen hinter den Händen zu verstecken? Dann sind 100 Minuten „Insidious“ genau das Richtige. Gleich vorweg: Bei dem neuen Film des Duos James Wan (Regie) und Leigh Whannell (Drehbuch) handelt es sich nicht um einen Vertreter des inzwischen kaum mehr zu ertragenden Gewalt-Horror-Genres, bei dem es den Machern darum geht, das Publikum mittels brutaler Folterszenen „zu unterhalten“. Das ist insofern verwunderlich, da Wan/Whannell im Jahr 2004 mit „Saw“ den erfolgreichsten Vertreter dieser Werke erdachten.

Doch das ist Vergangenheit. „Insidious“ zeigt zwei Filmemacher auf dem Zenit ihres Könnens, sowohl inszenatorisch als auch inhaltlich. Das beginnt bereits mit der Titelsequenz: Untermalt von disharmonierenden Orchesterklängen erschaffen sie vom ersten Moment an eine Atmosphäre, die an die großen Gruselklassiker der Vergangenheit erinnert. Was folgt, ist die Geschichte der Familie Lambert (Patrick Wilson, Rose Byrne), die mit ihren drei Kindern in ein prächtiges Vorstadthaus ziehen. Für den Lehrer und seine Musikergattin die Erfüllung eines lang gehegten Traumes. Während seiner Erkundungstouren auf dem Dachboden stürzt Sohn Dalton eines Tages und fällt ins Koma. Die Ratlosigkeit der Ärzte und seltsame Vorkommnisse im Haus führen dazu, dass die Lamberts schließlich noch einmal umziehen. Doch auch in der neuen Umgebung kommt es schnell zu neuen Schreckmomenten.

„Insidious“ ist der lang erhoffte Gegenentwurf für all jene, denen „Saw“ & Co. zu viel Brutalität und zu wenig Substanz boten. Es ist die Rückbesinnung auf künstlerischen Anspruch, geerdete Charaktere und eine Optik, die mit ruhigen, aber streng komponierten Bildern Angstschweiß hervorruft. Ganz große Filmkunst, die erahnen lässt, welches Potenzial in den beiden Machern schlummert.

Hoffentlich bleiben sie der Leinwand noch lange erhalten. Alles andere wäre der blanke Horror.

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 20. Juli 2011.

... im Nachgang: „Source Code“ (Kinostart: 02.06.2011)

Lust auf einen Trip zurück in die Vergangenheit? Im Juni 2011 startete der Science-Fiction-Thriller „Source Code“ in den deutschen Kinos. Eine Pro/Contra-Rezension dazu findet sich HIER.

Heimkino-Tipp: „Jack in Love“ (2010)


Als Chauffeur zu arbeiten heißt zurückhaltend, höflich und vor allem aufmerksam zu sein. Nicht nur gegenüber dem Verkehr sondern auch gegenüber seinen Kunden. Gemessen an diesen Qualitäten ist Jack (Philip Seymour Hoffman) der perfekte Mann für diesen Job. Das zeigt sich auch in seinem Äußeren: Unauffällig, aber doch ansehnlich gekleidet, stets mit einem Lächeln auf den Lippen und sympathisch kommt er daher, um seine Passagiere zufriedenzustellen.

Für ihn selbst ist es Reggae-Musik, die glücklich macht: „Rivers of Babylon“ von den Melodians ist sein Gute-Laune-Song, passend dazu versteckt er sogar ein paar Dreadlocks unter seiner Mütze. Nur das mit der Liebe hat bisher noch nicht so ganz funktioniert. Aber dank seines besten Freundes Clyde (John Ortiz) und dessen Frau Lucy (Daphne Rubin-Vega) könnte sich das bald ändern. Denn die beiden möchten Jack mit Lucys neuer Kollegin Connie (Amy Ryan) bekanntmachen. Auch so ein verhuschtes Exemplar – liebenswert, ein wenig eigen und ebenso auf der Suche nach etwas Geborgenheit.

Schon das erste gemeinsame Abendessen zu viert fühlt sich gut an. Jack und Connie verabreden sich sogar auf eine Fortsetzung, zum Bootfahren soll’s gehen im New Yorker Central Park, irgendwann im Sommer. Zum Glück ist der noch ein Stück entfernt, denn Jack kann (noch) nicht schwimmen. Aber auch da kann der beste Freund helfen. Und einen Kochkurs spendiert er Jack gleich noch dazu. Was soll da noch schiefgehen?

So einiges, doch spielt sich das bei „Jack in Love“ eher im Verborgenen, ganz nebenbei, ohne großes Tamtam ab. Ganz unaufgeregt und gerade dadurch menschlich und glaubhaft wurschteln sich die vier Charaktere durch ihren Alltag (und ihre Dates), erleben Rückschläge, Momente des Glücks und Zusammenbrüche. Das berührt, amüsiert und bewegt zutiefst.

„Jack in Love“ ist das filmische Regie-Debüt von Hauptdarsteller Philip Seymour Hoffman. Für die Theaterbühnen hat er das Stück bereits mehrere Male inszeniert, spielte dort ebenfalls an der Seite von Ortiz und Rubin-Vega und verzauberte Kritiker und Publikum. Der Leinwand-Adaption ist das Bühnenhafte hier und da noch anzusehen, ein Manko ist das jedoch keinesfalls. Vielmehr lässt Hoffman sich und seinen Kollegen dank des zurückhaltenden Einsatzes filmischer Mittel Raum und Zeit, auch kleinste Nuancen im Spiel zeigen zu können – eben im Verborgenen, ganz nebenbei, ohne großes Tamtam.

