Heimkino-Tipp: „The Equalizer 3“ (2023)

The Final Chapter

Es gibt nur wenige mir bekannte SchauspielerInnen, die allein durch ihre Präsenz eine derartige Autorität und Glaubhaftigkeit ausstrahlen wie Denzel Washington. Der inzwischen 68-Jährige kann mit seiner Körpersprache, seinen Blicken und der Art seiner Dialogpräsentation derart punktgenau agieren, dass es eine wahre Freude ist. Wenn er dann, so wie nun hier im Rahmen einer Filmreihe, zum dritten Mal in dieselbe Rolle schlüpft, potenziert sich diese Präsenz noch um einiges mehr – und das Publikum weiß lange vor seinen Gegenspielern, dass ihnen Böses droht.

Basierend auf einer amerikanischen TV-Serie aus den 1980er-Jahren, schlüpfte Washington 2014 das erste Mal in die Rolle des Titelhelden Robert McCall, eines ehemaligen CIA-Agenten, der im stillen für Gerechtigkeit sorgt – oder zumindest das, was er dafür hält. Effizient und wenig zimperlich nimmt er sich dabei ‚kleine‘ und ‚große‘ Verbrecher zur Brust und bringt das zu Ende, was die Gerichte nicht können oder wollen. Für jemanden wie den Autor dieser Zeilen, der mit ‚Selbstjustiz-Streifen‘ mit Stallone, Schwarzenegger und Co. aufgewachsen ist, eine wunderbare inhaltliche Zeitreise. Nur im Vergleich mit den kultigen Machwerken von damals nun mit sehr viel höherem Budget, mehr technischen Mitteln – und einem zweifachen Oscar-Preisträger in der Hauptrolle.

Zu Beginn dieses neuen dritten Teils ‚kümmert‘ sich der Einzelgänger um einen Geschäftsmann in Italien – und muss diesen Aufenthalt in einem kleinen Küstenstädtchen unfreiwillig verlängern. Aber auch dort gibt es bald etwas für ihn zu tun, bedroht doch die örtliche Camorra das friedliche Miteinander der (selbstverständlich) hilfsbereiten, zuvorkommenden und tüchtigen Bewohner. McCall tut also das, was er immer tut in solchen Situationen: Er beobachtet, warnt – und greift wenn nötig selbst ein.

Mensch kann diese eher simple Gut-gegen-Böse-Geschichte einfallslos und langweilig finden. Doch, wie oben schon erwähnt, mit einem Darsteller dieses Kalibers vor und einem versierten Regisseur à la Antoine Fuqua hinter der Kamera, ist das nochmal eine andere Hausnummer. Es ist bereits ihre fünfte Zusammenarbeit und die Vertrautheit untereinander ist dem Film anzumerken. Sehr viel ruhiger als noch im vorangegangen Teil, der einen wie ich finde grandiosen, fast halbstündigen Showdown bot, verzichtet Fuqua diesmal auf ausufernde Actionsequenzen und lässt Washington/McCall lediglich kurze, aber sehr schmerzhafte Gewaltspitzen setzen. Der Subplot um eine internationale Terrororganisation ist dabei zwar völlig unnötig, beschert dem Publikum jedoch eine wunderbare zweite Kollaboration von Washington mit Dakota Fanning, die er einst im nicht minder sehenswerten „Man on Fire“ (2004) zu beschützen versuchte. Wer will, kann „The Equalizer 3“ sogar als inoffizielle Fortsetzung ihrer beiden Geschichten interpretieren: Ihre gemeinsamen Szenen sind – trotz wenig substanziellen Dialoginhalts – sehr schön anzusehen.

Die Gegner austauschbar, deren Motivation hanebüchen, der Verlauf der Story vorhersehbar. Macht es trotzdem Spaß? Oh ja! Dank Denzel, erfrischend einfacher Handlung, einer klasse Umsetzung mit tollen Schauwerten und der damit einhergehenden Befriedigung, dass zumindest im Film die – sorry! – Arschlöcher dieser Welt noch ordentlich auf die – sorry nochmal! – Fresse kriegen.

Die 4K Ultra HD/Blu-ray/DVD-Disc bietet den Film in englischer Original- und deutsch synchronisierter Sprachfassung. Untertitel sind ebenso optional vorhanden. Als Bonus gibt es mehrere kurze Featurettes zur Entstehungsgeschichte des Films. „The Equalizer – The Final Chapter“ erscheint am 7. Dezember bei Sony Pictures Entertainment im Vertrieb von Plaion Pictures und ist auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Sony/Plaion Pictures)

Heimkino-Tipp: „Blood“ (2022)

Red Red Wine

Wer selbst Kinder hat, kennt das sicherlich nur zu gut: Der Nachwuchs benötigt konstant Aufmerksamkeit, Fürsorge und Zuneigung und fordert diese auch – zu Recht – jederzeit ein. Das Benehmen ist oftmals eigenwillig, die Geduld gering und der Hunger mitunter groß. Für Eltern eine tägliche Herausforderung, besonders dann, wenn man/frau alleinerziehend ist und den Alltag mit den Kids solo meistern muss.

Regisseur Brad Anderson („Der Maschinist“, „The Call – Leg nicht auf!“) und sein Drehbuchautor Will Honley haben dieses Elterndasein mit „Blood“ in ein wunderbares filmisches Gleichnis übertragen, das sich packend und unterhaltsam das Vampir-Genre zunutze macht.

Die getrennt lebende Krankenschwester Jess (Michelle Monaghan) zieht mit ihren beiden Kindern zurück in ihr vereinsamtes Elternhaus auf dem Land. Während ihre Teenagertochter Tyler (Skylar Morgan Jones) mit dem neuen Umfeld hadert, begibt sich ihr jüngerer Bruder Owen (Finlay Wojtak-Hissong) zusammen mit seinem Hund auf Entdeckertour auf dem umliegenden Gelände. Als das Tier jedoch eines Nachts ausbüxt und Tage später erst zurückkehrt, nimmt das Unheil seinen Lauf: Der Hund fällt Owen an, dieser muss mit einer schlimmen Bisswunde ins Krankenhaus – und ist fortan nicht mehr derselbe. Denn scheinbar hilft ihm nur eine ‚Medizin‘: frisches Blut.

