Heimkino-Tipp: „I, Tonya“ (2017)

Ice Ice Baby
Glaubt man dem deutschen Wikipedia-Eintrag zu Tonya Harding, so hat sie 1996 einer 81-jährigen Frau dank Mund-zu-Mund-Beatmung und Erster Hilfe das Leben gerettet. Eine bemerkenswerte Heldentat, die wahrscheinlich jedoch nie jemanden wirklich interessieren wird, da es noch ein anderes Ereignis im Leben der Harding gab, das auf ewig mit ihrem Namen verbunden sein wird: dem Attentat auf ihre Konkurrentin Nancy Kerrigan 1994.

Harding und Kerrigan zählten zu dieser Zeit zu den weltbesten Eiskunstläuferinnen und bereiteten sich unabhängig voneinander auf die US-amerikanischen Meisterschaften vor. Während eines Trainings wurde Kerrigan von einem Mann mit einer Eisenstange am Knie verletzt, in dessen Folge sie ihre Teilnahme an den Wettkämpfen absagen musste. Harding gewann den Titel, der ihr später wieder aberkannt wurde – es gab Hinweise darauf, dass sie in die Attentatspläne involviert war.

Natürlich steht diese Episode aus Hardings Leben auch im Mittelpunkt der sehenswerten Filmbiografie „I, Tonya“. Wer allerdings ein konventionelles Biopic erwartet, wird aus dem Staunen nicht mehr rauskommen. Denn Regisseur Craig Gillespie („Lars und die Frauen“, „Fright Night“) und sein Autor Steven Rogers („Seite an Seite“, „Kate & Leopold“) haben eine ungewöhnliche Form gewählt, um die Geschehnisse zu rekapitulieren: Statt sich auf eine Wahrheit festzulegen, präsentieren sie ihrem Publikum gleich mehrere Sichtweisen, erzählt von Tonja Harding (Margot Robbie), ihrem Gatten Jeff Gillooly (Sebastian Stan) und ihrer Mutter LaVona Golden (Allison Janney, die für diesen Auftritt einen Oscar gewann). Damit nicht genug: Immer wieder durchbrechen die Figuren die „vierte Wand“, wenden sich also direkt an die Zuschauer, die somit in die Handlung mit einbezogen werden. Ein zunächst irritierender künstlerischer Kniff, der aber eines schnell klarmacht: Was wirklich geschehen ist – sei es vor, nach oder während des Attentats, sei es die Kindheit von Harding oder das Verhalten ihrer Mutter und ihres Ehemannes –, kann nie endgültig geklärt werden. Jeder hat seine eigene Version der Geschichte(n) und das sollte jeder, der zuschaut, nie vergessen.

„I, Tonya“ schwankt konstant zwischen Drama, Komödie und Sportlerfilm und punktet in allen drei Ligen hervorragend. Die Herkunft Hardings aus einfachen Verhältnissen, der (scheinbar) beständige psychische und physische Missbrauch seitens ihrer Mutter sowie der mitunter brutale Ehealltag bilden das dramaturgische Spielfeld, auf dem sich die Protagonistin oftmals lautstark und wenig ladylike produziert. Das ist mitunter amüsant, verleugnet gleichsam aber niemals das Elternhaus der späteren Weltklasseeiskunstläuferin, die nie so ganz in die heile Glitzerwelt des Prestigesports passte. Die Szenen auf dem Eis beeindrucken zusätzlich mit einer famosen Kameraarbeit und perfekter Tricktechnik (bestimmte Darbietungen konnte Margot Robbie verständlicherweise nicht laufen, dazu braucht es jahrelanges Training), bei der das Gesicht von Robbie auf den Körper eines Doubles projiziert wurde.

Beinahe schon eine Mockumentary, begeistert „I, Tonya“ somit in vielen Aspekten, legt ein Wahnsinnstempo vor und überlässt letztendlich seinem Publikum eine Bewertung. Gewagt, aber in diesem Falle gelungen!

Die DVD/Blu-ray präsentiert den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung. Untertitel in Deutsch sind optional zuschaltbar. Als Extras gibt es ein Making of sowie Trailer. „I, Tonya“ erscheint bei DCM Filmdistribution GmbH/Universum Film und ist seit 24. August 2018 erhältlich. (Packshot + stills: FilmPressKit online/DCM)

Heimkino-Tipp: „Lady Bird“ (2017)

Die Crux der Adoleszenz
Das Genre des amerikanischen Teenie-Films, so es denn diese Schublade überhaupt gibt, hat seit jeher viel ertragen müssen. Oft reduziert auf das hormongesteuerte Verhalten der Protagonisten, pendelt die Thematik vornehmlich zwischen peinlicher Sexklamotte und schwerfälliger Melancholie.

