Heimkino-Tipp: „Gelobt sei Gott“ (2018)

Im Namen des Herrn

Es gibt gegenwärtig nicht viele Regisseure, die quantitativ mit François Ozon mithalten können. Beinahe jedes Jahr gibt es einen neuen Film des Franzosen, oftmals mit provokantem Inhalt („Swimming Pool“, „Ricky – Wunder geschehen“, „Jung & Schön“) und von der Kritik hoch gelobt („8 Frauen“, „Frantz“). Ein Profi seines Metiers, der thematisch keinerlei Scheu kennt und mit beruhigender Regelmäßigkeit qualitativ hochwertiges Kino kreiert.

Dies scheint auch auf seinen aktuellen Film, „Gelobt sei Gott“ zuzutreffen, hat das Drama doch u.a. den Silbernen Bären bei der letztjährigen Berlinale gewonnen. Die Thematik: aktuell. Die Darsteller: hervorragend. Die Umsetzung: nun ja. Doch der Reihe nach.

Wie in einem Interview geschildert, das im Presseheft zum Film zu finden ist, stieß Ozon auf der Suche nach einer Drehbuchidee auf die Website La Parole Liberée (dt.: Das gebrochene Schweigen), auf der sich Opfer sexuellen Missbrauchs zusammengefunden haben. Konkreter: Menschen, die als Kinder von Würdenträgern der katholischen Kirche misshandelt wurden. Die Idee eines Theaterstücks verwarf Ozon dann ebenso schnell wie die, eine Dokumentation darüber zu machen. Er traf sich mit mehreren Betroffenen und entschied daraufhin, ihre Geschichte(n) und ihren Kampf um Bestrafung der Verantwortlichen als Spielfilm auf die Leinwand zu bringen.

Ozon wählte einen schwierigen Ansatz: Er fokussiert drei Charaktere und widmet sich nacheinander ihren Geschichten. Alle drei haben das Erlebte mehr oder minder gut verarbeitet, leben in unterschiedlichen Milieus und verbinden mit ihrem Vorgehen jeweils subjektive Hoffnungen. Dies alles zu bündeln und in einen sehenswerten Film zu packen, ist zweifellos eine Herausforderung. Ozons „Gelobt sei Gott“ hat diese nur teilweise bewältigt.

Dabei beginnt sein 137-Minuten-Werk mit einem (optischen) Paukenschlag: Die Eröffnungssequenz zeigt einen Kardinal über den Rücken gefilmt, wie er von einem Balkon aus die unter ihm liegende Stadt Lyon segnet, während bedrückende Musik im Zusammenspiel mit den Farben des Himmels eine unheimliche Atmosphäre schafft. Es bleibt der einzige Moment, in dem die Inszenierung im Vordergrund steht. Fortan begleitet Ozon seine Protagonisten nüchtern und distanziert bei ihren Versuchen, jenen Priester, der sie einst misshandelte, aus Amt und Funktionen zu entfernen.

Da wäre zunächst der wohlhabende, sehr gläubige Alexandre (Melvil Poupaud), der den offiziellen Weg beschreitet, sich mit Briefen an den Kardinal wendet und um eine Ablösung von Priester Preynat (Bernard Verley) bittet. Der zweite Teil des Films gehört François (Denis Ménochet), einem von Wut getriebenen Energiebündel, der bereits an die Öffentlichkeit geht als die Ermittlungen noch laufen. Im letzten Drittel steht schließlich Emmanuel (Swann Arlaud) im Mittelpunkt, dessen Leben aufgrund der Ereignisse in seiner Jugend aus den Fugen geraten ist und der auch sichtbare körperliche Schäden davongetragen hat.

Eine Unmenge an Briefen, Gesprächen und E-Mails bildeten die Grundlage für den Film, der je nach Figur stilistische Unterschiede aufweist. Das spiegelt die verschiedenen Charaktere treffend wieder, will aber an manchen Stellen nie so recht zusammenpassen. Dies wird vor allem zum Ende hin offensichtlich, da sich Ozon bezüglich Emmanuel mehr als bei den anderen beiden Männern auch auf dessen soziales Umfeld konzentriert. Meinungsverschiedenheiten und Konflikte mit der Partnerin gewinnen plötzlich an Gewicht, während Alexandre und François solche Kämpfe zumindest mit ihren Frauen nicht austragen müssen. Eine der letzten Szenen spricht zudem die psychische Belastung an, die der langjährige Kampf um Gerechtigkeit auf die Familien hat. Hier wird viel Potenzial verschenkt, sicherlich auch aus Zeitgründen. Denn nach zwei Stunden Fakten-Dauerfeuer, in denen Ozon von Szene zu Szene hetzt und seinem Publikum keine Verschnaufpause zum Reflektieren gönnt, geht dieser Aspekt leider vollkommen unter.