Wer nun einen deftigen Vampirhorrorstreifen erwartet, wird womöglich enttäuscht werden. Denn Regisseur Anderson interessiert sich nur beiläufig für die Jagd nach dem Lebenssaft und fokussiert in seinem Film vielmehr die Auswirkungen des Blutdursts auf Mutter Jess und ihr Handeln. Sie ist zunächst die Einzige, die das unheimliche Verlangen ihres Sohnes wahrnimmt und versucht mittels geklauter Blutkonserven, das Problem im Zaum zu halten. Eine Scheinlösung, da Owens Durst einerseits immer größer wird, Jess andererseits schnell andere Mittel und Wege finden muss, da ihr der Zugang zu den sensiblen Räumen im Krankenhaus aus Sicherheitsgründen verwehrt wird.

Womit Jess’ Kernkonflikt zutage tritt: Wie weit würde sie als Mutter gehen, um ihr Kind zu retten? Zu welchen Maßnahmen wäre sie fähig? Inhaltlich spannender wird dieser Konflikt auch dadurch, dass ihr mit ihrem (unwissenden) Ex-Mann Patrick (Skeet Ulrich) eine Person gegenübersteht, die ebenfalls bereit ist, zu allen (rechtlichen) Mitteln zu greifen, um seine Kinder zu schützen. Somit wird „Blood“ mehr und mehr zu einem Beziehungsdrama, das zwei sehr unterschiedliche Wege darstellt, um das ‚eigene Fleisch und Blut‘ zu retten.

Inszeniert ist das Ganze relativ unspektakulär, was keineswegs negativ gemeint ist, da so der Fokus komplett auf der inhaltlichen Ebene verweilt. Auch verzichtet „Blood“ auf witzige Momente und vermeidet Überzeichnungen ebenso wie übernatürliche Szenen, was der Glaubhaftigkeit der Erzählung zugutekommt.

Natürlich funktioniert „Blood“ auch ohne diesen psychologischen Überbau ganz hervorragend. Wer jedoch die oben benannte Gleichnis-These akzeptiert, wird vom Ende des Films sicherlich überrascht sein. Oder anders formuliert: Ein solches Finale ist mutig. Respekt!

Fazit: Ein schönes kleines filmisches Schmankerl, das zwar nicht außergewöhnlich ist, aber doch weit mehr als das übliche Vampirgeschichtchen zu bieten hat und spannend unterhält.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in englischer Original- sowie deutscher Synchronsprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional zuschaltbar. Als Bonus gibt es Trailer. „Blood“ erscheint bei Square One Entertainment im Vertrieb von Leonine und ist seit 27. Oktober 2023 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © LEONINE Studios)

Heimkino-Tipp: „Die Zeit nach Mitternacht“ (1985)

After Hours

Während es im Kino gerade Martin Scorseses neuestes Werk „Killers of the Flower Moon“ zu bestaunen gibt, erscheint fürs Heimkino eine seiner etwas unbekannteren Arbeiten aus den 1980ern erstmals auf Blu-ray: „Die Zeit nach Mitternacht“. Wobei die Formulierung ‚etwas unbekannter‘ vielleicht etwas überspitzt ist, denn ein Scorsese-Film hat auch schon damals, im dritten Jahrzehnt seiner Karriere, für Aufmerksamkeit gesorgt. Im Gesamtœuvre aber, das von Klassikern wie „Taxi Driver“, „Wie ein wilder Stier“, „Goodfellas“, „Gangs of New York“ oder „The Departed“ nur so überquillt, ist die 1985 erschienene Komödie allerdings schon etwas versteckt.

Sie erzählt die Geschichte des alleinstehenden Texters Paul (Griffin Dunne), der nach Feierabend in einem Café die attraktive Marcy (Rosanna Arquette) kennenlernt. Ein sympathisches Gespräch und ein einladendes Telefonat später ist Paul bereits auf dem Weg in ihr Appartement, wo er auf ihre eigensinnige Mitbewohnerin, die Künstlerin Kiki (Linda Fiorentino) trifft. Von da an entwickelt sich Pauls Nacht zu einem unvorhersehbaren Abenteuer, das ihn dank vieler seltsamer Situationen und Personen beständig davon abhalten wird, wieder in sein sicheres Zuhause zu kommen.

Gewöhnlich reagiere ich stets etwas skeptisch, wenn mir ein Drehbuch erzählen will, dass unscheinbare, stille und nicht übermäßig sexy erscheinende Männer ganz spontan von sehr hübschen, witzigen und scheinbar Partnerlosen Damen angesprochen werden. Auch in diesem Film kommt die Handlung erst durch so eine ‚göttliche‘ Fügung ins Rollen, zum Glück wird in diesem Fall jedoch sehr schnell deutlich, dass nicht alles mit rechten Dingen zugeht oder zufällig geschieht. Oder doch?

Ganz ähnlich dem Gefühl, das mensch bei großer Müdigkeit und zu wenig Schlaf mitten in der Nacht überkommt, schlägt das Skript von Joseph Minion und Scorsese im Verlauf so viele Haken, dass es zunehmend schwerfällt, das Gezeigte als glaubhafte (Film-)Realität zu akzeptieren. Figuren handeln seltsam, Dialoge verwirren, viel zu viele Personen sind viel zu wach zu nachtschlafender Zeit.

Dieses an sich amüsante Konzept hat jedoch zwei kleine Schwächen: Es ist nur leidlich spannend und leider selten wirklich komisch. Hinzu kommen irrationale Entscheidungen der Hauptfigur, die es schwer machen, ihr als ZuschauerIn zu folgen oder zumindest mit ihr zu sympathisieren. Die Welt in „Die Zeit nach Mitternacht“ ist überfüllt von sehr eigenwilligen Charakteren, ‚Normalos‘ scheint es nachts in New York nicht zu geben.

Ist es genau das, was der Film erzählen will? New York als Schmelztiegel verrückter Menschen, in denen ein langweiliger Bürohengst selbst erst verrückt werden muss, um zu Überleben? Fast schon ein Kompliment für diese Millionenstadt. Bezüglich Scorseses Schaffen gibt‘s meine Komplimente aber eher für seine anderen Werke.

