Heimkino-Tipp: „Saw: Spiral“ (2021)

Game Over.

Die „Saw“-Filmreihe als künstlerisch wertvoll zu bezeichnen wäre – bei aller Hochachtung vor jeder Person, die an deren Entstehung beteiligt ist, egal ob vor oder hinter der Kamera – ein wenig zu viel des Guten. Die Horrorstreifen mit einer Vorliebe für die explizite Darstellung von Opferleiden mittels fieser Tötungsvor-richtungen sind vielmehr ein, nun ja, ‚guilty pleasure‘, so zynisch dies auch klingen mag. Von 2004 bis 2010 gab es jährlich einen neuen Teil, 2017 mit „Jigsaw“ (Rezi HIER) dann den Versuch einer – Achtung: Wortwitz! – Wiederbelebung der Reihe, der jedoch hinter den Erwartungen zurückblieb.

Auftritt Chris Rock, Schauspieler mit Hauptfach Komödie. Er outete sich als Fan der Reihe und überzeugte die Produzenten von einer Storyidee, die dem Franchise den erhofften erfolgreichen Neustart bescheren sollte. Das Ergebnis dieses Brainstormings ist „Saw: Spiral“, der offiziell nicht zum eigentlichen Kanon zählen soll, sich jedoch stark daran orientiert.

Detective Banks (Rock) hat nicht viele Freunde unter seinen Kollegen. Vor Jahren hatte er einen korrupten Cop angezeigt, was ihm seither böse Blicke und häufige Provokationen anderer Polizisten auf dem Revier beschert. Da Banks aber auch ‚kein Tag am Strand‘ ist und gerne risikoreiche Alleingänge wagt, bekommt er mit Detective Schenk (Max Minghella) einen neuen Partner zugeteilt. Ihr erster Fall: Der Tod eines Gesetzeshüters, von dessen Körper nur noch einzelne Fetzen übrig sind. Mysteriöse Nachrichten, die Banks fortan erhält, sowie weitere brutale Morde an Kollegen bestärken das Ermittler-Duo in ihrem Verdacht, dass ein Serientäter sein Unwesen treibt, der sich am blutigen Handwerk des inzwischen verstorbenen, legendären Jigsaw-Killers John Kramer orientiert.

An dieser Stelle nun ein frei erfundener Dialog, wie er sich möglicherweise zwischen Chris Rock und einem der „Saw“-Produzenten zugetragen hat, als Ersterer seine Vision von „Spiral“ präsentierte:

Rock: „Sagt mal, was haltet ihr von einem düsteren Cop-Thriller à la „Sieben“, der nicht nur kreative Morde zeigt, sondern ebenso aktuelle Themen wie Korruption, Polizeigewalt und schwierige Familienverhältnisse anspricht? Ach und: Lasst uns Samuel L. Jackson als meinen Papa dazu holen. Der ist mir noch ‘nen Gefallen schuldig und wird unserem Projekt ordentlich Aufmerksamkeit bescheren.“

Produzent: „Das klingt ja fantastisch! Lass es uns genau so machen. Anspruchsvoller Splatter – sowas gab’s bisher noch nie und wir werden damit nicht nur an den Kinokassen Rekorde einfahren, sondern auch bei den Kritikern Lobhudeleien ernten. Und die Marvel-Fans haben wir dank Sam gleich mit am Haken.“

Einige Wochen später, zehn Minuten vor Drehbeginn:

Rock: „Danke für die üppige Gage und die geilen Wohntrailer, die ihr mir und Sam hingestellt habt.“

Produzent: „Ja gerne, Chris! Allerdings muss ich Dir sagen, dass wir dadurch nicht mehr so viel Knete für den Film übrig haben. Wir haben uns daher dazu entschlossen, auf Nummer sicher zu gehen und mit Darren Lynn Bousman einen Regisseur zurückzuholen, der schon die Teile 2-4 gemacht hat. Waren zwar alle nicht so prall, aber was soll’s. Bei dem wissen wir wenigstens, dass er uns ‘nen zumindest mittelmäßigen „Saw“-Film liefern kann.