In einem der Sets ist im Hintergrund das Plakat zum Oscar-prämierten „Spotlight“ zu sehen, der sich der Enthüllung eines Missbrauchsskandals durch Kirchenvertreter in Amerika widmet. Ebenso wie „Gelobt sei Gott“ ist dies zweifellos ein wichtiger Film, der Licht auf das merkwürdige Gebaren der Kirche wirft, die nur zögerlich Missstände in eigenen Reihen aufzuklären bereit ist. Die Filme wollen den Opfern ein Denkmal setzen, indem sie ihren zähen(!) Kampf nacherzählen. Und doch muss – bei allem Respekt für die Betroffenen – auch bezüglich „Spotlight“ die Frage erlaubt sein, ob eine (Kino-)Dokumentation nicht doch die geeignetere Form gewesen wäre, um diese zwar beachtenswerten, cineastisch jedoch wenig dankbaren Geschichten zu erzählen.

Die DVD enthält den Film in französischer Original- und deutsch synchronisierter Sprachfassung mit optionalen deutschen Untertiteln. Als Bonus gibt es Interviews, gelöschte Szenen, Clips von Kostüm- und Orchesterproben sowie Trailer. „Gelobt sei Gott“ erscheint bei Pandora Film und ist seit 25. März 2020 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Pandora Film)

Heimkino-Tipp: „Pferde stehlen“ (2019)

Narben

Was zeichnet einen guten Schriftsteller aus? Laut meiner einstigen Deutschfach-Lehrerin u.a. die Fähigkeit, Umgebungen, Dinge und Stimmungen punktgenau beschreiben zu können und die Leserschaft nur mittels Worten in eine scheinbar reale, fühlbare Welt zu entführen. Ein Filmemacher hat es da schon leichter: Er muss Beschreibungen aus dem Drehbuch lediglich in Bilder verwandeln und kann sich dabei zudem noch der Musik und dem Aussehen seiner Darsteller als zusätzliche Hilfsmittel bedienen. Und trotzdem scheitern viele Regisseure immer wieder an Roman-Adaptionen, vielleicht auch weil sie sich zu sehr auf das Optische verlassen, während die Zwischentöne, das Ungesagte, vernachlässigt werden/wird.

Wie es richtig geht, zeigt der Norweger Hans Petter Moland („Einer nach dem anderen“) mit seiner Verfilmung von Per Pettersons „Pferde stehlen“. Hier stehen sich Erzählung und Atmosphäre gleichberechtigt gegenüber, werden Gedanken zu Bildern, wird das Innenleben der Figuren auch ohne Dialoge fühlbar. Kurz: eine meisterhaft umgesetzte Bearbeitung einer literarischen Vorlage.

Der ältere Trond (wie immer großartig: Stellan Skarsgård) lebt allein und zurückgezogen in einem abgelegenen Haus in Norwegen. Ein Begegnung mit seinem Nachbarn weckt längst verdrängte Erinnerungen: Lars (eine Wucht: Bjørn Floberg) ist der Bruder von Tronds Jugendfreund, der einst nach einem tragischen Familienereignis verschwand. In jenem Sommer war Trond 15, verbrachte die Ferien mit seinem Vater (Tobias Santelmann) auf dem Land und erlebte in diesen Monaten Vieles, was ihn jetzt, nach etlichen Jahren, immer noch beschäftigt und nicht ruhen lässt.

Wie sehr prägen Eltern ihren Nachwuchs? Welche Ereignisse der Kindheit haben Folgen für das weitere Leben eines Menschen? Und wie unterschiedlich kann man mit einschneidenden Erlebnissen umgehen? „Pferde stehlen“ widmet sich diesen und anderen Fragen auf überaus sensible Art und Weise. Fernab von Kitsch schält Regisseur Moland seine Charaktere nach und nach aus ihren Schutzpanzern und legt dabei nur scheinbar verheilte Wunden offen. Beeindruckend dabei das Setting: Schnee und Kälte im Alltag des alten Trond stehen warme Sommerregen und blühende Felder seines jüngeren Ichs gegenüber. Das ‚Auftauen‘ des Alten, optisch wunderbar eingefangen.