Die Blu-ray/DVD-Disc bietet den Film in englischer Original- und deutsch synchronisierter Sprachfassung. Deutsche und englische Untertitel sind optional vorhanden. Als Bonus gibt es einen Audiokommentar, ein Making of, entfallene Szenen, Trailer und ein Booklet von Stefan Jung. „Die Zeit nach Mitternacht“ erscheint im Mediabook (Blu-ray/DVD) bei Plaion Pictures und ist seit 26. Oktober 2023 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Plaion Pictures)

Heimkino-Tipp: „Master Gardener“ (2022)

Boy Trouble

Liebe ist wie eine Pflanze: Ist der Samen erst einmal im Boden eingepflanzt, bedarf es konstanter Pflege und Fürsorge, um sie zum Wachsen, Erblühen und Erhalt zu bringen. Traurigerweise gilt dies ebenso für Hass. Eine Metapher, die Regisseur und Drehbuchautor Paul Schrader für sein neuestes Werk „Master Gardener“ nutzt, um von der Annäherung zweier sehr verschiedener Menschen zu erzählen, deren Vergangenheit kaum Sonnenstrahlen bereithielt.

Narvel (Joel Edgerton) arbeitet als Chefgärtner auf dem Anwesen der wohlhabenden Norma Haverhill (Sigourney Weaver). Während der Vorbereitungen zum jährlichen Charity-Event auf dem Gelände bittet Norma ihren Angestellten, eine neue Praktikantin unter seine ‚grünen Daumen‘ zu nehmen: Ihre Großnichte Maya (Quintessa Swindell), Anfang 20, steht ihr zwar nicht nahe, braucht Normas Meinung nach jedoch etwas Führung und Ordnung in ihrem Leben – auch, um der Drogensucht zu entkommen. Tatsächlich fügt sich die junge Frau schnell in Narvels Team ein und zwischen Lehrer und Schülerin erblüht bald darauf sogar etwas mehr. Nicht nur aufgrund der ‚Beziehung‘ zu seiner Chefin ist das für Narvel jedoch eine sehr problematische Entwicklung.

Problematisch ist vielleicht auch der passende Begriff für Paul Schraders wechselvolle Karriere. Nach einem fulminanten Start als Drehbuchautor in den 1970er-Jahren (u.a. „Taxi Driver“, 1976, und „Wie ein wilder Stier“, 1980) und vielen weiteren erfolgreichen Skripten, die er teilweise selbst verfilmte, hatte er seit den 2010er-Jahren zunehmend Probleme, seine Wunschfassungen eigener Filme auf die Leinwand zu bringen. Dies änderte sich glücklicherweise 2017 mit dem Drama „First Reformed“, in dem Ethan Hawke als zweifelnder Pfarrer brilliert und der – zusammen mit dem nicht minder fesselnden Nachfolgewerk „The Card Counter“ (2021) und nun „Master Gardener“ – eine Art lose Trilogie über einsame Männerfiguren darstellt, die versuchen mit ihrer Vergangenheit ins Reine zu kommen.

Auch in „Master Gardener“ bleibt Schrader seinem Konzept treu, einer ruhigen und bedächtigen Inszenierung messerscharfe Dialoge gegenüberzustellen, die aufmerksames Zuhören erfordern, da sie einiges über jene Personen verraten, die sie von sich geben. Hinzu kommen viele kleine Nuancen, seien es Frisuren, T-Shirts, Tapetenmuster im Hintergrund oder kaum wahrnehmbare Charakterticks, mit denen es Schrader gelingt, sehr viel mehr über seine Figuren zu erzählen anstatt mithilfe konkreter Handlungen. Inhaltlich kreist der Film um Themen wie zweite Chancen, Neuanfänge und familiäre Prägungen sowie Rassismus, Vorurteile und Machtspiele, und spiegelt all diese Themen auch immer wieder in der Gartenarbeit wider, einem Mikrokosmos der menschlichen Natur sozusagen.

Zugegeben, die finalen 15 Minuten wirken nicht nur im Vergleich zu den vorherigen eineinhalb Stunden, sondern ebenso zu den beiden oben genannten Vorgängerfilmen etwas holprig und nicht ganz zu Ende gedacht. Allerdings entschädigen das nuancierte Spiel der fabelhaften Darsteller und die kontinuierlich bedrückend/bedrohlich wirkende Atmosphäre für diesen kleinen Lapsus am Ende zur Genüge.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in englischer Original- sowie deutscher Synchronsprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional zuschaltbar. Als Bonus gibt es Trailer. „Master Gardener“ erscheint bei Leonine Studios und ist seit 6. Oktober 2023 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © LEONINE Studios)

Heimkino-Tipp: „The Whale“ (2022)

Sanfter Riese

Der Literaturprofessor Charlie (Brandon Fraser) unterrichtet seine Studenten ausschließlich aus dem Homeoffice. Die Kamera stets deaktiviert, können sie nur akustisch seinen ruhig vorgetragenen Ausführungen folgen, ohne zu wissen, wer da eigentlich vor ihnen sitzt. Für den zurückgezogen lebenden Mann eine Art Selbstschutz: Denn Charlie wiegt 300 Kilo, verlässt sein Appartement nie und wird – so zumindest die Prognose seiner einzigen Bezugsperson Liz (Hong Chau), einer Krankenschwester – das Ende der Woche nicht mehr erleben.

Ausgrenzung, Spott, Verachtung: Ein Blick in Charlies Augen verrät, dass er dies alles zur Genüge kennt. Doch statt Wut oder Verteidigung erwidert er in Momenten der Bedrängnis lediglich immer wieder ein flehendes ‚Es tut mir leid‘. Als wolle er sich für seine bloße Existenz entschuldigen, provoziert er damit sein Umfeld ungewollt zusätzlich, sei es Liz, seine Ex-Frau (Samantha Morton) oder die ihm entfremdete Tochter (Sadie Sink), zu der er nach vielen Jahren wieder versucht, zarte Bande zu knüpfen.

Basierend auf einem Theaterstück von Drehbuchautor Samuel D. Hunter, der darin auch eigene Erfahrungen verarbeitet hat, inszenierte Regisseur Darren Aronofsky („mother!“, „Black Swan“) „The Whale“ als ein intensives Kammerspiel im 4:3-Bildformat, das die bedrückende Enge von Charlies Zuhause/Gefängnis regelrecht spürbar macht. Besonders in Szenen, in denen der mächtige und erstaunlich große Charlie sich von seiner Couch erhebt, wird nicht nur das räumliche sondern ebenso körperliche eingepfercht Sein dieses wachen Geistes deutlich.