Dass es auch anders geht, beweist die Tragikomödie „Lady Bird“. Sie erzählt von einem 17-jährigen Mädchen, das davon träumt, ihrem in ihren Augen engstirnigen Elternhaus zu entkommen und Außergewöhnliches zu erleben. Dabei gerät sie immer wieder mit ihrer Mutter aneinander, die trotz ihrer Strenge nur eines im Sinn hat: ihrem Kind alle Wege in ein glückliches Leben zu eröffnen.

Auf die Leinwand gebracht hat diese Geschichte die Aktrice Greta Gerwig, der momentane Liebling des amerikanischen Independent-Films, die mit diesem Werk ihr Debüt als Langfilm-Regisseurin vorlegt. Ihre Handschrift ist dabei unverkennbar, spielt sie doch auch in ihren eigenen Rollen oftmals Frauenfiguren, die stets ein klein wenig neben der Spur agieren, mit ihrer entwaffnenden Natürlichkeit aber schnell Begeisterung wecken – so gesehen u.a. in „Frances Ha“, „Lola gegen den Rest der Welt“, „Mistress America“ und „Maggies Plan“. Nun ist sie hinter die Kamera gewechselt, verfilmte mit „Lady Bird“ ein eigenes Drehbuch – und durfte sich sogleich über fünf Oscar-Nominierungen freuen.

Je eine davon erhielten Hauptdarstellerin Saoirse Ronan alias Christine alias Lady Bird, und Laurie Metcalf, die Christines Mutter Marion gibt. Ein bemerkenswertes Duo, das sich wahlweise anfaucht, annähert, emotional diskutiert oder mit Schweigen straft. Eine wahre Hassliebe also, der Gerwig sowohl witzige als auch ernste Momente abgewinnt und so den beinahe minütlich wechselnden Gemütszustand eines pubertierenden Teenagers punktgenau beschreibt.

Gerwigs Trumpf: Ihr gelingt es, für beide Seiten Verständnis zu wecken – wer beim Zuschauen zusammen mit der genervten Lady Bird die Augen verdreht, wird ebenso den Argumenten der Mama kopfnickend zustimmen. „Lady Bird“ ist voll von Momenten, die aus der Sicht eines Teenagers von epochaler Bedeutung sind, nicht wissend, wie viele davon im weiteren Leben noch folgen werden. Diese Naivität und Erwartungshaltung ans Erwachsensein dürfte jeder wiedererkennen. Sich aber nicht darüber lustig zu machen, ist die große Kunst dieses Films. Wenn Christine nach und nach klar wird, dass ihre Vorstellung vom „Anders-sein-als-der-Rest“ gar nicht so außergewöhnlich ist und eher das Klischee erfüllt, interpretiert Gerwig dies nicht als Scheitern, vielmehr als liebevolles Bekenntnis zu Lady Birds (und ihrer persönlichen) Heimat Sacramento, aus der anfangs alle aufgrund des Provinzcharakters fliehen wollen, sie später genau deswegen aber umso mehr schätzen.

Wie Gerwig die hier gezeigten Qualitäten als Filmemacherin auch in andere Genres übertragen kann, wird sich hoffentlich in den nächsten Jahren zeigen. Mit „Lady Bird“ hat sie schon einen wunderbaren Start hingelegt.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film u.a. in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie diverse Untertitel. Als Extras gibt es einen Audiokommentar sowie ein Making of. „Lady Bird“ erscheint bei Universal Pictures Germany GmbH und ist seit 23. August 2018 erhältlich. (Packshot + stills: © Universal Pictures)

Heimkino-Tipp: „Revenge“ (2017)