Das mit der Korruption, Polizeigewalt und dem Vater-Sohn-Konflikt haben wir auf’s Nötigste zusammengekürzt. Also nicht wundern, wenn die Dialoge oberflächlich, klischeehaft und unoriginell klingen, aber unser Publikum is eh dumm wie drei Meter Feldweg, die würden das ohnehin nicht kapieren. Für die Fallen sind uns irgendwie auch die Ideen ausgegangen, daher wird es diesbezüglich ein wenig dürftig diesmal. Damit wir trotzdem sowas wie Spannung suggerieren können, schreist Du bitte alle Deine Sätze und machst in Deiner Performance einen auf Nicolas Cage. Das lenkt die Idioten im Kinosaal zusätzlich noch von den Logiklöchern ab, die wir aufgrund der nun rausgeschmissenen Skriptseiten überdecken müssen.

Ein befriedigendes Finale lassen wir ebenso weg, verschieben wir einfach auf den nächsten Teil. Sam kriegt am Ende nochmal ‘ne große Szene, den Rest sparen wir uns.“

Rock: „Ähh, wie bitte?“

Produzent: „So läuft das bei uns im Horrorfilmgeschäft, Chris. Vergiss das Publikum, die sind uns scheiß-egal. Denn wer sowas mit Erwartungen guckt, ist selbst schuld.“

Rock: „Cool, gefällt mir. Alles klar, bis später bei der Party. Ich geh dann jetzt erstmal, ähh, ‚schauspielern‘, hahaha.“

Der Film erscheint auf 4K UHD/Blu-ray/DVD in deutsch synchronisierter Sprachfassung sowie in englischer Originalversion. Untertitel in deutsch sind vorhanden. Als Extras gibt es Audiokommentare und diverse Dokumentation, die sich der Entstehung des Films widmen. „Saw: Spiral“ erscheint bei Studiocanal und ist seit 27. Januar 2022 auch digital und in einer limitierten Collector‘s Edition mit Buchteil erhältlich. (Packshot + stills: © Studiocanal)

Heimkino-Tipp: „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ (2021)

Ein Besuch in Sodom und Gomorra

Deutschen Filmen wird oft nachgesagt, sie seien verkopft, plakativ, verkünstelt oder auch betont theatralisch. Zwar stimme ich diesem Urteil nicht zu, aber wer aus eben solchen Befürchtungen selten Produktionen aus den hiesigen Landen schaut, wird sich bei „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ möglicherweise bestätigt fühlen. Denn nichts in Dominik Grafs Drei-Stunden-Epos scheint seinen gewohnten Gang zu gehen, die Kamera schlägt konstant Purzelbäume, während eine Vielzahl von Dialogfetzen auf die Zuschauer niederprasseln und Filmphantasie mit Dokumentarfilmschnipseln ein Tänzchen wagen. Anstrengend? Ja! Empfehlenswert? Auf jeden Fall!

Denn der Wahnsinn hat Methode – ganz besonders, wenn der Regisseur Dominik Graf heißt. Der inzwischen 69-Jährige zählt seit Dekaden zu den Ausnahmekünstlern der deutschen TV- und Kinolandschaft und hat schon häufiger künstlerische Grenzen überschritten. Sei es im Serienformat („Im Angesicht des Verbrechens“, 2010), auf der großen Leinwand („Der Rote Kakadu“, 2005; „Die geliebten Schwestern“, 2014) oder bei Fernsehproduktionen („Tatort“-Reihe). Zehn(!) Grimme-Preise sowie diverse weitere Auszeichnungen sind ein eindrucksvolles Zeugnis seines Wirkens.