Für Frasers schauspielerische Glanzleistung – und für das Make-up – gab es u.a. einen Oscar. Wie sehr den sympathischen Mimen die weltweiten Lobhudeleien selbst überraschten und rührten, ist im Netz dank zahlreicher Clips (Stichwort: Filmfestspiele Venedig) dokumentiert. Es ist ein Comeback, das ein wenig an Mickey Rourke erinnert, als er ebenfalls für Aronofsky den „Wrestler“ spielte und dafür ebenso eine Oscar-Nominierung erhielt.

Auch dieser Film handelte u.a. von der Wiederannäherung eines Außenseiter-Vaters an seine junge Tochter. „The Whale“ fügt dem noch eine weitere, spannende Ebene hinzu, indem immer wieder auf Religion, Glaube und deren Auswirkungen Bezug genommen wird. Dem Skript gelingt hierbei die Gratwanderung, die heilsame und die zerstörerische Wirkung der Worte Gottes gleichsam zu verdeutlichen – je nachdem, wer sie auf welche Weise interpretiert.

Das Übergewicht des Protagonisten und seine selbstgewählte Isolation erzählen aber noch anderes: Vom vorurteilsfreien Miteinander (Charlie + Liz), der Angst vor Reduktion auf Äußerlichkeiten (deaktivierte Kamera, kein Verlassen der Wohnung) und der Macht der Sprache/des geschriebenen Wortes.

„The Whale“ ist ein Film mit vielen Facetten, der auch von seinem Publikum erwartet, dass es über den ‚unübersehbaren‘ Hauptdarsteller hinweg schaut, um sich den berechtigten (unangenehmen) Fragen des Miteinanders zu stellen.

Die 4K Ultra HD/Blu-ray/DVD-Disc bietet den Film in englischer Original- und deutsch synchronisierter Sprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional vorhanden. Als Bonus gibt es ein Making of, Interviews und Trailer. „The Whale“ erscheint (auch im Mediabook) bei Plaion Pictures und ist seit 27. Juli 2023 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Plaion Pictures)

Heimkino-Tipp: „Eo“ (2022)

A donkey life

Schande über mich: Nenne mich Cineast und Filmfan, habe aber bis zum Verfassen dieser Rezension noch nie den Regisseursnamen Jerzy Skolimowski wahrgenommen. Dabei zählt der heute 85-Jährige zu den international erfolgreichsten polnischen Filmemachern und hat während seiner inzwischen über 60 Jahre andauernden Karriere bereits mehrfach in Cannes, Venedig und anderen prestigeträchtigen Festivals zahlreiche Preise abgeräumt. Für sein bisher letztes Werk „Eo“ war er sogar für den Oscar („Bester fremdsprachiger Film“, 2023) nominiert und gewann u.a. den Preis der Jury in Cannes sowie den Europäischen Filmpreis für den Soundtrack vom Paweł Mykietyn.

Dabei klingt die Synopsis zu „Eo“ zunächst sehr ungewöhnlich: Eine dialogarme Odyssee eines Esels in der Welt der Menschen. Ein Zirkustier, das u.a. als Arbeitskraft und Maskottchen missbraucht wird und doch seinen eigenen Weg geht, während der Irrsinn der Zweibeiner an ihm vorbeizieht. „Gespielt“ von sechs Tieren, die – so erklärt es zumindest eine Texttafel am Ende – während des Drehs allesamt angemessen behandelt wurden, eröffnet der Film seinem Publikum einen überaus erhellenden, wenn auch ernüchternden und nicht ganz angenehmen Blick auf die Spezies Mensch und dessen Art, mit seiner Umwelt umzugehen.

Hin und wieder verlässt „Eo“ dabei die Perspektive des ‚Hauptdarstellers‘ und beobachtet kurze Episoden der menschlichen Figuren, um zumindest ein wenig deren Handlungsmotivation erklären zu können. Dies fügt sich überraschend gut in das Gesamtkonzept ein und dient auch dazu, Spannungsbögen aufzubauen. Der große zweite Hauptdarsteller neben dem Esel ist jedoch die Filmmusik. Zusammen mit der wunderbaren Kameraarbeit von Michał Dymek, Paweł Edelmann und Michał Englert, die erhabene Bilder im 4:3-Format eingefangen haben, lässt Komponist Mykietyn eine Soundkulisse entstehen, die bis ins Mark geht.

Dieses Zusammenspiel von verschiedenen Künsten macht „Eo“ zu einem Ausnahmewerk, das formal begeistert, während es inhaltlich fasziniert und erschreckt, aber ebenso erfreut und lange nachwirkt, weil es in seiner erzählerischen Schlichtheit nicht nur moralische, sondern existenzielle Fragen aufwirft, über die es nachzudenken lohnt.

Die Blu-ray bietet den Film in polnischer/italienischer Originalfassung mit optionalen deutschen Untertiteln. Als Bonus gibt es ein Interview mit dem Regisseur und der Produzentin sowie den Trailer zum Film. Zudem ist dem schön gestalteten Digipack noch ein Postkartenset beigefügt. „Eo“ erscheint bei Rapid Eye Movies (21. Juli 2023) und ist auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Rapid Eye Movies/Hanwayfilms)

Heimkino-Tipp: „Scream VI“ (2023)

Ghostface takes Manhattan

Donnerstag, 30.10.1997: Offizieller Kinostart des Films „Scream – Schrei!“ in Deutschland. Das hiesige Kino zeigt die Horrorkomödie sowohl in der ungeschnittenen, als auch in einer leicht entschärften FSK16-Version. Von etlichen Zeitungsberichten neugierig gemacht – dies war das Leben vor dem Internet –, sprintet der zu dieser Zeit noch nicht volljährige Autor dieser Zeilen direkt nach dem Schultag ins Lichtspielhaus und erbettelt von den gnädigen Ticketverkäuferinnen die Erlaubnis, in die ‚Erwachsenen-Version‘ des Films gehen zu dürfen. Kreisch! Doch damit nicht genug: Während sämtliche KlassenkameradInnen in den Folgetagen lediglich die jugendfreie Fassung zu Gesicht bekommen, gewinnt CineCsaba sogar noch ein T-Shirt beim Preisausschreiben des Verleihs. Und vier Jahre später dann sogar noch eine Eintrittskarte für die Premierennacht von Teil 3.