Furiosa on Fire

Im April 2014 besprach ich auf diesem Blog den Film „Savaged“ (Rezi HIER). Ein Werk, das dem sogenannten Rape-and-Revenge-Genre zugeordnet werden kann, wenn auch mit einem ungewöhnlichen Twist. Vier Jahre später folgt nun ein weiterer Streifen dieser Art, der sich zwar – zunächst – den üblichen Zutaten bedient, jedoch ebenso einen etwas anderen Blickwinkel für diese fragwürdige Art der Unterhaltung wählt. Fragwürdig deshalb, da zu Beginn stets die Misshandlung einer weiblichen Person im Vordergrund steht. Immerhin: In „Revenge“ wird dieser widerwärtige Gewaltakt nur angedeutet, explizit ausgeschlachtet nicht. Das ‚Schlachten‘ folgt erst im Anschluss, wenn das Opfer der Vergewaltigung zum Gegenangriff übergeht. Doch der Reihe nach:

Die junge Jen (Matilda Lutz) ist ein fleischgewordener Männertraum: Sexy, schweigsam und sich ihrer Reize sehr wohl bewusst, begleitet sie ihren Lover, den verheirateten Richard (Kevin Janssens) für ein romantisches Wochenende in seine luxuriöse Villa mitten in der Wüste. Die Bettakrobatik wird jäh unterbrochen, als unerwartet zwei von Richards Buddies auftauchen: Stan (Vincent Colombe) und Dimitri (Guillaume Bouchède). Nach einem entspannten Partyabend, an dem Jen den verdutzten Stan zu einem heißen Tanz verführt hat, folgt am nächsten Morgen das böse Erwachen: Stan vergewaltigt das Mädchen, Dimitri überhört das Geschehen bewusst und Richard versucht Jen anschließend mit Geld ruhigzustellen. Als sie sich weigert, entledigt sich Richard seiner Geliebten auf äußerst brutale Weise. Doch sie überlebt – und macht den drei Jungs fortan das Leben zur Hölle.

Vier Darsteller, zwei Locations: Außer der (zugegeben schönen) Protzvilla und der unendlichen Wüste gibt es in „Revenge“ keine weiteren Kulissen. Die weiß Regisseurin(!) Coralie Fargeat jedoch effektiv zu nutzen, sowohl als Kampfschauplatz als auch für eine symbolreiche Inszenierung, die einige interessante Metaphern präsentiert: sei es Jens Körperhaltung nach dem ersten Mordversuch, das wiederkehrende ins-Bild-Rücken eines Phoenix-Symbols oder das Gemälde einer Hindu-Göttin, die – und hier klaue ich mal eine Info aus der imdb – als Göttin der Rache bezeichnet wird. Alles Momente, die nicht unbedingt in einem Film dieses Genres zu erwarten sind.

Es bleibt nicht die einzige Überraschung: Inszenatorisch bewegt sich „Revenge“ auf hohem Niveau, nutzt Filter, Farben und Kameraperspektiven (sowie kübelweise Kunstblut) mit großer Raffinesse und scheut vor allem nicht davor zurück, die oftmals sexualisierte Darstellung von Frauen (die es hier zu Beginn ebenso gibt) umzudrehen. Miteinander kombiniert ergibt das u.a. eine mehrminütige, ungeschnittene Kamerafahrt durch das Haus, bei der einer der Männer in seiner vollen (nackten) Schönheit zu sehen ist. Und nein, die ZuschauerInnern werden hier nicht mit einem Doppelkinn und Speckgürtel abgespeist, sondern mit einem durchtrainierten Body, der erahnen lässt, warum Jen diesem Mann zumindest sexuell verfallen ist. Optisch ist diese Szene ein absolutes Highlight.

Angesichts aktueller Debatten ist es natürlich erfreulich, dass mit „Revenge“ gerade jetzt ein Film erscheint, der ein bisher von Männern beherrschtes Genre mit einer ‚weiblichen‘ Note versieht. Das macht die Prämisse, die in „Rape-and-Revenge“-Filmen zwangsläufig immer am Anfang steht zwar weiterhin ungenießbar. Wenn aber das Endergebnis derart gut aussieht, ist zumindest filmisch nichts daran auszusetzen.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und französisch/englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Bonus gibt es ein paar Hinter-den-Kulissen-Clips, eine Bildergalerie sowie Trailer. Wer sich für die Mediabook-Ausgabe entscheidet, bekommt zudem noch den Soundtrack dazu. „Revenge“ erscheint bei Koch Media und ist seit 23. August 2018 erhältlich. (Packshot + stills: © Koch Media GmbH)

Heimkino-Tipp: „Der Sex Pakt“ (2018)

Blockers

Zugegeben: Nur nach dem Trailer zu urteilen, ist „Der Sex Pakt“ nicht unbedingt ein Film, der gehaltvolle Unterhaltung verspricht. Angesprochen werden soll ganz offensichtlich ein vornehmlich junges Publikum, das sich über schlüpfrige Gags und peinliche Erwachsene, die sich vor ihren Kindern zum Obst machen, amüsieren kann. Das mag auf einzelne Szenen in dem 100-Minüter zutreffen. Unter seiner lauten Oberfläche aber schlummern ein paar interessante Ansätze.