Nun nahm er sich eines Werks von Erich Kästner (1899 – 1974) an, das dieser unter dem Titel „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten“ in veränderter Form 1931 veröffentlicht hatte. Ursprünglich trug der autobiografisch geprägte Roman den Untertitel „Der Gang vor die Hunde“ und war in einigen Aspekten ausführlicher, provozierender. Trotz der freiwilligen(?) Kürzung betrachteten die zwei Jahre später an die Macht gekommenen Nationalsozialisten den erschienenen „Fabian“ als sogenannte entartete Kunst und das Werk fiel den Bücherverbrennungen zum Opfer.

Warum das widerliche Nazipack „Fabian“ und Kästner nicht mochten, wird sehr schnell deutlich: Die Direktheit, mit der Freude, Exzess, Tanz, freie Liebe, Alkoholkonsum, Missstände, Wut und Armut, kurz: das Leben beschrieben und dargestellt werden, passten so gar nicht in das propagierte Weltbild der neuen Machthaber. Besonders die Zwischentöne, mit denen Kästner bereits ’31 auf die drohende politische und gesellschaftliche Gefahr hinwies, beeindrucken aus heutiger Sicht. Graf weiß dies – manchmal sehr offensichtlich, manchmal dezent – in seinen Film einzubauen und unterstreicht damit bewusst die wiederkehrenden Anzeichen darauf, was uns anno 2022ff. bevorstehen könnte, wenn sich die heutige Gesellschaft noch weiter nach rechts verschiebt, als es derzeit leider ohnehin schon geschieht.

Zur Story an sich möchte ich an dieser Stelle eigentlich gar nicht so viel ausformulieren. Im Mittelpunkt steht der Mittdreißiger Fabian (Tom Schilling), der 1931 zusammen mit seinem Freund Labude (Albrecht Schuch) durch das nächtliche Berlin zieht und tagsüber eher unfreiwillig als Werbetexter tätig ist. Als er sich in die angehende Schauspielerin Cornelia (Saskia Rosendahl) verliebt, nimmt sein Leben eine erste von vielen weiteren Wendungen.

Wie anfangs bereits angedeutet, inszeniert Graf diesen Blick zurück auf den Großstadttrubel kurz vor dem Ende der demokratischen Zeit der Weimarer Republik nicht auf herkömmlichen Wege. Dies beginnt schon mit einer grandiosen Eröffnungsszene: Darin schreitet die Kamera durch den U-Bahnhof Heidelberger Platz von heute und verlässt ihn am anderen Ende im Jahr 1931. Kurze s/w-Schnipsel aus jener Zeit werden immer wieder zwischengeschnitten, das verwendete Filmmaterial (Super-8, HD, farblos, ...) wechselt ebenso wie der „Krach“ auf der Tonspur. Zudem wird der Film komplett im für damals üblichen Format 1,33:1 (rechteckig) präsentiert. All das sind künstlerische Entscheidungen, die zweifellos als Huldigung Grafs vor der Filmgeschichte interpretiert werden können. Denn u.a. war es Fritz Langs ebenfalls 1931 erschienener erster Tonfilm „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, der überlappende Dialoge nutze, um ein ganz neues Film- und Seherlebnis zu schaffen.

Wer sich auf dieses filmische Abenteuer einlässt, bekommt somit nicht nur eine von Grafs vielleicht besten Arbeiten zu sehen, sondern gleichsam eine Art „Greatest Hits“ der technischen Seite des Weimarer Kinos, das damals weltweit für Begeisterung sorgte, bevor auch dies durch die Abwanderung unzähliger Filmschaffender von den Nazis zu Grabe getragen wurde. Nur einer von vielen weiteren Gründen, diese Minusgehirne und all ihre dämlichen Mitläufer von heute zu bekämpfen, wo immer es möglich ist.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutscher Originalsprachfassung, optionale deutsche Untertitel sowie eine Hörfilmfassung (sehr gut!). Im Bonusmaterial gibt es einen Audiokommentar von Regisseur Dominik Graf, ein informatives Making of und Trailer. „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ erscheint bei DCM Film Distribution GmbH im Vertrieb von Leonine und ist seit 14.Januar 2022 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Lupa Film, Hanno Lentz, DCM)