Ergo: Ja, die originale „Scream“-Filmreihe hat einen besonderen Platz in meinem Herzen. Umso größer war die Freude, als sich Regisseur Wes Craven und sein Team sowie viele Darsteller der ursprünglichen Besetzung 2011 noch einmal zusammenfanden, um dem Franchise ein Update und den Fans einen nostalgischen Nachklapp zu geben – beides gelang jedoch nur teilweise. Daher war meine Skepsis einer erneuten Neuauflage 2022, noch dazu wenig originell identisch betitelt wie das Original, groß. Doch hoppla! „Scream (5)“ machte Vieles (nicht Alles!) richtig und fand eine ausgeglichene Mischung zwischen Neuem und Bewährtem.

Ähnlich schnell wie einst zwischen Teil 1 und 2, die in einem Abstand von gerade mal sechs Monaten in den Kinos anliefen, folgt nach der 5 nun schon die nächste Fortsetzung. Und die beginnt mit einer erfreulichen Überraschung: Gleich in den ersten Minuten wird der Täter hinter der Maske entblößt und der für die Reihe typische „Wer-ist-der-Killer“-Plot läuft ins Leere. Sollten es die Autoren James Vanderbilt und Guy Busick, die auch Teil 5 skripteten, tatsächlich gewagt haben, andere Wege zu gehen? Kein schlechter Start!

Unabhängig davon schließt die Handlung quasi direkt an den Vorgänger an: Die Schwestern Sam (Melissa Barrera) und Tara (Jenna Ortega) sind nach New York gezogen, um die blutigen Ereignisse in ihrer Heimatstadt Woodsboro endlich hinter sich zu lassen. Das Großstadt- und Partyleben wird jedoch bald schon getrübt, als sich Todesfälle häufen, an deren Tatorten Variationen der bekannten Ghostface-Maske gefunden werden. Und deren Besitzer hat Sam und Tara bereits ins Visier genommen.

Es ist den Drehbuchautoren und den beiden Regisseuren Matt Bettinelli-Olpin & Tyler Gillett hoch anzurechnen, dass sie Teil 6 zumindest den Anschein geben, ein wenig aus der (Film-)Reihe zu tanzen. Zumindest suggeriert dies der Trailer und eines der Teaser-Plakate:

Schade nur, dass es ebenso wie 1989, als es Jason Voorhees für Teil 8(!) des „Freitag, der 13.“-Franchises nach Manhattan zog, ein leeres Versprechen bleibt. Denn bis auf ein paar wenige Stadtansichten aus der Totalen und einer – zugegebenermaßen packenden – Sequenz in der U-Bahn, bleibt das Potenzial einer großen Stadt als Spielwiese weitgehend ungenutzt. Letztendlich kommt es doch wieder nur in engen Räumen zur Konfrontation zwischen potenziellen Opfern und dem Killer. Ob WG, Supermarkt oder verfallenes Kino: Auch Woodsboro (oder Bielefeld oder Dresden oder Wiesbaden) hätte diese Orte zu bieten und die Fluchtwege bleiben immer noch dieselben.

Erfreulich zumindest, dass sich dieser Teil zunächst sehr viel Zeit lässt, um die Beziehung der beiden Schwestern etwas tiefer zu beleuchten. Dass sich die beiden engstirnigen Charaktere im Laufe der Handlung annähern (müssen), um die brutalen Attacken des selbsterklärten Sensenmanns abzuwehren, überrascht nicht unbedingt. Was hingegen verwundert, ist das Agieren von Ghostface während seiner Angriffe. Hier wird der Wille nach Veränderung seitens der Macher deutlich, der ihnen im (einmal mehr) viel zu zähem Finale inklusive überlanger Rechtfertigung des Killers jedoch leider wieder abhandenkommt.

But wait! „Scream VI“ ist immer noch unterhaltsamer und vor allem blutiger (das Los der Sequels) als der verkorkste vierte Teil anno 2011. Oder wie es Autor Vanderbilt selbst so treffend formuliert: „Nummer 5 war eine Art ‚Best of‘ der Reihe. Dieser hier ist die punkrockige B-Seite dazu.“ Und ich ergänze: Eine, die es nicht unbedingt gebraucht hätte. Als Zugabe jedoch nehm ich sie gern.

Die 4K Ultra HD/Blu-ray/DVD-Disc bietet den Film in englischer Original- und deutsch synchronisierter Sprachfassung. Untertitel sind ebenso optional vorhanden. Als Bonus gibt es diverse Featurettes, die sich mit der Entstehung des Films beschäftigen sowie einen Audiokommentar. „Scream VI“ erscheint am 13. Juli auch als Steelbook (hier abgebildet) bei Paramount Pictures / Universal und ist bereits seit Mai 2023 digital erhältlich. (Packshot + stills: © Paramount Pictures)

Heimkino-Tipp: „Ennio Morricone“ (2021)

Der Maestro

Vor einigen Jahren war es noch unvorstellbar, dass Komponisten für Filmmusik unter ihrem eigenen Namen auf weltweite Konzerttourneen gehen und dabei die größten Locations einer Stadt bespielen. Inzwischen jedoch treten beispielsweise Hans Zimmer in der Berliner Mercedes-Benz-Arena oder Danny Elfman mit seinen Tim-Burton-Soundtracks in der Londoner Royal Albert Hall auf. Auch der im Juli 2020 im Alter von 91 Jahren verstorbene Ennio Morricone begab sich in seinen letzten Lebensjahren noch einmal auf eine ausgedehnte Konzertreise und begeisterte Tausende mit einem Best of seiner bekanntesten Werke. Nicht nur für ihn, sondern ebenso für viele seiner Kollegen eine längst überfällige Anerkennung ihrer Arbeit, verdanken wir ihnen doch einige der schönsten, einprägsamsten und zeitlosesten Melodien, die je geschaffen wurden.