Das beginnt bereits beim (Original-)Titel: Denn im Gegensatz zum deutschen „Der Sex Pakt“, der die Teenagerfiguren in den Mittelpunkt stellt, weist „Blockers“, so der ursprüngliche Titel, auf die eigentlichen Hauptdarsteller des Films hin: Eltern, die mit allen Mitteln versuchen, das ‚erste Mal‘ ihrer Töchter zu verhindern, zu blockieren. Gespielt werden diese drei nervösen Erwachsenen von den Komödien-Profis Leslie Mann und Ike Barinholtz sowie John Cena, der als Wrestler Karriere machte und sich nun immer häufiger auch als Schauspieler versucht. Ein Muskelprotz sondergleichen, ein Schrank von einem Mann, der gleich in der ersten Szene Tränen der Rührung verdrückt – und damit sein Image gehörig auf die Schippe nimmt. Es ist nur eine von vielen gelungenen Szenen, die allein aufgrund seiner Physis wahnsinnig witzig wirken.

Seine Tochter Kayla (Geraldine Viswanathan) beschließt, am Tag des Abschlussballs ihrer Schulzeit ihre Jungfräulichkeit zu verlieren. Ihre Freundinnen Julie (Kathryn Newton) und Sam (Gideon Adlon) schließen sich an und so nimmt der Partyabend seinen Lauf. Was die drei Mädels nicht bedacht haben: Ihre Eltern bekommen davon Wind und setzen fortan alle Hebel in Bewegung, um ihre Lieblinge davon abzubringen. Der Beginn einer abenteuerlichen und nicht nur körperlich enthüllenden Nacht.

Ja, einige Gags kündigen sich weit im Voraus an, andere sind kindisch bis überflüssig. Spaß macht der Trip trotzdem: Einerseits erfreut der angenehm offene – nicht offenherzige! – und relaxte Umgang der Kiddies mit dem Thema Sex, andererseits führt Regisseurin Kay Cannon vor allem in der ersten Hälfte sogenannte Helikoptereltern mit deren Kontrollwahn herrlich vor. Deren Verklemmtheit und Verlustängste sind letztendlich der Motor ihres Handelns – und ihr verzerrtes Selbstbild, dass sie viel besser wüssten, was für ihre Girls richtig sei und was nicht. Ebenso inhaltlich bemerkenswert: Es sind drei junge Mädchen, die ganz selbstbestimmt und ohne Zwang ihres Umfelds entscheiden, wie, wann und mit wem sie Sex haben wollen. In amerikanischen Teenagerkomödien, die sich um das Thema ‚erstes Mal‘ drehen, eine Seltenheit, da sonst stets fast ausschließlich Jungs im Mittelpunkt stehen.

Der Humor ist mitunter derb, begeistert aber ebenso mit Gags auf der Metaebene, beispielsweise wenn die drei Erwachsenen im Auto sitzend über die Lösung eines Problems nachdenken: „WwVDd“ heißt da ihre Parole – „What would Vin Diesel do?“. Wenn sie kurz darauf einen Unfall bauen und sich dann wundern, dass ihr verunglückter Wagen eben nicht sogleich in „Fast & Furious“-Manier in Flammen aufgeht, ist das nicht nur lustig, sondern auch ein schöner Seitenhieb auf Hollywoods übertriebenes Actionkino. An anderer Stelle wird John Cenas Figur ausgelacht, weil er versucht, mit bloßer Hand ein Autofenster runterzudrücken: „Du bist kein Arnold Schwarzenegger!“ schreit man ihm da entgegen. Angesichts Cenas (realer) Wrestling-Karriere eine herrlich absurde Bemerkung.