Was der Film ebenso thematisiert sind Rollenbilder und Erwartungen, die aus heutiger Sicht überholt wirken, auf dem Land kurz nach Kriegsende allerdings noch omnipräsent schienen. So ist der jugendliche Trond der einzige, der seinen Vater auf dem Land besuchen darf, während seine Schwester bei der Mutter in Oslo bleiben muss. Dass diese (fast) reine Männerwelt auch eine Konkurrenzsituation schafft, wird dem Teenager im Laufe der Tage schmerzhaft bewusst.

Regisseur Moland hat mit „Pferde stehlen“ einen bewegenden Film mit Sogwirkung erschaffen und all das umgesetzt, was ihm ein guter Schriftsteller mit Worten als Blaupause vorgelegt hat: Umgebungen, Dinge und Stimmungen punktgenau zu beschreiben und in eine scheinbar reale, fühlbare Welt zu verwandeln. Ein magisch-schönes Werk.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und norwegisch/schwedischer Originalsprachfassung sowie optionale deutsche Untertitel. Als Bonusmaterial gibt es Trailer. „Pferde stehlen“ erscheint bei MFA+ Film im Vertrieb von Al!ve und ist seit 27. März 2020 auch digital erhältlich. (Packshot/stills: © MFA+ FilmDistribution e.K./4 1/2 Fiksjon As, Zentropa Entertainments5, Zentropa Sweden, Nordisk Film, Helgeland Film)

Heimkino-Tipp: „Parasite“ (2019)

Borgmans Erben

2014 entsandten die Niederlande eine bitterböse Satire namens „Borgman“ (Rezi HIER) ins Rennen um den „Auslands-Oscar“. Der Thriller handelt von einem ominösen Mann, der sich als Gärtner ins Leben einer wohlhabenden Familie einschleicht, um sie in den folgenden Wochen sukzessive in ihre Einzelteile zu zerlegen. Hilfe erhält er dabei von Gleichgesinnten, die er heimlich in das Anwesen einschleust und die ihm in ihrer Skrupellosigkeit in nichts nachstehen. Alex van Warmerdams fieses Werk ging damals bei den Academy Awards leider leer aus – sicherlich auch aufgrund seiner offenen zur Schau gestellten Brutalität und der nur schwer zu ertragenden Emotionslosigkeit der Eindringlinge. Sechs Jahre später gibt es mit „Parasite“ einen Film mit ähnlicher Prämisse – und ein sagenhaftes Happy End: Vier Oscars gewinnt die Tragikomödie von Bong Joon-ho, u.a. in den Kategorien „Bester Film“ und „Bestes Drehbuch“ sowie den Hauptpreis in Cannes, die Goldene Palme.

Ungerecht? Messen mit zweierlei Maß? Nein. Streitbar und diskutabel? Das schon eher. Denn ganz so kreativ und außergewöhnlich, wie viele es vielleicht denken, ist die Idee hinter „Parasite“ nicht. Allerdings ist der (neuere) südkoreanische Film sehr viel zugänglicher und lebensnaher erzählt als der düstere „Borgman“, bei dem das Schmunzeln über den falschen Gärtner schon bald in blankes Entsetzen umschlägt. Bong Joon-ho hingegen wählt einen anderen Weg – und macht von vornherein klar, wem er die Sympathien seines Publikums wünscht: der armen, aber cleveren Familie Kim.

Als der Sohnemann dank eines Freundes unverhofft zum Nachhilfelehrer bei den reichen Parks wird, sieht er sogleich die Möglichkeiten, die sich ihm und seinen Liebsten eröffnen. So überredet er die unwissende Frau Park zur Anstellung seiner Schwester als Betreuerin für ihren hyperaktiven Sohn, Papa Kim bekommt einen Job als neuer Chauffeur des Gatten und Mama Kim wird die neue Haushälterin, nachdem sie die Vorgänger mit kleinen Tricks von ihren Stellen ‚entfernt‘ haben. So weit, so „Borgman“. Allerdings ist „Parasite“ zu diesem Zeitpunkt erst ca. 50 Minuten alt – und hält demzufolge noch etliche Überraschungen bereit, die alle Beteiligten mehr oder minder heftig zu spüren bekommen.