Dies war nicht immer so und wurde lange Zeit vor allem innerhalb der Komponistenzunft kritisch beäugt. Kurze Soundschnipsel, die in wenigen Minuten maximale Emotionen triggern sollen? Keine Kunst! Musik ‚nur‘ als Begleitung zu Bildern? Keine Kunst! Bestellte Kompositionen nach den Wünschen eines Regisseurs? Keine Kunst! Zum Glück sind diese Vorstellungen und Meinungen inzwischen überholt – dass sie es sind, ist nur einer der großen Verdienste von Ennio Morricone.

Der Regisseur Giuseppe Tornatore, der mehrmals mit Morricone zusammenarbeitete (u.a. bei „Cinema Paradiso“ (1988) und „Der Zauber von Malèna“ (2000)), hat seinem Freund kurz vor dessen Tod mit „Ennio“ ein umfangreiches filmisches Porträt gewidmet, in dem der Maestro auf seine Lebens- und Karrierestationen zurückblickt. Seine Erzählungen garniert er dabei nicht nur mit interessanten und amüsanten Anekdoten über prominente Filmschaffende und Musiker, sondern gewährt ebenso spannende Einblicke in seinen Schaffensprozess, wenn er auf Eigenheiten seiner Kompositionen hinweist oder Hörbeispiele auch für ‚untrainierte‘ Ohren verständlich kommentiert.

Dass Tornatore – wie wahrscheinlich die meisten Zuschauer – Morricone verehrt, wird gar nicht erst in Frage gestellt. Diese fehlende Distanz zwischen Regisseur und Porträtiertem weiß der Filmemacher jedoch gut zu nutzen und kann so den scheuen Komponisten bei ganz alltäglichen Routinen, wie beispielsweise Gymnastikübungen am Morgen zeigen oder für manch wunderbare Einstellung (z.B. beim Dirigieren) vor bzw. hinter die Kamera platzieren.

Abseits davon fächert der Film Morricones Karriere chronologisch auf, was auf den ersten Blick zwar konventionell erscheint, auf den zweiten Blick aber für das Verständnis von dessen künstlerischem Werdegang essenziell ist. Denn ohne seine frühen Erfahrungen als Arrangeur, beim Radio oder in der italienischen Popmusik ist seine spätere Vielseitigkeit beim Film nur schwer nachvollziehbar. Für diese frühen Karrierestationen präsentiert Tornatore eine Fülle an Bildmaterial, was der Dokumentation sichtlich guttut. Denn Morricones Lebenslauf selbst war, so wird es im Film auch einmal konkret formuliert, an sich gar nicht so außergewöhnlich. Außergewöhnlich war vielmehr seine Arbeit, seine Kreativität und sein Tempo, mit dem er ab den 1960er-Jahren einen Soundtrack nach dem anderen quasi ‚raushaute‘ – und dabei ein Meisterwerk nach dem nächsten erschuf. Erfreulicherweise erhielt Tornatore die Erlaubnis, die zugehörigen Filmszenen auch zu zeigen, was das Besondere an Ennios Kreationen für die Zuschauer hör- und sehbar macht. Da braucht es die vielen bekannten Gesichter (u.a. Bruce Springsteen, Quentin Tarantino, Quincy Jones, Clint Eastwood, James Hetfield) eigentlich gar nicht mehr, zumal sie (fast) alle in das – gerechtfertigte – Loblied mit einstimmen, um dem Maestro zu huldigen.

Selten hat ein Künstler ein so langes, ausführliches und persönliches Porträt so sehr verdient wie Morricone. Es ist gleichzeitig ein liebevoller Abschiedsbrief von Tornatore an einen Freund, der sicherlich nicht von allen, aber vielen bemerkenswerte S(a)eiten eines großen Künstlers berichtet.

Der Film erscheint sowohl digital als auch in mehreren verschiedenen physischen Varianten. Neben einer 4K Ultra HD, Blu-ray oder DVD gibt es ein wunderbares Mediabook, welches ebenso wie die anderen Editionen den Film in italienischer Original- und deutsch synchronisierter Sprachfassung enthält. Deutsche Untertitel sind optional zuschaltbar. Als Bonus gibt es ein kurzes Making of, ein ausführliches Interview mit dem Regisseur, eine zusätzliche Szene sowie Trailer. Das Mediabook enthält zudem ein 100-seitiges, sehr informatives Booklet, eine Soundtrack-CD und einen kompletten Konzertmitschnitt aus München von 2004. „Ennio Morricone – Der Maestro“ erscheint bei Plaion Pictures und ist seit 27. April 2023 erhältlich. (Packshot + stills: © Plaion Pictures)

Heimkino-Tipp: „In der Nacht des 12.“ (2022)

Die endlose Suche

Wie sieht realistische Polizeiarbeit aus? Endet ein Fall stets mit einem bewaffneten Einsatz, wie es der wöchentliche „Tatort“ suggeriert? Oder gibt es pausenlos Action und Verfolgungsjagden à la „Lawman“, einer ‚Reality‘-Serie aus den USA, in der uns Steven Seagal seinen aufregenden, ähh, Polizistenjob ‚hautnah‘ miterleben lässt? Die Vermutung liegt nahe, dass es eher ein trockener Schreibtischjob mit gelegentlichen Ortsbegehungen und Befragungen ist, wie es Regisseur Dominik Moll in seinem Film „In der Nacht des 12.“ schildert. Basierend auf einem realen Mordfall und einem daraufhin entstandenen Buch von Pauline Guéna, begleitet die Adaption ein Ermittlerteam in seinem Alltag – und zeigt die oftmals frustrierende Puzzelarbeit, die für das Finden der Täter essenziell ist.

In einer Kleinstadt wird eine junge Frau (Lula Cotton-Frapier) auf ihrem nächtlichen Heimweg auf äußerst brutale Weise ermordet. Der neue Teamleiter Yohan (Bastien Bouillon) wird mit der Aufklärung des Falls beauftragt und nimmt zusammen mit seinen Kollegen die Spurensuche auf. Neben einer ausführlichen Tatortbesichtigung, dem Infomieren der Opfer-Eltern und ersten Befragungen vor Ort, ist es vor allem zunächst bürokratischer Kram, der von Yohan bewältigt werden muss. Nach und nach erschließt sich den Ermittlern der Charakter und das Umfeld der Getöteten, doch eine wirklich heiße Spur findet sich zunächst nicht. Je länger die Tätersuche dauert, umso mehr frisst sich der Fall in die Psyche von Yohan und die seiner Kollegen.