Überhaupt, der Cena: Mit fein eingestecktem Hemd, Bürstenhaarschnitt („Sogar diese Haare sind mir zu lang!“) und einem mehr als tödlichen Blick Richtung Boyfriend seiner Tochter, ist er der eigentliche Star des Films. Keiner hat hier einen größeren Stock im Arsch als er (und ja, das ist hier tatsächlich doppeldeutig gemeint).

„Der Sex Pakt“ ist ein kurzweiliges Vergnügen, das zwar auf vertraute Zutaten setzt, wenn es um Peinlichkeiten geht. Die Spielfreude vor allem der älteren Darsteller und der coole Umgang der TeenagerInnen mit ihrer Sexualität heben diesen Spaß aber von anderen Genrevertretern ab.

P.S.: Einfach, weil’s mehr Spaß macht: die englische Sprachfassung wählen!

Die DVD/Blu-ray bietet den Film u.a. in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie diverse Untertitel. Als Extras gibt es gelöschte und verpatzte Szenen, kurze Dokumentationen zur Entstehung des Films, Featurettes sowie einen Audiokommentar. „Der Sex Pakt“ erscheint bei Universal Pictures Germany GmbH und ist seit 16. August 2018 erhältlich. (Packshot + stills: © Universal Pictures)

... im Nachgang: „Hereditary“ (Kinostart: 14. Juni 2018)

Selten wird ein Horrorfilm gefeiert wie dieser. Zu Recht? Die Redaktion des Kinokalender Dresden ist sich uneins. Nachzulesen HIER. Von mir stammt der Contra-Teil des Textes.

(Plakat: © 2018 Splendid Film/24 Bilder)

... im Nachgang: „Die brillante Mademoiselle Neila“ (Kinostart: 14. Juni 2018)

Ein Professor und eine Studentin liefern sich einen Krieg der Worte. Für mich ein erhellendes Lehrstück darüber, wie Populismus funktioniert. Warum, lest ihr HIER. Von mir stammt der Pro-Teil des Textes.

(Plakat: © 2018 SquareOne/Universum Film)

Heimkino-Tipp: „Death Wish“ (2018)

The Punisher

Als Charles Bronson 1974 in „Ein Mann sieht rot“ als einsamer Rächer durch New York zog, um Verbrecher aller Art zur Strecke zu bringen, löste das heftige Diskussionen aus. Einerseits aufgrund der Tatsache, dass die Hauptfigur als Pazifist eingeführt wird, der aus persönlichen Gründen zur Selbstjustiz greift und dafür von der Polizei sogar eine Art Persilschein erhält. Andererseits aufgrund der Begeisterung, die dieser Film beim Publikum auslöste. Seither ist die Selbstjustiz-Thematik in der Filmkunst omnipräsent und dort inzwischen scheinbar akzeptiert. Oder um mal ein korrektes Argument von „Death Wish“-Regisseur Eli Roth aufzugreifen: Auch Superhelden handeln meist außerhalb juristischer Legitimation und führen Privatfehden mit oftmals verheerenden Kollateralschäden auf großer Bühne aus.

„Death Wish“ holt das fragwürdige Gemetzel nun wieder in den Alltag zurück, zum Otto Normalverbraucher sozusagen, in diesem Fall ein Chirurg und Familienvater namens Paul Kersey (Bruce Willis). Dessen Familie wird in seiner Abwesenheit zu Hause überfallen, Gattin Lucy (Elisabeth Shue) stirbt, Tochter Jordan (Camila Morrone) überlebt schwer verletzt. Enttäuscht von den in seinen Augen uneffektiven Ermittlungsmethoden der Polizei, nutzt er die Chance, die sich eines Tages in seiner Notaufnahme ergibt, und stibitzt den Revolver eines eingelieferten Gangmitglieds. Es bleibt nicht der einzige Zufall, denn schon bald hat Kersey eine Spur, die zu den Tätern führt, die seine Familie zerstört haben – und beginnt, sie sich einzeln vorzuknöpfen.

Ebenso wie Charles Bronson während der Dreharbeiten des Originals, ist Bruce Willis seit vielen Jahren vornehmlich als Actionstar bekannt. Seine gespielte Wandlung vom zurückhaltenden Familienvater zum schießwütigen Sensenmann ist daher weniger überraschend als beispielsweise die von Liam Neeson im knallharten „96 Hours – Taken“. Und obwohl Willis vor allem Ende der 1990er-/Anfang der 2000er-Jahre ausreichend bewiesen hat, dass er auch dramatische Rollen sehr gut spielen kann, agiert er ausgerechnet in „Death Wish“ als trauernder Vater nicht sehr überzeugend. Den Rest der Laufzeit gibt er den „Stirb langsam“-John McClane aus der Konserve, nur eben ohne flotte Sprüche.