Schon in „Snowpiercer“ (2013, Rezi HIER) versuchte sich Regisseur Bong Joon-ho an einer Gesellschaftskritik, die aber trotz guter Vorzeichen und einer Vielzahl an Stars (Achtung: Wortspiel!) nie richtig Fahrt aufnahm und vor allem sehr zweifelhaft endete. „Parasite“ ist in diesem Aspekt präziser und verpackt seine Anklage an herrschende Zustände in humorvolle Szenen mit einer zwar mittellosen, aber frech-intelligent agierenden Sippe, der man nicht böse sein kann. Erfreulich ebenso, dass die Parks hier keine eindimensionalen Abziehbilder wohlhabender Schnösel sind, die auf andere herabschauen. Vielmehr äußert sich ihre Überheblichkeit in unbewusst(?) geäußerten Bemerkungen und Andeutungen, die besonders Papa Kim im Gedächtnis bleiben. Bong Joon-ho vermeidet es, beide Seiten gegeneinander aufzuhetzen bzw. sie moralisch zu bewerten. Dies überlässt er vielmehr seinen Zuschauern. Wohl auch deshalb, da mit zunehmender Laufzeit immer deutlicher wird, dass die Bezeichnung ‚Parasit‘ nicht nur auf eine der beiden Familien zutrifft. Wer profitiert von wem? Wer nutzt den anderen mehr aus?

Dass „Parasite“ ein südkoreanischer Film ist, bleibt bezüglich seiner Umsetzung im Verborgenen. Will heißen: Sämtliche Ecken und Kanten, die beispielweise noch in Bong Joon-hos unterhaltsamen Monsterfilm „The Host“ (2006) zu erkennen waren, sind inzwischen einer schönen, wenngleich weniger individuellen Bildsprache gewichen, die sich in keinster Weise von gängigen Hollywood-Produktionen mehr unterscheidet. Anbiederung an westliche Sehgewohnheiten und Präferenzen der stimmberechtigten Academy-Mitglieder? Oder schlicht weiteres Stilmittel eines cleveren Regisseurs, in dessen Film sich koreanische Charaktere selbst amerikanisch klingende Namen geben und sämtliche Sachen via Internet aus den USA bestellen? Fast könnte man meinen, Bong Joon-ho hole hier zu einem Rundumschlag aus, bei dem die südkoreanische Gesellschaft ersatzweise für all das steht, was der Kapitalismus mit sich bringt: Wohlstand und Armut, Überfluss und Ausbeutung, falsche Versprechen und Egoismus. Ausgerechnet damit den Prestige-Preis der US-Filmwirtschaft zu kapern, ist an Ironie nicht zu überbieten.

Gesellschaftliche Missstände mit Witz und ohne erhobenen Zeigefinger, also quasi mit einem Lächeln im Gesicht anzuprangern, ist ein Stilmittel, das sich nicht nur im Kino bereits viele Male bewährt hat. „Parasite“ gelingt dies trefflich, wenngleich auch die weniger humorvolle Variation à la „Borgman“ sehenswert ist.

P.S.: Aktuell ist der Film noch einmal als eine Schwarz-weiß-Fassung im Kino zu sehen. Dazu Regisseur Bong Joon-ho: „I'm sure everyone will have a different opinion about this version. Personally, I think all the characters look even more poignant, and that the distinctions between the three different spaces where the families live, with all the shades of grey, are even more tragic.“ Diese Fassung wird voraussichtlich nicht fürs Heimkino erhältlich sein.

Die DVD/Blu-ray/4K UHD bietet den Film in koreanischer original und deutsch synchronisierter Sprachfassung. Untertitel sind ebenso vorhanden. Als Extras gibt es Trailer. Es erscheinen ebenso diverse Sondereditionen (zwei verschiedene Mediabooks, eine sogenannte Ultimate Edition) mit weiteren Bonusinhalten. „Parasite“ erscheint bei Koch Films und ist seit 5. März 2020 erhältlich (Packshots + stills: © Koch Films)