Ein Kritiker, der auch im Trailer zum Film zitiert wird, nennt „In der Nacht des 12.“ „‚Zodiac‘ im französischen Stil“. Die Parallelen sind erkennbar, denn David Finchers Thriller von 2007 widmete sich ebenso ausführlich einer langwierigen, psychisch belastenden und von zahlreichen Rückschlägen gezeichneten Killersuche durch Polizisten und Journalisten. Dessen Spannungslevel und optische Brillanz erreicht Molls Film jedoch nicht. Was nicht als Makel interpretiert werden soll! Denn „In der Nacht des 12.“ legt andere Schwerpunkte und macht schon mit einer Texteinblendung gleich zu Beginn klar, dass der gezeigte Fall ein ungelöster ist.

Zwar kann ich persönlich diese Entscheidung des Regisseurs nicht nachvollziehen, denn sie raubt dem Film damit tatsächlich einen großen Teil der Spannung. Allerdings schafft Moll damit Raum für andere interessante Details – hauptsächlich der Frage nach der Rolle der Frauen in einer leider immer noch von Männern dominierten Welt. Dies spiegelt sich u.a. auch darin wider, dass erst nach 75 Minuten eine Frau in die Handlung integriert wird, die auf Augenhöhe mit dem bis dahin präsentierten rein männlichen Ermittlungsteam ist. Zuvor sind sämtliche weiblichen Figuren entweder Opfer oder aus dem näheren Bekanntenkreis der Opfer, sprich: nettes Beiwerk.

So hoch ich Regisseur Moll diese Fokussierung anrechne – richtig zu Ende geführt ist sie leider nicht. Auch bleibt das Privatleben des Protagonisten Yohan seltsam unbeleuchtet, während sein cholerisch veranlagter Kollege (Bouli Lanners) überraschend viel Screentime und Backstory erhält, nur um im weiteren Verlauf ziemlich abrupt komplett aus der Handlung zu verschwinden.

Oder ist dies genauso beabsichtigt? Denn „In der Nacht des 12.“ will gar nicht mehr sein als ein zeitlich begrenzter Einblick in das (Berufs-)Leben von Polizisten, die oft jahrelang an Fällen knobeln und recherchieren, und lernen müssen, offene Enden zu akzeptieren. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, ist dieser Film ein gelungenes Werk. Hierfür erhielt er bei den diesjährigen César-Awards (dem französischen Filmpreis) gleich sechs Auszeichnungen – u.a. als „Bester Film“, für die „Beste Regie“ und für die beiden männlichen Darsteller.

Witziges Detail am Rande: Ausgerechnet in diesem Jahr erhielt David Fincher den Ehren-César.

Die Blu-ray/DVD bietet den Film in französischer Original- und deutsch synchronisierter Sprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional vorhanden. Als Bonus gibt es den Trailer zum Film. „In der Nacht des 12.“ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite Entertainment) und ist seit 14. April 2023 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © Ascot Elite Ent.)

Heimkino-Tipp: „Babylon“ (2022)

Rausch der Ekstase

Es wirkt zunächst wie ein Widerspruch: Während einer Zeit, in der Filme noch stumm waren, feierten all jene, die zu ihrer Entstehung beitrugen, umso lauter. So zumindest suggeriert es Damien Chazelles Drei-Stunden-Epos „Babylon“, welches vom Aufstieg und Fall einiger (fiktiver) Stars jener Zeit erzählt. Bis zum letzten Frame vollgepackt mit bekannten Gesichtern, Musik und Exzess, ist sein Werk eine Tour de Force sondergleichen, die viele – wortwörtliche – Höhepunkte bietet, auf ganzer Länge aber auch etwas abschlafft, um im selben sprachlichen Bild zu bleiben.

Allein die ersten 30 Minuten, quasi die Pre-Title-Sequenz, muten an wie ein Besuch in Sodom und Gomorra: Zusammen mit dem Kellner Manny (Diego Calva) nimmt Chazelle sein Publikum mit auf eine Hollywood-Party Mitte der 1920er-Jahre, bei der es viele nackte Körper, noch mehr Alkohol und Drogen und sogar einen Elefanten zu sehen gibt. Die Kamera tanzt dabei ebenso zügellos durch die Räume wie der überforderte Manny, während die Jazzband des Musikers Sidney (Jovan Adepo) für die richtige Stimmung sorgt und die (noch) unbekannte, aber sehr selbstbewusste Nellie LaRoy (Margot Robbie) ihren ersten „Auftritt“ hinlegt, der ihr am Ende der Nacht den Zutritt zur Traumfabrik beschert.

In dieser ist der Schauspieler Jack Conrad (Brad Pitt) längst ein Kassenmagnet. Sturzbesoffen, von seinem Talent überzeugt und mit viel „kreativem“ Einfluss auf die Filme, in denen er mitwirkt, hangelt er sich von Party zu Party und von Ehe zu Ehe. Er ist es schließlich auch, der Manny zu seinem Assistenten macht, was dem fleißigen jungen Burschen ebenso die Tür zu den Filmstudios öffnet.

Das Leben meint es gut mit Nellie, Manny, Sidney und Jack – bis etwas Neues nicht nur ihre Karrieren, sondern das gesamte Filmbusiness komplett verändern soll: der Tonfilm.

Mit „Babylon“ hat Regisseur und Autor Chazelle quasi das laute und frivole Gegenstück zum Oscar-Abräumer „The Artist“ (2011) geschaffen, der eine ähnliche Geschichte etwas braver, aber nicht minder unterhaltsam erzählte – damals jedoch als Stummfilm. Konzentrierte sich das französische Kleinod noch nur auf zwei Figuren, versucht sich „Babylon“ an einem Mehrfachporträt (Altstar, aufstrebende Aktrice, Bühnenhelfer) – und gerät wohl gerade wegen seiner stolzen dreistündigen Laufzeit etwas aus dem erzählerischen Fokus. Glück fürs Publikum! Denn so gibt es endlich einmal einen ‚ehrlicheren‘ Blick hinter die Kulissen einer Filmproduktion: Nicht weniger als 15 Minuten zeigt Chazelle beispielsweise auf sehr amüsante Art, wie schwierig es ist, eine Mini-Szene zu drehen und ‚in den Kasten zu bekommen‘ – und was dabei alles schiefgehen kann. Herrlich!