Insofern passt er aber ganz gut zum Rest des Films, der überraschend routiniert daherkommt und inhaltlich keinerlei Haken schlägt: Mann verliert Frau – Mann sucht nach Tätern – Mann findet Täter – Mann tötet Täter. Hier findet sich ein wichtiger Unterschied zum Original: Während 2018 ‚nur‘ die direkt Verantwortlichen vor Kerseys Flinte kommen, steigerte sich Bronsons Figur in einen Blutrausch hinein, provozierte seine Umgebung bewusst und ballerte anschließend jeden nieder, der ihm ans Leder wollte. Erst im zweiten Teil (1982) ging er dann auf die Jagd nach den eigentlich Schuldigen. Moralisch zu rechtfertigen ist keine der beiden Handlungen, doch die mitschwingende Aussage (1974: Mann dreht durch vs. 2018: Mann rächt lediglich seine Familie) ist bei beiden unterschiedlich.

Nun ist es Roth hoch anzurechnen, dass er an einigen Stellen versucht hat, aktuelle Bezüge in die Handlung des Remakes einfließen zu lassen: Chicago ist momentan tatsächlich ein Ort mit sehr hoher Kriminalität, der Waffenkauf absurd einfach und soziale Medien tun ihr übriges, um die Taten des selbsternannten Rächers publik zu machen. Es sind diese Momente, in denen so etwas wie Eigenständigkeit aufblitzt, bevor der Film dann doch wieder ins übliche Genre-Schema zurückfällt.

Wie die gleiche Geschichte visuell bemerkenswerter und inhaltlich differenzierter erzählt werden kann, hat James Wan („Saw“, „The Conjuring“) 2007 im g-r-o-ß-a-r-t-i-g-e-n „Death Sentence“ mit Kevin Bacon in der Hauptrolle gezeigt. Die literarische Vorlage dazu lieferte übrigens ebenso „Death Wish“-Autor Brian Garfield.

Vielleicht gab es seit Bronsons erstem Auftritt zu viele filmische Nachahmer. Vielleicht hätte ein anderer Darsteller als ein mal wieder sichtlich gelangweilter Willis besser gepasst. Und vielleicht wäre mehr psychologische Tiefe interessanter gewesen. So aber ist „Death Wish“ 2018 nur ein beliebiger Actionstreifen von vielen, der im Gegensatz zum Original ganz schnell wieder vergessen sein wird.

Die DVD/Blu-ray/4K Ultra HD Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie optionale deutsche und englische Untertitel. Das Bonusmaterial besteht aus einem informativen Making of, gelöschten Szenen, einem Audiokommentar sowie Trailern. „Death Wish“ erscheint bei Universum Film und ist seit 10. August 2018 erhältlich. (Packshot + stills: © Universum Film)

Heimkino-Tipp: „24 Stunden in seiner Gewalt“ (1990)

Ein ungebetener Gast

Gefeiert und verdammt: Der Regisseur und Drehbuchautor Michael Cimino (1939 - 2016) war einst im Hollywood-Olymp, wurde als Wunderkind auf Händen getragen und für das Kriegsdrama „Die durch die Hölle gehen“ (1978) mehrfach mit Oscars ausgezeichnet. Zwei Jahre später war seine Karriere ‚dank‘ „Heaven’s Gate“ zu Ende. Der überlange Western (ursprünglich 5h25min., später getrimmt auf 3h37min.) ruinierte das Studio United Artists (das daraufhin an MGM überging), schockierte mit diversen Tierrechtsverletzungen und wurde zudem von der Kritik in Grund und Boden geschrieben. Ein kommerzieller Flop, von dem sich der Filmemacher nie wieder erholen sollte. Zwar gelang ihm 1985 mit „Im Jahr des Drachen“ (Co-Autor: Oliver Stone) nochmals ein Achtungserfolg, für ein Comeback reichte es jedoch nicht.