Diese Independent-Perle entpuppt sich schlussendlich als mutiger Gegenentwurf zur ‚klassischen‘ Hollywood-Liebeskomödie, in der Zuckerguss, neckische Frotzeleien zwischen den Geschlechtern und Bombast-Balladen als musikalische Untermalung zum Standard gehören. Stattdessen gibt es (echte) Menschen Anfang 40, zärtliche Wangenküsse im Schnee und ein aufmunterndes „Rivers of Babylon“ – kein schlechter Tausch, wie ich finde.

Technische Daten: Die DVD/BluRay bietet die deutsche und englische (Original-)Sprachfassung, sowie deutsche Untertitel. Als Extras gibt es einige Interviews mit den Darstellern sowie den Filmtrailer.

„Jack in Love“ (FSK 12) erscheint am 8. Juli bei Alamode Film/AL!VE AG.

Heimkino-Tipp: „Brothers“ (2009)


Sichtet man nach dem Einlegen der DVD/BluRay zunächst die Kurzdokumentation „Remade in the USA: Aus 'Brødre' wird 'Brothers'“, so wäre es danach eigentlich nur konsequent, statt dieses Films das dänische Original von Susanne Bier von 2004 anzuschauen. Keiner der zu Wort kommenden Crewmitglieder (u.a. Regisseur, Autor, Produzent, Darsteller) lässt es sich nehmen, das – zumindest in Europa sehr erfolgreiche – Werk der Oscar-Preisträgerin aus Skandinavien über den Klee zu loben. Selbstverständlich ist das in allen Maßen gerechtfertigt und fair. Doch andererseits wirft diese Lobhudelei wieder die Frage auf, warum Hollywood dann überhaupt ein solches Remake konzipiert und dreht. Eine Rechtfertigung liefern die Filmemacher gleich selbst: Sie wollten den Stoff „amerikanisieren“ und somit einem breiteren Publikum zugänglich machen. Gewöhnlich lassen solche Aussagen zusammenzucken. Im Fall von „Brothers“ ist diese Furcht überraschenderweise unbegründet.

Das inhaltliche Grundgerüst blieb unverändert. Sam (Tobey Maguire) ist Berufsoffizier bei den US-Marines und in Afghanistan stationiert. Nach einem längeren Urlaub im Kreise seiner beiden Töchter und seiner Frau Grace (Natalie Portman) muss er nun wieder zurück an die Front – und fällt einem Anschlag zum Opfer. Von Trauer und Einsamkeit erdrückt, finden daraufhin Grace und Sams Bruder Tommy (Jake Gyllenhaal) Halt beieinander. Zunächst mit kleinen Gesten und Gesprächen, bald darauf auch mit einem Kuss. Was sie zu dem Zeitpunkt noch nicht wissen: Sam ist am Leben und nach langer Gefangenschaft nun auf dem Weg nach Hause. Die anfängliche Freude bei Grace und ihren Kindern über dessen Rückkehr weicht bald der Erkenntnis, dass Sam ein anderer Mensch geworden ist – verschlossen, gereizt und von Eifersucht zerfressen. Hat seine Frau ein Verhältnis mit Tommy? Lieben ihn seine Kinder nicht mehr? Wie soll er das Erlebte je verarbeiten?

Regisseur Jim Sheridan („Mein linker Fuß“, 1989) verlegte die Geschichte in eine amerikanische Kleinstadt und konzentrierte sich nach eigenen Aussagen ein wenig mehr auf das (Miss-)Verhältnis zwischen den Kindern und Sam als es im Original-„Brothers“ der Fall war; „um die Entfremdung der Mädchen zu ihrem traumatisierten Vater glaubhafter zu gestalten“, wie er selbst sagt. Wie gut ihm das gelungen ist, beweisen er und seine fabelhaften Darsteller vor allem im letzten Drittel des Films, wenn die harte Schale des introvertierten Sam immer weiter zu bröckeln beginnt und seine Zurückhaltung blanker Wut, Verzweiflung und (latent drohender) Gewalt weicht. Wirkt Schauspieler Maguire zu Beginn mit seinem bartlosen, kindlichen Äußeren zunächst ein wenig deplatziert zwischen seinen nuanciert auftretenden Kollegen, so verblüfft er später mit seiner Wandlung zum gebrochenen Ehegatten, Vater und Bruder.

Freilich dient das Familienschicksal Sheridan und seinem Autor David Benioff („25 Stunden“, „Stay“) auch als Statement zum Zustand Amerikas in Zeiten eines Krieges. Eindrucksvoll sezieren sie den Zerfall einer Familie durch den Krieg – nicht auf dem Schlachtfeld, sondern in der heimischen Küche. Insofern ist es nur gerechtfertigt, dass „Brothers“ nun noch einmal für ein amerikanisches Publikum ‚aufbereitet‘ wurde, dabei die Kenner des Vorbilds jedoch keinesfalls ausschließt – dem intensiven Spiel der Darsteller sei dank.

Was „Brothers“ schlussendlich daran hindert, etwas Einzigartiges zu sein, ist schlichtweg seine Entstehungszeit: Schon „Grace is Gone“ (Regie: James C. Strouse, 2007) und „The Messenger“ (Regie: Oren Moverman, 2009) arbeiteten sich an der Gefühlswelt von Hinterbliebenen ab, die ihre Partner, Eltern, Freunde überraschend verloren haben – sei es durch Tod oder Entfremdung. Und selbst Susanne Bier, welch Ironie, widmete sich in „Things we lost in the fire“ (2007) abermals einer Frau, die mit Hilfe des besten Freundes ihres erschossenen Mannes einen Weg zurück ins Leben findet. Da sie diesen Film in Hollywood produzierte, bleibt ihr eine Neuverfilmung diesmal vielleicht erspart.

Die DVD/BluRay „Brothers“ (FSK 12) erschien am 24. Juni 2011 bei Koch Media.