Und ganz ehrlich: Wenn Magot Robbie und Brad Pitt ständig über die Leinwand tänzeln, sind drei Stunden doch problemlos zu ertragen. Robbie lässt komplett die Sau raus und macht mit ihren Schimpftiraden sogar Joe Pesci in „Casino“ Konkurrenz, während Pitt das schmerzhafte Karriereende seiner Figur nuanciert aufzeigt und fühlbar macht.

„Babylon“ ist Chazelles Liebeserklärung an das Wunder Filme und alle jene, die sie erschaffen. Hier und da vielleicht etwas zu speziell und wohl vor allem für Cineasten ein Fest, die sich mit der Materie, den Zitaten und dem Business hinter den Kulissen ein wenig mehr auskennen, lohnt der Streifen jedoch schon allein wegen seiner „production values“ – was hier an Sets, Komparsenmassen und Ausstattung aufgefahren wird, gibt’s heute meist nur noch ausm Computer. In „Babylon“ aber ist der Exzess noch echt.

Die 4K Ultra HD/Blu-ray/DVD-Disc bietet den Film in englischer Original- und deutsch synchronisierter Sprachfassung. Untertitel sind ebenso optional vorhanden. Als Bonus gibt es (außer auf der DVD) u.a. Interviews, Behind-the-Scenes-Featurettes und entfallene Szenen. „Babylon – Rausch der Ekstatse“ erscheint am 6. April z.B. als Steelbook bei Paramount Pictures / Universal und ist seit 20. März 2023 bereits digital erhältlich. (Packshot + stills: © Paramount Pictures)

Heimkino-Tipp: „Call Jane“ (2022)

Girls just want to have funDamental Rights

Es ist schon bemerkenswert, wie wenig manche Menschen aus der Geschichte lernen. So werden beispielsweise Angriffskriege auf Nachbarländer heute ebenso schöngeredet wie vor 100 Jahren, gleichzeitig wird Frauen das hart erkämpfte Selbstbestimmungsrecht über ihre Bildung, ihren Lebensstil oder ihren Körper verwehrt, als hätte es die Emanzipation nie gegeben. Das Ergebnis: Nicht nur in den USA ist es inzwischen (wieder) fast unmöglich, legal eine Abtreibung vorzunehmen. Allein das gibt Phyllis Nagys „Call Jane“, angesiedelt im Amerika des Jahres 1968, eine erschreckende Aktualität.

Fürsorgliche Mutter, treue Gattin, fleißiges Hausweib: Joy (Elizabeth Banks) erfüllt so ziemlich alle Erwartungen, die in jener Zeit an eine weiße Frau mittleren Alters gestellt werden. Als sie zum zweiten Mal schwanger wird, treten jedoch Komplikationen auf – mit womöglich tödlichem Ausgang für Joy, falls sie das Kind zur Welt bringt. Allerdings sieht das (männliche) Klinikgremium, welches jeden möglichen Schwangerschaftsabbruch begutachtet, dies anders und lehnt einen solchen Eingriff ab. Ohne das Wissen ihrer Familie wendet sich Joy daher an eine anonyme feministische Organisation namens „Jane“, die unter der Führung der resoluten Virginia (Sigourney Weaver) betroffenen Frauen wie Joy hilft. Beeindruckt von deren Solidarität, schließt sie sich der Truppe an und wird bald zu einem unersetzlichen Teil davon.

Während europäische Filme wie „Das Ereignis“ (2021, ausgezeichnet mit dem Goldenen Löwen in Venedig) oder Cannes-Gewinner „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ (2007) das Thema illegaler Schwangerschaftsabbruch sehr viel nüchterner und beklemmender erzählen, wählt Regisseurin Nagy einen etwas leichteren Zugang. Stets ernsthaft, doch gleichsam leichtfüßig – manche mögen behaupten etwas zu glatt – führt sie ihr Publikum aus der Sicht einer ‚Durchschnittshausfrau‘ mit Raffinesse an ein komplexes Thema heran, das eben nicht nur sozial Schwache oder unvorsichtige Teenager betrifft, sondern quer durch alle gesellschaftlichen Schichten Frauen zu Handlungen zwingt, die nicht nur gefährlich, sondern ebenso teuer und strafbar sind.

Der Film findet für diese Herabsetzung und Bevormundung der weiblichen Bevölkerung eindrucksvolle Momente. So muss Joy die Diskussion des Klinikgremiums als passive Zuschauerin über sich ergehen lassen, ohne dabei ein einziges Mal selbst befragt zu werden, oder wird an anderer Stelle dafür belächelt, sich eine Zukunft als praktizierende Ärztin vorzustellen. Dass sich die Gesellschaft derweil in einer Umbruchphase befindet, zeigt sich subtil in Graffitis im Hintergrund oder der musikalischen Untermalung einzelner Szenen.

Schauspielerisch kann „Call Jane“ ebenso überzeugen: Kleine Gesten von Hauptdarstellerin Banks zeigen einmal mehr, welch großes darstellerisches Talent in ihr steckt (übrigens auch als Regisseurin, demnächst zu sehen im sehr amüsant klingenden „Cocaine Bear“). Ihre Wandlung von einer etwas naiven, selbstzufriedenen Hausfrau zu einer selbstbewussten Aktivistin wirkt überzeugend und nachvollziehbar. Weaver ist ohnehin stets eine Bank und vermittelt als Virginia auf ruhige Art Kontrolle und Weitsicht in einer konstant angespannten Atmosphäre.

Wie sehr es Menschen wie die hier Porträtierten braucht, macht ein dezenter Hinweis am Ende deutlich: Es ist 1973 – das Jahr, in dem das Urteil „Roe versus Wade“ Abtreibungen in den USA legalisierte. 2022 wurde dieses wieder aufgehoben.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in englischer Original- sowie deutscher Synchronsprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional zuschaltbar. Als Bonus gibt es Trailer. „Call Jane“ erscheint bei DCM Film Distribution GmbH im Vertrieb von Leonine und ist seit 10. März 2023 auch digital erhältlich. (Packshot + stills: © DCM)