So verwundert es kaum, dass der gebürtige New Yorker im Herbst 1989 kurzfristig die Regie für „24 Stunden in seiner Gewalt“ übernahm, einem Remake des Humphrey Bogart-Films „An einem Tag wie jeder andere“ (1955), der wiederum auf einem Theaterstück basierte. Der Thriller stand von Anfang an unter keinem guten Stern: Zwei Regisseure (u.a. William Friedkin) waren bereits abgesprungen, später legten die Produzenten beim Schnitt selbst Hand an, nachdem sie Ciminos Fassung abgelehnt hatten. Dem Endergebnis ist diese turbulente Entstehungsgeschichte leider anzusehen und anzumerken.

Das ist insofern bedauerlich, da ein Blick auf die Besetzungsliste andere Erwartungen schürt: Mickey Rourke (damals einer der Stars Hollywoods), Anthony Hopkins (kurz vor seinem Oscar-Gewinn für „Das Schweigen der Lämmer“) sowie Mimi Rogers, Elias Koteas und David Morse in Nebenrollen sind allesamt A-Klasse Darsteller, kommen aber kaum gegen das schwache Skript an. Die Prämisse: Ein flüchtiger Mörder (Rourke) versteckt sich zusammen mit zwei Komplizen (Koteas, Morse) im Haus einer zerrütteten Familie (u.a. Hopkins und Rogers) und wartet dort auf... ja, worauf eigentlich?

Zugespitzt formuliert könnte die gesamte Handlung auf etwa 30 Minuten eingekürzt werden. Denn „24 Stunden in seiner Gewalt“ – schon der deutsche Titel ist faktisch falsch, da die Geiselnahme etwa eineinhalb Tage andauert – strotzt nur so von Unlogik und sinnfreien Handlungskapriolen. Spätestens bei der Behauptung, der Obergangster besitze einen IQ jenseits von 130, kann man sich ob der zu erlebenden, sorry, bescheuerten Entscheidungen, die er trifft, ein Grinsen und Kopfschütteln nicht verkneifen. Doch es kommt noch schlimmer: So verfolgt die Polizei eine verdächtige Komplizin des Bösewichts ‚heimlich‘ mit einem Jet(!) im Tiefflug(!), erstellt Straßensperren, die scheinbar jeder ohne Konsequenzen durchfahren kann, oder ballert mit automatischen Waffen minutenlang auf die Geiseln, hinter denen sich ihr Kidnapper versteckt. Das Gebäude zu stürmen andererseits wird jedoch unterlassen mit der Begründung, die Familie nicht gefährden zu wollen. Ähh, was?

Nun wäre dies alles erträglich, wenn denn zumindest innerhalb des besetzten Hauses etwas Spannendes geschehen würde. Ein psychologisches Duell zwischen Rourkes und Hopkins’ Figuren beispielsweise. Stattdessen lässt der Eindringling seine Geiseln mehrmals ohne Aufischt im Schlafzimmer konferieren oder schickt sowohl Tochter als auch Papa allein(!) in die Stadt, um irgendwas zu erledigen. Deutlicher kann man die Nutzlosigkeit von Rourkes Helferlein nicht hervorheben. Oder anders formuliert: Sie haben absolut keine Bedeutung für den Verlauf der Handlung, außer mittendrin einen völlig überflüssigen Nebenstrang aufzumachen, der eindeutig nur ein wenig Action in das Szenario bringen soll.

Bei so viel inhaltlichem Nonsens fällt es schwer, etwas Positives an „24 Stunden in seiner Gewalt“ zu entdecken. Doch es ist vorhanden – in kurzen, bemerkenswert schön inszenierten Totalaufnahmen der motorisierten Flucht durch die Berge zum Beispiel. Oder in den wenigen Momenten, in denen die Schauspieler ihr Talent zeigen können – bis der Filmschnitt ihnen in die Parade fährt. Eigentlich habe ich persönlich kein so gutes Auge was den Schnitt angeht. Hier jedoch ist der Dilettantismus unübersehbar. Mein lieber Scholli!

Nein, auch mit der 80er/90er-Jahre-Nostalgiebrille betrachtet kann „24 Stunden in seiner Gewalt“ nicht überzeugen. Schade um das verschwendete Talent vor und hinter der Kamera.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche und englische Untertitel. Als Bonus gibt es eine Bildergalerie mit interessantem Werbematerial zum Film sowie einen Trailer. „24 Stunden in seiner Gewalt – Desperate Hours“ erscheint bei Koch Media und ist seit 9. August 2018 erhältlich. (Packshot + stills: © Koch Media GmbH)